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Samstag, 12. Juli 2014

Dieser Haifisch, der hat noch Zähne

Bettina Rehm inszeniert eine raue und ungeschliffene Dreigroschenoper


Doch, Brechts Paradestück auf die Bühne zu bringen, das ist ein Wagnis. Irgendwie kann jeder was dazu sagen, also sind die Erwartungen gross und ebenso die Chance auf einen Verriss. Bettina Rehm ist dieses Wagnis am Theater für Niedersachsen (TfN) eingegangen und belohnt das Publikum, mit einer Deutung, die wohl näher am Original ist, was als vieles andere unter dem Label Brecht.
Es geht nicht um die Philosophie der Relativität des Verbrechens im gesellschaftlichen Kontext, es geht  nicht um eine Fallstudie über die Wertbildung im Londoner Subproletariat und es geht vor allem nicht um Sozialromantik unter Ausgestoßenen. Diese Dreigroschenoper ist rau und ungeschliffen, direkt und spröde, gewalttätig und niederträchtig, steckt voller Sex und ist damit ganz nah dran am Original.
Julia Hattstein hat die Bühne sparsam und damit variabel möbliert. Es gibt nur eine lange Tafel, die auch als Laufsteg dienen wird und die auch ür Table Dance gut ist. Als der Vorhang aufgeht, sitzt dort eine Festgesellschaft, die an Da Vincis "Letztes Abendmahl" erinnert. Es ist Jahrmarkt in Soho und sie summen das Lied vom Haifisch, der Zähne hat und Handschuhe trägt. Hinter der zweifelhaften Gesellschaft steht eine riesige Justitia. Spenden ihre ausgebreiteten Arme Segen wie der Christus auf dem Corovado-Berg oder ist sie gekreuzigt wie der Christus auf dem Golgatha-Berg? Die akzentuierte Bühne ist ein Baustein im Konzept "Zurück zum Original".
Die Ganoven treffen sich zum letzten Abendmahl im
Angesicht der gekreuzigten Justitia. Foto: Quast
In Londons Unterwelt herrscht Krieg. Zwei Männer kämpfen um die Vorherrschaft. Da ist Jonathan Jeremiah Peachum, der König der Bettler,der sein Geld mit dem Elend und mit dem Mitleid macht. Auf der anderen Seite steht Macheath, genannt Mackie Messer, Kopf einer Bande von Einbrechern, Mördern und Brandstiftern. Beide haben ihren Stil, der eine kalt, berechnend und kalkulierend, der andere dominant, gewalttätig und gut befreundet mit dem Polizeichef. Skrupellos sind alle drei. Die Situation spitzt sich zu, als Macheath Polly Peachum, die Tochter des Bettlerkönigs heiratet. Das ist eine Kriegserklärung. (Mehr dazu hier.) Jens Krause als Peachum und Martin Molitor als Macheath setzten diese Gegensätze in eindrucksvoller Weise um.
Molitor kontrolliert mit Präsenz das Geschehen. In Löwenmaske und mit breiter Brust schreitet er durch das Publikum. Die Festgesellschaft besteht aus Schafen und Schweinen und Molitor im Armani-Dress bewegt sich wie der Gockel auf dem Hühnerhof zwischen ihnen. Mit großen Gesten verteilt er Geldgaben und nimmt Gefälligkeiten entgegen.

Die Gegenspieler

Als sich die Festgesellschaft schlagartig auflöst, bleibt nur Jonathan Peachum zurück. Streng und knapp gibt er eine Einführung in seine Geschäfte mit dem Elend und dem Mitleid. Seine Gestik ist kurz, sparsam und knapp bemessen. Die Großspurigkeit eines Mackie Messers ist ihm zuwider. Jens Krause wirkt eher wie der Wissenschaftler unter den Gauner, wie der Dr. Evil der Dreigroschenoper. Doch in der Strenge liegt auch Unerbittlichkeit. Das weiß Krause bestens zu vermitteln.
Jonathan Peachum kann auch ganz
anders. Foto: Quast
Mit der Dreigroschenoper haben Weill und Brecht 1928 die Grenzen der Genres aufgehoben. Ihnen waren die Schubladen zu eng. Ihr Werk ist beides: Drama und Oper zugleich. Dementsprechend wird viel gesungen und hier liegt vielleicht die Schwäche von Jens Krause. Sicherlich braucht es kein Belcanto in dieser Inszenierung, aber Krause kommt im ersten Akt an die Grenzen seines Gesang. Das ändert sich im Laufe des Abends.
Martin Molitor ist die Großspurigkeit in Person. Der Gangster steht ihm an diesem Abend ins Gesicht und in die Mimik geschrieben. Mit raumgreifenden Gesten nimmt er Besitz vom Platz. Breiter Rücke und durchgedrückter Rücken symbolisieren eine Selbstsicherheit bis zur Selbstgefälligkeit. Scheitern kommt in seinem Lebenskonzept nicht vor, da ihm die Freundschaft zu Polizeichef "Tiger" Brown das Überleben sichert. Alexander Prosek ist in der Rolle des Polizeichefs an diesem Abend sicherlich ein großer Aktivposten. Die wenigen Auftritte überzeugen mit enormer Bühnenpräsenz .
Molitor spielt den Mackie Messer nicht als guten Jungen, der vom rechten Wege abgekommen. Dieser Macheath ist ein Grundübel, gewalttätig und niederträchtig. In den Zeiten der Not hat er keine Skrupel, seiner Frau Polly aufzutragen, die Mitglieder seiner Gang nach einem ausgeklüngelten System an die Polizei auszuliefern. Eben diese Frau hat er zuvor nach der Hochzeit im Pferdestall vergewaltigt. Er selbst wird aber selbst Opfer seines Hangs zu Prostituierten. Jernny liefert ihren ehemaligen Zuhälter Macheath an die Polizei aus, weil Frau Peachum ihr eine Belohnung versprochen, die aber ausbleiben wird.

Keine Sozialromantik

Bettina Rehm verzichtet auf Sozialromantik.Ihre Dreigroschenoper handelt nicht von der Bildung neuer Wert in einem Netzwerk von Ausgestoßenen. In dieser Unterwelt gibt es zwei Platzhirsche, aber keine Normen. Die Platzhirsche definieren die Regeln ständig neu anhand ihrer Interessen. Menschen sind nur Werkzeuge zur Befriedigung und bleiben als Betrogene zurück. Damit ist diese Inszenierung aktueller denn je. Rehm nimmt transponiert Brecht und Weill aus den 20er Jahren des 20.Jahrhunderts in die Unübersichtlichkeit und in die digitale Fremdbestimmung des 21. Jahrhunderts
Macheath regiert seine Räuberbande mit Gewalt.
Foto:Quast
Solch ein System verändert Menschen und diese Veränderung manifestiert sich in der Polly Peachum von Magdalene Orzol. Anfangs noch kindhaft und spätpubertierend wandelt sie sich zur Gehilfin des Gaunerkönigs. Das Lied von der Seeräuber-Jenny, im Domina-Look vorgetragen, wirkt anfangs noch etwas deplaziert und die klare Stimme von Magdalene Orzol etwas dünn. Doch aus dem Kontrast dieser Stimme zur Rolle entwickelt sich ein Spannung, die funktioniert.
Die Dreigroschenoper am TfN ist schonungslos weil sie auch den Sex offen thematisiert, vor allem in der Vermengung mit Gewalt. Macheath war Zuhälter, er geht regelmäßig zu den Nutten, bevorzugt Praktiken, die nicht der Norm entsprechen, und er vergewaltigt seine frisch Vermählte. Seine Bandenmitglieder dürfen hingegen nur onanieren. Sex ist hier eine Form der Beherrschung und damit ist diese Inszenierung doch noch ein Angriff auf die neu definierten bürgerlichen Moralvorstellungen. Dies hat Bettina nicht dazu erfunden oder auf den Brecht draufgepfropft. Das steckt in Urtext drin, das muss man nur entdecken.

Die Musik

Die Mengen an musikalischen Zuckerguss, die in den letzten 86 Jahren  über das Werk von Kurt Weill gegossen wurden, haben es fast verschwinden lassen. Selbst Sting und Gianna Nannini fuhren einst Streicher auf, als sie vom Morden und Betrügen und von der sexuellen Hörigkeit sangen. Leif Klinkhardt macht die Rolle rückwärts. Sein Arrangement ist sparsam instrumentiert, sparsamer als die Urversion, lässt aber den Text und die Sänger zur Geltung kommen und erlaubt die Konzentration auf das Geschehen. Ebenfalls rau und spröde betont die Musik die emotionale Seite des Werks und verleiht ihrem Handeln eine Tiefe, die Streicher sonst glätten würden.

Mit dieser Dreigroschenoper ist dem TfN eine Rückbesinnung gelungen, die vom Kampf zweier Platzhirsche lebt und mehr Ur-Brecht zeigt als viele andere überformte und überladene Inszenierungen. Für alle, die die bisherigen Aufführungen verpasst haben: Das Stück kommt in der nächsten Spielzeit wieder.

Die Dreigroschenoper in der TfN-Selbstbeschreibung
Der Spielplan am TfN

Für den Blick dahinter: Die Bildergalerie

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