Seiten

Seiten

Donnerstag, 22. Januar 2015

Zwei ganz normale Sonderling

Tilo Esche inszeniert Elling auf liebevolle und ehrliche Art

Die Romane von Ingvar Ambjørnsen um den Sonderling Elling machten in den 90-er Jahren Furore. Mit der Inszenierung der gleichnamigen Komödie ist Tilo Esche am Theater für Niedersachsen eine Interpretation gelungen, die Dinge vereint, die nur schwer unter einen Hut zu bringen sind. Der Hildesheimer Elling ist liebevoll und witzig, aber auch ehrlich und schonungslos. 
Regisseur Tilo Esche hat aus der Vorlage eine Komödie gemacht, die rasante und ruhige, komische und traurige Szenen hat. Dabei hat er viele Theatermittel zu einer gelungenen Mischung zusammengefügt. Das amüsante Kammerspiel zeigt, das Anders sein ganz normal ist. Es zeichnet zwei schwierige Charaktere, ohne sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Deswegen gab es am Ende der Premiere am 17. Januar viel Applaus.
Elling und Kjell Bjarne müssen nun mit der Realität
klarkommen. Alle Fotos: Hartmann
Ausgangspunkt ist "Blutsbrüder", der dritte Roman in der Reihe von Ingvar Ambjørnsen. Nach mehreren Jahren in der Psychiatrie bekommen Elling und Kjell Bjarne eine neue Chancen. Sie dürfen in ein eigene Wohnung ziehen.
Doch nun müssen sie sich in der Realität zurechtfinden.
Betreuer Frank macht deutlich, dass er und die Stadtverwaltung klare Erwartungen an die Beiden haben. Dazu gehört die Anforderung, sich unter die Menschen zu mischen. Gerade für Elling ist das eine unüberwindbare Hürde. Er ist hochintelligent, leicht panisch und hat deutliche Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen. Kjell Bjarne hingegen ist eher praktisch veranlagt, sein Werkzeugkoffer ist sein Anker und er lässt sich die Welt gern von Elling erklären.
Das Stück beginnt mit einer Krise. Elling und Kjell Bjarne wollen sich nun unter die Mitmenschen mischen. Betreuer Frank lässt ihnen keine Wahl. Entweder raus in die Welt oder rein ins Heims. Nun lässt Tilo Esche seine Schauspieler aus der Retrospektive erzählen, wie zu dieser Krise. Einfach herrlich der Einfall, Thomas Strecker als Elling und Dennis Habermehl als Kjell Bjarne rückwärts über die Bühne laufen zu lassen, um die Zeit zurückzuspulen. Mit der Musik im Rückwärtsgang ergibt dies eine eindeutige Aussage, die ohne langwierigen Erklärungen auskommt.
Genau an dieser Stelle geht es nach der Pause weiter. Erst kommt die Erklärung der Krise, dann deren Auflösung, eine deutliche Erzählstruktur.
Tilo Esche versteht es, mit Video und Musik an den passenden Stellen erzählerische Mittel einzubauen, die die Aussage und das Tempo des Stücks voranbringen und nicht als Attitüde im luftleeren Raum hängen.
Mit wenigen Handgriffen wird aus der Männer-WG das Heim. Das Bühnenbild von Ulrike Reinhard ist nicht nur variabel, mal Wohnung, mal Heim, mal Restaurant. Mit wenigen Requisiten erlaubt es einen schnellen Umbau, der das Tempo der Inszenierung unterstützt. So wie das Leben von Elling und Kjell immer komplizierter wird, umso mehr füllt sich die Bühne mit Requisiten, bis zum Schluss eine Fülle entsteht, die Elling am Anfang des Stücks wohl als Chaos und als Bedrohung  begriffen hätte.
Als Reidun in die Männer-WG eindringt, sind die
Konflikte vorprogrammiert. Alle Fotos: Hartmann
Doch das Stück lebt vor allem von den beiden Hauptdarstellern. Thomas Strecker und Dennis Habermehl gelingt es, zwei Menschen darzustellen, die nicht ganz normal sind, ohne sie ins Lächerliche zu ziehen. Es gelingt ihnen auch, beide als Individuen darzustellen. Dort Elling mit seiner panischen Angst vor Frauen, dort Kjell Bjarne, die anfangs nur ans Ficken denken kann. Schonungslos und ehrlich ist die altkluge Erkenntnis "Ficken wird überbewertet und außerdem gewöhnt man sich schnell dran" der beiden Beziehungsabstinzler.
Bei mancher Marotte von Elling und seinem Mitbewohner besteht für das Publikum durchaus die Gefahr der Selbsterkenntnis. Den Konflikt zwischen Elling und Kjell Bjarne, der ensteht als Reidun in die WG-Männer eindringt, vermitteln sie ebenso glaubwürdig, wie Kjells anschließende Ablösung vom dominanten Elling und dessen nicht ganz freiwillige Hinwendung zur modernen Lyrik. In der Mischung aus Ruhelosigkeit und Träumerei liegt der stärkste Moment von Thomas Strecker. Somit ist die Komödie ein klassisches Entwicklungs- und Emanzipationsstück, das gut umgesetzt ist und gut ausgeht.
Hinter den beiden Hauptdarstellern muss Gotthard Hauschild als Frank ein wenig zurückstehen. Es gäbe durchaus Potenzial, den Seitenstrang des Beziehungsstress mit seiner Lebensgefährtin auszuarbeiten. Obwohl dieser Teilgeschichte Einfluss auf den Erzählstrang hat, bleibt es nur ein Nebenaspekt.
Zum Schluss erhält Elling fünf Minuten Ruhm als Untergrundpoet und es gibt so etwas wie ein Happy End. Nach "Fast normal" in der vergangenen Spielzeit ist es dem TfN wieder gelungen, sich behutsam, verständnisvoll und authentisch dem Thema "Anders sein" zu nähern. Mehr davon, bitte.

Das Stück
Der Spielplan des TfN




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen