Donnerstag, 25. Oktober 2018

Zwischen Florett und Keule

Lesung mit Waschanlagen, Welpenkäufer und Katzenfutter-Sommeliers

Dietmar Wischmeyer schont niemanden. Weder sich und schon gar nicht sein Publikum. Das weiß das aber und kommt trotzdem und gerade deswegen. Also war das Deutsche Theater voll, als er beim Literaturherbst Göttingen las und zwar vor und zurück.

1996 hieß der Bundeskanzler Helmut Kohl und Muhammad Ali eröffnete die Olympischen Spiele in Atlanta. Damals war Wischmeyer das letzte Mal zu Gast beim Literaturherbst. Er und das Frühstyxradio definierten damals, was Humor in Deutschland darf. Seitdem fielen das Privatfernsehen und die Political Correctness über das Land her. Beide verschoben die Grenzen in unterschiedliche Richtungen.

Wischmeyer ist das egal. Damit ist eine Lesung mit dem Vater des Frühstyxradios auch eine Reise in die Zeit, als PC noch für Personal Computer stand. Wie das so eben ist, wenn man sich lange Zeit nicht gesehen hat. Die Erwartungen sind besonders hoch. Doch Wischmeyer liefert.

Draußen herrscht Rock-Konzert-Gedränge, im Musentempel eher stille Spannung. Klein und bescheiden tritt Wischmeyer hinter dem Vorhang hervor. Er verbeugt sich kurz und nimmt Platz. Die Veranstaltung ist als szenische Lesung angekündigt. Die ganze Szenerie besteht aus einem Amtsstubenschreibtisch und einem orangen Telefon mit Wählscheibe.

Das ist die ganze Szenerie bei der Lesung.
Alle Fotos: Kügler
Es gibt keine lange Vorrede, kein Gedöns. Wischmeyer steigt gleich in die Lesung ein. Auch später wird er auf Überleitungen zwischen Texten verzichten. Die Übergänge sind fließend, aber das gilt ja auch für die Wischmeyersche Fiktion und dem, was die meisten im Publikum für Realität halten.

"Wischmeyer liest vor und zurück" lautet der Titel und der Wortwitz erschließt sich erst beim zweiten Nachdenken. Das war es dann aber auch mit Lyrik, der Rest ist Punk.

Das Publikum hat zwar das Alter der Punk-Heroen, doch es ist durch und durch Bildungsbürgertum. Ein paar Enkelkinder im Geiste sind auch dabei.

Das Programm hat er extra für Göttingen zusammengestellt, seine alte Hassliebe. Über anderthalb Stunden streift er im Schweinsgalopp alle Themen, die die Republik in die selbst verschuldete Hysterie treiben. Bevölkert ist das Wischmeyersche Universum mit Rentnern, Autofahrern und irrlichternde Ex-Präsidentengattinnen. Ach ja, dann taucht da auch noch ein seltsames Gebilde namens SPD auf.

Wischmeyer gießt Häme über sie alle aus. Aber auch über sich selbst. Das unterscheidet den Humoristen von solch Comedy-Chargen wie Mario Barth oder Chris Tall. Er tut dies mit einer Wortgewalt und mit Satzungetümen, die in der  Wat-denn-Wat-denn-weeßte-weeßte-Fraktion zum Hirntod durch Überforderung führen würde. Es ist, als würde Wischmeyer mit Keule und Florett zugleich auf die Selbstgerechten losgehen.

Jeder Satz ist gespickt mit Doppeldeutigkeiten und das Ergebnis eines berechtigen Kalküls. Da hat sich Wischmeyers Studium doch gelohnt und deswegen hat gerade der akademiker und seine Gattin Gefallen an diesem Programm. Wischmeyers Tiraden haben eine Ersatzfunktion. Er macht das, was die Südstadt- und Ostviertelbewohner sich aber nicht dürfen traut.

Egal ob Welpen-Verkauf oder Rache am Finanzamt. Er macht dies in solch einem rasanten Tempo, dass der Zuhörer kaum noch nachkommt. Kaum hat man man eine Pointe verstanden und setz zum Lachen an, da ist schon die nächste Sottise vorbeigezogen und wartet die übernächste Plattitüde. Dazwischen kommen noch zwei Anspielungen und Seitenhiebe. Aber nie lachen alle. Da muss es im Publikum doch unterschiedliche Empfindlichkeiten geben.

Zum Schluss greift doch zum Hörer.
Alle Fotos: Kügler
Wischmeyer auf skurrile Szenarien auf, in deren Dickicht sich mitunter auch sein Alter Ego verstrickt. Das hat schon Kishon so gemacht gemacht, aber bei Wischmeyer ist das Tempo wesentlich höher. Dem Absurden setzt er kühle, fast technische Formulierungen gegenüber, kaum Adjektive oder Adverbien. Der Kontrast steigert das Vergnügen.

In dieser Überspitzung liegt der hohe Realitätswert und deswegen funktioniert das Kopfkino zum Bericht aus der samstäglichen Waschanlage oder zum Dating in der Dorfkneipe so gut. Irgendwann wird die Wirklichkeit Wischmeyers Prophezeiungen einholen, dass ist gewiss. Dass sich sich die zukünftigen Rentner keine Pkws werden leisten können, das ist Gewissheit.

Wischmeyer gießt Häme aus, aber er macht das unpersönlich. Es trifft die Stereotypen. Wer hier verwurstet wird, ist erleidet dies als Stellvertreter für all die Paketboten, Sommeliers, Hipsters "Irgendwie-schon-super-Sagern" und sonstige Nervensägen, die die Republik im Würgegriff haben. Selbst Knöllchen-Horst findet an diesem Abend keine Erwähnung. Weil es Unpersönlich ist, kann man ruhigen Gewissens über diese Mitmenschen lachen.

Szenisch wird die Lesung dann doch irgendwie. Es tönt Grieg aus dem Hintergrund und dann auch der Soundtrack zum kleinen Tierfreund. Da werden Erinnerungen wach und die Vorfreude läuft als Lachtränen aus manchem Augenwinkel. Als Wischmeyer dann zum Ende des Programms den Telefonhörer ergreift, artet es fast in Method Acting aus. Aber auch hier bleibt das gewaltige Wort und dessen Witz im Vordergrund.

Auf jeden Fall spricht er eine Sprache, die einst Tacheles genannt wurde. Damit setzt er zum Abschluss des Literaturherbstes noch einmal ein deutliches Ausrufezeichen. es bleibt zu hoffen, dass der nächste Besuch nicht erst in 22 Jahren stattfindet.





Material #1: Der Göttinger Literaturherbst - Die Website

Material #2: Dietmar Wischmeyer - Die Biografie
Material #3: Ganz offiziell - Die Website

Material #4: Niederachsen und Usbekistan - Interview mit Wischmeyer über Humor
Material #5: Die Welt muss nicht verbessert werden - Wischmeyer über Sendungsbewußtsein
Material #6: Im Ausland ist es gruseliger - Interview über das Land der Bekloppten







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