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Samstag, 14. Februar 2015

Zwei gelungene Statements

Chaix und Heckmann zeigen tänzerische Interpretationen barocker Musik


Hier geht's zur Tonspur

Wer glaubt, zum Thema Barock sei schon alles gesagt, gespielt und getanzt, der irrt gewaltig. Mit dem Ballett-Doppelabend "Die vier Jahreszeiten" geben Martin Chaix und Jochen Heckmann am Theater Nordhausen zwei sehr unterschiedliche Statements ab, die zusammen die große Bandbreite des aktuelles Tanztheaters zeigen. Nicht nur deswegen gab es zur Premiere am 13. Februar standig ovations.
Berührend:  Amelie Lambrichts tanzt ein Solo mit
Smartphone. Alle Fotos: Tillmann Graner
Das Problem ist, dass die Vier Jahreszeiten zum kollektiven Gedächtnis der Menschheit gehören. Jeder bringt seine Bilder und seine Erwartungen mit. Für Richard Tognetti ist es wohl eins der schönsten Konzerte der Welt. Vivaldis Werk sei voller Inspirationen und Innovationen. Aber sei auch ein altes Schlachtross, dass man zum Schnauben, Hüpfen, Springen und Pirouettendrehen bringen könne, sagt der Geiger, der gerade mit dem Australian Chamber Orchestra eine Neueinspielung vorgelegt hat.
Doch halt, stopp, die Ankündigung Ballettabend weckt in diesem Zusammenhang vielleicht die falschen Erwartungen. Es gibt keine Tänzer, die in barocken Spitzen, Rüschen und im Tutu Arabesquen drehen. Doch halt, stopp, auch der Titel "Die vier Jahreszeiten" begrenzt die musikalischen Erwartungen auf dreizehn Sätze Musik aus dem 17. Jahrhundert. Es gibt an diesem Abend weitaus mehr. Aber der Reihe nach. Für den ersten Teil des Abends zeichnet Martin Chaix verantwortlich.

Transkriptionen

Er stellt seine Interpretationen unter den Titel "Transkriptionen" , Übertragungen. Sein Anspruch ist es, die widersprüchlichen Elemente der Epoche Barock in die Jetzt-Zeit zu transformieren, dass 17. und das 21. Jahrhundert miteinander zu verbinden. Dies gelingt ihm und dem Ensemble auf grandiose Weise.
Wichtiges Element dieser Transkription ist das reduzierte Bühnenbild von Ronald Winter. Es ermöglicht die Konzentration auf die Leistungen der 11 Tänzerinnen und Tänzer. Der einzige Schmuck ist 180 Glasperlen, die von der Decke hängen. Sind es Tautropfen, Tränen oder ist es Sternstaub? Auf jeden Fall erzeugen sie Lichtreflexe, die die karge Bühne verzaubern.
Die Kostüme sind Jahrhunderte weit von barocker Pracht entfernt und stehen für klassische Moderne. Aber wo ist hier nun der barocke Anteil? Es sind die Tänzerinnen und Tänzer, es sind ihre raumgreifenden Bewegungen, es ist der Schwung, mit denen sie den gesamten Bühnenraum durchschreiten.
Haltepunkte finden und auflösen. Foto: Graner
Eine Tänzerin steht allein in diesen riesigen und dunklen Raum. Das Cembalo spielt eine recht raue Version von Bachs Konzert in g-Moll nach Antonio Vivaldi, eine Transkription eben. Zwei Tänzerinnen kommen hinzu. Sie laufen miteinander und gegeneinander , sie drehen sich miteinander und gegeneinander. In der Folge zeichnen sie mit dem Mittel des Tanzes Bilder und Geschichten von Einsamkeit, vom Finden, von Gemeinsamkeit und vom Trennen. Dieses Thema taucht immer wieder auf und durchzieht den ersten Teil des Abends wie ein roten Fäden. Das Publikum bedankt sich immer wieder mit Szenen-Applaus. Es weiß, dass es Zeuge eine außergewöhnlichen Inszenierung ist. Chaix entwickelt das weiter, was er 2011 mit "We were right" begonnen hat.
Die Einsamkeit bekommt eine Gestalt, als Amelie Lambrichts zu den Klängen des Konzerts in d-Moll ein Solo mit Smartphone tanzt. Am Ende schließt sich der Kreis. Eine Tänzerin steht allein auf der großen dunklen Bühne und das Loh Orchester spielt Bachs Passacaglia mit aller Mächtigkeit.
Nicht klassisch, nicht barock. Was tanzt das Ensemble sonst. Es erweist der klassischen Moderne und setzt auf Contact Improvisation. Paare finden sich, treten in Kontakt, einigen sich auf Drehpunkte und lösen sich zu Schluss wieder, Gruppen finden sich, bauen Pyramiden aus Körper und lösen sich letztendlich wieder auf.

Vier Jahreszeiten recomposed

Der  Reduktion von Martin Chaix setzt Jochen Heckmann Opulenz entgegen. Nun sind die Spitzenbesätze da, das Blattgold, die mächtigen Frisuren und auch das Tutu. Der zweite Teil des Abends ist kein Stilbruch sondern eine andere Aussage zum Verhältnis von Tradition und Gegenwart. Die Musik bilden die Interpretationen von Hans Richter zu Vivaldis Werk. Eine Mischung aus Streichern und sphärischen Klängen, die an ein Frühwerk von Pink Floyd oder an Mike Oldfields erinnert.
Der zweite Teil des Abends ist vor allem eine
Gruppenleistung. Foto: Graner
Im Bühnenbild durchbricht Weiß die Dominanz des Schwarz. Drei Wände aus groben Stoff und fünf Seile bilden eine Kuppel. Ist das ein Zirkuszelt, eine Jurte oder einfach ein Nest.
Dem einsamem Individuum aus dem ersten Teil setzt Heckmann die Interaktion der Gruppe entgegen. Im zweiten Teil des Abends agiert die Ballettkompanie größtenteils als Ensemble und als Gruppe.
Der Titel "Spring 0" weckt sie aus dem Winterschlaf, das Leben beginnt, sie legen das Winterfell ab. In der Erzählstruktur hält sich Heckmann mit seiner Choreographie an die Vorgaben Vivaldis. Seine Interpretationen folgen dem Lauf der Jahreszeiten. Dem vorsichtigen Hineintasten in den Zyklus des Lebens folgt Beschleunigung und Tanz. Es folgt Liebe und Hoffen und Bedrohung.
Ist es die Liebe, die blind macht? 
Denn im Herbst taucht der Tod auf. Er sucht sich seine Opfer und findet sie. Das Duett von Amelie Lambrichts in Kostüm des schwarzen Vogel und Fem Rosa Has gehört zu den eindrucksvollen Momenten an diesem Abend. Doch der Tod bleibt nicht der Sieger, denn das Leben kehrt zurück zum Kreislauf aus Schlaf und Erwachen.
Von der klassischen Moderne aus macht Jochen Heckmann einen Rückgriff auf die Klassik. Seine Choreographie hat weit mehr Hebefiguren, mehr Zitate aus der Geschichte des Tanztheaters als die Transkriptionen von Chaix. Sein Statement zur Verbindung von Barock und Jetzt-Zeit ist keine Übertragung von Kernpunkten in eine neue Zeit, sondern eine Verbindung von Elementen in einem neuen Ausdruck.
Damit bietet der Doppelabend  dem Publikum zwei gleichwertige Variationen des aktuellen Tanztheater. Zum gleichen Thema gibt es zwei verschiedene Antworten und das ist gut so. Es bleibt jedem überlassen, sich die passende Antwort auszusuchen oder beide nebeneinander stehen zu lassen.

Die nächsten Aufführungen im Großen Haus sind am 18. Februar, am 1. und 6. März.

Zur Person Martin Chaix
Zur Person Jochen Heckmann

Der Spielplan in Nordhausen



Die Tonversion bei soundcloud





Montag, 9. Februar 2015

Stylish in den Abgrund

Toni Burkhardt inszeniert eine eindrucksvolle Manon in Nordhausen


Hier stimmt alles. Diese Oper ist ein überzeugendes Gesamtpaket. Mit seiner Inszenierung von Massenets "Manon" bestätigt Toni Burkhardt seinen Ruf, vermeintlich seichten Themen ein beeindruckende Tiefe zu verleihen. Dafür gab es bei der Premiere am 8. Februar jede Menge Szenenapplaus und donnernden Beifall zum Schluss.
Burkhardts erster Kunstgriff ist die Entzeitlichung und die Verschiebung der Handlungsorte. Massenets Vorlage von 1884 erzählt eine Geschichte aus dem frühen 18. Jahrhundert. Doch Toni Burkhardt verlegt das Geschehen aus der französischen Provinz ins das quirlige Paris irgendwo am Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Damen der Gesellschaft tragen Bubikopf und kleines Schwarzes statt Fontage und Manteau. Der Herr von Welt kleidet sich im Zweireiher oder im Smoking. Mit diesem einfachen Mittel erreicht er ein Mindestmaß an Abstraktion.Erlöst Zeit und Ort auf, um eine allgemeingültige Aussage zu machen.
Es ist Liebe auf den ersten Blick zwischen Manon und
des Grieux. Alle Foto: Roland Obst
Ausgangspunkt ist nicht eine Poststation in Amiens,  sondern der Gare du Nord in Paris. Tempo und Rausch bestimmen das Lebensgefühl. Als Transportmittel dieser Beschleunigung wird an diesem Abend immer wieder der Opernchor auftreten. Das hervorragend besetzte Ensemble wird damit zum Träger der Handlung.
Das Bühnenbild wird von einer riesigen Uhr dominiert, die sofort Assoziationen an den Stummfilmklassiker "Safety last" von Harald Lloyd wachruft. Ja, genau der, wo der Mann mit Hornbrille an den Zeigern einer Uhr hängt und droht, in den Abgrund zu stürzen.In diesen Schmelztiegel wird nun Manon, das Küken aus der Provinz, geworfen. Von dort an befindet sie sich auf der schrägen Ebene Richtung Verderben.
Es ist gleich klar: Das kann nicht gut ausgehen. Auf dem Weg ins Kloster soll sie in Paris nur Zwischenstation machen, doch sie erliegt den Verlockungen des lockeren Lebens sofort. Als Manon und der junge Chevalier des Grieux auf einander treffen, ist ihr Schicksal besiegelt. Erst ist Manon der Solitär im wohlgesetzten Spotlicht, später wird sie zum Kristallisationspunkt der Pariser Spaßgesellschaft. Sie singt im Scheinwerferlicht wie eine Pop-Ikone, eine Madonna der Charleston-Ära.
Burkhardts Manon ist keine Parabel über das schlimme Ende jeglichen Lotterlebens. Er stellt die Frage, warum die junge Frau sittsam leben soll, wenn sich um sie herum alles in Saus und Braus versinkt und Ränkeschmieden und Imponiergehabe das menschliche Miteinander bestimmen. Es ist eine Tragödie über die Zwangsläufigkeit des Untergang der Einzelnen im Getriebe der Verführer. Damit lässt Toni Burkhardt die Oper von Jules Massenet im 21. Jahrhundert ankommen.
Lescaut (links) hat schon was anderes mit seiner
Cousine vor. Alle Fotos: Obst
Doch es geht um Ränke. So verschachert Lescaut, ein kleiner Flic in einer Fantasieuniform aus Gendarm, Bundeswehr und NVA, in zweiten Akt seine Cousine Manon  an den schmierigen De Brétigny, um im dritten Akt mit Schärpe und aufgeplustert den großzügigen Freier zu geben. Dies ist der stärkste Auftritt von Yoontaek Rhim an diesem Abend. Selten war in Nordhausen ein Gesang zu überzeugend kraftstrotzend selbstverliebt. Dagegen kommt auch ein Chevalier, ein Ritter, ein Märchenprinz nicht gegen an als Vertreter des ancien régime.
Dagegen steht die Clique viel besser dar. Katharina Boschmann als Pousette, Anja Daniela Wagner als Rosette und Brigitte Roth als Javotte bildet als Trio Infernale einen starken Gegenpol. Sie sind die Nornen, die Enkelinnen von Macbeths Hexen.
Manon ist eine Oper, die von der Titelfigur dominiert wird und damit ist sie ein Werk, das ganz auf Elena Puszta zugeschnitten ist. Sie schafft es den rasanten Wandel der Anti-Heldin glaubhaft zu vermitteln. Egal, ob staunendes Kind, verliebte Frau, selbstbewusste Femme fatale oder Todgeweihte, Elena Puzsta verleiht ihrer klaren und dynamischen Stimme immer wieder die passende Nuance. Damit ist sie eine Säule des Erfolgs.
Sie sind die Enkelinnen von Macbeths Hexen.
Foto: Obst 
Dennoch lässt sie genug Platz für die anderen Akteure. Das Duett mit Martin Shalita in der Rolle des Chevalier des Grieux am Ende des ersten Akts gehört zu den Höhepunkten ebenso wie das Duett mit Florian Kontschak in der Rolle des alten Grafen des Grieux im dritten Akt. Hier tasten sich zwei Gegner auf Augenhöhe gegenseitig ab, doch alle wohlgesetzten Töne schimmert die Aversion hindurch.
Kongenial zur Regie präsentiert sich das Bühnenbild von Wolfgang Kurima Rauschning, dass jeder Zeit zur Gesamtaussage beiträgt. Mit wenigen Elementen entsteht im zweiten Akt eine Pariser Mansardenwohnungen wie aus dem Klischee, vorne weiß und unschuldig wie die Liebe zwischen Manon und dem jungen des Grieux. Doch jenseits des Fenster beginnt die Dunkelheit, droht das Verderben. Mit der intelligenten Lichtführung von Stefan Gimbel werden nicht nur Stimmungen geschaffen, sondern auch die Positionen der Akteure verdeutlicht.
Der optische Bruch kommt mit dem dritten Akt. Blau und Schwarz werden zu den bestimmenden Farben, verleihen der Bühne eine atemberaubende Tiefe. Die Uhr als Konstante, als verlässliche Größe ist gebrochen. Ein dunkles Rot kündigt im vierten Akt das Unheil an.
Toni Burkhardt und Dramaturgin Anja Eisner ist es gelungen, eine Geschichte aus dem 18. Jahrhundert und eine Oper aus dem 19. Jahrhundert ins 21. Jahrhundert zu transkribieren ohne dem Stoff Gewalt anzutun. Sie gewinnen dem bekannten Thema Seiten ab, die über den reinen Kontext hinausweisen. Am Theater Nordhausen ist eine Inszenierung gelungen, die nicht zuletzt dank der Darsteller in allen Bereichen überzeugt.


Das Stück 
Der Spielplan am Theater Nordhausen