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Ein Spiel herausragender Schauspieler

Der Faust der stille hunde ist gar nicht so einfach 

Also, eigentlich ist die Geschichte ja ganz einfach. Alternder Wissenschaftler bekommt Schaffens Lebenskrise, gerät in schlechte Gesellschaft, verführt ein Mädchen und stürzt alle ins Unglück. Nicht mehr und nicht weniger, das ist der Plot von "Faust. Der Tragödie erster Teil". Mit ihrer Inszenierung in der Klosterkirche Nikolausberg am 8. März haben die stillen hunde das deutsche Überstück neu strukturiert, auf das Wesentliche reduziert und die Sicht auf eine Figur gelenkt, die im Ich-erklär-die-ganze-Welt-Werk schnell mal zur Randfigur wird und die Gretchenfrage neu gestellt.
Im Vergleich zu den anderen Inszenierung in dieser Saison (siehe hier) ist diese Aufführung ist fast schon ein Anti-Typ. Die gewaltigen Aufbauten fehlen komplett. Das Seitenschiff der romanischen Kirche ist Bühne und Bühnenbild zugleich, einziges Gestaltungsmittel ist Licht. Das weiße Licht zeichnet harte Schatten, rotes Licht tauscht die Mauer des Seitenschiff in Blut. Den Raum zu nutzen, ihn als Teil der Aufführung geschickt einzusetzen, das wissen die stillen hunde zu nutzen, als "Christ ist auferstanden" als österlicher Choral durch die Kirche hallt. Das Publikum antwortet in Nikolausberg mit gespannten Lauschen

Von Zeit zu Zeit sehen sich diese Beiden
gern. Alle Fotos: stille hunde. 
Christoph Huber und Stefan Dehler haben die Requisiten auf ein Minimum geschrumpft, an Stelle des symbolischen Handelns tritt das Wort in den Vordergrund. Unterstützt wird diese Aussage von den sparsamen Gitarrenklängen von Leon Hast. Die  Konzentration auf die tragenden Teile bedeutet eine Befreiung des Textes. Es gilt vor allem das gesprochene Wort und dies führt zu einer Neuentdeckung. Unter all dem Beiwerk schaut nun hervor, was der Dichter uns wirklich sagen wollte. Dies ist eine Menge und es braucht schon Meister ihres Fachs, um diese Menge auch beim Publikum ankommen zu lassen. Aber keine Angst, es ist keine textlastiger Abend, keine Lesung mit bewegten Vortragenden. Wer sich solch eine Bürde aufbindet, der muss sich seiner Sache sehr sicher sein. An diesem Abend zeigen Christoph Huber als Mephisto und Stefan Dehler in der Titelrolle alles, was Schauspielern ausmacht. Sie variieren die Sprache, proklamieren, zweifeln, flüstern, brüllen, schmeicheln, drohen. Sie haben in jeder Situation die passende Geste, die dazugehörige Mimik. Weil die Rampe fehlt, weil das Publikum ganz nah dran ist am Geschehen, darf es dieses Schauspiel eben intensiv miterleben.
Darin ergänzen sich Christoph Huber und Stefan Dehler kongenial. Huber ist als Mephisto im Luden-Look der Mann für die großen Gesten und das teuflische Grinsen. Mit großen Schritten durch misst er den Kirchenraum und gibt der Inszenierung das nötige Tempo. Gäbe es einen Mephisto-Gedächtnispreis, wegen seines diabolischen Lachens wäre Christoph Huber allererster Anwärter für die kommenden drei Jahre.
Faust möchte wissen, was die Welt zusammenhält.
Stefan Dehlers Werkzeug ist das Wort. Mal laut, mal leise, alle bestimmt, mal zweifelnd, mal auf jubelnden  Höhen, mal im tiefen Keller der Selbstzerfleischung arbeitet er alle Feinheit der Textvorlage heraus und macht sie zu seiner eigen Sache. Die Pause, die Sekundenbruchteile zwischen den Worten, lassen das Gesagte wirken. Eben diese Kunstpausen setzen den Kontrast zum rasenden Mephisto, entschleunigen die Aufführung und schaffen den Zeitruam, um das Gesagte wirken zu lassen.
Während Huber knallendrot gekleidet ist, trägt Dehler die Uniform der alternden Oberstudienräte: mausgrau. Doch aus dieser Rolle befreit sich Dr. Faust, als er auf Gretchen, das junge Dinge, trifft. Hier gewinnt die Inszenierung an Geschwindigkeit. Der Selbstverzweifler wird zum Treibenden, zum Verführer, zum Fordernden. Fast kippt das Verhältnis Mephsito-Faust. Zwischen Protagonist und Antagonist entsteht eine neue Ko-Abhängigkeit.
Es ist eben die Gretchen-Tragödie, die diese Aufführung bestimmt und damit betrachten die stillen hunde und ihr Publikum Goethes Werk aus einem anderen Blickwinkel. War das Unglück der jungen Frau bisher ein Kolateralschaden auf Fausts Weg hin zu neuer Erkenntnis, wird die Verführung der Minderjährigen nun zum Hauptthema. In dieser Inszenierung setzt Faust die Abwärtsspirale ganz bewusst in Gang. Als ihm die Folgen seines Handelns klar werden, muss Mephisto als Sündenbock herhalten. Aufhalten können sie den Gang der Ding nicht mehr. Mephisto und Faust haben die Kontrolle verloren.
In der Rolle der verführten Minderjährigen wird Maja Müller-Bula fast zermahlen zwischen Huber und Dehler, den beiden Säulen dieser Aufführung.Es scheint, als dass sie sich aus deren langen Schatten heraus erst warm spielen muss. Doch die Schlussszene im Kerker macht sie ebenbürtig und der verzweifelte Schrei der Totegeweihten hallt noch lange nach in der dunklen Kirche.




Die stillen hunde über sich selbst
Der Spielplan

Zum Vergleich:

Faust am Deutschen Theater
Faust am Theater für Niedersachsen

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