Montag, 27. August 2018

Reise an den Sehnsuchtsort

"Bandoneon Glück auf" mit Christian Gerber und Sabrina Ascacibar

Tango in der Kraftzentrale des Industriedenkmal Rammelsberg. Kann das funktionieren? Ja, das kann es und zwar wunderbar. Das zeigte die Premiere mit Sabrina Ascacibar, Christian Gerber und Gerd Bauder am Sonntag.

Der Reflex funktioniert bei den meisten: Das Bandoneon ist im argentinischen Tango zu Hause. Doch geboren wurde es in Deutschland und war lange Zeit das Instrument der Bergarbeiter im Ruhrgebiet und im Erzgebirge. Erst mit den Auswanderern fand es seinen Weg nach Südamerika.

Diese Reise nachzuvollziehen, dass war der Anspruch von Ascacibar und Gerber. Dabei spielte die Richtung nicht so sehr die Rolle. Es ging hin und her zwischen den Kontinenten und es ging nicht nur nach Tango-Land. Sehnsucht, Freud und Leid und ihre musikalische Verarbeitung sind die Konstanten in diesem Programm.

Sabrina Ascacibar kann nicht nur Gesang
sondern auch Gitarre.    Fotos: Kügler
Instrumentenbauer, Seemänner, Auswanderinnen Exilanten, Sabrina Ascacibar liefert mit kleinen Geschichten zwischen den Stücken die Klammern. Lebendig und emotional statt kopflastig  Die Geschichte eines Instrumentes bekommt son nicht nur eine Route sondern auch dutzende Gesichter.

Den Anfang machen Ascacibar und Bauder. Zu Bass und Gitarre singt sie einen Tango wie man ihn erwartet, mit reichlich Leidenschaft in der Stimme in Hochlage. "Caminito" ist ein Stück über die kleinen Abwege im Leben.

Doch wo ist das Bandoneon? Auf jeden Fall nicht auf der improvisierten Bühne. Doch schon nach der ersten Strophe mischt es sich ein und zwar von der Empore. Angesichts des starken Halls unter der großen Kuppel und der spitzen Akustik in der Kraftzentrale war dies ein Risiko. Aber das Kalkül geht voll auf. Das kleine Instrument füllt den riesigen Raum und seine prägnanten Töne schwappen wie eine Woge über das Auditorium.

Gleich mehrfach treten an diesem Nachmittag Musik und Architektur in einen Dialog. Die Töne wird von den Mauer reflektiert, die Instrumente treten in ein Zwiegespräch mit sich selbst. Das Publikum ist ganz von Klang umgeben. Ascacibar, Bauder und Gerber wissen ein vermeintliches Manko in ein einmaliges Klangerlebnis zu verwandeln. Wenn Staunen hörbar wäre, wäre es an dieser Stelle nicht zu überhören.

Dann grummelt der Bass und das Bandoneon gibt langgezogene Töne von sich. Langsam entpuppt sich eine Melodie: Glück auf, der Steiger kommt. Mit hypnotischen Sprechgesang sagt Sabrina Ascacibar die erste Strophe auf. Dann zupft Bauder einen Rhythmus und das Publikum summt mit.

Das ist keine Anbiederung an ein montan-geschwängertes Auditorium sondern eine ehrliche Aufbereitung traditionellen Liedguts ganz ohne falsche Romantik. Die reduzierte Präsentation macht deutlich, was die Folklore häufig übertünscht: Arbeit im Berg war anstrengend und durchaus mit Leid und Not verbunden. Mit dieser Form der Erinnerungskultur hat das Trio von hier an das Publikum auf seiner Seite. Trotz der großen Halle wird es eine sehr intime Veranstaltung.

Emotionen sind das Thema des Abends und die sind auch ohne Sprachkenntnisse vermittelbar. Da macht es nichts aus, dass Sabrina Ascacibar mehrfach spanisch singt, den Song von Vinicius de Moraes eben portugiesisch. Das Publikum fühlt mit, vollzieht nach und versteht, weil es verstehen will. Das geht mit Tange ebenso gut wie mit Bossanova, Blues oder einem Chanson. Die heilende Kraft der Musik ist eben universell.

Sabrina Ascacibar sagt es: Manchmal gibt es nichts schöneres als den unerfüllten Träumen nachzuhängen, zumindest nichts schöneres an einem Sonntagnachmittag. Es geht auch um die kleinen Lücken des Glücks in einem mühsamen Dasein.

Christian Gerber kann mit dem Bandoneon
zaubern. Foto: Kügler
Das Spiel mit der Akustik demonstriert Bauder in seinem Solo. Einzelne Saiten werden angezupft und zusammen mit dem Bassisten wartet das Publikum auf die Wiederkehr der Töne und geht in der Musik auf. Bauder greift die Töne auf und formt dann einen Rhythmus daraus und den musikalischen Ball an Gerber weiterzureichen.

Er zieht die Klänge des Bandoneons in die Unendlichkeit. Sie sind noch nicht verklungen als sie schon widerhallen. Das gleicht einem Loop-Effekt ganz ohne Elektrik oder Elektronik. In der analogen Meditation geht die Welt offline. Gerber ist ein Zauberer und mit dem Bandoneon lässt er die Zeit still stehen.

Deswegen singen alle mit, als das Bergarbeiterliedgut "Es ist Feierabend" auf dem Programm steht. Das hat nichts mit Bierzelt zu tun. Die reduzierte Vortragsweise steigert die Innerlichkeit und das Band zwischen Vortragenden und Mitsingenden wächst auf Deuser-Band-Qualität an.

Mit "Bandoneon Glück auf" kehrte das Bandoneon an seine Geburtsstätte zurück und eine Heimkehr ist immer anrührend. Das lässt auch die Künstler nicht kalt und deswegen fällt das Schlusswort von Sabrina Ascacibar ehrlich und emotional aus.

Doch der Gäsnehaut.-Moment kommt erst nach dem Schluss. Als Zugabe gibt es "La Paloma" von Sebastián de Yradier mit dem Originaltext. Diese Habanera gilt als weltweit das Lied mit den meisten Cover-Version. Kein anders Stück wurde häufig in Schellack, Vinyl oder CD geritzt, gepresst oder gebrannt.

Den vielen Duplikaten setzen Ascacibar, Bauder und Gerber eine eigene Kreation entgegen. die sparsame und Instrumentierung wird durch den klaren und gefühlvollen Gesang kontrastiert. In der höchsten Sehnsucht nach der verflossenen Liebe steigert sich Sabrina Ascacibar sogar in Koloraturen. Diese erklimmen die hohe Kuppel der Kraftzentrale und rieseln  auf das Publikum nieder. Der Genuss wird durch die Idee getrübt, dass es hier nie wieder so schön sein wird. Es sind die einmaligen Erlebnisse, die die Lücken voller Glück in einem mühsamen Alltag schaffen.

Manchmal sind die spontanen Einfälle die besten. Das gilt für dieses Ereignis ganz bestimmt. Bei seinem Gastspiel im letzten Jahr äußerte Christian Gerber die Idee, mal ein Konzert in der Kraftzentrale zu geben, in deren Mittelpunkt das Bandoneon steht. Wenn einer der besten Instrumentalisten solch eine Idee hat, dann darf man sie auch ruhig umsetzen. Vielleicht ist Christian Gerber gestern eine weiter Idee gekommen. Zu hoffen ist es allemal.






Material #1: Das Internationale Musikfest Goslar - Die Website


Material #2: Sabrina Ascacibar - Die Website
Material #3: Sabrina Ascacibar bei Facebook
Material #4: Sabrina Ascacibar - Die Biografie

Material #5: Christian Gerber - Die Website
Material #6: Christian Gerber bei Facebook
Material #7: Christian Gerber - die Biografie




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