Sonntag, 23. Juni 2013

Ein Manager der Intrige

"Othello" wird bei den Domfestspielen zu Jagos Vernichtungsfeldzug

Für das Fremd sein in der Heimat ist Othello das Paradebeispiel. In der Inszenierung von Christian Doll ist der General überhaupt komplett falsch im ganzen Leben, deswegen wird er zum Spielball des Intriganten Jago. Der Krieger taugt nicht für Ränkespiele, also muss die Geschichte tragisch ausgehen. Am Ende bleibt ein starker Eindruck und die Vermutung: Wenn du geredet hättest, Othello, dann, vielleicht dann ...
Mario Gremlich ist der neue Typ des Jago,
ein Typ wie ihn jeder kennt.
In Gandersheim ist Shakespeares Tragödie vor allem ein Kammerspiel zweier Männer, das nur einen Gewinner kennt. Auf der einen Seite Jago, der Fähnrich, der bei der Beförderung übergangen wurde und von den höheren Kreise ausgeschlossen, sinnt er auf Rache. Auf der anderen Seite Othello, der siegreiche General in den Diensten der Republik Venedig, ein Krieger, der erst durch Desdemona zum Mensch wird. Sie wäscht seine Hände rein vom Blute, nimmt die Maske des Kriegers ab, gibt ihm ein neues Gesicht. Doch als er ihr entgleitet, da wir Othello wieder der Krieger.
Stolz, mit fester Stimme, mit breiter Brust und mit raumgreifender Gestik ist Günter Heun ganz der Liebling aller. So hat er auch Desdemona erobert, die Tochter des Senators Brabantio. Weil Othello am die besten Gewinnaussichten hat, beauftragt ihn der Senat, dieses Aufsichtsrats der Kriegsführung, mit dem Feldzug gegen die Türken. Christine Dorner, als Dogin mit Margret Thatcher-Appeal, hat es so entschieden. Der Krieg fällt ins Wasser, ein Sturm versenkt die türkische Flotte vor Zypern. Doch die Krieger können nicht in den Zivilmodus schalten. Wasser spielt eine große Rolle in der Ausstattung, aber die reinigende Kraft bleibt dem Element verwehrt. Ansonsten verzichtet das Bühnenbild von Cornelia Brey auf historizierende Schnörkel.  Othello ist als hilfloser Krieger auch ein Mitmensch der Jetzt-Zeit.
Die Inszenierung von Christian Doll bietet einen neuen Typ des Jago. Irgendwie ist dieser Fähnrich schon fast der nette Kumpel von nebenan, mit allen nur gut Freund und scheinbar loyal, versteht er es dennoch seine Mitmenschen zu seinen Zweck zu nutzen. Alle Fäden laufen bei ihm zusammen, er ist die Schnittmenge aller Dreieecksgeschichten. Dieser Jage ist nicht nur die Banalität des Bösen, er ist auch der Netzwerker, der Manager der Intrige. Das Jago zur zentralen Figur dieser Inszenierung wird, ist eindeutig der Verdienst von Mario Gremlich. Jagos Waffe sind die giftigen Worte und die weiß Gremlich passend zu setzen. Mit Unschuldsmiene und großen Augen sichert er allen seine Loyalität zu, doch nur um sie zu betrügen. Wer mit Hinterlist arbeitet, der verzichtet auf die großen Gesten. Dafür kennt er die Finessen der Sprache, ihre Konnotationen und die ganz feinen Akzentuierungen. Das ist die Stärke von Mario Gremlich.
Bald ist Othello dort, wo Jago ihn haben möchte.
Fotos: Hillebrecht
Solch einen Jago haben vielleicht viele zum Freund, aber man sollte ihn besser nicht zum Feind haben. Häppchenweise, Puzzleteil für Puzzleteil treibt er seinen Rachefeldzug voran, bis er Othello dort hat, wo er der große Held angreifbar ist. Seine raumgreifenden Gesten erinnern nun an einen Tanzbären, der tapsig nach der Pfeiffe des Strippenziehers tanzt. Der General Othello, Leutnant Cassio und alle anderen Männer in Tarnfleck müssen vor diesem Jago kapitulieren.  Denn sie kennen nur den Modus "Mutiger Krieger und aufrichtiger Kamerad". Selbst nach den leichten Sieg gegen die Türken verbleiben sie im Feldlager-Modus. Mit diesem eingeschränkten Verfallensmuster haben sie keine Chance gegen den Feind in den eigenen Reihen. Doch muss man sich die Frage stellen, ob solch ein Kesseltreiben nur unter Kommissköppen möglich wäre. Was wäre, wenn Othello der neue Vorstandsvorsitzende der "Kriegsführung Incorporation" wäre und Jago der Abteilungsleiter, der sich übergangen fühlt?
Der Kampf findet auf einer brutal ausgeleuchteten Bühne statt, aber die Schlacht wird in den Köpfen geschlagen und je länger das Spiel dauert, um so intensiver agieren Gremlich und Heun. Zwei Schwergewicht schaffen ein einer unheilvollen Allianz ein schiefe Ebene Richtung Verderben.
In Anlehnung an Joseph Konrad nennt Doll seinen Inszenierung eine Reise in das Herz der Finsternis. Das mag sein,aber es ist die Finsternis in  Jagos Thorax und in Orthello Schädel. Dort keimt die Saat der bösen Gedanken und kommt doch nicht nach draußen. Eifersucht ist ein Monster, aber dieses Monster kann nur auf dem Kompost der Ungewißheit gedeihen. Geredet wird viel, in Shakespeare-Sprech und in Gegenwartssprache, das schlägt die Brücke zwischen dem frühen 17. Jahrhundert und den Kriegern der Jetzt-Zeit. Aber es reden nie, die sich villeicht mal aussprechen sollten, es wird immer nur angedeutet. Ach, wenn ihr nur geredet hättet, Othello und Desdemona. Es gibt doch soviel Gesprächstherapeuten.
Diesem geheimen Fürsten der Finsternis unterliegen alle: Othello, Desdemona, Cassio, Bianca und Rodrigo. Jago ist der Sieger in einem Kampf, der nur Verlierer kennt.Das Schlußwort bleibt Othello überlassen, doch so recht verstanden hat er immer noch nicht, wie ihm geschah.

Die nächsten Aufführungen sind am 25. und 29. Juni und am 6., 11., 14., 21. und 30.  Juli. Am 3. August ist dernier.

Karten gibt es über die Website der Gandersheimer Domfestspiel.

Das Stück in der Eigenbeschreibung.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen