Sonntag, 24. Februar 2019

Quicklebendiges Tanztheater

Grandioser Ballettabend im Theater Nordhausen

Das Herz des Tanztheaters schlägt in Nordhausen. Steile These? Von wegen, als Beweis dient der Ballettabend "Kontraste". Die anderthalb Uraufführungen zeigten die Bandbreite des aktuellen Tanztheaters und ernteten dafür donnernden Applaus.

Der Abend vereint zwei Choreographien mit unterschiedlichen Charakter unter dem Titel "Kontraste". Nur den könne man genießen, den Zustand weniger, zitiert das Programmheft Siegmund Freud. Das ist eine weitere steile These, die im Verlauf aber widerlegt wird.

"Der Tod und das Mädchen" ist fast eine Solo-Show von Ivan Alboresi. Nordhausens Ballettdirektor ist nicht nur für die Choreographie verantwortlich. Auch die Musikauswahl und das Bühnenbild stammen aus seiner Feder.

Das Mädchen und die Eltern
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Dieses zeigt sich in beklemmender Optik. Holz rechts, links und hinten. Ist das ein Puppenheim oder gar ein Sarg? Konstantina Chatzistavrou betritt als das Mädchen den eingeengten Spielraum. Körperhaltung und Gestik machen deutlich, dass sie sich verlassen fühlt. Monotone Elektrobeats runden den hoffnungslosen Eindruck ab.

Der Tod taucht auf als Schatten. David Nigro wir in Schwarzweiß auf den Hintergrund gebeamt. Das Mädchen nimmt seine Bewegungen und es beginnt der Pas de deux mit der Videoanimation. Mensch und Maschine in einer Bewegung, eine faszinierende Idee.

Sägende Streicher intonieren Schubert. Es ist aus mit der Träumerei, die Realität tritt ein. Die Eltern betreten die Bühne. Gabriela Finardi und Joshua Lowe ertanzen in beeindruckender Weise dieses schwierige Dreiecksverhältnis Kinder, Mutter, Vater, diese Mischung aus Zuneigung, Behütung und Unterordnung.

Da ist er wieder, dieser Alboresi-Stil. Pas de deux auch zu dritt, einige Pirouetten gemischt mit viel Hebefiguren und der Linien längs und quer durch den Raum. Alboresi bleibt sich in dieser Choreographie treu. Die Klassik ist die Basis, auf der moderne Figuren aufgebaut werden. Jenseits aller theoretischen Überlegungen bietet "Der Tod und das Mädchen" unzählige Momente des Bestaunens ohne jegliche Intention. Vor allem, wenn die Compagnie als die Schatten wie ein tanzender Organismus die Bühne dominiert. Das ist einfach nur schön.

Häwemann gegen Samt: Das Mädchen und der Tod.
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Trotz der Vorliebe für die Klassik gibt es kein Tütü an diesem Abend. Anja Schulz-Hentrich hat Kostüme vorgelegt, die im Hier und Jetzt verankert sind. Finardi und Lowe sind im Business-Look gekleidet und der Tod kommt im roten Samt daher. Nichts finsteres und morbides, sondern einfach nur ein Hingucker. Gegen dieses optische Ausrufzeichen hat das Mädchen im Kleinen-Häwemann-Dress von Anfang an keine Chance.

In einer weiteren Teildisziplin bleibt sich Nordhausens Ballettchef treu. Es ist die Choreographie des Ensembles. Jedes Mitglied bliebt ist im tutti ein Individuum, eingebunden in ein Ganzes. Diese vielen Organe ergeben einen tanzenden Körper, der mit wallenden und wogenden Bewegungen immer wieder fasziniert.

Der Tod schleicht sich auf die Bühne und die Spielfläche erweitert sich. Die Wand fährt nach hinten, schafft Raum, beendet die Enge und gibt auch den Blick frei auf das Streicherquartett im Gegenlicht. Hier ist Alboresi ein echter Wow-Effekt gelungen. Ballett in der fünften Dimension gewissermaßen.

Das Mädchen, die Schatten und das Quartett.
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Vorlage für die Choreographie ist das gleichnamige Gedicht von Matthias Claudius. Doch Alboresi liefert hier kein reines Erzählballett ab. Der Handlungsstrang ist durchsetzt mit Stationen des Innehaltens und Reflektierens.

Wenn ein Kind vor den Eltern stirbt, dann ist eigentlich die göttliche Ordnung gestört. Hier lautet das Ergebnis anders. Der Tod ist eben eine das Finale des Lebens und es ist durchaus möglich, dass Menschen auch schon in jungen Jahren sterben. Damit muss man sich abfinden.

Es ist vor allem eine poetische und filigrane Inszenierung, die die empfindsame Lyrik von Claudius in Ballett umsetzt. Alboresi setzt hier die kleinen Zeichen und verzichtet auch die kraftvollen und raumgreifenden Bewegungen. Er verzichtet aber auch auf das Morbide. Der Tod ist kein Faszinosum. Er gehört zum Leben dazu.

Lebensfreude: Ballett 50 Zentimeter überm Tanzboden.
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Marguerite Donlon zählt zu den wichtigsten Ballettdirektorinnen der Gegenwart. Allein die Tatsache, dass sie in Nordhausen choreografiert, ist eine Auszeichnung. Die Irin weißt aber auch die konzentrierte Arbeit kleinen Häusern zu schätzen.

"Ruff Celts" feierte 2016 Premiere am Visceral Dance in Chicago. Anschließend war es der Publikumsrenner in New York. Solch eine Produktion nach Nordhausen zu holen, ist ein Clou.

Für die Version 2019 und extra für die Nordhäuser Compagnie hat Marguerite Donlon einen achtminütigen  Prolog ausgearbeitet. Damit war an diesem Abend "Ruff Celts XL" zumindest eine halbe Uraufführung.

Während bei Alboresi das Individuum im Vordergrund steht, konzentriert sich Donlon auf die Interaktion in der Gruppe. Bei allen Kontrasten tun sich hier Gemeinsamkeiten auf. Das Ensemble setzt sich zusammen aus Einzelteilen, die im Ganzen als ein Organismus agiert. Dieser Körper produziert dann diese faszinierenden wogenden Figuren, die hier für reine Freude an der Bewegung  stehen.

Du bist dran: Der Impuls wird weitergereicht.
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Deutlich  wird dies in der Schattenspiel-Szene, als ein Impuls durch die gesamte Compagnie weitergereicht wird. Auch die Armarbeit, der Umgang mit den oberen Extremitäten, bestätigt, dass  Donlons Einfluss auf die Arbeit von Alboresi nicht zu übersehen ist.

Doch die Basis der "Ruff Celts" ist nicht das klassische Ballett sondern der irische sean nós dance, der von Fußarbeit und linearen Aufbau bestimmt ist. Doch daraus entwickelt Donlon eine Dynamik, die streckenweise an Anarchie erinnert. Sie überschreitet die Grenzen des Herkömmlichen und das Publikum hat seine Freude daran. Es kommt nie dass, was man erwartet.

Das gilt auch für die Kostümierung. Diese vereint unvereinbares: Stockings, Kilts und die Halskrausen des 16. Jahrhunderts. Immerhin stehen die in der britischen Wahrnehmung für die englischen Eroberer. Manchmal braucht es dafür keine Erklärung. Es reicht, dass der Kontrast tragfähig ist.

Zusammen mit Sam Auinger hat Donlon einen Soundtrack entwickelt, der alles vereint, was man für irisch hält. Sinéad O'Connor kommt dabei ebenso zur Geltung wie Fiddle und Whistle. Aber ist  auch ein Spiel mit den irischen Klischees.

Staun, staun, wow: Tänzer, Mehl und Licht.
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Während Alboresi einen Erzählstrang verfolgt, hat Donlon ihre Choreographie in kleine Episoden. Sie alle erzählen mit einem Augenzwinkern vom Miteinander und Gegeneinander der Menschen. Das machen sie immer mit schnellen raumgreifenden Bewegungen und ein großer Teil davon findet 50 Zentimeter über dem Tanzboden statt. Lebensfreude pur und das Ensemble ist davon auch schon angesteckt. Nach dem andächtigen "Tod und Mädchen" tut das gut und damit hat der Abend eine überzeugende Dramaturgie.

Dabei verzichtet Donlon auf ein Bühnenbild. Es geht um die Konzentration auf den Tanz. Einzig das Licht ist ein weiteres Gestaltungsmittel. Zusammen mit den Mehlwerfern ergibt dies die Staun-Momente in der ansonsten rasanten Choreografie.

Zwei so unterschiedliche Choreografien an einem Abend zu tanzen, das ist eine beeindruckende Energieleistung der Compagnie. Deswegen kommt ihr ein großen Teil des donnernden Applaus und der standing ovations zu.








Material #1: Mehr Bilder
Material #2: Theater Nordhausen - Der Spielplan
Material #3: Kontraste - Der Abend

Material #4: Marguerite Donlon - Die Biographie
Material #5: Ruff Celts - Das Video
Material #6: Marguerite Donlon - Die Website









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