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Dienstag, 22. Dezember 2015

Schlag nach bei Shakespeare

Auch außerhalb des Kulturpolygons gibt es sehenswerte Aufführungen. Auf Einladung von Dirk Schäfer war der Harzer Kritiker im Staatstheater Kassel. Hier ist seine Reisebericht.

Ein quietschlebendiges Musical im Opernhaus 

Beziehungsdramen haben wieder Konjunktur auf deutschen Bühnen. Dass man dies auch auf lebendige, unterhaltsame und gleichzeitig nachdenkliche Weise machen kann, beweist derzeit Tom Ryser mit "Kiss me, Kate" im Kasseler Opernhaus. Seine Inszenierung sprudelt über vor Ideen und Einfällen. Sie lebt von der Begeisterungsfähigkeit des Ensembles und von zwei Hauptdarstellern, die das vorgeschriebenen Katz-und-Maus-Spiel fast zur Perfektion treiben.

Das Musical von Cole Porter, Simon und Bella Spewack ist das Paradebeispiel für eine Stück-im-Stück-Konstruktion. Tom Ryser denkt dieses Prinzip so weit zu Ende, dass die Grenzen zwischen Rahmen- und Binnenhandlung für den ungeübten Zuschauer gelegentlich verschwinden. Das Bühnenbild von Mayke Hegger leistet dabei großartige Unterstützungsarbeit.

Dirk Schäfer spielt den Theaterchef
Fred Graham.
Alle Fotos: Nils Klinger 
Fred Graham ist der Chef einer Theatertruppe, die eine musikalische Version von Shakespeares "Der Widerspenstigen Zähmung" auf die Bühne in der Provinz bringen will. Graham selbst hat sich mit der Rolle des Petruchio bedacht. Die Rolle der Katharina spielt seine Ex-Frau Lilli Vanessi. Zudem hat Graham gerade ein Verhältnis mit der Schauspielerin Lois Lane, die eigentlich mit dem Kollegen Bill Calhoun liiert ist. Der Ärger ist also vorprogrammiert.

Zudem ist Lilli Vanessi mit dem General Harrison Howell verlobt, der fest entschlossen ist, die Dame dem Diktat der Ehe zu unterwerfen. Dann tauchen auch noch zwei Gangster auf, die die Spielschulden, die Bill unter Freds Namen gemacht hat, eintreiben wollen. Zur Not auch mit Waffengewalt. Doch Fred Graham schafft es, die beiden Geldeintreiber auf seine Seite zu ziehen.

Das dürfte eigentlich genug Stoff für zwei Musicals, aber in diesen Rahmen wird auch noch die Aufführung der Widerspenstigen Zähmung eingepasst. Es spricht für das Werk von Cole Porter und vor allem für die Inszenierung von Ryser, dass das Stück an keiner Stelle überladen wirkt. Er lässt das Publikum an der Entstehung des Binnenstück teilhaben, das Musical wird so zum "Work in Progress". Alles wird offen gelegt, die Umbauten erfolgen im laufenden Stück und selbst die Souffleuse ist am linken Bühnenrand sichtbar platziert. Zudem korrespondiert die Hektik der simulierten Theaterproduktion mit dem Tumult des Shakespeareschen Stücks, ohne dass die Aufführung in Richtung Alberei abgleitet.

Säule der Inszenierung ist das Bühnenbild von Mayke Hegger. Es ist auf Symbole reduziert und der Blick geht bis tief in die Hinterbühne. Zwei einfache Tische, ein paar Lampen und zwei Rahmen ohen Spüiegel, mehr braucht es nicht, um eine Garderobe. Ein Beleuchtungszug kommt ins Blickfeld, auf der Hinterbühne werden Stühle aneinandergereiht und schon ist klar, dass die Handlung in einem Theater stattfindet  Sogar die Beleuchtungstürme links und rechts werden in das Spiel miteinbezogen. Die Aussage ist klar: Musical ist nicht Glamour sondern harte Arbeit vieler Beteiligter.

Auf der Drehbühne findet der Widerspenstigen
Zähmung statt.     Foto: N. Klinger
Der Schnitt kommt, wenn die Handlung zu Shakespeare springt. Dann wird eine Drehbühne hereingerollt, die im Lichterglanz strahlt. Die Beleuchtung wird bunt, zum Teil quietschbunt, und die Kostümierung von Uta Meenen springt von jetztzeitlich knapp um auf opulent und fantastisch. Da gibt es auf einmal wallende Gewänder und Flokati an den Füßen und auf den Köpfen.

Wechsel ist ein durchgängiges Motiv in dieser Aufführung, denn das turbulente Treiben beginnt mit einem Moment der Orientierungslosigkeit, als Inspizient Paul (Peter Schenk) die leere und dunkle Bühne betritt, in die Stille hineinruft und lange keine Antwort bekommt. Jubel und Trubel kommen erst im Schlepptau von Fred Graham (Dirk Schäfer) auf die Bühne. Kurz vor der gespielten Premiere darf sich das gesamte Ensemble inklusive Chor und Orchester zeigen. Alle sind in gespielter Hektik. Das Publikum sieht nicht nur, wer alles beteiligt ist, Ryser mcht nicht nur "Work in Progress", sondern er eröffnet damit eine neue Ebene, ein neues Stück-im-Stück ohne den Faden zu verlieren.

Zum Auftakt des zweiten Aktes greift die Aufführung dieses Ruhe-vor-dem-Sturm-Motiv noch einmal auf. Dieses Mal wird es aber in einer furiosen Tanzshow aufgelöst, die vor allem die Freude der Tanzkompanie an der ungewohnten Arbeit zeigt.

Lilli lässt sich nicht zähmen. Foto: N. Klinger 
Getragen wird die Handlung von drei Pärchen: Fred und Lilli, Lois und Bill und den Gangster Klein und Bernie. Im Gegeneinander von Lilli Vanessi und ihrem Ex-Gatten Fred blättern Susan Rigvava-Dumas und Dirk Schäfer alle Seiten einer enttäuschten Liebe auf und machen auch noch die Rest-Anziehungskraft einer gescheiterten Beziehung deutlich. Im Staatstheater Kassel funktioniert es so wunderbar, weil sich mit Rigvava-Dumas und Schäfer zwei Partner auf Augenhöhe gefunden haben, um mal eine strapazierte Formulierung zu gebrauchen. Hier treffen zwei starke Solisten und Darsteller aufeinander, deren Duette einen hohen Gänsehaut-Wert haben und deren Wortgefechte einen Wiedererkennungswert von knapp vor 100 Prozent liegen.

Aus heutiger Perspektive gehört das Beziehungsmusical "Kiss me, Kate" eher in die Schublade "Chauvi-Stück", doch mit wenigen Änderungen, die nicht immer political correct sind, hat Ryser die Akzente in Richtung anerkennende Partnerschaft verschoben. Im Schlussmonolog versichert Kate/Lilli alles für ihren Petruchio/Fred zu tun, weil sie weiß, dass auch er alles für sie tun würde.  Mit diesem einen Satz lässt Ryser Shakespeares Patriarchat in sich zusammenfallen.

Peter Schenk darf den ersten und den zweiten Akt
eröffnen.        Foto: N. Klinger
Zu den Überraschungen der Inszenierung gehören Tom Schimon in der Rolle des Gangsters Klein und Bernd Modes als Gangster Bernie. Die fast schon kindliche Spielfreude der beiden überträgt sich nahtlos auf das Publikum, trotzdem sind sie immer wieder für Überraschungen und können den Wandel von der Bedrohung zum Freund glaubwürdig darstellen. Ryser Inszenierung glänzt mit vielen Einfällen, aber Modes Beatbox-Einlage beim Evergreen "Schlag nach bei Shakespeare" ist sicherlich einer der Höhepunkte des Abends.

Ein Highlight ist sicher auch das Orchester unter der Leitung von Deniola Kuraja. Der Klangkörper harmoniert perfekt mit dem Ensemble und bleibt dynamisch ohne sich in den Vordergrund zu spielen. Aber vor allem kann das Orchester mit klanglicher Transparenz begeistern. Jedes Instrument hat seinen erkennbaren Platz    



Das Staatstheater Kassel
Das Stück in der Eigendarstellung

Das Stück bei wikipedia


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