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Donnerstag, 30. April 2015

Fast wie vorher, nur besser

Wiederaufnahme von "My FairLady" am Theater Nordhausen

Vorab die Besprechung zur Aufführung 2014
Die Rezension als Audio-Datei


"My Fair Lady" in der Inszenierung Toni Burkhardt war im Sommer 2014 der Renner bei den Schlossfestspielen in Sondershausen. Sämtliche Aufführungen waren damals ausverkauft. Am 29. April gab es die Wiederaufnahme am Theater Nordhausen und es war fast wie im letzten Jahr, nur eben ein wenig besser.
Vielleicht ist eine Musical-Company wie ein gut laufender Motor. Kaum dreht man an ein, zwei Stellschrauben, schon bringt die Maschine den entscheidenden Tuck Leistung mehr. Die Steigerung ist vor allem mit dem Namen Thomas Kohl verbunden. In der Rolle des Professor Henry Higgins ist er die nötige Ergänzung zur überbordenden Katharina Boschmann in der Titelrolle.
Oberst Pickering (Helmut Kleinen) und Henry Higgins
schließen eine Wette ab. Alle Fotos: Tilmann Graner
Als als Ekelpaket mit vollster Berechnung ist Kohl der andere Pfeiler dieser Inszenierung, die im vergangenen Jahr fast ein One-Woman-Show war. Kühl und berechnend geht er das Projekt der Umerziehung an. Wirkte Oliver Koch im letzten Jahr noch wie ein Suchender, der eigentlich selbst Hilfe braucht, vermittelt Thomas Kohl in dieser Rolle nun die volle Absicht und die geballte Menschenfeindlichkeit mit kaum zu steigender Überheblichkeit. Mitleid kann man mit diesem Higgins nicht haben. Der Professor ist der Schmied seines eigenen Unglücks.
Die überzeugende Zweigleisigkeit aus Unterhaltung und aus Kritik am Experiment am lebenden Menschen ist auch in der Wiederaufnahme zu finden. Denn "My Fair Lady" ist keine nette Geschichte. Es geht um zwei Männer, die per Wette über das Leben eines jungen Mädchen bestimmen, das Schicksal einer jungen Frau aus der Unterschicht wird zur Verfügungsmasse zweier Upperclass-Boys. Es geht um die Umerziehung eines Individuums aus purer Eitelkeit. Alles verpackt in mitwippende Songs wie "Ich hätt' getanzt heut' Nacht" und "Es grünt so grün" und beeindruckende Tanzszenen. Nicht umsonst ist der Einstieg eine Jahrmarktsszene, in der Upperclass und Lumpenproletariat freudig zusammenfinden, bis ein Gewitter sie trennt.

Manchmal ist das Leben ein Jahrmarkt. Foto: Graner
Die Inszenierung zu den Schlossfestspielen hatte viele Pfunde, mit denen die Wiederaufnahme am Theater Nordhausen auch wuchert. Dazu zählt die Choreographie von Jutta Ebnother, die den Schwung der goldenen Musical-Zeiten wieder lebendig macht. Das Tanzensemble misst den knappen Bühnenraum mit einer Leichtigkeit aus, die an das Fliegen erinnert.
Elena Pierini und Markus Popp haben den Chor wieder hervorragend eingestellt und das Ensemble gehört ohne Frage zu den Säulen dieser Inszenierung. Dies erinnert nicht nur an die Tage, als diese Leichtigkeit die Sonntagnachmittage mit der ARD bestimmten. Die Präzision und die Dynamik machen Lust auf mehr.
Auch das überragende Bühnenbild von Wolfgang Kurima Rauschning wurde übernommen. Vielleicht hat es sich Toni Burkhardt hier zu einfach gemacht, denn der Bau dominiert die Bühne so sehr, dass die Akteure manchmal an die Seite gedrängt wirken.
Auch bei der Wiederaufnahme glänzt Katharina Boschmann in der Rolle des Blumenmädchens Eliza Doolittle, das man fast meint, die Rolle sei für sie geschaffen worden. Da steckt alles drin, Lebensfreude, Verzweifelung, Wut und Erkenntnis und die Boschmann bringt alles Glaubwürdig auf die Bühne. Der Gesang stimmt, die Mimik stimmt, die Gestik stimmt. Bravo.
Eine Entdeckung hat die Lady 2015 noch zu bieten. Michael Ehspanner gelingt es der Rolle des Freddy Eynsford-Hill so viele unterschiedliche Seiten abzugewinnen, dass man hofft, sein Talent noch häufiger in Nordhausen erleben zu dürfen



Der Spielplan am Theater Nordhausen
Die Schlossfestspiele 2015

Die Besprechung zur Aufführung 2014

Mittwoch, 29. April 2015

Mehr als ein Auftakt nach Maß

Oberlinger und Cummings machen neugierig auf Händel-Festspiele

Bei aller Vorsicht im Umgang mit Superlativen, aber das Konzert von Dorothee Oberlinger und Laurence Cummings am 26. April im Ursulinenkloster in Duderstadt war nicht nur ein Auftakt nach Mass für die Händel Festspiele 2015. Es war eine Sternstunde der Barockmusik, die das Publikum zwei musikalischen Partner auf Augenhöhe zu verdanken hat.
Das Erstaunlichste an diesem Abend war die Vorkenntnisse, dass Oberlinger und Cummings erst zum zweiten Mal gemeinsam eine Bühne betreten hatten. Die Premiere gab es erst am Vortag. Aufdie Gefahr ein Floskel zu gebrauchen, aber dies spricht für das sehr hohe Niveau der beiden Künstler und dem gleichen Verständnis von Konzertmusik. Keiner der beiden drängte sich nach vorne, beide ließen Raum für den anderen. Das Tempo und die Übergänge waren durchweg gelungen.

Am Anfang war das Cembalo und das Cembalo war im
Kloster und es sprach. Alle Fotos: tok 
Aber am erstaunlichsten war vielleicht die Erkenntnis, wie vielfältig, wie nuancenreich die Kombination Cembalo und Flöte sein kein, wie viele Klangfarben in der Kombination dieser beiden Instrumente stecken.
Gerade Laurence Cummings bewies, dass er ohne Frage zu den Größten seiner Zunft gehört. In den Solostücken aus Händels Suite Nr. in d-Moll zauberte er den gesamten Klangraum aus dem Cembalo, das viele für limitiert halten.
Vielleicht eröffnen Cummings und Oberlinger an diesem Abend für viele der 230 Besucher eine neue Dimension. Antonio Salieri soll ja mal behauptet haben, dass der Mensch nur eine begrenzte Menge an Tönen verarbeiten kann. Sollte es diese Begrenzung wirklich geben, dann hat Händel  diese Grenze im Air con Variazoni und im Presto seiner Suite Nr. 3 ausgelotet. Laurence Cummings schafft es, diesen Reichtum an Tönen transparent zu machen und gleichzeitig das Stück vor Überladung zu bewahren. Die getragene Allemande und die Courante sorgen für die Kontrapunkte in diesem fröhlichen Programm, das damit ein vollständiges ist.
Das Programm ist zweigeteilt. Vor der Pause dominieren die frühlingshaften Stücke, die Werke voller Licht. In der Sonatein C-Dur von Händel scheint Dorothee Oberlinger wie ein Vogel im Sonnenlicht von Ton zu Ton zu hüpfen, um das Auditorium mit in die Höhe zu nehmen. Gleiches gelingt ihr in der Sonate op. 1 von Sammartini.
Die Sonate op. 5 Nr. 10 in F-Dur von Corelli offenbart dann etwas, was viele schon immer vermutet haben. Barock und Jazz sind Verwandte im Geiste. Oberlinger und Cummings geraten ins jammen.
Zum Schluss waren nicht nur die Schwestern
zufrieden.
Als kleine Oper bezeichnete Dorothee Oberlinger die Sonate C-Dur aus dem Essercizii Musici von Telemann. Dieser war ja auch ein bekennender Anhänger der Flöte und Dorothee Oberlinger übersetzt alle sechs Stimmungen dieser kleinen Oper in den Klangraum des Klosters.
Überhaupt trägt auch die klare Klangstruktur der Klosterkirche zum Erfolg dieses Abends bei. Der nüchterne Raum hat keine ungewollte Echos und verzerrt auch nicht durch Hall. Die Transparenz der Töne und damit Leichtigkeit der Musik profitiert enorm von den Gegebenheiten des Raums.
Gab es im Programm schon reichlich Applaus, so braust am Ende einer wahren Beifallssturm durch die Klosterkirche. Zwei Zugaben kann sich das Publikum an diesem Abend erklatschen. Verkraftet hätte es noch mehr. Auch wieder mit Floskelgefahr: Aber man soll ja aufhören, wenn es am schönsten ist.




Die offizielle Website der Händel Festspiel

Die Website von Dorothee Oberlinger
Dorothee Oberlinger bei wikipedia

Die Website von Laurence Cummings
Laurence Cummings bei wikipedia

Eine ähnliche Konstellation bei den Festspielen 2013

Dienstag, 28. April 2015

In einhundert Jahren noch einmal

Ein Versuch, sich dem Phänomen Puhdys zu nähern

Prolog: Vorweg sei eine persönliche Sellungnahme erlaubt. Ich hätte nie gedacht, dass ich noch einmal ein Rockkonzert besuchen werde, bei dem ich unter dem Altersdurchschnitt liege, und zwar deutlich. Das Konzert der Puhdys in Northeim hat mich eines besseren belehrt.

Ausverkauft und das schon seit Monaten.
Alle Fotos: tok 
Ausverkauft und zwar seit Monaten hieß es schon im Vorfeld. Der Veranstalter hatte sich ein Abendkasse gespart, weil es nicht zu verkaufen gab. Dennoch müssen zwei Männer an der Tür zahlreiche Nachzügler abweisen. Die Puhdys ziehen halt immer noch ihr Publikum und das zeichnet sich in allen Belangen durch das Attribut "treu" aus. Da ist nicht nur die Treue zur Musik, da ist auch die Treue zum Dress-Code der guten alten Zeit. Jeans ist Pflicht, Minipli, Stirnfransen und karierte Flanellhemden feiern an diesem Abend eine Auferstehung.
Die Liebesbeziehung zwischen den Puhdys und Northeim ist alt, sehr alt. 1978, vor siebenunddreißig Jahren, traten die DDR-Rocker das erste Mal hier auf. Ja, auf der ersten Westtournee machten die Stars aus dem Osten Station in der südniedersächsischen Kleinstadt. Northeim spielte auf einmal in derselben Liga wie Hamburg oder Frankfurt. Der Duft der weiten Welt in der Provinz. Die Puhdys, das war der erste Rock-Act in der neuen Stadthalle und auch für lange Zeit der letzte. Nach dem Konzert beschlossen die Stadtväter ein Rock-Verbot für Northeims gute Stube. Die Stadthalle musste nach dem Puhdys-Auftritt zwei Tage lange gesäubert werden. Das hatte was von Rolling Stones auf der Berliner Waldbühne. Heute beschränkt sich die Rebellion der Puhdy-Fans auf das Verlassen der Sitzplätze und das Sitzen auf den Treppen.
Ach ja, dann waren die Puhdys ja auch 1999 noch mal da, zum Abschiedskonzert auf der Northeimer Waldbühne. Die Stadthalle hingegen brannte schon 1986 ab und wurde durch eine Neue ersetzt, auch der Nachfolger steht vor der Schließung, die Northeimer Waldbühne wird schon lange nicht mehr "bespielt". Damit ist das Konzert der Puhdys eben auch eine Reise in eine glorreiche Zeit, als Top-Acts auch in kleinen Städten und kleinen Hallen spielten. Verdammt lang her.
Nur das Lagerfeuer fehlte noch. 
Die Formulierung "aus der Zeit gefallen" hat gerade Konjunktur. Die Puhdys und ihre Fans in Northeim, das ist eher gut konserviert. Das ist eine Liebe, die so lange gehalten hat, weil man sich so selten gesehen hat in den letzten 37 Jahren. Schon bei den ersten Akkorden klatscht das Publikum mit, brausen die "Heeeh"-Rufe. Das wird sich den ganzen Abend nicht ändern, vom ersten bis zum letzten Takt.
Puhdys und "Alt wie ein Baum" oder Puhdys "Wenn ein Mensch lebt", das sind Reflexe, die funktionieren seit 40 Jahren. Doch im ersten Set gibt es durchweg aktuelle Songs. Auch wenn die Ostberliner und die Südniedersachsen nur eine Fernbeziehung pflegen, der Liebe tut das keinen Abbruch. Das Publikum kennt sie alle Lieder und singt die Refrains euphorisch mit.
Aus der Zeit gefallen ist die Musik der Puhdys schon. Das Schema funktioniert seit mehr als 40 Jahren. Vierviertel Takt, fünf Akkorde, erst die quäkende Stimme von Dieter "Maschine" Birr und dann der vollmundige Chorus. Die Musik der Puhdys ist verlässlich und das schätzt das Publikum, über die Grenzen von Zeit und Raum hinweg. Während andere Bands aus der gleichen Ära eine Entwicklung hinter sich haben, klingen die Ostberliner immer wie im Sommer 1969. Puhdys, das ist die Konserve eines Lebensgefühls.
 Aber wer sagt eigentlich das die Puhdys Rockmusik machen? Das ist ein Gerücht, dass sich seit mehr als 40 Jahren hält. Wikipedia sortiert das Quintett gar unter Hardrock ein. Das ist wohl ein grandiose Fehleinschätzung. Es ist doch wohl eher Schlager mit Rock-Attitüde. Der mehrstimmige Gesang ist nicht Deep Purple, da klingen eher die Hollies durch. Und, Hände nach oben, jede Menge 70er-Jahre-Stadion-Rock-Gefühl.
Peter "Eingehängt" Meyer hält die Band zusammen.
Es gibt viele Akustik-Gitarren an diesem Abend. Die Puhdys sind ja schließlich auf Akustik-Tour. Drei Männer mit Klampfe, das versprüht ein wenig den Hauch von Zelten und Lagerfeuer. Erinnerungen an die Jugend werden wach, an eine Zeit vor dem Ghetto-Blaster oder MP3-Playern.
Ach, die Puhdys, das sind zwar Herren um die 70, aber im Grunde ihres Herzen, da sind das junge Knaben, die nur eins wollen: Spielen. Das ist die Botschaft dieses Abends und ein wenig Knaben oder wieder junges Mädchen sein, das wollen an diesem Abend viele sein.
Textlich geht es bis zur Pause vor allem um das Altwerden und den Wert der Freundschaft. Romatik statt Revolte, die Puhdys waren nie die Revoluzzer oder, wie City, die Vertreter des DDR-Untergrund. Mit diesen Konzepten können sie als Stammväter solcher Bands wie Santiano gelten.
Zum Puhdys-Mythos gehört auch das Kumpelhafte und Sprüche, die nach 1989 Geborene wohl nie mehr verstehen werden. Die Puhdys und ihr Publikum, das ist wie eine große Familie und die Spitzname, die kennt jeder und die Entstehungsgeschichte dieser Zweitnamenwohl auch. Na ja, und die dreiköpfige Verstärkung, die auf der Bühne steht, das sind eben die Söhne von Maschine, Quaster und von Drummer Klaus Scharfschwerdt. Jetzt müsste nur noch jemand ein Picknick-Decke rausholen und alles wäre perfekt. Doch Picknick-Decken für mehr 900 Zuhörer, die gibt es nicht.
Das zweite Set beginnt als Ulk-Teil, wie auf einer Familienfeier, auf der irgendwann mal die lustigen Tanten aufstehen und einen Sketch vorführen. Quaster darf sich als Operettensänger versuchen und Peter "Bimbo" Rasym darf auf dem Bass auch mal funky slappen.
Doch dann geht es ans Eingemachte, der Kult-Block kommt. Schon bei den ersten Akkorden von "Geh zu Ihr" tost die die Stadthalle, bei "Wenn ein Mensch lebt" singt das Publikum lauthals von Anfang bis Ende mit und bei "Alt wie ein Baum" ist Maschine arbeitslos. Die Fans haben die Regie übernommen.
Auch wenn im Sommer definitiv Schluss ist, so möchten doch jeder an Maschines Ankündigung glauben, dass man sich am 25. Mai 2115 in Northeim wiedersieht. Denn Puhdys, dass ist das Versprechen des endlosen Sommers von 1969, das "Forever Young" auf Ostdeutsche. In diesem Abend in der Stadthalle war der Zauber von damals wieder da.



Das erste Interview mit Peter "Eingehängt" Meyer
Das zweite Interview


Die Puhdys bei wikipedia
Die offizielle Puhdys-Homepage

Sonntag, 19. April 2015

Das Böse lauert immer und überall

Lucia Bihler dampft Biedermann und die Brandstifter ein und reduziert Frisch-Drama auf die tragenden Teile

Das Böse lauert immer und überall. Wer sich aber mit dem Bösen arrangieren will, der kommt unter die Räder. Das ist die Quintessenz vom "Biedermann und die Brandstifter". Am Deutschen Theater in Göttingen inszeniert Lucia Bihler eine Version, die sich auf die tragenden Teile konzentriert.  Hier verbinden sich Sprache, Tanz und Musik zu einem überzeugenden Gesamtwerk, das aber genug Raum für viele Assoziationen bietet. Das reduzierte Bühnenbild und die Kostüme von Josa David Marx unterstützen das Konzept kongenial.  Die Premiere am 18. April konnte mit einem glänzenden Bardo Böhlefeld in der Rolle des ehemaligen Ringers Josef Schmitz begeistern.
Den Stoff des Biedermanns, der sich nicht der drohenden Katastrophen entgegenstellen will, hat Max Frisch zwischen 1948 und 1958 in unterschiedlicher Form verarbeitet. Dramaturg Matthias Heid hat für die Göttingern Inszenierung das Hörspiel von 1952 und das Drama von 1958 verbunden. Die Rollen sind auf 4 Handlungsträger reduziert. Für Dienstmädchen Anna bleibt nur eine stumme Rolle. Dennoch schließt das Werk schließt mit dem Nachspiel in der Hölle.
Es steht in der Zeitung: Überall lauern
Brandstifter.  Alles Fotos: Serbis/DT 
Das Böse lauert immer und überall. Die Brandstiftung als Zerstörung eines vermeintlichen Glückszustandes ist zeitlos. Die Kostümierung spiegelt das komplette 20. Jahrhundert wieder. Felicitas Madl in der Rolle der Babette Biedermann erinnert an Doris Day, Karl Miller als Gottlieb Biedermann erinnert eher an das Outfit von David Bowie in seiner Lets-Dance-Phase. Aber aus dem biederen Haarwasser-Hersteller wurde ein hipper Parfümfabrikant. Das Intro auf offener Bühne mit dem Loop "Freedom - The new fragance by Gottlieb" zu Drum-And-Bass-Klängen verschiebt das Stück in die Jetzt-Zeit, während die beiden Brandstifter Schmitz und Eisenring äußerlich den 20er Jahren verhaftet sind.
Das Bühnenbild wird beherrscht von einem riesigen Parfüm-Flakon. Im Laufe des Abends dient er als Trutzburg, Ruhestätte oder auch Motor. Eine graue Stoffbahn grenzt die Vorbühne gegen den schwarzen Bühnenraum ab. Die Szenenwechsel von Wohnstube zu Dachboden und zurück finden nur im Kopf des Publikums statt. Das reicht, denn Handlungen und Worte sind in dieser Aufführung nicht an den Ort gebunden. Die Lichtführung verstärkt das drohende Dunkel im Hintergrund.
Äußerlich ist Gottlieb Biedermann  nicht mehr der Spießer der 50er Jahre, sondern der Produzent eines hippen Parfüms. Zwar kleidet er sich in modischen Rosa, doch die Rübe-Ab-Mentalität ist geblieben. Aber seinen Worten folgen keine Taten und sein Versuch, den Ausgleich mit den Brandstifter zu suchen, endet in der Katastrophe. Dabei hat der Herr Fabrikant keine Skrupel, seinen ehemaligen Mitarbeiter erst zu betrügen und dann in den Tod zu treiben. Als sich ihm Josef Schmitz als gewiefter Taktiker entgegenstellt, ist Gottlieb Biedermann ausgeliefert. Von anderen kann er beherztes Handel fordern, doch er sucht um des lieben Friedens willen den Ausgleich mit jenen, die nicht ausgleichen wollen. Diese zeitlos Bigotterie vermittelt Karl Miller. Großspurig in der Gesellschaft seiner Frau und des Dienstmädchens, unsicher und stotternd in Gegenwart der Brandstifter. Die Gefahr erkennend, ist er unfähig, die Konsequenz zu ziehen. Eine starke Leistung. Biedermänner versucht noch nicht einmal,sich der Tragödie entgegenzustemmen. Deswegen kann man auch auf den griechisch inspirierten Chor aus Frischs Vorlage verzichten.
Schmitz hat bald auch das Schoßhündchen unter
Kontrolle.
Doch Bardo Böhlefeld bleibt es überlassen, dieser Aufführung den Stempel aufzudrücken. In der Rolle des Brandstifters Josef Maria Schmitz ist er Mephisto, Nosferatu und Batmans Joker in einer Person. Anfangs krummbückelig, aber mit ausholenden Gesten, immer effektheischend und Mitleid ergatternd, mal ein süffisantes Grinsen im Gesicht, mal mit Dackelblick, immer wie es die Situation erfordert. Viele Worte treffsicher und zuckersüß gesetzt erinnert er Biedermann an die eigenen Ansprüche der Menschlichkeit, umschmeichelt den Großspurigen und kontert ihn anschließend aus. Als er sich als Herr der Lage erweist, ändert sich der Tonfall deutlich. Böhlefeldmacht den Rollenwechsel deutlich.
Babette Biedermann bleibt im Frauenbild der 50er Jahre gefangen. Mehr Staffage als Partnerin erkennt sie zwar den Ernst der Lage und ahnt die Gefahr, doch zur Tat ist sie nicht fähig. Diese Hilflosigkeit zwischen den beiden Polen vermittelt Felicitas Madl mit dem Charme eines Doris-Day-Lookalike. Überraschend aber konsequent und überzeugend ist die Verwandlung des Dienstmädchen Anna in eine dänische Dogge, beeindruckendes Aussehen, aber harmloser Charakter.
Als Eisenring auftaucht, haben die
Biedermänner verloren. Foto: Sebris
Lucia Bihler siedelt ihren Biedermann und die Brandstifter in einem zeitlosen Raum ohne lokalen Verweis an. Die Videoprojektionen aus dem literarischen Tagebuch stellen die Frage nach dem bürgerlichen Glück in den Zusammenhang zum Frischs Gesamtwerk. Damit macht Bihler aus einem Kommentar zu den politischen Umwälzungen der späten 40er und frühen 50er Jahre zu einem allgemein gültigen Werk.
Das Böse lauert immer und überall.  Das englische Solo von Karl Miller macht eben diesem Anspruch an Weltgeltung deutlich. Die Mechanismen von Einschmeichlung und Drohung und von Manipulation und Nötigung funktionieren vielleicht sogar besser denn je.
Dennoch verzichtet die Inszenierung dankenswerter Weise auf allzu deutliche Zeitbezüge. Es bleibt dem Publikum überlassen, die aktuelle Brandstifter zu benennen. Auch die Motivation von Schmitz und seinem Kumpan Eisenring bleibt im Dunkeln. Aber darum ging es schon Frisch nicht. Nicht das Motiv, die reine Zerstörungswut, sondern die Folge steht im Zentrum.
Aber Bihler geht dann doch einen entscheidenden Schritt weiter. Die Manipulation funktioniert so gut, dass es Biedermann selbst ist, der den Abzugsring an der riesigen Handgranate zieht, in die sich der Parfüm-Flakon zwischenzeitlich verwandelt hat. Die Biedermänner schaufeln sich ihr eigenes Grab. Sie geraten in einen Strudel der Geschehnisse, verschwinden sehenswert im Dunkel der Bühne, bis das graue Leichentuch sie zudeckt. Das Nachspiel in der Hölle wäre vielleicht gar nicht nötig gewesen.
Mit "Biedermann und die Brandstifter" hat das DT-Team eine Inszenierung vorgelegt, die sowohl in den Einzelteilen als auch als Gesamtwerk überzeugt und die neben klaren Aussagen dem Publikum Raum für eigene Interpretationen bietet.

So sieht es der Nachtkritiker Jan Fischer

Der Spielplan am Deutschen Theater
Die Inszenierung

Der Autor

Montag, 13. April 2015

Die Welt der Doppel Flanschmuffe

Martin Jürgensmann gibt Weltpremiere in Förste

Er stieg aus dem Radio heraus auf die Bühne des Schwarzen Bären, brachte seinen Kumpel Edi Hüdelpohl mit und zum Schluss waren alle mehr als zufrieden. Am Sonnabend, 11.April, feierte Martin Jürgensmann in der Rolle des Schüssel Schorse den Auftakt seiner ersten Tournee in Förste. Der Auftritt sollte der Probelauf sein für größere Aufgaben in Herbst. Das Frühstyxsradio kann jetzt auch andere Halle buchen. Der Probelauf ist gelungen.

Schüssel Schorse hat jede Menge Energie.
Alle Fotos: tok
Für die beiden Männer auf der Bühne ist es eine Premiere und für das Publikum auch. Es sind durchweg die älteren Semester, die den Weg nach Förste gefunden haben, aber Jürgensmann hat noch keiner gesehen, auch nicht als "Raner" in den Zeiten mit Jochen Krause. Aber die Stimmung ist wohlwollend und entspannt. Denn irgendwie ist den meisten klar, dass Schüssel Schorse eigentlich einer von ihnen ist. Dass Jürgensmann gleich dreimal einen Hänger hat in der Adaption von Reinhard Meys "Ich bin Klempner von Beruf", das macht nichts. Ecki Hüdepohl improvisiert an den Tasten fleißig weiter, während Schüssel Schorse den Text such, das Publikum ist großzügig und gibt Hilfestellung. Irgendwie ist man ja ein große Familie, denn Jürgensmann macht Comedy aus einer seltenen Perspektive und für eine Spezie, die von Aussterben bedroht ist. "Der kleine Mann von der Straße" hieß die Gattung in den einfachen Zeiten. Ja, ein Abend mit Schüssel Schorse ist schon eine Reise zurück in ehrliche Zeiten. Schüssel Schorse ist wohl eher der Neffe oder gar der Enkel von Adolf Tegtmeier und von Jürgen von Manger. Damit ist Schüssel Schorse der letzte Otto Normalo in der deutsche Comedy
Das Programm ist ein Bericht von der ungeschönten Seite des Lebens, aber grundehrlich und liebevoll und ohne des Sozialvoyeurismus der Cindy aus Marzahn. Jürgensmann erzählt Geschichte, die jeder von uns in ähnlicher Form schon einmal erlebt hat, inklusive des Schoko-Brunnens, der einen Gnadenschuss braucht. Auch wenn man nicht Klempner ist, dem Schorse sein Stories vonner Arbeit, die klingen skurill und glaubwürdig zugleich.
Der Kosmos von Schüssel Schorse steckt voller Typen, die jeder von in ähnlicher Form schon einmal erlebt hat. Da ist der neureiche Kalli Schreiner, der seine überdimensionierte Kamera als Penisverlängerung braucht, nebst überdrehter Gattin, und da ist auch Kleingärtner Dete, der die Parzelle ja nur braucht, um von Zuhause weg zukommen.
Ecki ist der Bruder im Geiste.
Der Draht zum Publikum ist schnell da. Das Publikum singt bereitwillig mit bei "Auf'´m Bau, auf'´m Bau, auf'´m Bau" Jürgensmann ist ein großer Junge, dem man einfach keine Bitte abschlagen kann. Dieser Abend ist nichts für Latte macchiato-Trinker oder Rooibos-Jünger. Das machen Schüssel Schorse und Ecki im letzten Song vor der Pause deutlich, wenn sie aufzählen, was Niedersachsen wirklich braucht. Champus gehört nicht dazu und in der Kleiderordnung stehen Blaumann und Basecap weit, weit, weit vor Gucci und Dolce & Gabbana. Aber tänzerisch läuft Jürgensmann jetzt zu großer Form auf. Ist das eine Parodie auf Detlef D Soost und Gesinnungsgenossen oder ist das einfach Schüssel Schorse live? Ein Klempner am Rande der Musikalität.
Der Abend in Förste ist eher was für Biertrinker, aber leider gibt es im Schwarzen Bär nichts aus der Region, sondern nur Industrieware aus NRW. Das enttäuscht Schüssel Schorse, der doch so gern mal ein Harzbier getrunken hätte. Diese Enttäuschung ist keine Koketterie.
Auch musikalisch ist der Abend eher bodenständig, Boogie Woogie und Blues. Aber es macht einfach Spaß, den beiden zuzuhören und zuzusehen. Ecki Hüdepohl und Martin Jürgensmann, das passt zusammen, das sind Brüder im Geiste und die können schön miteinander swingen und jammen. Ecki darf an diesem Familienabend auch mal aufstehen und Fotos mit dem Smartphone machen. So etwas macht man halt heutzutage bei Familientreffen. Das trägt zur liebevollen Atmosphäre bei.
Aber Achtung, man sollte Schüssel Schorse nicht unterschätzen. Auch Martin Jürgensmann beherrscht die Kunst der assoziativen Wortakrobatik. Leider tropft manche Wortperle unverstanden von der Bühne und rollt Richtung Theke, um dort auf die Schwestern zu warten. Aber Jürgensmann fehlt die ätzende und verletzende Boshaftigkeit von Dietmar Wischmeyer. Er will nicht zeigen, wer eigentlich der Alles-Besser-Versteher, denn im Grunde genommen ist Schüssel Schorse ein großer Junge, der nur unterhalten will. Das kann er, das kann er auf kurzweilige Art und das ist authentisch, um ein überstrapaziertes Adverb zu benutzen.
Schüssel Schorse kümmert sich auch um die Politischen. Aber ohne die analytische Schärfe der Anstaltseinwohner Max Uthoff oder Claus von Wagner und auch ohne dem Moralin von Urban Priol. Schüssel Schorse sieht Politik eher unter den Kriterien handwerklicher Praxis und das ist eben auch ein Standpunkt.
Die Mischung macht's und bei Weitermachen stimmt das Verhältnis von Musik, Alltagsgeschichten, Kabarett, Comedy und Klamauk. Als Schüssel Schorse zum Schluss noch ein Liebeslied für die Doppelflanschmuffe singt, da wird es sogar rührselig und geht an's Herz.
Jürgensmann und Hüdepohl überzeugen mit Nähe und Herzlichkeit und haben das Publikum in Förste sofort auf ihrer Seite. Ob das auch in großen Hallen klappen könnte, das ist fraglich.

Der Harzer Fragensteller im Interview mit Martin Jürgensmann.

Die Homepage von Schüssel Schorse

Martin Jürgensmann beim NDR
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Der Pianist Ecki Hüdepohl