Seiten

Seiten

Sonntag, 26. Januar 2014

DT: Machtergreifung mit 180 Beats per minute

Klemm bringt Visconti-Adaption auf die Bühne

Mit der gefeierten Inszenierung von Dea Lohers "Am Schwarzen See" in der Spielzeit 2012/13 hat Wojtek Klemm die Messlatte für künftige Gastspiele am DT sehr hoch gelegt. Mit der dazugehörigen Erwartungshaltung ging das Göttinger Publikum an den "Fall der Götter". Nach zwei Stunden Machtergreifung mit 180 beats per minute fiel das Votum des Publikums wohlwollend positiv aus.
Grundlage des Dramas ist Viscontis Film "Die Verdammten" aus dem Jahre 1969. Er erzählt von den Verquickungen einer deutschen Industriellenfamilie mit dem aufstrebenden Nationalsozialisten. Am Anfang steht die Geburtstagsfeier des Patriachen Joachim von Essenbeck, auf der er die eigene Nachfolge regelt. An Ende stehen Mord und Untergang, dazwischen macht die Meldung vom Brand des Reichstags deutlich, dass die Nationalsozialisten nicht gewillt sind, sich aufhalten zu lassen. Johan Simons und Tom Blokdijk lieferten die Bühnenadaption.
Die Festgesellschaft versammelt sich zum
letzten Abendmahl. Fotos: DT Göttingen
Der Opulenz der Viscontischen Bilder setzen Klemm Masch Masur einen strengen Bühnenaufbau und eine reduzierte Farbsprache entgegen. Eine Treppe, zwei Tische und Spruchbänder, schwarz, weiß, rot. Die Farben der untergehenden Republik und der Bewegung zugleich. Damit entfernen sie in einem ersten Schritt die operettenhaften Elemente der Vorlage.
 "Das höchste Gut des Menschen ist die Pflicht" ist als Glaubensbekenntnis des preußischen Wilhelminismus allgegenwärtig. Dieser preußische Geist gehört bereits der Vergangenheit an. Es sind neue Zeiten angebrochen.
Zentrale Objekte sind Tische, Tische immer wieder Tische. Erst wird sich die Festgesellschaft  zum letzten Abendmahl niederlassen, der sitz mit an der Tafel. Da Vincis Gemälde gehört zum kollektiven Gedächtnis. Als die Fassade der Familie zerbröselt, kommt alles auf den Tisch, wird auf den Tisch gehauen, es wird auf dem Tisch getanzt,  letztendlich wird reiner Tisch gemacht, werden die Tische zur Schlachtbank. Eine schöne Assoziationskette, die sich durch die Göttinger Aufführung zieht.
Bestimmendes Mittel des Films ist der Schnitt, die klare Trennung der Szenen und der Akteure voneinander oder die die Überblendung, der Übergang. Aber wie bringt man das auf die Bühne? Der Chor der Nornen, streng in schwarz gekleidet, mit einem Hauch SM, liest die Regieanweisungen, gibt den Überblick, trägt, das vor, was nicht auf der Bühne zu sehen ist. Was nicht zu sehen ist, den Rest, der zwischen den Bildern liegt, dies muss der Kopf des Zuschauers ergänzen, muss also mitdenken. Doch je mehr sich die Ereignisse zuspitzen, desto seltener muss das Publikum diese Zuarbeit leisten. "Der Fall der Götter" wird im Verlauf des Stücks nicht nur rasanter, sondern auch direkter in Sprache und Bild.
Meinolf Steiner tanzt als Martin von Essbeck
die Apokalypse. Foto: DT Göttinen
Machtergreifung und Menschenvernichtung ist vor allem Männersache. Den Frauen bleibt die Opferrolle vorbehalten. Vielleicht ist die Göttinger Inszenierung deswegen auch auf drei Männer zugeschnitten. Meinolf Steiner hat drei Rollen:Joachim von Essenbeck, Enkel Martin von Essenbeck und Friedrick Bruckmann, Generalbevollmächtigter der Essenbeckschen Stahlwerke. Nicht allen dreien wird er in gleicher Weise gerecht.
Patriarch Joachim von Essenbeck ist vom alten Schlag, ganz im Sinne des Hegelschen Idealismus ist er vom Weltgeist beseelt. Rückwärts gewandt entgleitet ihm die Kontrolle zusehends. Er versteht die neue Zeit nicht und ist somit das erste Opfer. Dies versteht Meinolf Steiner klar herauszuarbeiten.
Martin von Essenbeck ist der Gegenpol: wertfrei, orientierungslos und spaßbetont, mit ödipalen Komplexen belastet und pädophil, wird er erst zum Instrument der Intrigen am Hofe der von Essenbeck, bis er selbst zum Täter wird. Der Gipfel ist die Vergewaltigung der eigenen Mutter. Dies ist sicherlich eine Szene, die sich ins Gedächtnis brennt und Steiner stellt die Entwicklung vom Getriebenen zum Treiben folgerichtig dar.  Er ist ein Prometheus der widerwärtigen Art.
Die dritte Figur im Repertoire ist Friedrich Bruckmann, ein Ehrgeizling, Emporkömmling, Intrigant  der die Gunst der Stunde nutzen will und nutzen wird, um es ganz auf den Gipfel zu schaffen und anschließend im tiefen Fall in der Hölle zu landen. La caduta degli dei, eben der Fall der Götter, tragisch im Sinne der Griechen. Bruckmann bleibt als Figur ein wenig blass. Er ist kein Akteur und seine Motivation ist rätselhaft. Doch Steiner Doppelauftritt als Mörder Bruckmann und als Opfer Joachim von Essenbeck zugleich, als Schütze und als Getroffener zugleich, tonlos, wortkarg, im Stummfilm-Modus, mit ausgefeilter Mimik, mit ausgefeilter Körpersprache, das ist beeindruckend und ganz einfach  großes Theater.
Für Andreas Jeßling gibt es zwei ebenso widersprüchliche Rollen. Da ist Konstantin von Essenbeck, jüngerer Sohn des Patriarchen, der sich zurückgesetzt fühlt hinter seinen Bruder, der im Weltkrieg starb und als Held verehrt wird. Konstantin will sich mit allen Mitteln besorgen, was ihm zusteht. Die Kränkung steht ih ins Gesicht geschrieben, der krankhafte Ehrgeiz quillt ihm aus allen Knopflöchern. Genau das vermittelt Jeßling und dies macht ihm ihm zu einem starken Pol im Spiel. Auf der anderen Seite ist er Herbert Thalmann, der liberale Neffe des Seniorchefs, der erste Verlierer, gehetzt von der erste bis zur letzten Minute. Dessen Ratlosigkeit, dessen Hilflosigkeit kann Andreas Jeßling vermitteln.
Ödipus Martin von Essenbeck opfert seine Mutter
den neuen Göttern. Foto: DT Göttingen
Es wird viel geschrien in diesem Stück, es wird viel gebrüllt in diesem Stück, aus den unterschiedlichsten Gründen, vor Wut, aus Verzweiflung, als Mittel der Überzeugung. Der Einzige, der dies nicht machen muss, ist Sturmbannführer Wolf von Aschenbach. Seine Waffe ist die Sprache, die leisen Worte des Einschmeicheln, die geflüsterte Drohung. Nikolaus Kühn spielt diesen Jago der Machtergreifung, der die Marionetten in diesem Intrigenspiel mit süßen Worten, mit Versprechen lenkt, mit einer Präzision, mit einer Berechnung, mit großen Potenzial zur Differenzierung, mit aller Authentizität, die einem Nachgeborenen zu Verfügung stehen kann. Dies macht ihm trotz aller Antipathie zum Pol dieser Aufführung.
Eins fällt gleich ins Ohr, der hämmernde Klang des Industrial-Sounds. Es scheint, als hätten Gabi Delgado-Lopéz und Robert Görl Pate gestanden bei Micha Kaplan. Die 180 beats per minute unterstreichen die Atemlosigkeit der Inszenierung, sind der passende Soundtrack zur Höllenfahrt. Er verdichtet die Atmosphäre der Atemlosigkeit bis an die Schmerzgrenze. Der Klang im Stile der legendären DAF ergänzen sich kongenial mit dem gestrengen und zackigen Outfit der Gouvernanten, der Dienerinnen mit SM-Appeal. Es werden die operettenhaften Elemente der Vorlage in einem zweiten Schritt entfernt.
Die Schwäche liegt in einer anderen Nähe zum Film. Das Drama bleibt den  sexualtherapeutischen Erklärungsmustern Viscontis von Unterdrückung und Sublimation verhaftet. Aber das Wechselspiel von Sex und Macht ist eben ein vielschichtiges. Und die Tragödie bleibt der Historie verhaftet. Der zarte Versuch, mit Texten der Neuen Deutschen Welle, einen Bogen in die Gegenwart zu schlagen, versickert ungehört.
Am Ende der zwei Stunden ist das Publikum zufrieden. Ich hoffe, es ist aus theatralischen Gründen zufrieden.


Der Spielplan

Das Stück

Am Schwarzen See


Dienstag, 14. Januar 2014

Die Bilanz des Ungeheuerlichen

Baranowski legt neue Ergebnisse zur Wiederaufrüstung in den 30 Jahren vor

Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands, dieses Buch hat das Zeug zum Standardwerk. Nach jahrelangen Recherchen veröffentlicht  Frank Baranowski seine Ergebnisse zur Geschichte der Rüstungsproduktion im Braunschweiger Land, in Südhannover und in Nordthüringen erstmals im Rockstuhl-Verlag. Es ist eine nüchterne Bilanz des bisher nicht gedachten und sie bringt drei wichtige Erkenntnisse.

Der Autor. Foto: red
Zum einen war die Wiederbewaffnung des Deutschen Reichs von langer Hand vorbereitet. Die Nationalsozialisten mussten 1933 nur dort anknüpft, wo die Wehrmacht der Weimarer Republik stehen geblieben war. Diese hatte schon seit 1926 die Bestimmungen des Versailler Vertrags umgangen, Forschungsstellen eingerichtet, Prototypen gebaut und getestet. Dies war die Grundlage für die Hochrüstung der Wehrmacht nach 1933 und die Schaffung einer Rüstungsindustrie, die in der Vertikalen und der Horizontalen bis ins Detail durchgeplant war. Dies belegt Baranowski anhand vieler Quellen und vor allem Zeugnisse, denn zeugnisstark ist dieses Werk allemal. Hinter der "Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands" ist vor allem das Ergebnis tiefer Quellenarbeit.  Damit dürften die letzten Reste vom Irrglauben der unschuldigen Wehrmacht beseitigt sein.
Baranowski ruft noch eine Gewissheit in Erinnerung: Südhannover und das Braunschweiger Land haben von den Rüstungsplänen der Nationalsozialisten im besonderen Maße profitiert. Hier im Inneren des Reichs entstand in einer ländlich geprägten Region ein vielschichtiges Netzwerk von Betrieben, das bei der Aufrüstung des Deutschen Reiches eine wichtige Rolle spielte. Ohne diese Netzwerke wäre die Rüstungsexplosion nach 1933 nicht möglich gewesen und somit wäre auch der Kreig von 1939 nicht möglich gewesen. Wehrmacht und später Nationalsozialisten fanden willige Gehilfen in der südniedersächsischen Produktion und der kurze Überblick der Gewinnler nimmt mehr als  20 Buchseiten ein. Damit zieht sich ein Faden und eine Beweisstrang durch den ersten Teil des Buches.
Weil Frank Baranowski in seinen ersten Bücher der Erforschung Südniedersachsen einen breiten Raum gegeben hat,konzentriert es sich nun auf Nordthüringen. Die Aufrüstung geschah dort unter anderen Vorzeichen und erst ab 1943 nach den Flächenbombardements der Allierten. Im hohen Tempo wurde die Rüstungsproduktion unter Tage verlegt. Dazu boten sich die Kalischächte und Karsthöhlen im Südharz und im Kyffhäuser an. Der Vergleich der beiden so dicht beieinander liegenden aber doch unterschiedlichen Regionen, macht nicht nur die Rüstungsproduktion unter verschiedenen Vorzeichen deutlich. Er zeigt auch, dass das NS-Regime unter schwersten Bedingungen bis zum bitteren Ende alle Ressourcen mobilisieren konnte, unter unzähligen Menschenopfern. Denn bei der Rüstungsproduktion muss man die Menschenvernichtung schon ab Werk immer im Hinterkopf haben. Baranowski erinnert immer weider an diese Opfer.
Rüstungsarbeit war vor allem Zwangsarbeit,
hier bei Heber in Osterode. Foto: Archiv
Mit nüchternen Zahlen, detailgetreu und verknüpfend zeigt Baranowski den Prozess am Beispiel von Mittelbau-Dora und seinen Nebenwerken mit allen KZ-Außenstellen. Die nüchternen Zahlen und das recihaltige Bildmaterial lassen das Ausmaß des Ungeheuerlichen nur erahnen. Denn Rüstungsproduktion im Dritten Reich war durch Zwangsarbeit bestimmt.Während der Autor in früheren Werken die Zeitzeugen zu Worte kommen ließ, reichem ihm hier die Zahlen allein die Zahlen, um das Unrecht vorstellbar zu machen. Ob es begreifbar ist, das wird wohl nie entschieden werden. Das ist die Stärke dieses Buch. Es bleibt nüchtern und faktenorientiert. Dies gibt den Lesern, die Möglichkeit, einen eigenen Zugang zum eigentlich Unzugänglichen zu finden
Nach 25 Jahren Beschäftigung mit dem Thema ist dieses Buch wohl als Zwischenfazit zu sehen, nicht als Abschlussbericht. Denn Frank Baranowski sieht immer noch Forschungsbedarf zu einem Thema. Das Werk "Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands" ist somit eher ein neuer Ausgagnspunkt.

Mehr zum Buch

Zum Interview mit dem Autor

Übersicht der Veröffentlichungen

Der Verlag