Sonntag, 18. Oktober 2015

Von Terror keine Spur

Premiere am DT: Von Schirachs Drama ist gar keins

Das Leben sei kein Seminar für Jurastudenten, sagt Strafverteidiger Biegler. Das Theater aber auch nicht. Deswegen hinterlässt "Terror" von Ferdindand von Schirach einen zwiespältigen Eindruck. Ein Drama ist es auf jeden Fall nicht und bei der Premiere am Sonnabend holte das  DT-Ensemble noch das Beste aus der Vorlage. Das Publikum belohnte das Bemühen mit viel Applaus.

Der Text gibt nicht vor, mehr zu sein als eine Gerichtsverhandlung. Verhandelt wird der Fall des Majors Lars Koch, angeklagt des Mordes in 164 Fällen. Der Pilot eines Kampfflugzeugs hat einen Airbus  abgeschossen. Der Flug LH 2047 von Berlin-Tegel nach München war entführt worden. Der Kidnapper kündigte an, den Flieger in die vollbesetzte Allianz-Arena stürzen zu lassen. Dort steht das Fußball-Länderspiel Deutschland-England an. Nach Rücksprache mit dem Verteidigungsminister hatten Kochs Vorgesetzte den Abschuss ausrücklich untersagt.Wenige Minuten bevor das Passagierflugzeug das Ziel erreicht, drückt Koch auf den Knopf und schickt die Passagiere, das Bordpersonal und den Entführer in den sicheren Tod.

Staatsanwalt Nelson (2.v.r.) befragt den Zeugen
Lauterbach (1.v.l.). Alle Fotos: Thomas Müller
Ferdinand von Schirach ist Jurist und Autor von Rechtsthrillern in millionenschwerer Auflage. Der Name zieht und deswegen erlebt sein erstes Drama "Terror" in dieser Saison viele Premieren in der deutschsprachigen Theaterlandschaft. Am 3. Oktober fanden die Welturaufführungen zeitgleich in Frankfurt und in Düsseldorf statt.

Der Text gibt nicht vor, mehr zu sein als eine Gerichtsverhandlung und deswegen ist das Stück auch aufgebaut wie eine Gerichtsverhandlung. Aufnahme der Personalien, Verlesen das Anklageschrift, Erklärung des Angeklagten durch seinen Verteidiger, Beweisaufnahme, Vernehmung eines Zeugen, Vernehmung des Nebenklägers und Abschluss der Beweisaufnahme vor der Pause. Nach der Pause die Plädoyers des Staatsanwalts und des Verteidiger, Schlusserklärung der Vorsitzenden Richterin, Urteilsverkündung und Begründung. Die Entscheidung muss aber das Publikum finden, es darf per Karte über Freispruch oder Verurteilung abstimmen. Um es vorweg zu nehmen, in Göttingen wie auch in Frankfurt und Düsseldorf votierte eine Mehrheit im Zweifel für den Angeklagten. Das gibt dem ganzen den Charme eines Moot Court, bei dem Studenten ihre Fähigkeiten testen können. Tja, eigentlich sollte das Theater ja kein Seminar für angehende Juristen sein.

"Terror" ist Sprechtheater im Überfluss. Ständig deklarieren die Akteure, zitieren dabei Kant, deklinieren die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht zum Luftsicherheitsgesetz und füttern das Publikum mit Informationen. Schließlich muss es ja zum Schluss richten. Die Interaktion zwischen den Darstellern ist auf ein Minimum reduziert.

Die Vorsitzende weißt Major Koch auf seine Rechte
hin.  
Der Übermaß an Text, die Bewegungsarmut und auch das Bühnenbild wecken Assoziationen an griechische Dramen. Elisa Alessi hat auf Anleihen bei der Gerichtsarchitektur verzichtet. Es gibt keine Anklagebank, keinen Richterstuhl, eine Tribüne über die gesamte Bühne macht das Theater zur Arena. Oder ist es ein Forum oder eine Agora. Es wirkt auf jeden Fall klassisch. Licht spendet ein Leuchter, der ein wenig an die Kuppel des Reichstagsgebäudes erinnert, nur eben auf dem Kopf gestellt.

Das Licht kennt nur eine Einstellung. Es bleibt während der gesamten Vorstellung flach und nüchtern. Es ist halt eine Gerichtsverhandlung.

Wer etwas zu sagen hat, der tritt nach vorne. Stellt seinen Standpunkt dran und verschwinden dann wieder im Hintergrund. Das ist die Formensprache im ersten Akt. Die Sprache ist kühl und nüchtern. Florian Eppinger als Staatsanwalt Nelson seziert den Vorgang mit der Abgebrühtheit, die man Juristen ja so gern nachsagt.

Aber die Arena ist auch eine Agora, der Ort an dem seit der griechischen Antike diskutiert und argumentiert, der Ort an dem Logik entwickelt wurde. Deswegen spricht die Vorsitzende immer wieder das Publikum direkt und als Schöffen an. "Terror" ist der Kampf zweier Logiken. Auf der einen Seite die Treue zum Gesetz, der Glaube an das Prinzip als letzter Maßstab, der nicht hinterfragt werden darf. Auf der anderen Seite die Menschlichkeit. Es ist der Kampf des kategorischen Imperativs gegen den Utilitarismus. Kant versus Bentham.

Dominiert wird die Göttinger Inszenierung von dem Geplänkel zwischen Staatsanwalt Nelson und Paul Wenning in der Rolle des Verteidiger Biegler. Vornamen haben die beiden Herren nicht, die Vorsitzende Richterin trägt gar keinen Namen. Sie sind keine Personen, sondern Statthalter des Systems.

Major Koch erklärt dem Staatsanwalt sein Motive.
Alle Fotos: Thomas Müller
Dazu passt auch das Grau in Grau der Kostümierung. Unscheinbar, farblos, leblos, eine amorphe Masse. Lediglich Verteidiger Biegler Satin und zwei offene Knöpfe tragen. Das unterstreicht den fragwürdigen Charakter.

Emotional wird es nur, als Staatsanwalt Nelson und der Angeklagte Koch (Benedikt Kauf) in einen Disput geraten oder als die Vorsitzende Richterin (Andrea Strube) den Nebenkläger Franz Meiser (Nikolaus Kühn) befragt. Er verlor durch den Abschuss seine Frau, die Mutter seiner sechsjährigen Tochter. Als er vor der Beerdigung des leeren Sargs erzählt, herrscht für einen kurzen Augenblick Totenstille im weiten Rund. Dies ist die einzige Passage, in der es wirklich menschelt. Ansonsten stehen auf der Bühne Argumentationsmaschinen.

Somit bleibt den Akteuren auch wenig Raum, um ihre Fähigkeiten zur Geltung zu bringen. Das enge Korsett verhindert das Setzen von Akzenten.

"Terror" ist Kopftheater. Es gibt keine Bilder. Katharina Ramser setzt einzig auf das Mittel der Sprache, um das Unbegreifliche zu transportieren. Die Entführung, die Drohung, der Kampf der Passagiere ums Überleben, der Abschuss, all das muss sich das Publikum selbst ausmalen. Das lässt Raum für eigene Interpretationen oder eigene Deutungen. Schließlich gibt der Text nicht vor, mehr als eine Gerichtsverhandlung zu sein.

Theater lebt aber von Emotionen. Von Schirach nimmt uns mit auf einen kopfgesteuerten Exkurs durch die Geistesgeschichte der Menschenwürde. Es ist aber eine Menschenwürde ohne Menschlichkeit, kalt und argumentativ,  Vielleicht ist das große Haus auch der falsche Ort? Ich plädiere für eine Verlegung auf die Studiobühne.

Das Stück
Der Spielplan

Selbes Stück, anderes Ensemble, anderer Ort: Terror in Osterode




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