Zurmühle zieht alle Register beim kompletten Faust
Für Johann Wolfgang von Goethe war der Faust in wahrsten Sinne sein Lebenswerk. Die Legende vom Doktor Faustus, der an seinen eigenen Ansprüchen scheiterte, begleitete den Dichterfürst über 60 Jahre lang von 1770 an. Schließlich sollte es das Stück sein, welches das Leben, das Universum und den ganzen Rest erklärt. Aus der Erkenntnistragödie wird die Gretchentragödie und die wird zur Menschheitsparabel, fürwahr ein ambitioniertes Programm.Von ähnlichen Ambitionen muss Mark Zurmühle getragen worden sein. Zum Schluss seiner Intendanz am Deutschen Theater in Göttingen fasste er den kompletten Faust komplett in eine Neuinszenierung.Auch das ist fürwahr ein ambitioniertes Projekt, daswohl allen Beteiligten viel abverlangt. Die Premiere in der Lokhalle beeindruckte mit monumentalen Bildern, die manchmal den Blick auf die Schauspieler verstellen.
Selbst am Ostersonntag gelingt Faust und Wagner der Kontakt mit der einfachen Freude nicht. Fotos: DT |
Faust (oben) läßt sich vom Pudel den Kern erklären. |
Goetthe griff auf den Knittel- und den Madrigal-Vers des ausgehenden Mittelalters zurück, um Anachronismen zu nutzen. Warum Zurmühle bei aller Jetzt-Zeitigkeit der Mittel sprachlich fünf Jahrhundert nach hinten verfällt, ist nicht schlüssig, bleibt ein unmotiverterKontrast, der nicht aufgelöst wird. In diesem Punkt verharrt die Inszenierung auf der Stelle und verschenkt Entwicklungspotential.
Der Auftakt erfolgt in Studio-Ambiente.Es gibt keine Bühne, das Publikum wird auf Papphockern platziert und sitzt im Prolog zu Füßen des Gottes.Mittendrin statt nur dabei erlaubt eine ungewöhnliche Perspektive. Andreas Jeßling spielt den Alten als Moderator eines überirdischen Meetings, eines Briefings zum Stand der menschlichen Glückseligkeit. Selbst die Wette mit Mephistopheles erledigt er zwischen Tür und Angel. Der Vorstandsvorsitzende des Universums hat offensichtlich kein Interesse mehr an seinen Mitarbeitern.
Szenenwechsel = Sitzplatzwechsel, das Ensemble sagt es an und wird damit zum Weggefährten des Publikum oder auch zu den Steward bei allen Wechseln an diesem Abend. Die Trennung zwischen Künstler und Zuschauer wird im Ansatz aufgehoben. Das Studierzimmer ist keine enge Klause. Der blanke Beton versprüht den Charme einer Turnhalle, in der Faust seine rastlosen Runden drehen kann. Doch zuvor muss er erst von seinem Podest hinabsteigen und im Grund genommen hat er schon beim Bodenkontakt verloren. Denker, wärst du doch in deiner Stube bgeblieben, mag man da sagen.
Die Wanderungen durch die Szenen wird zur Führung durch das Labor des Lebens. Das ist auch eine Form des An-die-Hand-nehmens. Doch der Faust verleirt sich in der Weite des Lokhallens-Foyers und er verliert sich in seiner eigenen Trübseligkei.Florian Epppinger spielt einen Faust, der an seiner Verzweifelung verzweifelt und sich selbst nicht die Chance gibt, aus seinem Jammertal aufzusteigen. Selbst in den kurzen Augenblicken des Glücks lauert immer noch die Larmoyanz unterhalb der Bettkante.
Faust kann sein Gretchen nicht erreichen. |
In dem Duo Faust - Mephistopheles, dass auch diese Inszenierung dominiert, ist Meinolf Steiner als Teufel ohne Frage der stärkere Part. Gegen die ständige Verteidigungshaltung von Florian Eppinger als Faust setzt Steiner souveräne und ruhige Momente, wenn er die Stimme herunternimmt. Dennoch ist er jederzeit der Herr der Lage. Somit bleibt es Jeßling und Steiner vorbehalten, neue Nuancen im Altbekannten herauszuarbeiten.
Mit diesem Faust I und II hat Zurmühle in Göttingen eine Inszenierung in die Lokhalle gestellt, die den gigantischen Anspruch des Autors mit gigantischen Bildern weiterentwickelt. Doch dieser Monolith droht auch, die Schauspieler und das Publikum mit vorgefertigten Deutungsmustern zu erschlagen.
Das Stück in der Selbstdarstellung.
DT Göttingen, der Spielplan.
Zum Vergleich:
Der Faust in Hildesheim.
Der Faust bei den stillen hunden.
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