Seiten

Seiten

Sonntag, 27. Juli 2014

Gefährliche Liebschaften haben am Ende nur Verlierer

Das Musical als Uraufführung bei den Gandersheimer Domfestspielen

Nun ist das Programm der 56. Gandersheimer Domfestspiele komplett. Ab Freitag erlebten die "Gefährliche Liebschaften" ihre Uraufführung. Eigens für die Bühne vor der Stiftskirche haben Heiko Lippmann, Andreas Gäßler und Christian Doll aus dem Briefroman von 1782 ein Musical gemacht.Leichter verdaulich ist das starke Stück um Lug und Trug dadurch nicht. Es gewinnt eher an Schärfe und deswegen spart das Premierenpublikum am Freitag auch nicht mit Applaus.
Die Marquise Isabelle Merteuil schlägt dem Vicomte Sébastien de Valmont vor, die jugendliche Braut ihres früheren Geliebten Gercourt, Cécile de Volanges, noch vor der Hochzeitsnacht zu verführen. Frühere Intrigen haben die beiden in eine riskante Form der gegenseitigen Abhängigkeit gebracht. Eine Feindschaft könnte beide in den Abgrund stürzen. Das ist die erste Aussage des Musicals.
Die Marquise und der Vicomte pflegen ein System
von Ko-Abhängigkeiten. alle Fotos: Hillebrecht
Doch der Vicomte zeigt wenig Interesse an einer Übereinkunft. Er ist verliebt in die tugendhafte und verheiratete Marie de Tourvel, die bei seiner Tante, der Madame de Rosemonde, auf dem Lande lebt. Fast scheit es, als wollte Valmont ein anderer, ein menschlicher Mensch werden. Doch bei der gestrengen Madame de Tourvel hat der Schwerenöter wenig Chancen, denn sie kennt sein Vorleben.
Derweil haben sich in Paris Cécile und ihr Gesangslehrer, der Chevalier de Danceny, ineinander verliebt. Doch das Techtelmechtel wird von der Mutter beendet und Madame de Volanges schickt ihre Tochter aufs Lands zur Madame de Rosemonde. Als nun Valmont erfährt dass er seine geringen Chancen und seinen schelchten Ruf bei Madame de Tourvel der Madame de Volanges zu verdanken hat, lässt er sich doch auf das Bündnis mit der Marquise Merteuil ein und entjungfert die 15-jährige Céclie. Sein Lohn: eine Nacht mit der unnahbaren Merteuil.
Als Valmont seine Belohnung einfordert, vertröstet ihn die Marquise, denn die Liebe habe ihn zu sehr verändert. Er solle sich erst von Madem de Tourvel lossagen. Doch auch dieser Schritt wird nicht belohnt und im Duell mit dem gehörnten Danceny stürzt sich der Vicomte in dessen Klinge. Er hat den Krieg mit der Merteuil verloren und seine Liebe freiwillig aufgegeben. Doch er sorgt dafür, dass der gefährliche Schriftverkehr mit der Marquise veröffentlicht wird. Nun ist Madame Merteuil gesellschaftlich geächtet, muss Paris verlassen und ihr bleibt keine Möglichkeit, den Triumph auszukosten.
Das Landleben ist von Tugendhaftigkeit geprägt.
Foto: Hillebrecht
Die "Gefährlichen Liebschaften" sind ein Kampf der Kulturen, gut gegen böse, Tugend gegen Niedertracht. Auf der Bühne treffen zwei Welten aufeinander. Links drei purpurfarbenen Stelen mit stilisierten Lilienmuster, davor einige Möbel im Stile des Louis-quinze. Das ist möndan, hier ist schließlich Paris. Rechts symbolisiert ein Tisch und ein paar Stühle das einfache Leben auf dem Landsitz der Madame de Rosemonde. Als Bindeglied dient ein Podest in der Bühnenmitte. Das Bühnenbild von Cornelia Brey bringt die moralischen Auseinandersetzungen auf einen sichtbaren Punkt. Hier wird gestritten, geliebt, gehasst, gesungen, verzweifelt und verführt. Es ist auch die Bühne für die großen Solis in dieser Aufführung.
"Les Liaisons dangereuses" von Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos gilt als der wichtigste französische Roman des 18.Jahrhunderts. Die Mixtur auf Tugend und Boshaftigkeit, aus Liebe und Rache, aus Sex und Macht begeistert immer noch und Wikipedia listet nicht weniger als acht Verfilmungen und eine Oper seit 1959 auf. Damit ist diese Produktion auch ein Wagnis, denn das Publikum bringt seine eigenen Vorstellungen mit in die Aufführung.
Es sind kleine Akzentverschiebungen, die das Musical von Doll, Gäßler und Lippmann  zu einen eigenständigen Werk machen, das Musical über die reine Exegese eines allseits bekannten Werks hinaus hebt. In ihren Solo "Ich bin frei/C'est moi" erzählt die Marquise von ihrem Werdegang. Sie bekommt eine Genese, sie ist nicht von Haus aus schlecht, sondern auch nur ein Produkt ihrer Zeit, ihrer Gesellschaft. Als sie die Mechanismen des Ancien Régime zu den ihren macht, gewinnt sie die Freiheit und die Möglichkeit, andere zu zerstören.
Es ist ganz große Sangeskunst, die Annika Bruhns hier in diesem Solo bietet. Dieser Blues scheint am Ende vor Emotionalität zu expoldieren. Überhaupt gewinnt die Inszenierung an Fahrt und die Musik wird zu berechtigten Partner. Die "Gefährlichen Liebschaften" sind dort stark, wo es freudentrunken geswingt wird oder jazzig und lasziv verschleppt wird.
Anna Preuckeler ist die Ent-
deckung. Foto: Hillebrecht
Die wichtigste Verschiebung ist das neue Zentrum in dieser Inszenierung. Nicht mehr die Händel zwischen der Marquise Merteuil und dem Vicomte Valmont stehen im Mittelpunkt, sondern die Liebe auf dem zweiten Blick zwischen Madame de Tourvel und dem Vicomte. Das ist der glänzenden Besetzung mit Anna Preckeler und Dirk Schäfer zu verdanken.
Das Publikum muss um die Gesundheit der Akteure fürchten, als sich die beiden beim ersten Aufeinandertreffen angiften, es hat Mitleid mit dem Vicomte angesichts seines guten Willens und der Aussichtlosigkeit seines Unterfangens. Zwei gleichwertige Gegenspieler treffen hier aufeinander. Hier will sich jemand ändern und man lässt ihn nicht.  Aus den Gegen- werden die Mitspieler und diese beiden schaffen eben die Wende zum Liebespaar.
Aber Dirk Schäfer schafft auch den anderen Vicomte, den alten, niederträchtigen, als er sich anschließt, rachedürstend auf das Angebot der Marquise eingeht. Genauso glaubwürdig zeigt er, die Verzweiflung und die Resignation des Vicomtes, als jener begreift, dass er dieses Spiel um Macht verloren hat. Alles ist verloren, der Blick geht ins Leere und Erlösung schafft nur der Tod.
Die Entdeckung dieser Aufführung ist Anna Preckeler in der Rolle der Madame de Tourvel, sie hinterlässt den stärksten Eindruck. Sie kann alles: die resolute Tugendhafte am Anfang, die verzweifelnde und suchende Frau in der Mitte, die Verliebte und Himmelhochjauchzende und die Tief enttäuschte. Sie hat zu allen die passende Geste, die passende Mimik und die passende Stimme, besonders als sie mit großer Pop-Attitüde von der befreienden, belebenden Wirkung der Liebe sind und ihre Freude mit preisgekrönter Stimme in den Nachthimmel jauchzt. Sie zeigt eine beeindruckende Präsenz, ohne große Gesten beherrscht sie die Bühne. Es bedarf keiner prophetischer Gaben, um sicher vorherzusagen, dass aus dem Nachwuchsstar in absehbarer Zeit ein erwachsener Star werden wird.
Das Duo Schäfer-Preuckeler bietet so die Projektionsfläche für die Überlegungen "Hmmm, es könnte auch anders ausgehen. Es muss nicht in der Katastrophe enden". Doch letztendlich bleibt Valmont ein Verblendete, jemand, der von der eigenen Macht geblendet ist.
Sex, ohne Umschweife und ziemlich direkt.
Foto: Hillebrecht
Fast müsste man  Mitleid mit Julia Hiemer haben, so gut spielt sie die Rolle der unschuldigen und unbedarften Cécile, immer mit großen Kulleraugen und im Alice-im-Wunderland-Dress. Aber es ist ja nur eine Rolle, die sie komplett ausfühlt. Pacal Höwing zeigt uns einen Chevalier de Danceny, der einfältig bis zur Dämlichkeit ist. Es ist schon bewunderswert, wenn er aus dieser Rolle soviel herausholen kann. Der unfreiwillige Tanz mit dem Notenständer ist gelungener Slapstick mit chaplinesken Format.
Franziska Schuster bildet mit ihrem direkten Spiel den Kontrast zu den zwei Unbedarften. In den Rollen der Dienerin und der Kurtisan zeigt sie ohne Umschweife, um was es geht: Sex, Sex als Mittel der Macht und der Beherrschung. In diesen Musical ist jede Menge Sex im Spiel, das macht es so ehrlich, hebt es ab von anderen Vertretern des Genres. Es ist eben nicht Alice im Wunderland.
Mit der Auflösung des Erzählstrangs in kleinste Szenen transportiert das Autorenteam die Struktur des Briefroman gekonnt auf die Bühne. Mit der Kreisfigur Duell am Beginn und am Ende verdeutlichen Lippmann und Doll die Unausweichlichkeit des tödlichen Endes. Das Ränkespiel kann kein anderes Ende kennen.

Spielplan der Domfestspiele

Das Musical
Die Vorlage

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen