Samstag, 31. Juli 2021

Berg hoch, Berg runter, Kurve links, Kurve rechts

Alle gute Dinge sind drei: Mal wieder bei der PS.Speicher Rallye

Es ist eine absurde Situation: Hunderte Kameras stehen am Straßenrand und die Autofahrer freuen sich, wenn es blitzt. Die Leute tragen Sachen wie aus dem Second-Hand-Laden und fahren sündhaft teure Wagen. Wildfremde Menschen winken einander zu und rufen Halbsätze mit wenig Sinngehalt über die Straße. Das kann nur eins heißen: Es sind Einbecker Oldtimer Tage.

Ich bin wieder mit dabei und zwar zum dritte Mal. Ich weiß also, was mich erwartet und deswegen ist die Vorfreude groß. Oldtimer fahren ist eine Droge. Es ist eine Reise in eine Zeit, als die Welt beherrschbar schien und die Autos mit einem gezielten Hammerschlag wieder mobil gemacht werden konnten. Das kann süchtig machen.

Diese Leidenschaft sorgt für Verbundenheit. Oldtimerfahrer und -fahrerinnen verstehen sich als Familie. Man kennt sich und ist gleich beim „Du“. Bei der Anfahrt tauchen zwei große bunte Strohhüte in einem Cabrio vor mir auf. Das sind Ines und Sabine, die waren vor zwei Jahren mit einem Fiat Bertone Spider am Start. Die Damen sind wohl auch in diesem Jahr wieder mit dabei.

Das Familientreffen

Die PS.Speicher Rallye ist ein großes Familientreffen und weil es im letzten Jahr ausfallen musste, ist es in diesem Jahr umso herzlicher. Die Veranstaltung macht süchtig und deswegen sind die meisten Starter eben Wiederholungstäter. Beim Gang durch den Fuhrpark auf dem Parkplatz der BBS Einbeck erkenne ich viele Fahrzeuge wieder. Viele aber eben nicht alle.


Wiedersehen mit alten Bekannten.
Alle Fotos: Kügler
In seiner Begrüßung zum Fahrerfrühstück berichtet Lother Meyer-Mertel, dass eben einige nicht mehr dabei sein können. Für einen Augenblick herrscht Schweigen und Trauer. Aber „The Race must go on“.

Ich reiche das Road Book an meine Lebensgefährtin. Sie macht die Beifahrerin, gibt den Weg vor und muss sich deshalb mit der Route anfreunden. Manfred Schulz hat einige Anmerkungen zur Strecke. Diese führt auf 90 Kilometern durch das Weserbergland nach Hameln und zum Schloss Hämelschenburg und dann auf 65 Kilometer zurück nach Einbeck, wieder berghoch und bergrunter.

Oldtimer fahren ist immer noch Männersache. Frauen beschränken sich meist auf die Rolle der Sozia. Nur acht weibliche Teams sind am Start. Man wolle sich dem Thema zukünftig stärker zuwenden, hatte Lothar Meyer-Mertel im Vorgespräch versichert.

Schulz weist daraufhin, dass die Rallye eben keine Sportveranstaltung ist, sondern eine gemeinsame touristische Ausfahrt. Das versteht nicht jeder. Am Abend wird bei der Siegerehrung zum ersten Mal eine offizielle Rüge wegen auffälliger Fahrweise ausgesprochen.

Das Teilnehmerfeld wird jünger. Und damit auch die Autos PS-stärker. Ob es einen Zusammenhang mit der sportlichen Fahrweise gibt, diese Frage bleibt für mich und meine Lebensgefährtin ungeklärt.

Aber Zeit spielt keine Rolle, fast keine. Nur die Bordkarte muss bis 19.00 Uhr bei der Rennleitung vorliegen.

Der Dress Code

Auf jeden Fall erkenne ich im Teilnehmerfeld einige Kleidungsstücke wieder. Doch, Oldtimer Rallye ist auch immer ein Kostümfest auf vier Rädern. Viele Teams wollen mit ihrem Fahrzeug ein geschlossenes Ensemble darstellen und kleiden sich zeitgemäß. Oder versuchen es. Das klappt nicht immer. Aber Psychodelic zum Lamborghini Espada, das ist schon stylish.

Auf jeden Fall ist für das beste Ensemble aus Fahrzeug und Kleidung ein Sonderpreis ausgelobt worden. Meine Lebensgefährtin und ich sind dem Aufruf gefolgt und haben uns nach Mitt-70er-Klamotten umgeschaut. Dazu haben wir Musik von Barry White, Stevie Wonder und längst vergessenen Disco-Helden zusammengetragen. Wir sind also bereit für die Zeitreise.

Auto und Outfit müssen eine Einheit sein. 
Doch die Musik wird erst sehr spät zum Einsatz kommen. Am Nachmittag als wir durch das Spalier der Zuschauer gleiten, gibt es den passenden Soundtrack aus dem Fond. Aber das bekommt keiner mit.

Als die Stil-Prämierung am Abend ausfällt, sind wir sind nicht die einzigen Enttäuschten. 

Dann ist da noch die Sache mit den „stillen Kontrollen“. Entlang der Strecken sollen drei Schilder mit Zahlen verteilt sein. Diese Ziffern soll man ins Bordbuch eintragen. Nicht eine einzige findet den Weg in unser Bordbuch und auch damit sind wir nicht die einzigen. Die stummen Kontrollen werden jedenfalls das Gesprächsthema des Abends.

Das Fahrzeug

Nach Badewanne und Volksporsche hat mir der PS.Speicher in diesem Jahr wieder eine Ikone der europäischen Automobilgeschichte zur Verfügung gestellt: Einen Ford Capri II, Baujahr 1975. Maisgelb und ein schwarzes Vinyl-Dach, das ist 70-er Jahre pur. Der Lack ist noch die Erstlackierung und wären auf dem Tacho nicht 156.000 Kilometer vermerkt, dann könnte das Auto auch als Neuwagen durchgehen. Man kann nur ahnen, wie viele Jahre der Wagen nur in der Garage gestanden hat.

Werkstattleiter Michael Marx verrät mir den Kaufpreis und der liegt deutlich über den 10.000 Euro, die gewöhnlich für einen Capri dieser Altersklasse gezahlt werden. Dem Werkstattleiter ist das Auto zu neu. Er meint, dass ein Oldtimer erst durch Gebrauchsspuren authentisch wird. Aber das wird in der Szene lebendig diskutiert.

Mehr 70-er geht nicht: Ford Capri II 1600.
Die Szene trennt sich noch in einer anderen Frage. Die einen begeistern sich für die Prachtkarossen längst vergangener Tage. Andere schwärmen für die Autos ihrer Kindheit. Ich gehöre zur zweiten Fraktion. Viel Chrom und Kotflügel groß wie ein Kleinwagen, schön und gut. Da kann man schon mal staunen. Aber eine Reise in die eigene Vergangenheit, das ist doch was ganz anderes.

Ich hatte schon am Tag zuvor eine Proberunde mit dem Wagen gedreht und mal wieder gemerkt, dass Autofahren früher durchaus Arbeit wear. Marx hat mich drauf hingewiesen, dass dieses Auto Zuspruch braucht, also durchaus hochtourig fahren. Das gilt für viele Wagen aus diesen Baujahren.

Wir verstauen die Sachen im Wagen: Proviant, Fototasche und Stativ. Noch gebe ich mich der Illusion hin, dass ich an diesem Tag Zeit hätte, spektakuläre Bilder zu machen. Spätestens zur Halbzeit verabschiede ich mich davon.

Es gibt das Bonmot, dass die 70-er Jahr doch nur die Samt Cord-Version der 60er gewesen wären. Dieses Wagen bestätigt die These. War der Capri I noch laut und rau und eben ein Pony Car, dann ist der Capri II eben das Samt Cord Auto.

Das Interieur ist ein Traum in Kunstleder und Plüsch. Besonders die Rücksitze verzücken. Die passen als viel mehr in eine club-Disco als in einen selbst ernannten Sportwagen. Da rauszukommen, das muss schon eine gymnastische Übung gewesen sein.

Unter der Motorhaube steckt ein 1,6 Liter Vierzylinder Reihenmotor. Der liefert immerhin 72 PS, damals war man damit Leader of the Pack. Heute hat jeder Fahranfänger mehr Kraft in seinem VW up.

Das Cockpit ist aufgeräumt. Es gibt nur den Tacho und die Anzeigen für Motortemperatur und Tankfüllung. Nicht einmal ein Drehzahlmesser hat der vermeintliche Sportwagen. An der Lenksäule gibt es nur einen Hebel und damit kann ich lediglich die Blinker in Gang setzen.  Zum Verleich: Mein Privatwagen hat drei Multifunktionshebel an der Lenksäule. Aber der Capri muss ein Luxusauto sein. Er hat wirklich zwei Außenspiegel. Nicht einmal der Mercedes Benz neben uns hat einen Spiegel rechts.

Ein Unterschied fällt uns auch auf: Es mangelt an Staumöglichkeiten. Es gibt keine Seitentaschen oder Konsole. Das Handschuhfach kriecht fast in den Motorraum. Frau muss sich verdammt lang machen, um da hin zu kommen. F4üher war ein Pkw wohl nur ein Fahrzeug, heute ist es ein Wohnzimmer auf vier Rädern.

Der Start

In diesem Jahr ist auch einiges anders. Die Amüsierzeile der Vorjahre wurde auf den Marktplatz verlegt. In Corona-Zeiten soll kein Gedränge am PS.Speicher herrschen. Trotzdem ist es zum Start um 10.00 Uhr gewohnt voll. Hunderte Fans stehen an der Straße und freuen sich über den Neubeginn nach einem Jahr Pause.


Der Start folgt im Minutentakt, die ältesten Wagen zuerst und so haben wir über eine Stunde Zeit und schlendern durch den Fahrzeugpark. Wir plaudern mit Uwe und Mchthild. Die schwärmen vom guten Ruf der PS.Speicher Rallye in der Szene. Sie sind mit einem Ford Cobra Baujahr 1983 am Start.

Das Ziel werden sie aber im Renault R 4 erreichen. Die Cobra schwächelt und das Paar aus dem Weserbergland steigt kurzentschlossen auf einen anderen Oldtimer aus dem eigenen Fundus aum.

Die Begeisterung  

Auch für uns fällt der Startschuss und sofort ist die Euphorie auf Höchstniveau. An der Straße stehen wildfremde Menschen und winken uns zu und wir winken zurück. Wir sind Helden für einen Tag. Wie David Bowie damals 1977.

Der Älteste im Feld ganz vorne im Feld.
Das Wetter wird immer besser. Der Capri II hat eine überzeugende Klimaanlage. Fenster rechts runterkurbeln, Fenster links auch und den Ellenbogen zum Fenster raus. Bei dem überschaubaren Tempo ist das kein Problem. Der Trecker in der Steigung nach Bartshausen sorgt für die endgültige Entschleunigung. Wir orientieren uns am Jensen Interceptor, der vor uns gestartet ist. Der bleibt in Sichtweite.

Berg hoch, Berg runter, Kurve links, Kurve rechts. Die Strecke ist für einen Wagen ohne Servolenkung schon ein Brett.  Vor allem wenn dessen Fahrer seit Jahrzehnten nicht mehr mit Heckantrieb gefahren ist.

Berg hoch, Berg runter. Man hatte uns eine ausgewöhnliche Strecke versprochen und diese hält das Versprechen ohne Wenn und Aber. Immer wieder schrauben wir uns über Kehren nach oben und dort erwartet uns immer wieder ein spektakulärer Blick ins Tal und weit ins Land. Aber irgendwann ist mir das zu viel. Spätestens auf der Rückfahrt in Lichtenhagen bin ich gesättigt und auch meine Beifahrerin kennt nur noch ein Ziel: Das Ziel.

Die Anstrengung

Mit der Arroganz eines Harzers hatte ich beim Blick auf die Karte nur müde mit den Achseln gezuckt. Noch vor der Pause bereue ich meinen Hochmut. Gerade die langsamen Kurven kosten Kraft. Wie gesagt: Der Capri II hat keine Servolenkung. Dazu kommen die ungewohnt langen Schaltwege. Es dauert gut anderthalb Stunden, bis ich den Wagen soweit verstanden haben, dass wir zugig vorankommen.

Doch die Konzentration lässt nach und in Hameln verfahren wir uns zum ersten Mal. Auch das gehört zu einer Oldtimer Rallye und wir sind nicht die einzigen. Später verfahren wir uns kurz hinter Ottenstein noch einmal. Aber Zeit spielt ja nur eine untergeordnete Rolle.

Überhaupt ist Hameln kalt und abweisend zu uns Oldtimern. Niemand steht an der Straße und winkt. Offensichtlich ist man in der Rattenfänger-Stadt den Anblick alter Autos gewohnt. Erst in Stadtoldendorf erfahren wir die gewohnte Aufmerksamkeit. Wie schon vor drei Jahren hat der Automobilclub hier ein kleines Fest auf dem Markt organisiert. Das tut der Seele gut und motiviert für den Schlussabschnitt.

Auf jeden Fall sehne ich die Pause am Schloss Hämelschenburg herbei. Meine Lebensgefährtin kennt das Schloss schon. Für mich ist der Prachtbau aus der Weserrenaissance eine echte Neuheit. Überhaupt steckt die Route voller Überraschungen. Anfang hatte ich noch gescherzt, dass wir ber Käffer fahren, die man nur kennt, wenn man in der 2. Kreisklasse kickt. Nun muss ich eingestehen, dass ich mich in Südniedersachsen nicht so gut auskenne wie ich immer behauptet habe. Dabei lebe und fahre ich hier schon seit mehr als 4 Jahrzehnten. Wie hieß es am Morgen in der Fahrerbesprechung? Gemeinsame touristische Ausfahrt.

Das Empfangskomitee, ein Teil zumindest. 

Südlich von Bodenwerder stoßen wir in Gefilde vor, die mir bekannt sind. Zuden steigt die zahl der Winker an der Strecke deutlich. Also müssen wir auf der richtigen Route Richtung Einbeck sein. Dort erwartet uns das gewohnte und auch erhoffte Bild. Hunderte, vielleicht sogar Tausende Menschen empfangen den Tross am PS.Speicher. Jeder wird gefeiert wie ein Sportidol.

„So einen hatte ich auch“ bekommen wir bestimmt fünfmal zu hören. Von einem Opel Cabrio Baujahr 1934 können das nur noch sehr wenige behaupten. Deswegen sind wir klar im Vorteil wenn es darum geht, Kontakt zum Publikum zu knüpfen.

Ich will unter die Dusche, aber erst einmal müssen wir durch die Vorstellungsrunde und dann zum Parkplatz. Dort treffen wir wieder aus Michael Marx. Der Mann ist omnipräsent und vielleicht das Gesicht der Veranstaltung. Auf jeden Fall hat er auch Entertainer-Qualitäten.

Oldtimer Rallyes sind ein Familienfest und deswegen trinken wir mit der Crew aus dem 450er Benz schnell noch ein lauwarmes Bier auf dem Parkplatz. Dann geht es unter die Dusche. Oldtimer Rallyes sind auch eine Mischung aus olympischem Geist und Altherrenfußball. Dabei sein ist fast alles und heile ankommen das wichtigste.

Das schafft nicht jeder. Es überrascht uns ein wenig, als wir bei der Siegerehrung erfahren, dass der Rolls Royce, den wir an der Hämelschenburg noch bewundert hatten, Einbeck fast nicht erreicht hätte. Die Emily wollte einfach nicht wieder anspringen. Doch Michael Marx und sein Team wussten zu helfen. Ein paar gezielte Hammerschläge auf den Anlasser und der Silver Spirit flog wieder.

Damit bleiben drei Erkenntnisse: Eine Luxuskarosse funktioniert manchmal wie ein Hanomag, Oldtimer fahren macht müde aber glücklich und beim nächsten Mal sind wir wieder dabei.

Freitag, 9. Juli 2021

Macht schlägt Kunst

“Tosca” verschenkt Potenzial in Sondershausen

Mit der Inszenierung von Puccinis “Tosca” verabschiedet sich Regisseurin Annette Leistenschneider aus Nordthüringen und dem Südharz. Entsprechend hoch war die Messlatte bei der Premiere zu den Schlossfestspielen Sondershausen am Donnerstag. Doch die Erwartungen wurden nicht alle erfüllt. Die Aufführung zeigt stellenweise Defizite.

Der Einstieg macht neugierig. Hyun Min Kim huscht als entflohener Häftling über die Bühne. Gekleidet ist der ehemalige Konsul Angelotti wie die Gefangenen in Guantanamo. Dazu hat ihn die Maske in einen Thüringer Wei Wei verwandelt. Das ist eine starke Aussage, in Zeiten in denen die Freiheit der Kunst von vielen Seiten unter Druck geraten ist.

Religion ist ein Erfüllungsgehilfe
der Macht. 
Alle Fotos: Ronny Ristock
Dieses Motiv taucht immer wieder auf, bis es Hye Won Nam in der Rolle der Floria Tosca im zweiten Akt deutlich ausspricht. Der Maler Mario Cavaradossi ist ein anerkanntes Mitglied der römischen Gesellschaft, bis er im Eilzugtempo politisiert wird und sein Leb en geben muss. In dieser Inszenierung trifft Kunst auf Macht, wird zum Spielball und zum Verlierer.

Die zweite Aussage betrifft die Religion. Diese ist immer ein Erfüllungsgehilfe der Macht, verkörpert in der Gestalt des Polizeichefs Scarpia. Manifestiert wird dies am Ende des ersten Aktes, als sich Polizisten aus den Mönchskutten pellen.

Das Taschentuch kann stecken bleiben. Mit den Emotionen hapert es in dieser Inszenierung. Das liegt vor allem an der Musik. Das Loh-Orchester schaltet zu Beginn der Aufführung in das Largo und kommt aus dieser Gangart nicht mehr raus. Mit diesem Mangel an Differenzierung wird jede Menge Potenzial verschenkt. 

Spätestens um 22.00 Uhr stellt sich das Gefühl ein, alles das an diesem Abend schon ein- bis zweimal gehört zu haben. Besonders die Kerker-Szene und die Duette von Tosca und Cavaradossi dort leiden darunter. Wenn man sich seit mehr als 2 Stunden im gebeugten Trauer-Modus bewegt, dann kann man gar nicht mehr tief fallen.

Zudem ist “Tosca” eigentlich eine rasante Oper. Die Handlung ist extrem komprimiert. Innerhalb von 24 Stunden wird eine große Liebe auf die Probe gestellt, bricht eine Welt zusammen und es sterben vier Menschen für nix und wieder nix. Da darf es schon ein bisschen mehr sein an Tempo, Dramatik und Ausdruck. Dann würden die tragischen Szenen im Kontrast dazu besser wirken.

Endlich mal Emotion. 
Foto: Ronny Ristock
Auch das Bühnenbild von Wolfgang Rauschning erfüllt nicht die hoch gesteckten Erwartungen. wie schon bei der “Addams Family” wirkt es beengt und hinein gequetscht in die Kulisse des Schlosses. Eine Öffnung zu den historischen Bauten im Hintergrund liegt doch im zweiten Akt geradezu auf der Hand.

Es drängt sich der Eindruck auf, dass gerade dieses kleinteilige Bühnenbild ein Mehr an schauspielerischen Elementen verhindert. Die Oper bietet zu oft die Abfolge “Auftritt - Rezitativ - Arie - Abgang”.

Entwicklung und Überraschung

Eine erstaunliche Entwicklung zeigt Kyounghan Seo in der Rolle des Mario Cavaradossi. Aus seinem einst rein technischen Gesang hat der Tenor mittlerweile einen durchweg lyrischen Vortrag gemacht. Je länger er in Nordhausen und Sondershausen ist, desto mehr gewinnt er an Ausdrucksfähigkeit. Seine Stimme scheint nun mit Samt unterfüttert. Man darf gespannt sein, zu welchen Leistungen Seo in der kommenden Spielzeit fähig sein wird

Die Überraschung des Abends ist Johannes Schwärsky in der Rolle des Scarpia. Der Bariton kann nicht nur mit einem enormen Stimmumfang überzeugende, den er in Höhen und Tiefen gleichermaßen fehlerfrei auf die Bühne bringt.

Der Heimkehrer ans Theater Nordhausen weist auch mit schauspielerischen Qualitäten zu glänzen. Er kreiert sowas wie eine netten Fiesling. Sein Scarpia ist nicht nur ein Bösewicht sondern auch ein Mensch mit dunkler Seite. Es ist fast schon schade, dass Scarpia sein Leben am Ende des 2.Aktes aushauchen muss.





Dienstag, 6. Juli 2021

Frieden mit Gott und der Welt machen

Premiere im DT Göttingen: Ein Hiob, der zutiefst berührt

Was uns in den Zeiten des Streaming fehlte, sind die tiefen Emotionen und die Empathie, das macht “Hiob” in der Inszenierung von Matthias Reichwald deutlich. Am Samstag war Premiere im Deutschen Theater Göttingen. Das Publikum war zurecht begeistert. 

Am Ende macht der Protagonist Mendel Singer Frieden mit sich selbst, seinem Gott und der Welt. Doch bis es so weit ist, präsentieren Reichwald und das Ensemble eine weite Reise durch die verschiedenen Spielarten des Unglücks. Es ist ein Stück für Erwachsene. Die Inszenierung stellt Fragen, ermöglicht dem Publikum viele Analogien und bereitet den Boden für eigene Antworten. Der Wandel, den die Protagonisten im Laufe der Aufführung durchmachen, ist konsequent und verständlich.

Ob das Happy End im xs-Format nun ein Wunder, die Folge moderner Medizin, auf Zufall basiert oder aus einer Kombination besteht, diese Frage darf jeder Zuschauer sich selbst beantworten. Klar ist nur, dass Mendel Singer letztlich Recht behalten hat, dafür aber einen hohen Preis bezahlt hat.

Ab sofort hat Mutter das Sagen. 
Alle Fotos: Thomas Müller
Die Romanvorlage von Joseph Roth breitet auf etwa 200 Seiten das Leben eines einfachen Mannes im ländlichen Russland der Jahrhundertwende aus. Die Masse an Informationen, Bedingungen, Zeitbezügen und Milieustudien bekommt Reichwald mit einem überzeugenden Konzept in den Griff. Er präsentiert eine Mischung aus szenischer Lesung und Schauspiel. Die Rahmenbedingungen und die Handlung werden erzählt, wichtige Stadien dargestellt.

Roth hat seinen Roman in seinem Milieu angesiedelt, das heute von vielen als Stetl romantisiert wird. Dabei war es ein Leben an der Armutsgrenze. Das machen schon die Kostüme deutlich. Sie scheinen aus der Altkleidersammlung zu stammen und haben ihre besten Tage sehr lange hinter sich. Mit dem Verzicht auf Historismus transportiert Elena Gaus die Not auch in die Gegenwart. 

Im zweiten Akt ändert sich alles, auch die Kleidung. Es glitzert und glämmert. Nur Mendel Singer bleibt seinem Pullover treu. Er ist ihm zur zweiten Haut geworden.

Das Bühnenbild von Jelena Nagorni ist der besondere Clou. Es besteht nur aus einer großen Wippe. Das reduzierte Bild lässt die Akteure zur Geltung kommen und es unterstützt die Aussagen der Inszenierung. Als Monument des Erfolgs kommt später eine Kühlschrank hinzu. 

Im ersten Akt sieht man die Unterseite der Wippe. Es ist das ärmliche Haus der Singers, das fast schon wie eine Höhle wirkt. Das Dach scheint nicht dicht zu sein und jedes Mal, wenn ein Kind der Singers die Heimat verlässt, nimmt es ein Stück Wand mit. So bleibt nichts von der schützenden Funktion.

Im zweiten Akt kippt die Wippe.In der Draufsicht wird sie zur schrägen Ebene. Es ist schwer, hier Halt zu finden. Mendel Singer wird es nicht schaffen. Ironischerweise wird gerade der Kühlschrank zu seinem Rückzugsort, zu seiner neuen Heimat. Diese alles zusammen ergibt eindrucksvolle Bilder, die auch noch weit nach der Vorstellung faszinieren. 

Dazu kommt eine erstklassiges Ensemble. Jeder und jede scheint am richtigen Platz. Gerd Zinck scheint wie geschaffen für die Rolle des Mendel Singers. Zurückhaltend bringt er die stoische Gelassenheit diese schicksalsergebenen Mannes auf die Bühne. Seine Gestik bleibt meist sparsam und die Stimme leise und unaufdringlich. Jedes Wort, dass er von sich, gibt er mit Bedacht von sich.

Der Kühlschrank wird zur neuen Heimat.
Alle Fotos: Thomas Müller
Zinck nimmt das Publikum mit. Man ist hin und hergerissen zwischen Verständnis, Mitleid und der Aufforderung "Junge, werde doch endlich wach". Dieser Zwiespalt geht an die Nieren.

Dennoch wirkt Zinck, ist er der Mittelpunkt der Aufführung. Das ist große Schauspielkunst. Wem da nicht manchmal der Kloss im Hals steckenbleibt, der hat kein Herz, so gar keins.

Die stärkste Entwicklung in dieser Inszenierung bringt Rebecca Klingenberg in der Rolle der Deborah Singer auf die Bühne. Von der gehorsamen Ehefrau wandelt sie sich glaubhaft zur treibenden Kraft. Irgendwann hält sie es in diesem Elend und mit diesem Mann nicht mehr aus. Mit immer größeren Gesten verkörpert Klingenberg, den immer größeren Raum, den Deborah für sich beansprucht. Ihre immer schnellere Sprechweise zeigt, dass sie die Geduld verloren hat. Doch sie begibt sich in eine Welt, die sie überfordert. Ein Betrag von 10 Dollar überfordert eine Frau, die bisher jede Kopeke zweimal umdrehen musste. 15.000 Dollar erst recht. Das sprengt ihre vertrauten Dimensionen.

Da ist der Zerfall ihrer Ehe nur die logische Folge. Hier liegt eine Stärke dieser Inszenierung. Reichwald zeigt, dass äußere Handlung und innerer Gemütszustand immer korrespondieren sollten. Sonst kam es nicht klappen. Singer stellt den Ausreiseantrag mit Widerwillen, also steht die Reise unter keinem guten Stern..

Als multiple Persönlichkeit zeigt Florian Eppinger, wie wenig es braucht für gutes Schauspiel. Im Kaftan ist er der Rabbi, mit einer Filzdecke über dem Kopf ist er Sameschkin, der Fuhrmann, der sich vor den Unbillen des Wetters schützt. Die Brille auf der Nase macht den Arzt und mit der Pelzmütze auf dem Kopf wird Eppinger zu Kapturak, einer zwielichtigen Gestalt, die ihren bescheidenen Wohlstand aus der Not der anderen zieht. Dabei ist die Anlage dieser vielfältigen Personen vielleicht ein wenig zu gleichförmig geraten. 

Wie einfach aber auch umfassend Theater funktioniert, verdeutlichen die Büroszenen am Ende des ersten Akts. Ohne viele Worte und nur mit übertrieben Gesten, also fast schon im Stummfilm-Modus, bringen die Akteure die Mühlen der Bürokratie zum Laufen. das wirkt auch noch 90 Jahre nach der Veröffentlichung der Romanvorlage

Nach der zweiten Premiere im geschlossenen Haus des DT bleibt die Erkenntnis: Endlich wieder Theater, endlich wieder applaudieren, endlich wieder weinen dürfen.


Sonntag, 4. Juli 2021

Stotterstart bei den Schlossfestspielen

Addams Family in Sondershausen ist vor allem routiniert

Acht Monate war der Spielbetrieb des Theater Nordhausen und des Loh-Orchesters lahmgelegt. Bei den Schlossfestspielen in Sondershausen erfolgt mit der Premiere der “Addams Family” am Donnerstag der Neustart. Doch das Musical war ein Stotterstart.

Die letzten beiden Spielzeiten fanden im Park vor dem klassizistischen Flügel statt. Nun sind die Festspiele in den Innenhof zurückgekehrt. In seiner Begrüßungsrede freute sich Intendant Daniel Klajner, wieder im Wohnzimmer spielen zu dürfen.

Doch mit der Rückkehr in den Schlosshofes ist viel an sommerlicher Atmosphäre verloren gegangen. Konnten die Festspiele 2019 und 2018 mit Weite, Licht und Luftigkeit verzaubern, herrscht nun wieder mittelalterliche Enge.

Darunter leidet auch das Bühnenbild von Wolfgang Rauschning. Es wirkt gedrängt und eingequetscht. Vor allem leidet es unter dem Manko, dass der Sitzplatz über den Genuss entscheidet. Wer rechts auf der Tribüne sitzt, dem ist schlicht die Sicht versperrt.

Marvin Scott gehört in der Rolle des 
Onkel Fester zu den Pluspunkten.
Alle Fotos: Julia Lormis 
Die “Addams Family” ist ein Musical, das die Andersartigkeit und die Vielfalt thematisiert. Damit ist es wie geschaffen für Zeiten, in denen gratismutige Fußballer Armbinden in bunten Farben tragen. Zumindest diese Herausforderung und die Anforderungen eines innergesellschaftlichen Clash of Cultures arbeiten Regisseur Ivan Alboresi und Juliane Hirschmann heraus.

Die Bewegung aufeinander zu verändert beide Seite. Wednesday Addams entwickelt eine ungewohnte Zuneigung zu Tieren, Alice Beineke entdeckt ihre lüsterne Seite und Morticia Addams muss erkennen, dass auch ihre Ehe unter Abnutzungserscheinungen leidet. Ausgerechnet der junge Pugsley ist den Erwachsenen schon früh einen Schritt voraus. In einem der wenigen gelungenen Soli singt ere davon, dass auch er sich wird ändern müssen.

Die Comics mit der Addams Family war in den 60-er Jahren die skurrile Antwort auf die heile Welt der kleinbürgerlichen Familien. Aber in Zeiten, in denen in deutschen Vorstädten Tausende Addams-Familien wohnen, hat die Ausgangslage an Reiz verloren. Mancher Gag zündet nur noch bei der Generation Ü 60.

Es bleibt vor allem der Eindruck “vorhersehbar, zu routiniert und wenig inspirierend”. Auch wenn die Inszenierung nach der Pause deutlich an Tempo und Witz gewinnt, so sind 75 Minuten Aufwärmzeit einfach zu viel.

Verloren gegangen ist auch der Reiz der andersartigen Musik. Als Reminiszenz an die 60-er Jahre und an die spanischen Wurzeln der Addams steckt dieses Musical eigentlich voller Mambo und Rumba. Doch das Loh Orchester unter Henning Ehlert hat die Exotik verbannt. Die Musik klingt nach Musical-Massenware und in der Feinabstimmung hapert es bei der Premiere auch ein wenig.

Acht Monate lang gab es kein Lebenszeichen vom Theater Nordhausen und auch nicht vom Loh Orchester. Wo andere Ensembles den Weg in die Digitalisierung gewagt haben oder einfach neue Formen ausprobiert haben, haben die Thüringer Theater die Füße still gehalten. Das hat ihnen nicht gut getan. Das wird in dieser Premiere mehrfach deutlich. An einigen Stellen ruckelt und holpert es.

Alice und Morticia beim Blick ins
Familienalbum. 
Alle Fotos: J. Lormis
So braucht Marian Kalus mehr als eine halbe Stunde, bis er sich in seine Rolle eingefunden und hereingesungen hat. Da fehlt es an Tiefe und Leidenschaft. Es klingt wie vom Blatt gesungen. Aber auch anderen Darstellerinnen und Darstellern geht es nicht besser. Philipp Franke fehlt es einfach an Körperlichkeit, um die Rolle des robusten und burschikosen Mal Beineke glaubhaft auszufüllen. Da kann man nur hoffen, dass sich das Ensemble und das Orchester in den kommenden Wochen einspielen.

Das wird aber nicht die dramaturgischen Defizite beheben. Das Musical wirkt wie eine Nummernrevue. Viele Szenen stehen zusammenhanglos nebeneinander. Im Gegenzug wurde die Folterszene mit Wednesday und Pugsley, in der sich der Konflikt kristallisiert, auf Unkenntlichkeit verkürzt.

Für die Überraschungen sorgen Marvin Scott und Brigitte Roth. Der Tenor gibt der amorphen Gestalt des Onkel Fester nicht nur eine überzeugende Stimme. Er macht auch ihm eine echte Person, die zu den wenigen handelnde Gestalten dieser Inszenierung gehören. Seine Partien mit dem Chor der Vorfahren sind die musikalischen Höhepunkte und die treibenden Szenen.

Wo andere in Ungewissheit baden, sprudelt Brigitte Roth als Grandma geradezu vor Energie. Mit fester Stimme und fixen Bewegungen zeigt sie, dass auch 102-Jährige durchaus in der Lage sind, Veränderungen zu bewältigen.