Seiten

Seiten

Dienstag, 10. Dezember 2024

Hier zerbricht mehr als nur ein Krug

Beichl verschiebt Kleist in die Gegenwart 

Der Meister des Klischees und der Plattitüden überrascht positiv. Mit seinem "Zerbrochenen Krug" am Deutschen Theater Göttingen legt Moritz  Beichl legt eine Inszenierung vor, die Themen zu Tage fördert, die ansonsten unter dem Deckel das Schwanks verborgen bleiben. Damit macht er aus dem Klassiker der Aufklärung ein Stück für die Gegenwart. Premiere war am 7. Dezember.

Dabei kann er auf starke Besetzungen in den Nebenrollen bauen. In Bastian Dulitsch als Gerichtsschreiber Licht und Leonard Wilhelm als  Bauernsohn Ruprecht Tümpel überzeugen mit starken Darstellungen von Menschen, die sich auf ihre Weise gegen das ancien régime wehren und damit erfolgreich sind. Am Ende steht eine neue Ordnung, die menschengemacht ist. Denn letztendlich siegt die Macht der Liebe über die Selbstherrlichkeit des Dorfrichter Adam.

Als Intro wird auf den Gaze-Vorhang ein Video-Clip projiziert, in dem sich Eve und Rupprecht knutschen und kuscheln. Erst dann schwebt Dorfrichter Adam vom Himmel auf die Bühne. Er ist die gottgegebene Ordnung und die ist schwer lädiert. In dieser Inszenierung erschließt sich nicht alles auf den ersten Blick, aber gerade das macht den Reiz aus. 

Richter Adam liegt schon am Anfang auf dem Boden,
doch noch ist Licht sein Handlanger. 
Alle Fotos: Thomas Müller
Beichl legt eine Aufführung vor, die erst in der Retrospektive ihre volle Wirkung beim Betrachter entfalten. Wie ein Craft Bier, dessen Komponenten sich erst im Abgang entfalten. Damit wird das Göttinger Publikum auch Zeuge einer Entwicklung des Regisseurs.

Am Bühnenbild von Ute Radler muss man nicht alles verstehen und der kopfstehende Wald in der Schlussszene ist vor allem dekorativ. Doch der gemulchte Vorgarten zwischen Drehbühne und Publikum ist eindeutig alltäglich. Damit ist er eine wichtige Komponente bei der Kleist-Verschiebung in die Gegenwart. Die Kostüme von Elena Kreuzberger gehen in dieselbe Richtung. Die Mischung von Rokoko bis Disco-Trash spannt einen Bogen über die Jahrhunderte.

Im Detail

Schon die Ausgangslage ist recht Jetztzeitig. Dorfrichter Adam muss über seine eigene Verfehlung urteilen, nämlich über einen Krug der in Nacht kaputt gegangen ist, als er übergriffig geworden ist gegenüber Eve Rull. Seit Social Media gehört über sich selbst urteilen zum eingeübten Verhaltensrepertoire selbstoptimierter Mitteleuropäer. 

Ein weiterer Aspekt ist hyperaktuell. Der materielle Schaden ist überschaubar und dennoch verlangt die Geschädigte Marthe Rull die volle Härte des Gesetzes. Ihre Ehre und ihre Erinnerungen wurden zerstört. Das bringt Rebecca Klingenberg in der Rolle der Mutter mit aller verbalen Starrköpfigkeit und körperlichen Präsenz deutlich. Alle Vermittlungsversuche prallen ab am Fels der Moral.

Der Richter und sein Krug. 
Foto: T. Müller
Leider ist Volker Muthmann in der Hauptrolle des Richter Adam von Anfang an mit Stimme und Gesten in Alarmstimmung. Er hetzt in der 90minütigen Inszenierung von Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen. So bleibt es ihm verwehrt, dem Abstieg des gutsherrlichen Regenten zum Flüchtling ein Gesicht und eine Stimme zu geben.

Das Kostüm macht ihn von Anfang zum Narren. Das mindert die dramaturgische Fallhöhe leider und Adams Bekleidung gibt das Ende von Anfang an vor. Dieser Richter Adam bewegt sich nicht auf einer Ebene, die im Laufe der Vorstellung ins Schiefe abkippt, er ist von Anfang an auf der Schussfahrt nach unten.

Muthmanns Kaspereien werden durch den Widerpart von Florian Eppinger umso deutlicher. Dieser spielt den Gerichtsrat Walter mit einer stoischen Gelassenheit, als wäre er der Pate der Rechtsstaatlichkeit. Wo der eine mit fahrigen Gesten und holpernden Worten agiert, setzt Eppinger auf sparsame Körperlichkeit und kühle Sprache. Mit einem verbalen Skalpell zerlegt er Stück für Stück den dörflichen Autokraten. Hier hat Beichl ein wunderbares Paar an Gegensätzlichkeit geschaffen. Es ist logisch, dass der Technokrat Walter am Ende die Oberhand über den selbstherrlichen Adam behalten wird. Die Gradlinigkeit im Spiel von Eppinger lässt keine Abweichung in der Sache zu. Dennoch drückt er Eve einen Kuss auf den Mund. Ist es Kuss des Paten, um sie in der Familie willkommen zu heißen oder ist es die Fortsetzung der Übergriffigkeit mit anderen Personen 

Die größte Entwicklung steht aber dem Schreiber Licht zu. Vom devoten Adlatus wird er zum neuen Herr im Ring, vom Handlanger zum kommissarischen Richter. Bastian Dulisch nutzt das ganze Potential, dass in dieser Rolle steckt. Er emanzipiert sich sichtbar. Sein Spiel wird von gebückt und hektisch zu souverän, mit breiter Brust und gelassener Stimme.

89 Minuten und 30 Sekunden verharrt die Inszenierung in der gestelzten Sprache des Originals. Als Licht in Hochdeutsch verkündet "Nein, die Landmiliz soll im Lande verbleiben", da herrscht eine Schrecksekunde Ruhe auf der Bühne und im Parkett. Spätestens hier wird deutlich, dass sich etwas grundlegend geändert hat. Der Schreiber hat sich gegen den Richte
r gewendet.         

Frauen entscheiden

Für Stella Maria Köb gilt ähnliches wie für Volker Muthmann. In der Rolle der Eve werden auch ihr die stille Momente der Reflexion verweigert. Sowohl ihre Verzweiflung als auch ihre Anklage werden geschrien und ihre Haltung mit steifen, nach unten gedrückten Armen wirken wie ein trotziges Kind. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Bekleidung mit dem kurzen Tüllrock und die Frisur im Max-und-Moritz-Modus.

Ruprecht, Richter und Eve.

Damit bleibt es Gaby Dey in der Rolle der Frau Brigitte überlassen, souverän und kühl das Ende des Dorfrichters Adam einzuläuten. In ihrem kurzen Auftritt schafft sie es, sich glaubhaft von einer Anhängerin der alten Ordnung über die Skeptikerin zur Belastungszeugin zu wandeln. Ihre rationale Darstellung macht diesen Wandel nachvollziehbar. Auch auf ihre starke Nebenrolle kann Moritz Beichl in dieser Inszenierung bauen.

Es ist sicherlich ein Zufall, dass die Premiere dieser Inszenierung von Kleists "Zerbrochenen Krug" mit dem Sturz das Regime Assad zusammenfiel, aber beides ist ein Überraschung und in jedem Fall ein Sieg der Rationalität. Auch ohne historische Parallelität ist diese Aufführung ein gelungenes Lehrstück über die Überwindung selbstherrlicher Regime.    


 





Erklärstück 1: Der zerbrochen Krug am DT GÖ

Erklärstück 2: Das aktuelle Programm am DT GÖ




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen