Dienstag, 26. Juli 2022

Genuss mit Hürden und Happy End

 TenThing bei den Kreuzgangkonzerten in Walkenried

Walkenried. Regen oder Nichtregen, das war nicht mehr die Frage. Mit einem Konzert der Extraklasse haben tenThing es geschafft, all die Widrigkeiten dieses Abend vergessen zu lassen. Einem feuchtem Auftakt unter freien Himmel folgte ein furioses Finale im Kreuzgang. Ensemble und Publikum lassen sich von den Wetterkapriolen nicht beeindrucken und steuern einem Finale mit Spaß entgegen.

TenThing sind ein Ensemble aus zehn norwegischen Blechbläserinnen. Seit 2007 spielen sie unter der Regie von Tine Thing Helseth größtenteils Stücke, die eben nicht für Blechbläser geschaffen wurden. Sie mache keinen Hehl daraus: Jarle Storlökken hat einen großen Anteil am Erfolg. Erschreibt den Damen nämlich maßgeschneiderte Arrangements.

Der Auftakt ist fast zwangsläufig. Die Band aus Norwegen spielt Musik aus Norwegen: "Aus Holgers Zeit - Suite im alten Stil" von Edvard Grieg. Das Versprechen wird gleich umgesetzt. Die Suite ist keinesfalls spätromantisch, sondern greift Elemente der Barockmusik auf. Schon im Präludium entspinnt sich ein Dialog zwischen den Trompeten und den Posaunen. Tuba und Waldhorn fungieren erstklassig als Basso continuo. 

Tine Thing Helseth (link) und noch drei
andere Trompeten.
Alle Fotos: Thomas Kügler
In der anschließenden Sarabande und der Gavotte funktionieren die Wechsel zwischen Andante und Allegro ohne Verlust. Dabei zeigt sich das Ensemble als geschlossener Verband. Jede der Musikerinnen kommt zu ihrem Recht und darf kurze Partien übernehmen.

Wenn Tine Thing Helseth nicht gerade mit ihrer Damenkapelle auf Tour ist, dann steht die Startrompeterin in Wien, in Zürich oder in anderen Orten auf den großen Bühnen der Welt. Doch an diesem Abend ist sie eindeutig "prima inter pares". Es dauert bis zur Mitte des zweiten Teils, bis sie in einem Piazolla-Solo ihre Sonderstellung deutlich macht. 

 Nach Grieg kommt Händel und Barockmusik ist das hohe Fest der Blechbläser. Das funktioniert im Allegro der "Wassermusik" noch wunderbar. Auch sind Trompeten und Posaunen wieder im Zwiegespräch. Ausgerechnet das "alla hornpipe" verliert, denn die feinen Strukturen der Streicher, die im Original unter den Bläsern liegen, verschwinden in diesem Arrangement.

Das machen tenThing mit dem Minuet, dem Lentement und der Bourée wieder wett. Die Wechsel in den Tempi funktionieren so gut, dass der größte Teil des Publikums gar nicht merkt, dass hier drei Sätze hintereinander gespielt werden. 

Dann kommt das Gewitter und der Umzug vom Kreuzgarten in den Kreuzgang. Ganz Profis lassen sich Zuhörer und Musikerinnen davon nicht beeindrucken.

Es verlangt schon etwas Mut oder auch Selbstbewusstsein, Astor Piazolla mit Blechbläsern zu spielen. Doch die "Milonga del Angel" gewinnt dadurch deutlich. Befreit vom Jammer der Streicher und des Bandoneons und vom falschen Pathos werden in dieser Version die dynamischen und lebensbejahenden Anteile des Werks deutlich.

Nach der Pause warten noch zwei Piazolla -Stücke, der Verano Porteno und der Invierno Porteno aus den vier Jahreszeiten de großen Argentiniers. Hier nehmen sich die Blechbläserinne ein wenig zurück. Die Dynamik und Klangfülle wird ersetzt durch feines Spiel und ein wenig Wehmut im Klang. Im Invierno herrscht Stille im Kreuzgang als die Chefin zu ihrem Solo ansetzt. Vorsichtig reiht Tine Thing Helseth Ton an Ton und lässt die Pausen wirken. Es ist klar: Unabhängig davon, auf welcher Hemisphäre man sih bewegt, so klingt der Winter. 

Auch die "Three Preludes" von George Gershwin gewinnen durch den Vortrag der Norwegerinnen dazu. Geschrieben für das Klavier machen Arrangement und Spiel deutlich, dass auch in diesem Gershwin sehr viel Jazz steckt. Man spürt den Blues als Basis und hört den Swing schon am Horizont.

Dabei kommt alles locker und fröhlich daher. Die 10 Musikerinnen haben Spaß an dem, was sie machen, und deswegen macht es dem Publikum Spaß. Das entlässt die Band erst nach zwei Zugaben. 







 

Montag, 25. Juli 2022

Ein Abend mit einer ordentlichen Prise Wehmut

Kreuzchor verzaubert im Kloster Walkenried 

Walkenried. Es gibt sie, die Ying-und-Yang-Konzert. Der Auftritt des Dresdner Kreuzchors bei den diesjährigen Kreuzgangkonzerten in Walkenried gehört bestimmt dazu. Spätestens nach fünf Minuten ist man im Einklang mit sich, der Welt, dem Universum und dem ganzen Rest. Am Ende des Abend verzeiht man nicht nur den ärgsten Feinden, sondern auch der eigenen Verwandtschaft. 

Der Abend stand unter dem Motto "Sing beim Abschied leise Servus". Es war der letzte Auftritt auf der Sommerreise der Kruzianer und damit der Abschied von den Primaner. Traditionell verlassen zu diesem Konzert die Abiturienten nach jahrelanger Mitgliedschaft im Chor das Ensemble. 

Aber es war auch der Abschied von Roderich Kreile. Nach 25 Jahren als Kantor der Kreuzgemeinde hatte er in Walkenried seinen letzten Auftritt mit seinem Chor. Das ist dem "mdr" sogar einen eigenen Beitrag wert, so dass der Kameramann ständig im Bild war.

Der Kreuzchor ist in erster Linie immer noch der Chor das Kreuzgemeinde Dresden, damit ein geistliches Ensemble und weil man als solches in Erinnerung bleiben möchte, tauchte man die Programmblöcke. Erst säkulär und dann sakral. Die hohe Kunst bestimmt darin, e3inmalige Erlebnisse zu schaffen. An diesem Abend war alles dafür vorbereitet und es wurde eben auch einmaliges Erlebnis.

Die weltliche Musik begann mit drei Werken deutschsprachiger Romantik. Das war technisch hochwertig und auch ausdrucksstark. Aber für  den Höhepunkt im ersten Teil sorgten eben die Abgänger. Diese hatten nämlich einen eigenen Block aus drei Songs vorbereitet und bewiesen damit, das Kruzianer auch A Capella können. 

Geriet "The Lion sleeps tonight" vielleicht einen Tuck zu schnell, so war der Token-Klassiker der passende Einstieg. "Wenn die Sonja russisch tanzt" gehörte bis zu diesem Konzert eher zu den unbekannten Werken der Comedian Harmonists. Den schnellen Wechsel vom Weeemmawee der Token zum russisch animierten Gebrumme schafften die 13 jungen Barden fehlerfrei. Zufall oder Absicht? Egal. Dass in diesem Lied ein Trampeltier namens Wladimir vorkommt, sorgte für zahlreiche Schmunzler. 

Gerade mal 10 Jahre alt ist "Deutsche Bahn" von den Wise Guys schon ein Klassiker des deutschen A- Cappella-Gesangs. Sich mit diesem aktuellen Thema und Material zu beschäftigen, zeugt von dem Selbstvertrauen der Kruzianer. Die Fähigkeit, diesem Song ein eigenes Leben zu verleihen und die Vorgabe nicht einfach nachzuträllern, spricht für das hohe Niveau des Ensembles. In diesem Sinne: "Sänk ju for singing se Deutsche Bahn". 

Doch für den Höhepunkt sorgte der Chor in seiner Gesamtheit. "What a wonderful World" gesungen von Kinderstimmen sorgte für Gänsehaut und Pippi im Auge. Die glasklaren Stimmen lassen die Idylle des Songs umso mehr mit der Realität kontrastieren und lässt den Wunsch nach Friede und Freude umso größer werden. Man muss Kreile zu dieser Auswahl gratulieren, denn damit setzte er die Intention des Komponisten George David Weiss mit 55 Jahren Verzögerung um.

Aber nicht alles gelingt in diesem Teil des Programms. Gershwins "Summertime" an einem lauen  Sommerabend von einem Kinderchor singen zu lassen, ist gut gemeint, zerfleddert aber diesem Meilenstein der Musikgeschichte. Es ist ein ironische Arie an die Armut und verträgt keinen Schmelz. Da ist nichts zu hören vom Schmerz der schwarzen Fischer in der Volksoper "Porgy & Bess".

Dann sakral

Aber mit der Bach-Mottete kurz vor der Pause bügelt der Kreuzchor diesen faux pas wieder aus. Das der zweite Teil nicht so reich an Höhepunkte ist, kann man nicht dem Ensemble anrechnen. Es liegt einfach an der Literatur in der sakralen Chormusik gab es in den letzten 800 Jahren nur wenige Neurungen. Innerlichkeit reiht sich an Innerlichkeit.

Es wieder ein Mottete, diese Mal von Brahms, mit dem die Kruzianer ihren meisterlichen Satzgesang präsentieren können. Von den Fans sehnsüchtig erwartet setzt das "Laudate dominum" den dynamischen Schlusspunkt. endlich einmal darf der Chor mit seiner Stimmgewalt glänzen und das Tempo erhöhen. 

Ohne großen Widerstand gibt der Kreuzchor zwei angekündigte Zugaben und zum Schluss bleibt die Bühne den Abgängern überlassen. "Heilig ist der Herr" bringt das Publikum zurück in diesen Zustand von glückseliger Verzückung, Einklang mit dem Universum und den ganzen Rest und zurück zum Friedensangebot an die eigene Verwandtschaft. Solche Konzert sind einmalig. 







Freitag, 22. Juli 2022

Die Entdeckung der Langsamkeit

Mit einem FIAT 850  auf PS.Speicher-Rallye

Einbeck. An keinem anderen Tag im Jahr werden in Niedersachsen so viele Fotos gemacht wie an diesem. Es ist der erste Samstag in den Sommerferien und der Tross der PS.
Speicher-Rallye zieht durchs Land. Fast überall, wo er durchkommt, stehen Menschen an den Straßen lächeln, winken und drücken auf den Auslöser.

Es ist die siebte Auflage und die dritte unter Corona-Bedingungen. Die Sommerwelle hat den einen oder anderen Mitarbeiter frühzeitig aus der Vorbereitung herausgenommen. Am Morgen erzählt Lothar Meyer-Mertel, dass die Abschlussveranstaltung am Abend ohne Livemusik auskommen muss. „Die Band ist erkrankt“, erklärt der Geschäftsführer des PS.Speichers.

Zudem sind einige Startplätze coronabedingt freigeworden. Pressesprecher Stephan Richter bemerkt beim Briefing: „Einige Starter wissen erst seit gestern erfahren, dass sie heute hier sind.“ 170 Startplätze gibt es in diesem Jahr. Die waren vier Stunden nach Anmeldestart vergeben und die Warteliste lang genug, um die Ausfälle zu kompensieren.

Der Dreikampf des Publikums: Gucken,
staunen, fotografieren. 
Alle Fotos: Kügler
Jörg Weinhold ist einem Fiat 500 angereist. Er ist voll des Lobes für die PS.Speicher-Rallye: „Hier stimmt einfach alles und die Organisation ist einfach großartig.“ Dem Mann aus Leverkusen gefällt vor allem die Tatsache, dass es jedes Jahr eine andere Strecke gibt.

Meine Lebensgefährtin und ich, wir sind Wiederholungstäter und schon das vierte Mal in Einbeck am Start. Es ist jedes Mal anders. Wir sehen einige bekannte Gesichter und suchen vergebens nach anderen bekannten Gesichtern im Fahrerlager.

Im letzten Jahr ging es durch das Weserbergland, in diesem Jahr führt die Route durch das Leinetal in den nördlichen Vorharz zum Schloss Oelber und dann über den Harz zurück nach Einbeck.

Wir sind mit einem Fiat 850 Sport Spider am Start. Die Autobauer aus Turin hatten Ende der 60er Jahre gleich drei Sportwagen mit Faltdach im Sortiment. Der 850 war der „Kleinste“ davon. Er ist ein Schmuckstück. Entworfen und gebaut bei Bertone zeichnet er sich durch Leichtigkeit und Eleganz aus. In Zeiten, in denen jeder zweite Neuwagen aussieht, als wäre er für für kriegerische Handlungen konzipiert, ist der Fiat 850 Spider eine optische Erholung.

Später werde ich von den Fahreigenschaften schwärmen. Der Wagen liegt wie ein Bügelbrett auf der Straße und läuft selbst in den Kurven wie auf Schienen. Da untersteuert nix. Das Leichtgewicht braucht keine Servolenkung. Gewöhnungsbedürftig ist allein die Sitzposition: etwa 35 Zentimeter über dem Asphalt.

Das Briefing

Bevor der Startschuss fällt, steht noch das Briefing an. Rennleiter Manfred Schulz erklärt, dass diese Rallye keine Motorsportveranstaltung ist. Es sein eine touristische Ausfahrt mit Wertungsaufgaben. Über Sieg oder Niederlage entscheidet nicht die Stoppuhr, sondern die Strafpunkte, die man sich bei den Aufgaben und Durchfahrtskontrollen einhandeln kann. Der Streckendesigner gibt einen Tipp mit auf den Weg: „Entdecken Sie die Langsamkeit.“

Lothar Meyer-Mertel und Stephan Richter weisen auch noch einmal darauf hin. Im letzten Jahr hatte es Teilnehmer gegeben, die den sportlichen Aspekt überbetont haben. Nicht alle werden den Hinweis beherzigen.

Der Fiat 850 ist ein Traum:900 ccm, 52 PS,
schwarzer Lack, rotes Kunstleder. 
Für uns gilt das nicht. Der Fiat hatte einen Motorschaden und möchte nun nach der Reparatur vorsichtig eingefahren werden. Alles oberhalb von 85 Kilometern pro Stunde ist tabu.

Die Navigation ist gnadelos analog. Die Strecke ist im Roadbook niedergeschrieben. Das ist in diesem Jahr satte 36 Seiten stark. Hier finden sich auch die Standorte für die Wertungsaufgaben und die Kontrollpunkte. Die werden von den Streckenposten auf der Bordkarte "abgestempelt", die es zusätzlich zum Roadbook gibt. Wer mit digitaler Hilfe fährt, verfährt sich, denn die Strecke sucht nicht die kürzeste Verbindung zwischen den Punkten A, B und C.

Der Start

Ältester Teilnehmer ist ein Ford -T-Modell aus dem Jahr 1914. Er geht um 10.01 Uhr als erster auf die Reise. Die anderen folgen im Minutentakt und wir dürfen um 10.52 Uhr starten. Bis dahin machen wir Fotos und führen „Benzingespräche“.

Die ersten beiden Aufgaben in Einbeck bewältigen wir nicht fehlerfrei. Wir bleiben aber im Toleranzbereich und finden sogar die erste „stille Kontrolle“. Es sind Zahlen, die längst der Strecke verteilt sind und in die Bordkarte eingetragen werden müssen. Im Vorjahr waren sie Anlass für Verstimmungen zwischen Streckendesignern und vielen Teilnehmern.

Dann geht es in Richtung Süden und schon in Ippensen wartet die erste Gemeinheit. Die Route knickt scharf links ab, verlässt die Hauptstraße und führt über eine holprige Nebenstrecke bergauf bergab nach Greene. Auch nach hin Freden wird es nicht besser.

Die Natur entschädigt uns: Die Toskana des Nordens, eine offene Landschaft, ein weites Tal, umkränzt von Hügeln und Wäldern und die Sonne kommt durch die Wolken.

Überall stehen kleine Grüppchen und die Menschen winken uns zu. Wir winken zurück und wissen „Wo Leute an der Straße stehen und auf uns warten, da sind wir richtig.“ Zusammen lächeln wir alle. Mal abgesehen von Einbeck brandet uns später die größte Begeisterung in Seesen entgegen. Auf dem Jacobson-Platz und drumherum herrscht Volksfeststimmung. Unzählige Menschen jeglichen Alters haben sich hier versammelt und jubeln den fremden Menschen in den alten Autos entgegen. Die Mitarbeiterin des Stadtmarketings drückt den Kontrollstempel auf die Bordkarten und überreicht allen Teams ein Souvenir.

Aber bis wir dahin kommen, müssen wir erst noch zum Schloss Oelber. In Nette wartet die Landschaft mit der größten Überraschung auf uns. Sie gibt hier im südlichen Landkreis Hildesheim den Blick frei auf den Brocken. Am Horizont sind die Türme des Harzgipfels deutlich zu erkennen.

Bis Baddeckenstedt sind wir als Kolonne unterwegs, für einige ein fahrendes Hindernis mit 60 km/h. Hinter unserem FIAT hat sich ein Porsche 356 aus Hannover eingereiht, der keine Startnummer trägt. Auch an der Zwischenstation warten einige Oldtimer, die sich einfach in den Tross geschummelt haben. Was will man machen? Die Straße gehört allen.

Pause an der Filmkulisse

Schloss Oelber zeigt sich von seiner besten Seite. Es diente auch schon mal als Filmkulisse. Wir haben zwei Stunden Zeit für Mittagessen, Umschauen, Fachsimpeln, Erfahrungsaustausch und Fotos machen.

Wir sind noch gar nicht so recht auf Betriebstemperatur, als gleich nach der Mittagspause die letzte Wertungsaufgabe auf uns wartet. Wir müssen ein gefälschtes Verkehrszeichen enttarnen und liegen daneben. Anschließend verfahren wir uns gleich noch einmal. Dabei hätten wir doch nur auf die Menschengruppen achten müssen, die jetzt in Baddeckenstedt stehen, lächeln, winken und fotografieren. .

Es geht in Richtung Goslar auf einem Abschnitt, den wir schon einmal 2019 gefahren sind. Zum ersten Mal wird es an diesem Tag mehrspurig. Trotzdem bleiben wir unterhalb des 85 km/h-Limits

Dann heißt es „Rechts abbiegen und in Richtung Innerstetalsperre“. Es wird deutlich kühler.

Die Häuser verfallen, die Straßen kaputt und viele tote Bäume. Wir sind eindeutig im Harz. An der Steigung zum Sternplatz kommt der Fiat mit 900 Kubikzentimetern Hubraum und 52 PS an seine Grenzen. Wir fahren rechts ran, um zwei Ford Mustangs, einen Roll Royce und einen VW T 4 vorbeizulassen. Aber Seesen ist ganz großes Kino, die Freude auf dem Jacobson-Pöatz steckt an und verscheucht die trüben Gedanken.

Hinter Bad Gandersheim überrascht uns die Streckenführung mit immer neuen Finten. Wir bekommen die Gelegenheit, in Kuventhal die zweistöckige Wilhelmsbrücke von unten anzuschauen und in Andershausen haben wir den letzten phänomenalen Ausblick. Er geht über das Leine- und Ilmetal hinweg in den Solling.

Gegen 17 Uhr sind wir zurück am PS.Speicher. Dort erwartet uns das, was wir erwartet haben. Hunderte von begeisterten Zuschauern nehmen uns klatschend im Empfang. Marketingchef Alexander Kloss überreicht uns ein Bild von unserem Start am Morgen. Es ist wohl das einzige Foto, das mich in einem Auto und für das ich nicht bezahlen muss. Auto abstellen, ins Hotel und unter die Dusche.

Die Sieger 

Auch die Entdeckung der Langsamkeit endet mit einer Siegerehrung. Am Abend werden Preise in vier Kategorien und drei Sonderprämien vergeben. Weil die Jury tagt und tagt und tagt, verschiebt sich die Bekanntgabe der Gewinner auf 20 Uhr. Das gibt mir Zeit, mich mit Thorsten Lürsen zu unterhalten. Er ist einer von 50 ehrenamtlichen Helfer an diesem Tag und auch am nächsten Tag ist er beim Korso im Einsatz. „Das ist meine Art etwas zurückzugeben“, erklärt der Rentner. Wenn er nicht gerade die Rallye oder den Korso absichert, dann schraubt er im PS-Depot Motorrad und darf auch mal Maschinen fahren, die ansonsten für ihn unerreichbar wären.

Begrüßung im Ziel
Alle Fotos: Kügler
Der Vorsitzende des Kuratoriums lobt an diesem Abend kurz und knapp das Engagement der Ehrenamtlichen. Ganz unhanseatisch spricht er vom „Arsch aufreißen“, ohne dass diese Ausfahrt nicht möglich wäre. Dafür fordert er einen kräftigen Applaus ein.

Am nächsten Tag frage ich PS-Eventchefin Annika Schmitt, wie viele Menschen mit den Einbecker Oldtimer-Tagen beschäftigt sind und wie viele Arbeitsstunden in der Veranstaltung drinstecken. Die Personenzahl kann sie noch „Pi mal Daumen“ abschätzen. Aber bei der Stundenzahl muss sie passen. „Aber die will ich auch gar nicht ausrechnen“, beendet sie das Thema. Was zähle, sei das gelungene Ergebnis.

Die Resultate der touristischen Ausfahrt mit Wertungsprüfung sind nach Altersklassen geteilt und nach Pkw und Motorrad. In der Kategorie A 5 geht der erste Platz an Dr. Anastasios Neofitidis. Der Mittvierziger aus Herzberg nennt mehrere Oldtimer sein Eigen. In diesem Jahr sind er und seine Frau mit einem Mercury Montclair aus dem Jahr 1955 an den Start gegangen. Das ist ein Relikt aus den besten Tagen der amerikanischen Automobile. Kurz danach begann die lange Phase des Niedergangs.

Die Fahrt ist das Ziel

Anastasios Neofitidis ist scghon recht old school. Oldtimer fahren, pflegen und auch Hand anlegen ist für ihn eine Leidenschaft und keine Geldanlage. „Ich bin damit groß geworden“, betont der Sohn eines Kfz-Mechaniker. Dass er den ersten Preis gewonnen hat, das sei schöne Nebensache. Wichtiger ist dem Mann aus Herzberg die gemeinsame Ausfahrt und das Erlebnis PS.Speicher- Rallye.

Wir schaffen es auf Platz 61 der Gesamtwertung und haben uns damit im Vergleich zum Vorjahr deutlich verbessert. Bei einer reinen Fahrzeit von 4 Stunden 10 für 163 Kilometer haben wir die Langsamkeit entdeckt.

Donnerstag, 14. Juli 2022

Amadeus rockt nur zögerlich

Eine bunte Inszenierung: Cosi fan tutte bei den Schlossfestspielen

Bunt bis schrill, eine Herausforderung für die Augen, rasant auf alle Fälle, eine Reihe von Highlights, bestimmt gefällig, aber der letzte Schritt zu einer Neuinterpretation fehlt dann doch. So lässt sich die Inszenierung von "Cosi fan tutte" bei den Schlossfestspielen in Sonderhausen zusammenfassen.

Angesiedelt ist die Oper in Neapel, Das schlägt sich im Bühnenbild von Birte Wallbaum nieder, nur versteht es kaum einer. Neapel war im 17. und 18. Jahrhundert nicht nur Europas größte, sondern auch reichste Stadt. Um den Reichtum zur Schau zu tragen, fliesten die Neapolitaner ihre Häuser von außen. Deswegen bestimmen die Fayencen das Bühnenbild.

Schön ist es, das Geschehen auf einem Präsentierteller zu platzieren. Schließlich werden ja Gefühle zur Schau getragen. Leider verengt es den Raum zusätzlich, so dass kaum mehr möglich ist als " Auftritt - Arie - Abgang". Das hätte den Herrn Mozart sicherlich geärgert. Er wollte doch diese Limitierung der Opera seria überwinden.

Das gehört zu den stillen Momenten
in einer rasanten Inszenierung
Alle Fotos: Kügler
Überhaupt findet die Aufführung am falschen Ort statt. Diese farbenfrohe und rasante Inszenierung hätte mehr Licht und mehr Luft verdient. Lustgarten und Park wären der passende Rahmen gewesen. So verdeutlicht der Kontrast zum Grau-in-Grau-in-Grau des Hintergrunds einzig den bedenkenswerten Zustand des Schloss Sondershausen.

Die Kostüme sind eine Augenweide und schlagen die Brücke vom späten 18. ins frühe 21. Jahrhunderts. Don Alfonso wirkt wie der Urururgroßvater von Thomas Gottschalk oder anderen eitlen Gecken der Gegenwart. Nur Ferrandos Stiefel sind dann doch zu viel. Angesichts solcher Fußbekleidung besteht ernsthaft die Gefahr des Augenkrebs.

Schön ist der Einfall von Regisseur Matthias Kitter mit dem stummen Mozart eine siebte Person einzuführen. Er eröffnet damit eine neue Ebene. Wortlos aber gestenreich gelingt es Florian Hackspiel in dieser Rolle wichtige Kommentare zum eigenen Werk zu liefern. Gelegentlich macht er dies mit den "Rock me Amadeus"-Gestus.

Auch "Cosi fan tutte" bleibt nicht von Corona verschont und die kurzfristigen Umbesetzungen schlagen sich nieder. In diesem Fall leider auf den Paargesang von Fiordiligi-Dorabella und Ferrando-Guglielmo. Aber das ist den Umständen der Jetztzeit geschuldet.

Gelegentlich funktioniert das Zusammenspiel mit dem Loh-Orchester in den Rezitativen nicht. Erzählung und Klavierbegleitung sind nicht auf derselben Höhe.

Die Säulen

Das zahlt es sich aus, dass die dominante Rolle des Don Alfonso mit Thomas Kohl besetzt ist. Souverän in Stimme und Gestus lenkt er das Geschehen ab der ersten Szene und mittlerweile kann Kohl auch mimisch überzeugen. Nicht einmal in den Momenten der geplanten Verwirrung ist er stets der Herr der Lage.

Rock me Amadeus: Mozart
liegt ihnen zu Füßen
Die andere Säule der Inszenierung ist Amelie Petrich in der Rolle der Despina. Sie arbeitet mit der gleichen Souveränität wie ihre Verbündeter Don Alfonso. Sollte es Ende 2022 ein Preis für die Intrigantin des Jahres geben, Petrich wäre ein heiße Anwärterin darauf .

Regisseur Michael Kitter hat eine parodistische Auseinandersetzung mit Rollenbildern versprochen. Doch leider tragen sein Ferrando und sein Guglielmo zu oft zu dick auf. Das Klischee feiert ein Hochamt und die Parodie kippt in den Klamauk. Ferrando und Guglielmo sind eindeutig testosterongeschwängert und ihr Macho-Gehabe ist hart an der Grenze zum Fremdschämen. Die Parodie wird hier mit recht grober Feder gezeichnet. Philipp Franke und seine Fans haben aber ihren Spaß daran.

"Cosi fan tutte" zählt nicht zu Mozarts Meisterwerken. Man merkt der Oper an, dass er hier mit heißer Nadel einen damals geläufigen Stoff mit heißer Nadel gestrickt und vertont hat. RTL II präsentiert das Thema als Dauerbrenner "Frauentausch" innerhalb von 45 Minuten. Da wirkt es schon etwas antiquiert, Mozarts Werk in der Originallänge zu präsentiere. Etwas dramatische Zuspitzung würde der handlungsarmen Oper sicherlich gut tun.

 

Sonntag, 10. Juli 2022

Die letzten ihrer Art

Lebendige Dinos: Alsmann und Band bei den Kreuzgangkonzerten

Sich für Götz Alsmann und Band zu begeistern, das ist wie Eulen nach Athen tragen. Man muss dieses Ensemble einfach bewundern. Warum? Das will ich in ornithologischer Sorgfalt erklären. 

Götz Alsmann und Band sind Garanten für beste Unterhaltung. Sie liefern an diesem Wochenende gleich zweimal in Walkenried ab  und sie liefern mehr als bestellt. Im Publikum der Kreuzgangkonzerte sitzen Wiederholungstäter. Sie wissen, was sie von Alsmann zu erwarten haben und ihre Erwartungen werden auch dieses Mal in jeder Hinsicht übererfüllt.

Auf der Bühne im klösterlichen Kreuzgart stehen lebendige Dinos. Es sind Überlebende aus den goldenen Tagen der Revuen und Samstagabendshows. Götz Alsmann ist bestimm der letzte seiner Art und vor allem seiner Qualität, Alsmann ist ein Entertainer, und in seiner Komplexität wohl einmalig. Das was er macht, beherrscht er in einer Art und Weise, die an Perfektion grenzt. Das beste daran? Er macht es locker und lässig und ohne sichtbare Anspannung und Verkrampfung.

Der Begriff Konzert ist zu kurz gegriffen. Götz Alsmann liefert eine komplette Show ab. Es gibt nicht nur Musik, sondern einen Ausflug in die Zeitgeschichte mit Lyrik und Prosa. Götz Alsmann schafft es immer wieder, im Publikum das Kopfkino anzuschalten. Er ist bestimmt keine Rampensau, sondern ein Feintechniker. Die Grenze ist klar. Es gibt keine Anbiederung. Man bleibt beim "Sie" und "Meine Damen und Herren". 

Als er zu Beginn des zweiten Sets wortreich durch die dunkle Nacht streift, um auf einem vergessenen Friedhof die Lösung aller Musikerprobleme zu finden, da spürt man als Zuhörer den tosenden Wind und den klatschenden Regen geradezu. Künstler und Publikum sind ein eingespieltes Team. Es weiß auch ohne Anweisung, wo die "Oooohs" und "Aaahs" hingehören.

Wie in alten Zeiten: Alsmann spielt
auf seinem Kinderklavier.
Alle Fotos: Thomas Kügler
Die Musik ist nur komplett mit der Moderation. Götz Alsmann ist ein Meister des gesprochenen Wortes. Er kennt die Nebenbedeutungen und baut bombastische Wortungetüme auf, sonnt sich in deren Glanz und weiß, welche Assoziationen bei beim Auditorium in Gang setzt. Weil er sein Publikum eben kennt. Wenn er Szenen aus längst abgelaufenen Filmen schildert, dann teilen er und sein Publikum Kindheitserinnerungen. Das knüpft das Band zwischen Künstler und Auditorium und dieses Band ist nicht zart sondern kräftig und seit vielen Jahren erprobt.

Das versuchen einige seiner Kolleginnen und Kollegen auch. Aber Alsmanns Kunst besteht darin, dem Publikum das Gefühl zu geben, das das, was es gerade erlebt, einzigartig ist und nur für diesen einen Abend gilt. Die Architektur tut in Walkenried ihren Teil dafür. Gleich zweimal schlägt die Glocke der Kapelle einfach passend in das Programm. Das gibt es wirklich nur bei den Kreuzgangkonzerten und nur an diesem Abend. Das gilt auch für den Hinweis auf den Spielort Kloster.

Das Gesamtpaket ist eine Mischung aus Musik, Reminiszenzen und Klamauk auf höchsten Niveau, gewürzt mit Tiefgang. Es kippt aber nie in den Kitsch, weil Alsmann und sein Publikum Souveränität ausstrahlen, Selbstironie besitzen und über sich selbst lachen können.

Die Musik

Das Programm heißt "L.i.e.b.e." und es versammelt Songs zum Thema Nummer eins der populären Musik aus rund 40 Jahren. Es sind Songs über glückliche, unglückliche und verunglückte Liebschaften. Die Arrangements drehen sich um das, was man Mitte des 20. Jahrhunderts für exotisch gehalten hat. Es gibt viel Mambo und Rumba, Swing und Blues und Bossa nova geht sowieso immer.

Sie können auch anders: 
Sicking und Alsmann rocken. 
Dennoch werden einige Gewohnheiten auf die Probe gestellt. Das geht bis an die Blasphemie. Sinatras "Summerwind" kommt als Rumba daher und "Man müsste Klavier spielen" wird zum Rhythm'n'Blues umfunktioniert, inklusive Tastensolo in Jerry Lee Lewis-Manier.

Egal, was Alsmann und Abend an diesem Abend bei dem Kreuzgangkonzerten spielen, über allem steht das Credo: "Es muss swingen, es muss Spaß machen". Davon gibt es eine ganze Menge. Darin liegt die Qualität dieser Band. Die Jungs haben Spaß an ihrem Tun und damit reißen sie das Publikum mit. So muss das sein.

Abgesehen vom Schlagzeuger Dominik Hahn sind alle Mitmusiker alle Bekannte. Der Kern des Ensembles spielt schon seit langer Zeit zusammen und es hat sich deswegen eine Leichtigkeit eingestellt, die einfach gut tut.

Dabei ist Götz Alsmann in die Rolle des Primus inter pares gerutscht. Genauso wichtig, wie sein Tastenspiel ist Altfrid Sicking am Vibraphone oder Markus Passlik als Perkussionist. Der legt Ausdruckstanz mit Rumba-Rasseln hin und Ingo Senst darf am Bass auch mal glänzen. 

Erst in der Zugabe steht Alsmann als Solist mit Ukulele auf der Bühne. Jetzt wird es sehr intim. Zum Abschluss dürfen noch mal alle Kollegen an die Instrumente und dann an die Rampe. 

Egal, was sie spielen, es geschieht nach dem Konzept, dass die Musik Mitte des 20. Jahrhundert so locker gemacht hat. Ein paar große Jungs kommen zusammen, die ähnliche musikalische Vorstellungen haben. Man entwickelt gemeinsam Themen, variiert die und wenn sich niemand im Kräutergarten verirrt, dann finden zum Schluss alle wieder zusammen. Damit das gelingt, bedarf es aber einer ordentlichen Portion Meisterschaft und Souveränität , die eben nicht mehr jeder hat. Deswegen sind Abende mit Alsmann und Band so wichtig, egal was sie spielen. 

 



Donnerstag, 7. Juli 2022

This Pisspott is art

Konferenz am DT Göttingen: Warum Wilhelm Busch so aktuell ist

Einblicke in das Leben warten manchmal dort, wo man sie gar nicht erwartet. Auf jeden Falle bietet “PARDAUZ! SCHNUPDIWUP! KLIRRBATSCH! RABUM!” eine Menge an Erleuchtung. Mit dieser Uraufführung legt Annette Pullen einen Einstand nach Maß am Deutschen Theater in Göttingen. Ihre Inszenierung einer Wilhelm-Busch-Revue hat Witz, Tiefgang, Satire, Finten, Selbstironie, Diskussionsbedarf und Unterhaltungswert. Mehr kann man sich nicht wünschen.

Dabei hat Pullen gleich zwei prominente Hebammen. Die Vorlage stammt von niemanden geringen als Rebekka Kricheldorf und Hannah Zufall und wurde eigens für Göttingen geschrieben. Wilhelm Busch hätte das Stück bestimmt gefallen. Zu seinem 190. Geburtstag schaffen die beiden Autorinnen es nicht nur, dessen Kampf gegen Spießer und Selbstgerechte mit anderen Mitteln fortzusetzen. Sie machen auch deutlich, dass nicht “Max und Moritz” sondern “Die fromme Helene” wohl sein Schlüsselwerk ist. Was als Klamauk beginnt, endet mit einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der Literatur des 19. Jahrhunderts und mit den Empfindlichkeiten der Gegenwart.

Die Führung

Die Lämpels haben die Herrschaft übernommen. Das Publikum versammelt sich vor dem Theater zur 190. Jahrestagung der Wilhelm-Busch-Figuren. Die Schwester des Namensgeber backt Pfannkuchen und verteilt sich an die Umstehenden. Es könnte der Auftakt zu einem fröhlichen Sommerabend werden.

Die Lämpels sind mitten unter uns. 
Alle Fotos: Thomas Kügler

Aber zahlreiche Lehrerplagiate streifen in schwarz-weiß durch die Ansammlung und rufen die Besuc
herinnen und Besucher zur Mäßigung auf. Nicht bei jedem kommt das gut, aber das Risiko muss man eingehen, wenn man ein Stück als Mitmachtheater konzipiert. Ausgangspunkt dieser Inszenierung ist eine imaginäre Konferenz und im zweiten Teil des Abends gibt es viele Seitenhiebe auf die Rituale von Kongressen und auf die Teilnehmer an diesen Ritualen.

Das Publikum wird geteilt. Die Besucher mit dem blauen Armband folgen dem Lämpel-Imitat mit dem blauen Schild, die mit dem roten Armband folgen dem Lämpel-Imitat mit dem roten Schild. Die Szenenfolge beginnt mit einer Krise im weiß-blauen Bierzelt. 1864 studiert Wilhelm Busch in München Malerei ohne Erfolg. Er ist mit seinem Latein am Ende und der Vater mit der Geduld und dem Geld. Immerhin hat Busch junior die 30 schon überschritten, ohne zu wissen, wohin es gehen soll. Er steht also am Wendepunkt und taugt nicht zum Held sein.

Es kommt zum Krach mit den Freunden aus der Boheme und Gabriel von Berlepsch gibt einen wunderbaren zornentbrannten Busch. Trotz anschließender Versöhnung ist der Bruch mit diesem Lebensabschnitt klar. Wunderbar gelingt es dem Trio Gerd Zinck, von Berlepsch und Roman Majewski im Fotostudio das Publikum einzubeziehen in diesem Abschied. wie überhaupt an den ganzen Abend über die Besucher immer wieder zu Akteuren gemacht werden. Das ensemble nimmt das publikum Ernst und alle haben ihren Spaß dabei.

Die nächste Station zeigt den alten Busch, der sich in seinem Heimatort Wiedesahl vor der Welt versteckt und sich von seiner Schwester Fanny bekochen lässt. Trotzdem hat der Eremit seine Augen nicht vor der Welt verschlossen und kennt die Nöte seiner Zeitgenossen zu genau. Ronny Thalmeyer interpretiert den alten Busch vor allem als Mitmenschen.

Die biografischen Eckdaten sind gesetzt, nun geht es ins Museum. Im Lämpel-Outfit gibt Bastian Dulisch einen dreisprachig radebrechenden Museumsführer, der die Ausstellungspolitik seines Hauses nicht ganz ernst zu nehmen scheint. Die Seitenhiebe auf die übliche Heldenverehrung gipfelt in einem ausgestellten Nachttopf und dem Bekenntnis “This Pisspott is art.”

Im Ausstellungsraum zwei zeigt Anna Paula Muth ebenfalls dreisprachig dem Publikum den richtigen Weg zwischen vielen falschen Fährte. In der Mitte steht eine kolosse Vitrine mit imposanten Schmetterlingen. Doch entscheidend sind die Bienen, die alle einen Namen haben. Man übersieht sie fast zwischen all dem Offensichtlichen. Diese witzige Lektion in Sachen “Traue nie dem Schein” wäre wohl auch im Sinne Busch gewesen.

Die Führung endet im DT-Keller, der den Hauptbahnhof Mainz darstellen soll. Hier traf sich Busch im Herbst 1875 mit der Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Marie Anderson. Der Disput der beiden stellt immer wieder die Frage nach dem Image der eigenen Person und die Frage “Was bleibt von mir in Erinnerung. Ob es einen Sieger in diesem Streit gab und wer es war, das darf jeder im Publikum für sich beantworten.

Der Kongress lacht

Das Heute findet im DT-1 statt. Hier im Großen Haus tagt die Versammlung der Wilhelm-Busch-Figuren und stellt sich ganz gegenwärtige Fragen. Es geht um Akzeptanz und Relevanz der eigenen Person in der Gegenwart. Die überstrapazierte “Identität” taucht dankenswerter Weise nicht auf.

Schicksalsgöttin, Hobbydichter und
Lausbuben: Der Busch-Kosmos besteht
den Realitätstest. 
Foto: Kügler 
Mit Julchen ist es wiederum eine Nebenfigur, die in das Rampenlicht gerückt. Nathalie Thiede gibt dieser Figur eine ganz gegenwärtige Gestalt. Solche Typen kennt man von jedem Elternabend oder ähnlichen Veranstaltungen. Immer etwas überdreht vor dem großen Auftritt und ansonsten immer um Friede-Freude-Eierkuchen bemüht. Die Autorinnen und die Regisseurin nutzen die Chance, die ihnen Busch mit seine angedeuteten Figuren gegeben hat und bauen sie zu echten Charakteren aus.

Es folgt das Geplänkel, dass im Vorfeld einer solchen Versammlung üblich ist. Da wird um die Sitzordnung gerungen, über die Tagesordnung gestritten und natürlich darf auch eine Auseinandersetzung über wer wie wann und wo angesprochen wird nicht fehlen. Marco Matthes ist als Sitzungsleiter Lämpel so herrlich überfordert, dass man gelegentlich Mitleid mit ihm bekommt. Sein Bekenntnis, dass er die Rolle des Ordnungshüter nur spiele, weil es ja irgendjemand machen müsse, klingt ehrlich, herzergreifend und überzeugend.

Doch die inhaltlichen Schwerpunkte setzen zwei Frauen. In der Rolle der frommen Helene hält Rebecca Klingenberg ein starkes Plädoyer für das Recht auf Scheitern, das man mit Applaus quittieren muss. In den Zeiten der Selbstoptimierer ist den Autorinnen und der Regisseurin ein passender Gegenentwurf gelungen.

Andrea Casabianchi geht subtiler vor. Mit wohl gesetzten Worten stellt sie in der Rolle der Schicksalsgöttin die Fragen, was heute noch als erlaubt gilt. Sind die Busch-Figuren nur noch von bedauernswerten Gestalten umgeben? Darf man nur über das Lachen, was die Lämpels dieser Welt zulassen?Das alles im Gewand der Turandot gekleidet. Die Antworten dazu darf man sich selbst geben und deswegen ist das Stück so gelungen. Es verzichtet auf schwarze Pädagogik und erhobene Zeigefinger. Am Ende gibt Lämpel kleinbei und findet Trost in der neuen Lockerheit.

Es erschließt sich nicht auf den ersten und auch nicht auf den zweiten Blick, welchen Bezug das Bühnenbild von Gregor Sturm zu Busch hat. Aber fliegende Schränke sehen nicht nur fantastisch aus, sie hätten dem Wilhelm bestimmt auch gefallen.





Dienstag, 21. Juni 2022

Weitaus mehr als Standard A und Standand B

NDR Ensemble überzeugt mit anderer Sicht auf Gewohntes

Das war der Schritt in eine neue Dimension. Die Elphcellisten gastierten zum ersten Mal bei den Walkenrieder Kreuzgangkonzerten. Weil sie eine andere Sicht auf Orchestermusik zeigten, hinterließen die 11 Hanseaten ein begeistertes Publikum.

In diesem Ensemble haben sich 2017 elf Musikerinnen und Musiker zusammengefunden, die ansonsten für den NDR die Elbphilharmonie bespielen. Alle bringen das gleiche Instrument mit, nämlich jeweils ein Cello. Da taucht die Frage auf: Wie kann man nur auf die Idee kommen, ein Ensemble zu gründen, das nur aus lauter Stehgeigern besteht. Schließlich ist das Cello nach Vivaldi und Bach in den klassischen Hintergrund geraten. Das Angebot an Literatur für dieses Instrument ist überschaubar und viele zitieren gern Dvorak Sentenz vom unten brummen und oben quietschen.

Nach dem Gastspiel in Walkenried muss man die Frag stellen: Warum hat es mehr als 500 Jahre gedauert, bis jemand den Geistesblitz hatte, ein Orchester nur mit Celli zu bestücken?  Die Elpcellisten zeigten mehrfach die gesamte Vielfalt des Instruments und was alles möglich im Zusammenspiel.

Dabei kommt dem Ensemble die Ausstattung des Instruments zugute. Mit vier Oktaven bietet es ein Spektrum, das anderen klassischen Streichinstrument verwehrt bleibt. Zudem liegt das Cello in etwa auf den Frequenzen menschlicher Singstimmen. Damit kann es bei den Zuhörerinnen und Zuhörern durchaus einschmeicheln

Das Programm   

Der Abend ist zweigeteilt und folgt einer einfachen und überzeugenden Dramaturgie. Der erste Teil des Programms gehört fast ausschließlich den Spät- und Neoromantikern, bis es im zweiten Teil deutlich rhythmusbetont wird.

Eine innige Beziehung.
Alle Fotos: Kügler
Den Auftakt machen drei Lieder des Schweden Hugo Alfvén. Im "Aftonen" ist zuerst die volle Wucht von elf Celli, die aber weich wie ein Welle der Ostsee daherkommt. Dann übernehmen drei Instrumente die Stimmführung, die anschließend von den Kolleginnen und Kollegen differenziert wird. Entsprechend des Titels stellt sich gleich dieses wohlige Abendgefühl im Publikum.

Das "Och jungfrun hon gar i ringen" kontrastiert und zeigt sich spielerisch und tänzerisch. Zum ersten Mal spielen die Elphcellisten den gesamten Tonumfang ihrer Instrumente zur Geltung. Im Wechselspiel wird deutlich, dass auch diese Ensemble über ein blindes Verstehen verfügt. Es kommt ohne sichtbares Dirigat aus und beweist damit technisch das höchste Niveau.

Der "Pseudo Yoik" des Zeitgenossen Jaaka Mäntyjärvi  ist aus anderem Holz geschnitzt. Hier klingt alles nach Folklore und die Celli verwandeln sich zumindest akustisch in Fiedeln. Als dann auch noch die Absätze des Ensembles auf die Bühne knallen, ist man zumindest mental auf einer Tanzveranstaltung. 

Der "Valse triste" von Jean Sibelius entwickelt sich erst langsam aber dann gewaltig. Gezupfte Celli legen die Basis für die sanften Streicher. Nur sehr leise ist der Walzer zu hören. Doch dann brandet aus dem Tutti eine umwerfende Dynamik heraus und der anfangs so verhaltene Walzer endet in einem wahren Klanggewitter. Jetzt wird klar, dass das Cello wie geschaffen ist für Räume wie den Kreuzgang in Walkenried. Architektur und Instrument gehen hier ein Symbiose voller Klanggenuss ein. Da braucht es keine Elektrik. 

Eben gerade noch eine Wand aus Klang, nun ein transparentes Klanggewebe. Im Präludium zu Griegs Suite "Aus Holbergs Zeit" scheinen die Musikerinne und Musiker Hummeln im Hintern zu haben. Aber im tänzerischen Miteinandern ist jedes einzelne Insekt deutlich zu hören. Niemand dominiert hier den anderen. 

Auch das Air ist vom Wechselspiel der elf Freunde geprägt. Im Arrangement erinnert es an Bach. Über dem Continuo variieren kurze Soli ein Thema. Dabi nutzen die Hanseaten wieder den gesamten Tonumfang. Zum ersten Mal stellt sich an diesem Abend die Frage: "Wer braucht eigentlich ein komplettes Orchester wenn er die Elphcellisten hat?"

Noch vor der Pausen gibt es mit "Los trajabadores agricolas" von Alberto Ginastera den Systemwechsel. die Träumereien sind vorbei, es wird rhythmischer. Das Tutti überrascht das Publikum mit einer Wand von Wohlklang. Aus dem Staccato differenziert sich das Klangbild deutlich. Am ende steht Wechselspiel zwischen links und rechts mit sehr viel Flamencogefühl

Nach der Pause

 Das Intermezzo aus der "Cavalleria rusticana" von Pietro Mascagni bringt noch einmal ein Wechselspiel. Vier Celli auf der linken Seite beginnen mit einer leichten Melodie, dann zupft die Mitte zweimal und auf der rechten Seite antworten vier Celli mit derselben Melodie. Dann wird in der Mitte wieder gezupft und es geht links weiter. Wieder tänzerisch und luftig. So muss sich ein Ausflug auf dem Land anhören wenn man mit dem Pferd unterwegs ist.

Das Cello kann fast alles, selbst Tango. Das zeigen die Elphcellisten mit den drei Stücken von Carlos Garciá. Erst wird geschmachtet, dann gezürnt und zum Schluss versöhnt. Immer wieder entwickelt aus dem Staccato der Tutti ein Dialog. Die Celli bewältigen die Gefühlsausbrüche des Tangos wunderbar. Das Instrument ist wie geschaffen für die explosiven Stimmungen und expressiven Sprünge in diesem Genre. 

Die "La Peregrinación" von Ariel Ramirez führen dann in ruhiges Fahrwasser zurück. Mitte rechts legt ein Cello mit perlenden, elektronisch anmutenden, gezupften Tönen die Basis für die weichen Streicher. Im Wechselspiel entwickeln sie eine Melodie, die an einen klassischen Chanson erinnert. Ohne Wehklagen singen die Instrumente von der Schönheit des Lebens an einem lauen Abend im Sommer. Augen zu und träumen lautet die Empfehlung. 

Die Enttäuschung ist an diesem Abend der erste Teil der West Side Story-Trilogie. Der "Maria" fehlt die Expressivität dieses Schmachte-Klassikers. Erst im "Dance" können die Elphcellisten wieder mit der Melodie-Entwicklung glänzen. Aus dem Tornado des Tutti schält sich Schicht um Schicht ein Blues heraus, der sich Ton für ton für Ton in Wohlgefallen auflöst.

Der abschließende "Mambo" zeigt noch einmal den ganzen Spaß, den die Musikerinnen und Musiker am eigenen Tun haben. Der Funke springt schon beim ersten Refrain auf das Publikum über. Das erklatscht sich dann auch eine Zugabe.

Dieses Gastspiel hat gezeigt, dass es sich für alle Beteiligten lohnt, in scheinbar sicheren Gefilden mal eine andere Route zu nehmen. Nur so gewinnt man neue Perspektiven. Wenn der Akt der neuen Erkenntnisse wie an diesem Abend mit jeder Menge Spaß auf beiden Seiten verbunden ist, dann kann man mehr nicht wollen.




  


Mittwoch, 8. Juni 2022

Zusammenspiel auf höchstem Niveau

Leipziger Bläsersolisten bei den Kreuzgangkonzerten

Am Samstag frech Muse, am Pfingstmontag hohe Kunst. Mit einem Kontrastprogramm eröffneten die Kreuzgangkonzerte Walkenried die 37. Spielzeit. Dabei erstaunten die Bläsersolisten aus dem Leipziger Gewandhaus mit einem Zusammenspiel auf höchsten Niveau.

Diesem Ensemble fehlt nur eins und zwar eine Dirigentin oder ein Dirigent. Aber die elf Musiker aus Leipzig kommen auch ohne Taktstock aus. Ihr Programm "Serenaden zu Pfingsten" zeigte, dass klassische Musik auch ohne Streicher auskommen kann. 

Eine Serenade ist ein Musikstück für die Abendstunden und deswegen mit der Erwartung "ruhig und gelassen" verbunden. Genau dies erfüllt Mozarts 11. Serenade in vier von fünf Sätzen. Das Allegro kommt wahrlich majestätisch daher. Gelassen entwickeln Thomas Ziesch und Ingolf Barchmann an den Klarinetten das Thema, das dann die Blechbläser kontrastieren. Im Wechselspiel von Holz und Metall ergibt sich eine für Mozart ungewohnte Ruhe.

Es ist schon recht voll auf
der kleinen
Bühne.
Alle Fotos: Kügler
Das erste Menuetto übererfüllt die Erwartungen. Dabei ist das fehlerfrei Tanzen im Tutti der erste Beweis des einhelligen Verständnis und blinden Zusammenspiels dieses Ensembles. Das anschließende Adagio wird vom Amanda Taurina und Frank Sonnabend bestimmt. Sie entlocken ihren Oboen einen zauberhaften Klang, der den hohen Raum im Kreuzgang feenhaft und elfengleich füllt.

Im Allegro zieht das Tempo deutlich an. Dieser Satz ist bestimmt vom Trialog zwischen Klarinetten, Oboen und Hörner. Dieser funktioniert tadellos.

In seinem Oktett op. 103 hat Ludwig van Beethoven schon in jungen Jahren diesen Ansatz in der Kammermusik ausgebaut. Die sehr kurzen Soli der Holzbläser werden vom Blech beantwortet, um dann im Tutti ein harmonische Ganzes zu ergeben. Das funktioniert eben nur dann, wenn man sich musikalisch versteht. Bei den Bläsersolisten ist das Verständnis so groß, dass für dieses Werk sogar auf den strukturierenden Kontrabass verzichten können. 

Das Wechselspiel der Instrumentengruppe bestimmt die ersten drei Sätze in op 103 und wer genau hinhört, erkennt im Menuetto das Motiv, das später die 6. Sinfonie, die Pastorale, bestimmen wird. Überhaupt gibt Beethoven hier einen Ausblick auf die kurze Glanzzeit der Holzbläser in der Musik der Frühromantik. Das Leipziger Ensemble weiß dieses sehr gut herauszuarbeiten.

Zu Lebzeiten gehörte Franz Krommer als Kapellmeister am Hof in Wien zu den musikalischen Größen. Heute zählt der Spezialist für Kammermusik eher zu den unbekannten Größen. Auch sein Octett-Partita op. 57 gibt einen Vorgeschmack auf die Romantik. Der Einstieg in das allegro vivace erfolgt kraftvoll im Tutti und bringt die Erkenntnis, dass die Bläsersolisten nicht nur bedächtig können. Im Minuetto presto übernehmen die Hörner die Regie und die Holzbläser antworten nur. 

Das Wechselspiel setzt sich im Adagio fort. Lieder geraten hier wie auch in der anschließenden Alla polacca die Blechbläser so laut, dass von den stimmführenden Oboen nicht viel übrig bleibt.

Zum Abschluss des Abend gibt es in Dvořáks Bläserserenade doch noch Streichereinsatz und das auch noch mit dem vom Komponisten wenig geschätzten Cello. Es ist aber ein düsterer Abend, der im ersten Satz dämmert. Erst das Minuetto bringt den quirligen Dialog von Holz und Metall zurück. Zeitgenosse Smetana hat sich von diesen Passagen hörbar für das Quellen-Thema seiner Moldau-Komposition anregen lassen.

Der Abend endet fulminant Das Staccato der Hörner im Final Allegro Molto greift Motive der Polka auf und das Kopfkino beim Publikum geht an, weil hier jeder Ton sitzt. Nur das Cello hat Schwierigkeiten sich bei diesem Parforceritt Gehör zu verschaffen.

Ihr Zusammenspiel auf höchstem Niveau haben die Bläsersolisten mit dieser Auswahl och einmal bestätigt. Auf jeden Fall belohnt das Publikum diese großartige Leistung mit einer großen Portion Applaus.



Dienstag, 7. Juni 2022

Vorsicht, sie wollen nur spielen

Mit den Zucchini Sistaz raus aus dem Corona-Blues

Besser kann ein Neustart nicht sein. Nach zweieinhalb Jahren Zwangspause waren die Zucchini Sistaz am Pfingstsamstag die ersten auf der Bühne der Kreuzgangkonzert Walkenried. Mit einer Mischung aus Swing, Rumba und Slapstick hat das Trio aus Münster den Corona-Blues innerhalb von Sekunden vertrieben. Am Ende stand die Gewissheit: Klatschen und Johlen macht allen Spaß, den Musikerinnen und dem Publikum gleichermaßen.

Wenn es jemanden gibt, auf dem die alte Weisheit "Entscheidend is' auf'n Platz" gilt, dann für diese Drei. Seit 13 Jahren gibt die Formation, aber auf der Habenseite steht nur ein Album. Aufgehoben wird das vermeintliche Manko durch eine Tourliste, die selbst in diesem Jahr so lang ist wie das Telefonbuch von Walkenried. Die Zcchini Sistaz zeichnen sich einfach durch eine Lust am Spielen aus, die nur wenige Ensembles in Deutschland aufweisen.

Die Rhythmusgruppe Balandat  
und Werzinger.
Das Trio muss man als Gesamtkunstwerk verstehen. Das beginnt schon mit dem Outfit. Die drei Damen sind in Grün in allen möglichen Schattierungen gekleidet, Das geht bis zum Lidschatten. Die Garderobe ist irgendwo verortet zwischen 30-er und 50-er Jahre. Es ist eine Hommage an die Dance Hall Days und ihre Leichtigkeit in schweren Zeiten. Anleihen bei den Andrew Sister sind wohl kalkuliert, inklusive des Chorgesangs mit drei Mezzosoprans. 

Inwieweit dies Ehrerbietung oder Persiflage ist, Vergangenheitsbewältigung oder Spiel mit immer noch bestehenden Klischees, das darf das Publikum selbst entscheiden. Das zahlreiche Augenzwinkern des Trios erleichtert die Entscheidung .

Das Programm startet mit Swing und es endet mit Swing, Dazwischen gibt es jede Menge lateinamerikanische Klänge und alles, was in der Mitte des 20. Jahrhunderts für Exotik stand. Aber auch Songs aus der Jahrtausendwende bewältigen die Drei mit der ihnen eigenen Leichtigkeit. Ausgerechnet mit "Monotonie in der Südsee" von Ideal durchbrechen sie ihr gewohntes Hochgeschwindigkeitsschema. Nur eine die Gitarre, ein Glockenspiel, drei Stimmen, dreimal Ahuga und zum Schluss ein Trompetensolo. Dieser NDW-Klassiker klingt so entspannt, dass man wünscht, der Song möge nie zu Ende gehen an diesem Sommerabend.

Mit der "Sentimentalen Reise" machen sie deutlich, dass dies vor allem ein Blues ist. Bei den Zucchini Sitaz klingt "Je veux" so, als wäre es für sie geschrieben worden. Das Prinzip ist einfach. Jule Balandat am Kontrabass und Gitarristin Tina Werzinger legen den Rhythmusteppich, auf dem Multiinstrumentalistin Sinje Schmittker mit verschiedenen Trompeten und Geräten unterschiedlichster Art glänzen darf. Nicht jeder kann eine Posaune klingen lassen wie ein Cabrio mit Startschwierigkeiten. Sinje Schmittker zeigt bei der Zucchini-Version von "Fun Fun Fun" wie es geht. Dafür bekommt sie reichlich Lob von den Mitbewohnerinnen der musikalischen WG.

Erst beim Calypso "Drinking Rum & Cola" durchbrechen sie das Schema. Jetzt darf auch Werzinger mal mit der Gitarre glänzen. Überhaupt macht dieser Hit der Andrew Sisters den doppelten Boden deutlich, auf dem das Trio steht. Schließlich geht es im dem Song um nichts anderes als um Prostitution, verkleidet in leicht verdauliche Musik, Überhaupt lohnt es sich, den Zucchini Sistaz bei ihren Wortspielereien genau zuzuhören. 

Doch der Höhepunkt des Abends ist die Abteilung Sehnsucht. Zurückhaltend kommt "La Mer" als langsamer Walzer daher, die Musik wogt wie die Wellen an der Côte d’Azur. Die Instrumentalisierung ist auf das Minimum beschränkt und Balandat, Werzinger und Schmittker glänzen mit ihren Stimmen. So klingt das Meer und nicht anders.

Beschreibung

La Mer, so und nicht anders klingt das Meer
Die Zucchini Sistaz wären ohne die Moderation von Jule Balandat nur ein halbes Erlebnis. Die drei Musikerinnen sind auch geborene Komödiantinnen. Das zeigen die zwei Slapstickeinblagen im Zeitlupentempo, mit dem sie die Erwartungen an Livemusik auf die Schippe nehmen.

Die Zucchini Sistaz spielen mit dem Publikum und das spielt begeistert mit. Die Rollenverteilung im Trio macht die Identifikation einfach. Da ist die gesprächige Jule Balandat als Leader of the Gang, tina Werzinger als Vamp und "Schnittchen" Schmittker als schweigsames Nesthäkchen, das man beschützen möchte.

Auf jeden Fall findet auf und vor der Bühne eine Symbiose statt, auf die alle viel zu lange verzichten mussten. Ein Konzert ist eben Interaktion, die bietet kein Streaming. Es wird deutlich, dass sowohl die Damen auf der Bühne als auch ihre Fans fast zu lange auf das Lebenselixier "Applaus" verzichten mussten. Aber nun gibt es reichlich davon und am Ende ist niemand mehr unterklatscht.







Mittwoch, 4. Mai 2022

Die Welt braucht diesen Hotzenplotz

Junges Theater Göttingen zeigt den Räuber von einer anderen Seite

Alles passt zusammen. In ihrer Inszenierung von „Der Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete“ verknüpfen Nico Dietrich und Christian Vollmer die klassischen Mittel des Kindertheaters mit einer neuen Aussage. Es funktioniert. Kinder und ältere Hotzenplotz-Fans haben ihren Spaß daran, weil es eben klassisches Mutmacher-Theater bleibt und doch neu ist.

Der Räuber Hotzenplotz ist aus dem Gefängnis ausgerissen. Während die Erwachsenen mit Angst und Schrecken reagieren, fassen Kasperl und Seppel einen mutigen Plan. Sie wollen den Räuber mit einer List einfangen, denn was einmal klappt, das klappt auch ein zweites Mal. Im Zentrum ihres Plan steht eine selbst gebaute Rakete.

Otfried Preußler hat die kurze Geschichte vom Räuber, der auf den Mond will, um sich dort mit Silber einzudecken, bereits 1967 veröffentlicht. Das Werk war als Stück fürs Puppentheater gedacht. Doch „Die Mondrakete“ geriet in Vergessenheit und wurde erst 2018 postum wieder veröffentlicht. Ergänzt und ausgebaut von der Tochter des Autors wurde es dann zum Verkaufsschlager.

Die Aufführung des Jungen Theaters hat alles was gutes Theater auszeichnet. Alle haben Spaß und die Fachleute noch mehr, weil sie die zahlreichen Anspielungen verstehen. So beginnt die Vorstellung mit einer Kaffeemühle und dem Lied „Alles neu macht der Mai“. Das ist die Startsequenz der gesamten Hotzenplotz-Serie.

Zwei Räuber sind einer zu viel.
Alle Fotos: Dorothea Heise

Dann geht es weiter mit dem Puppentheater und all seinen Insignien. Die Frage „Seit ihr auch alle da“ darf nicht fehlen. Das erscheint erst einmal als gute Lösung, um ein Fünf-Persoen-Stück mit drei Schauspielern aufzuführen.

Es folgt der Brückenschlag, die Grenzen werden aufgehoben. Der Hotzenplotz klettert als lebendige Person aus dem Guckkasten auf die Bühne. Die Kinder sind begeistert, die Nebengeräusch sinken auf null. Götz Lautenbach spielt den Räuber so gut, dass man in jeder Altersklasse seine Rachegefühl gegenüber Kasperl und Seppel nur zu gut verstehen. Aber von Anfang weiß auch jeder, dass daraus nichts werden wird. Allen Widrigkeiten zum Trotz werden die Mutigen am Ende siegen.  

Später wird der Seppel von der Bühne in den Guckkasten klettern, um dort Schutz zu suchen. Das Erstaunliche daran? Die Kinder verstehen diese dramaturgische Sprache.

Das Tempo der Inszenierung nimmt zu. Es folgt ein Hin und Her mit den Mitteln des Kindertheaters. Da werden Wörter verdreht, Anspielungen auf andere Hotzenplotz-Ausgaben gemacht, Fragen an das Publikum gestellt und Darsteller rollen sich selbst mit Klebeband ein. Helden und Bösewichter verstecken sich hinter Pappmaché, Türen knallen und irgendwer irrt immer durchs Bühnenbild.

Das Spiel mit dem Publikum funktioniert immer noch. Kinder und Eltern klatschen fleißig und zählen mit. Das Miteinander geht so weit, dass einzelne Kinder spontan helfen, als Kasperl allein den schweren Bollerwagen durch die Landschaft ziehen muss.

Es ist ein Spiel, das die Besonderheiten der Hotzenplotz-Serie aufgreift: Selbstbewusste Kinder lösen Probleme, denen die Erwachsenen nicht gewachsen sind. Im Preußlers Sinne wird das gewürzt mit einer Prise Unverschämtheit und Anarchie. Es bleibt die Gewissheit, dass Frechheit und Freundschaft am Ende siegen werden.

Die Neuerungen fügen sich in dieser Inszenierung harmonisch ein. Kasperl und Seppel rappen über den Räuber und es wirkt noch nicht einmal aufgesetzt. Auch der Hotzenplotz darf später singen. Wunderbar ist die Szene, in der Götz Lautenbach und Florian Donath im Zeitlupen-Modus den Moonwalk zelebrieren.

Am Ende siegt wieder die Freundschaft.
Alle Fotos: Dorothea Heise

„Der Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete“ ist als Stück fürs Puppentheater genregemäß kur geraten und die Aufführung wäre wohl nach 25 Minuten zu Ende, wenn die Inszenierung von Dietrich und Vollmer die dünne Geschichte nicht um eine neue Ebene erweitern würde. Sie stellen die Frage: Was wären Kasperl und Seppel ohne den Räuber?

Als die beiden Helden glauben, dass der Bösewicht tot sei, singen sie ein Klagelied. Dabei stellen sie fest, dass die Welt ohne den Hotzenplotz nicht mehr dieselbe ist. Doch nicht nur die Welt braucht den Hotzenplotz, sondern Kasperl und Seppel brauchen ihn auch. Denn ohne Räuber wäre auch ihr Leben ein anderes. Ohne Hotzenplotz wäre sie bestimmt nicht so mutig und einfallsreich, wie sei es nun mal sind. Damit die Kinder mutig und einfallsreich bleiben, braucht die Welt genau diesen Hotzenplotz.





Mittwoch, 20. April 2022

Dieser Elch hat sich überlebt

Trotz Neuerungen zeigt die Preisverleihung akuten Neuerungsbedarf

Seit 25 Jahren gibt es den „Göttinger Elch“. Am Sonntag wurde Deutschlands einziger Satirepreis im Deutschen Theater verliehen. Trotz einiger Neuerungen zum Geburtstag wurde deutlich, dass das Prozedere einige Korrekturen braucht, damit der „Göttinger Elch“ lebendig bleibt.

Als Preisträgerin 2021 wurde Maren Kroymann ausgezeichnet. Preisträger für das Jahr 2022 ist Eugen Egner. Corona-bedingt gab es 2020 keinen Preisträger.

Maren Kroymann zeigte sich bei ihrer Dankesrede glücklich. Sie sei vor allem darüber froh, dass es unter ihren zahlreichen Auszeichnungen der erste Preis sei, der ihr nicht im Zusammenhang mit einer Fernsehsendung verliehen wurde. Zudem bedankte sie sich bei all denjenigen, die sie beim Karrierestart Mitte der 80-er Jahre unterstützt hatten.

Maren Kroymann hat mit dem Programm „Auf du und du mit dem Stöckelschuh“ 1982 die Bühne betreten. Sie bot als erste Kabarettistin einen Zugang, der nicht so verkopft war wie die Programme der Schwergewichte Dieter Hildebrandt oder Hanns Dieter Hüsch.

Sie war auch die erste Frau im deutschen Fernsehen, die ab 1993 mit der gleichnamigen Sendung ein eigenes Format auf Sendung hatte. Hildebrandt und Hüsch hat sie überlebt und stilbildend war Maren Kroymann mit ihrem leichteren Ansatz zur gesellschaftlichen Kritik bestimmt. Dafür bekam sie 2021 den Göttinger Elch, dessen Verleihung nun nachgeholt wurde.

Anders sieht es mit Eugen Egner aus. Der gehört eher in die Kategorie Geheimtipp. Obwohl der Zeichner und Musiker aus Wuppertal 1971 einen formidablen Start hingelegte, ist er nie ins Licht der großen Öffentlichkeit gerückt. Seine Zeichnungen und Karikaturen sind von surrealen Elementen geprägt. Stilistisch verharrt Egner in der Ästhetik der legendären U-Comix. Seit 30 Jahren herrscht hier Stillstand und Reproduktion. Damit ist die Rubrik „Spartenprogramm“ vorprogrammiert.

Scheinbar hat die Corona-Pause dem Elch den Stecker gezogen. Es ist eine Preisverleihung wie Hunderte andere auch. Das anarchistische Moment der vergangenen Jahre ist hinweg. Auch das skurrile Element ist Geschichte. Man verzichtet auch in diesem Jahr auf die Übergabe von 99 Dosen Elchsuppe.

Stattdessen dürfen sich die aktuellen und künftigen Preisträger fortan ins Goldene Buch der Stadt eintragen. Auch die ehemals Geehrten dürfen das nachholen, sofern sie noch leben. Damit ist der Göttinger Elch in der bildungsbürgerlichen Normalität angekommen und das ist eigentlich nicht sein Biotop.

Gelobte oben links, Lobredner und Elch ganz klein.
Foto: Thomas Kügler

Wie so vieles rund um den Göttinger Elch liegt der Schlüssel dazu in der Vergangenheit. Das ist bei einem Preis für das Lebenswerk nicht überraschend. Aber an diesem Abend fällt immer wieder der Name „Titanic“. Irgendwie ist alles mit dem Magazin aus Frankfurt verknüpft. Der Chefredakteur darf zum Schluss noch eine Laudatio auf seinen freien Mitarbeiter Eugen Egner halten.

Überhaupt ist die Liste der Preisträger randvoll mit den Vertretern der „Neuen Frankfurter Schule“. Es sieht so aus, als ob die „Titanic“ aus Sicht des Göttinger Elchs das Monopol auf Satire in Deutschland hat. Dieses Magazin ist für den Göttinger Elch das Zentralgestirn seines humoristischen Universums. Dabei ist es eher zu einer Parallelwelt geworden. "Aus der Zeit gefallen" ist eine in den letzten Jahren überstrapazierte Formulierung. Auf diese Veranstaltung trifft sie ohne Einschränkung zu.

Dass es mit dem „Eulenspiegel“ einen weiteren Vertreter aus diesem Genre gibt, der sich sogar besser am Markt behauptet, hat man in der Jury aus lauter Westdeutschen noch nicht wahrgenommen. Somit verwundert es nicht, dass sich selbst im Jahre 32 der deutschen Einheit immer noch kein Satiriker oder Satirikerin aus Ostdeutschland im Reigen der Göttinger Elche findet. Dieser wird dominiert von Künstlerinnen und Künstlern, die zwischen den späten 70ern und den frühen 90ern prägend waren.

Der Göttinger Elch ist in die Jahre gekommen und dies spiegelt sich auch im Publikum wider. Das wird von der Generation Ü 60 dominiert. Ein Milieu feiert hier die Helden der einst rebellischen Jugend. Damals hätte man wohl gegen solche Veranstaltungen voller kleinbürgerlicher Selbstzufriedenheit demonstriert.

Georg Haderer, Preisträger 2019, gibt dies unfreiwillig in der Lobrede auf seine Nachfolgerin Kroymann zu. Er bemüht die alten Zeiten und warnt vor den Veränderungen der Jetztzeit. Gegen die Verflachung der Komik müsse man Haltung zeigen. Dass seine Adressaten ein fester Bestandteil des kapitalistischen System ist, gegen dass man weiter opponieren sollten, kann er nicht sehen. Dabei ist seine Videobotschaft noch ein Highlight an diesem Abend.

Ein anderer Höhepunkt ist die Laudatio von Hans Zippert auf Maren Kroymann. Der Kolumnist der „Welt“ stellt unter Beweis, warum er zu den Besten seiner Zunft gehört. Schließlich hat er schon Mitte der 90-er Jahre den Befreiungsschlag aus dem „Titanic“-Sumpf geschafft. Humorvoll und mit jeder Menge Selbstironie blickt er auf die Zusammenarbeit mit Maren Kroymann zurück und versichert glaubhaft, dass er auf weitere Kooperation baut.

Auf der Bühne trifft Bundesliga auf Kreisliga. Moderator des Abends ist der Lokalheld Lars Wätzold und ihm gehen Witz, Selbstironie und Grandezza völlig ab. Stattdessen kalauert er sich mit Anspielungen durch die Veranstaltung, die nur diejenigen verstehen, die wie er zum „Inner Circle“ gehören. Mit seinem Publikum kann er sich immer wieder versichern, auf der richtigen Seite der Debatten zu stehen 

Den größten Lacher produziert noch die Frage eines Zuschauers. Der möchte von Wätzold wissen, warum sich ausgerechnet die städtische Sparkasse nicht mehr an dieser städtischen Auszeichnung beteiligt. Eine Antwort bekommen er und das Publikum aber nicht.

Stattdessen beteuert man sich immer wieder gegenseitig die eigene Überlegenheit im Vergleich zur Welt da draußen. Damit ist der „Göttinger Elch“ zur eigenen Karikatur geworden. Manfred Deix hätte seine Freude an diesen bildungsbürgerlichen Ritualen. Doch als Preisträger kommt der aus natürlichen Gründen nicht mehr in Frage.

Kein großer Schritt nach vorne

 Antje Thoms verabschiedet sich mit ungewöhnlicher Inszenierung

Die Inszenierung ist gut, das Stück hat Schwächen. So lässt sich die letzte Aufführung am Deutschen Theater unter der Regie von Antje Thoms zusammenfassen. Mit „Der Weg zurück“ verabschiedete sie sich nun nach Regensburg.

Am Anfang steht die Überforderung. Daraus wächst der Wunsch nach einem einfachen Leben. Weil es immer mehr Menschen mit diesem Wunsch gibt, ist in den USA die Bewegung der Regression, der langsamen Rückwärtsbewegung, entstanden. Der britische Autor Dennis Kelly hat diese Erscheinung in seinem Stück „The Regression“ verarbeitet.

Das Werk führt durch fünf Generationen. Am Ende der Technikfeindlichkeit steht eine steinzeitliche Gesellschaft. Ausgangspunkt sind „Der Mann“, seine Tochter „Dawn“ und ihr schweres Schicksal. Endpunkt ist eine weitere „Dawn“, die so retardiert ist, dass sie nur noch einsilbige Wörter beherrscht. Was mit Skepsis der modernen Technik gegenüber beginnt, endet mit dem völligen Verfall von Wissen.

Aufführungsort ist die Tiefgararge des DT Göttingen. Diesen Ort gibt das Stück quasi vor. Die Stühle sind zweireihig im Rund aufgebaut. Es wirkt wie die nächste Sitzung der Gruppentherapie. In der Mitte brennt ein Lagerfeuer. Es soll wohl das Feuer sein, um das man sich seit Menschengedenken so gern versammelt und dann Geschichten erzählt.

Am Eingang hat jeder einen Kopfhörer bekommen. Der beschallt das Publikum mit einer Geräuschkulisse und dem Satz „Du bist in Sicherheit“ in der Endlosschleife. Es ist schon klar, dass es sehr intensiv wird.

Der Blick in die Zukunft die Vergangenheit ist.
Alle Fotos: Thomas M. Jauk
Um das Feuer stehen drei Gestalten, „Die Gruppe“ genannt. Sie warten darauf, dass sie endlich anfangen können. Gaby Dey, Paul Wenning und Florian Eppinger fungieren als Erzähler und schaffen die Brücke zwischen den fünf Zeitstationen. Mit ihrer professionellen Lakonie wirken sie wie die Nornen der germanischen Mythologie, direkt der Edda entsprungen. Ganz nüchtern schauen sie mit Publikum  in eine Zukunft, die wie eine Vergangenheit wirkt. Die Zeitebenen geraten mit Absicht durcheinander und der Stuhlkreis sorgt für das Gefühl der Zusammengehörigkeit. Es ist eine fatale Gemeinschaft. Keiner kommt hier raus.  

Dann steigt Gabriel von Berlepsch als „Der Mann“ in den Ring. Auf den Armen eine Puppe, die er ständig wiegt und das Mantra „Du bist in Sicherheit“ in die Ohren flüstert. Zerfahren erzählt er von dem schweren Schicksal, von der Empfängnis unter schwierigen Umständen, der Geburt und dem plötzlichen Tod der Mutter.

Von Berlepsch liefert großen Kunst. Fahrige Bewegungen, den Kopf stets gebeugt und abgehackte Sprache. Da ist ein Mann jenseits der Verzweiflung und von Berlepsch kann dies eindrucksvoll vermitteln. Er steckt in einer unheilvollen Schleife, aber diese zieht die erste Szene unnötig in die Länge.

Die Frau konnte nur mit Hilfe der Technik schwanger werden, mit Hilfe der In-vitro-Fertilisation. Für den Katholik Dennis Kelly scheint dies ein neuer Sündenfall zu sein. Von hier an geht es auf der Schrägen rasant bergab. Fortan müssen alle Frauen ihre Schwangerschaft mit dem Leben bezahlen. So viel wurde seit der Romantik nicht mehr im Kindsbett gestorben.

Oder möchte Kelly dem Publikum mitteilen, dass allein fehlende Mutterliebe der Grund für alles Unheil ist? Schließlich müssen fortan alle Akteure ohne liebende Mutter groß werden. 

Die Anfänge der Technikkritik liegen in der Romantik und da ist es logisch, dass Kelly auf ein weiteres Mittel dieser Epoche zurückgreift, nämlich dem Briefroman. Die nächste Etappe trägt „Die Gruppe“ als Lesung aus Briefen vor. Das Publikum darf sich seinen Teil denken. Was aber angesichts der wirren Gedanken nicht immer einfach ist. Der ruhige Vortrag kontrastiert gut zum dramatischen Geschehen. Auf jeden Fall wird am Ende dieser Etappe heldenhaft gestorben.

Gegenwart und Steinzeit vermischen sich.
Foto: Thomas M. Jauk
Es folgt die Szene mit dem größten Gruseleffekt. Es ist vor allem der Wiedererkennungswert. Der Auftritt der Zwilling sorgt für Entsetzen, denn Nele Sennekamp und Paul Häußer machen in ihrem Vortrag deutlich, dass die Propaganda ihrer Bewegung gar nicht so weit entfernt von den Verlautbarungen esoterischer Gruppierungen der Gegenwart. Auch in die akademischen Debatten über die Risikogesellschaft finden sich im Vortrag der Zwillinge wieder. Verschwörung vermischt sich hier mit Ratio, Analyse mit Befürchtung, gewürzt wird mit Zeitgeist. Jeder Einzelne wird auf die Einhaltung der Regeln eingeschworen, der Totalitarismus kommt als gute Sache daher.

Zudem schaffen die beiden Darsteller es immer wieder, in ihrem gehetzten Vortrag die Spannungen zwischen den beiden ungleichen Geschwistern deutlich zu machen. Egomane trifft auf Verständnisvolle und beide packen jede Menge latente Aggression in ihr oberflächlich freundliches Neusprech. Es verwundert nicht, dass dies tödlich endet.

Nach der nächsten Briefroman-Etappe springt die letzte Dawn in den Ring. Es ist eine Szene voller Entsetzen, denn Alma Nossek spielt eindrucksvoll eine Vierzehnjährige auf dem geistigen Niveau einer Dreijährigen. Bemalt wie ein mystisches Wesen aus der Vergangenheit zeigt sie eine mögliche Zukunft. Es ist erstaunlich wie viel Mienenspiel diese Maske noch zulässt. Zu den großen Kulleraugen gesellt sich die raumgreifende Gestik eines überdrehten Kindes. Das Publikum ist hin- und hergerissen zwischen Mitleid und Entsetzen.

Bei allen Längen und Schwächen des Stücks gelingt Antje Thoms mit ihrer letzten Arbeit am Deutschen Theater ein eindrucksvoller Blick in eine mögliche Zukunft. Dabei kann sie auf ein Ensemble bauen, dass mit seinem abwechslungsreichen Spiel alle Facetten der unheilvollen Entwicklung offenlegt.