Chaix und Heckmann zeigen tänzerische Interpretationen barocker Musik
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Wer glaubt, zum Thema Barock sei schon alles gesagt, gespielt und getanzt, der irrt gewaltig. Mit dem Ballett-Doppelabend "Die vier Jahreszeiten" geben Martin Chaix und Jochen Heckmann am Theater Nordhausen zwei sehr unterschiedliche Statements ab, die zusammen die große Bandbreite des aktuelles Tanztheaters zeigen. Nicht nur deswegen gab es zur Premiere am 13. Februar standig ovations.
Berührend: Amelie Lambrichts tanzt ein Solo mit Smartphone. Alle Fotos: Tillmann Graner |
Doch halt, stopp, die Ankündigung Ballettabend weckt in diesem Zusammenhang vielleicht die falschen Erwartungen. Es gibt keine Tänzer, die in barocken Spitzen, Rüschen und im Tutu Arabesquen drehen. Doch halt, stopp, auch der Titel "Die vier Jahreszeiten" begrenzt die musikalischen Erwartungen auf dreizehn Sätze Musik aus dem 17. Jahrhundert. Es gibt an diesem Abend weitaus mehr. Aber der Reihe nach. Für den ersten Teil des Abends zeichnet Martin Chaix verantwortlich.
Transkriptionen
Er stellt seine Interpretationen unter den Titel "Transkriptionen" , Übertragungen. Sein Anspruch ist es, die widersprüchlichen Elemente der Epoche Barock in die Jetzt-Zeit zu transformieren, dass 17. und das 21. Jahrhundert miteinander zu verbinden. Dies gelingt ihm und dem Ensemble auf grandiose Weise.Wichtiges Element dieser Transkription ist das reduzierte Bühnenbild von Ronald Winter. Es ermöglicht die Konzentration auf die Leistungen der 11 Tänzerinnen und Tänzer. Der einzige Schmuck ist 180 Glasperlen, die von der Decke hängen. Sind es Tautropfen, Tränen oder ist es Sternstaub? Auf jeden Fall erzeugen sie Lichtreflexe, die die karge Bühne verzaubern.
Die Kostüme sind Jahrhunderte weit von barocker Pracht entfernt und stehen für klassische Moderne. Aber wo ist hier nun der barocke Anteil? Es sind die Tänzerinnen und Tänzer, es sind ihre raumgreifenden Bewegungen, es ist der Schwung, mit denen sie den gesamten Bühnenraum durchschreiten.
Haltepunkte finden und auflösen. Foto: Graner |
Die Einsamkeit bekommt eine Gestalt, als Amelie Lambrichts zu den Klängen des Konzerts in d-Moll ein Solo mit Smartphone tanzt. Am Ende schließt sich der Kreis. Eine Tänzerin steht allein auf der großen dunklen Bühne und das Loh Orchester spielt Bachs Passacaglia mit aller Mächtigkeit.
Nicht klassisch, nicht barock. Was tanzt das Ensemble sonst. Es erweist der klassischen Moderne und setzt auf Contact Improvisation. Paare finden sich, treten in Kontakt, einigen sich auf Drehpunkte und lösen sich zu Schluss wieder, Gruppen finden sich, bauen Pyramiden aus Körper und lösen sich letztendlich wieder auf.
Vier Jahreszeiten recomposed
Der Reduktion von Martin Chaix setzt Jochen Heckmann Opulenz entgegen. Nun sind die Spitzenbesätze da, das Blattgold, die mächtigen Frisuren und auch das Tutu. Der zweite Teil des Abends ist kein Stilbruch sondern eine andere Aussage zum Verhältnis von Tradition und Gegenwart. Die Musik bilden die Interpretationen von Hans Richter zu Vivaldis Werk. Eine Mischung aus Streichern und sphärischen Klängen, die an ein Frühwerk von Pink Floyd oder an Mike Oldfields erinnert.Der zweite Teil des Abends ist vor allem eine Gruppenleistung. Foto: Graner |
Dem einsamem Individuum aus dem ersten Teil setzt Heckmann die Interaktion der Gruppe entgegen. Im zweiten Teil des Abends agiert die Ballettkompanie größtenteils als Ensemble und als Gruppe.
Der Titel "Spring 0" weckt sie aus dem Winterschlaf, das Leben beginnt, sie legen das Winterfell ab. In der Erzählstruktur hält sich Heckmann mit seiner Choreographie an die Vorgaben Vivaldis. Seine Interpretationen folgen dem Lauf der Jahreszeiten. Dem vorsichtigen Hineintasten in den Zyklus des Lebens folgt Beschleunigung und Tanz. Es folgt Liebe und Hoffen und Bedrohung.
Ist es die Liebe, die blind macht? |
Von der klassischen Moderne aus macht Jochen Heckmann einen Rückgriff auf die Klassik. Seine Choreographie hat weit mehr Hebefiguren, mehr Zitate aus der Geschichte des Tanztheaters als die Transkriptionen von Chaix. Sein Statement zur Verbindung von Barock und Jetzt-Zeit ist keine Übertragung von Kernpunkten in eine neue Zeit, sondern eine Verbindung von Elementen in einem neuen Ausdruck.
Damit bietet der Doppelabend dem Publikum zwei gleichwertige Variationen des aktuellen Tanztheater. Zum gleichen Thema gibt es zwei verschiedene Antworten und das ist gut so. Es bleibt jedem überlassen, sich die passende Antwort auszusuchen oder beide nebeneinander stehen zu lassen.
Die nächsten Aufführungen im Großen Haus sind am 18. Februar, am 1. und 6. März.
Zur Person Martin Chaix
Zur Person Jochen Heckmann
Der Spielplan in Nordhausen
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