Sonntag, 27. Januar 2019

Ein Rausch in Farben und Tönen

Die Märchen-Oper Cendrillon am Theater Nordhausen

Leicht und locker und ein Rausch in Farben und Kostümen, dazu ein ganz großer Sack voller witziger Ideen. So präsentiert sich die Annette Leistenschneiders Inszenierung von Cendrillon am Theater Nordhausen. Das Publikum bei der Premiere am Freitag war verzaubert.

Das Libretto dürfte bekannt sein. Im großen und ganzen erzählt die Oper von Jules Massenet die Geschichte vom Aschenputtel. Die Mutter verstirbt früh und der Vater heiratet erneut. Die Stiefmutter bringt zwei Töchter mit und für die Halbwaise beginnt die Hölle der Patchwork-Familie

Das Trio Infernale.
Alle Fotos: TNLos
Doch dann kommt die Chance in Gestalt eines Prinzen. Der ist nämlich auf der Suche nach der Frau und dem Sinn seines Lebens.  Es ist Liebe auf den ersten Blick, doch  die Konvention der Zauberwelt trennt die Beiden. Alles, was zurückbleibt, ist ein Schuh aus Glas.

Während die deutsche Märchenversion im sozialen Niemandsland verbleibt, trifft Annette Leistenschneider  eine eindeutige Festlegung vor. Sie macht eine Schuhmanufaktur zum Ort der Handlung und verlagert das Intrigenspiel damit in die gutbürgerliche Etage.

Als sich der Vorhang öffnet, geht das erste Aahhh durchs Publikum. Das Bühnenbild von Andreas Becker ist eine Augenweide: eine Werkstatt, die funktioniert, aber im Detail zeigt, dass sie auch schon bessere Tage gesehen. Sie liegt irgendwo zwischen dem 19. Jahrhundert und den 50-er Jahren.

Alles in wunderbaren Bonbon-Farben, als ob die Träume kleiner Mädchen wahr geworden sind. Aber es ist kein Schauspielverhinderungsbühnenbild. Es ist reichlich Raum, damit sich ein munteres Spiel entwickeln kann. Leistenschneider kann den Ideenreichtum von Becker bestens nutzen.

Dass Becker auch einfacher kann und trotzdem verzaubert, beweist er im dritten Akt. Dunkelheit und  viele kleine Lichter entwickeln ihre Magie und nehmen das Publikum mit an einen verwunschenen Ort. Hier verschwinden die Grenzen zwischen Realität und Wunsch, so wie der Baum des Todes nie klar zu sehen ist.

Cendrillon ist eine Ausstattungsoper im besten Sinne. Das opulente Bühnenbild wird ergänzt durch eine Rausch an Farben und Falten, Rüschen und Pailletten. Gekrönt wird die Ausstattung durch aberwitzige Frisuren. Was Carolin Schumann als Stiefschwester Dorothée da an Haarpracht mit sich rumträgt, ist schon preisverdächtig.

Alles wird gut, dank Fee.
Alle Fotos: TNLos
Dabei geht die Farborgie quer durch die Jahrhunderte. Chanel trifft auf Rokoko und Biedermeier auf Rck'n'Roll. Märchen sind eben zeitlos und es gibt immer ein Aschenputtel, das sich aus der Asche erhebt. Dazu ist diese Aufführung gespickt mit Hunderten von witzigen Einfällen, die dann doch ein Ganzes ergeben.

Cendrillon ist eine Oper für den Mädelsabend, denn die Kerle sind durch die Reihe eher Witzfiguren. Das beginnt schon in der erste Szene. Thomas Kohl als Vater hat alles mögliche, nur nicht die Hosen an. Rückwärts gewandt kann er die Herausforderungen bestimmt nicht annehmen und seiner Zweitgattin die Stirn bieten.

Auch Philipp Franke in der des Königs ist alles andere als ein Potentat, er gerät eher zur Witzfigur. Doch am weitesten entfernt von den üblichen Vorstellungen ist Prinz Charmant. Das ist bestimmt kein Junge, der auf dem weißen Pferd daherkommt. Stattdessen fährt er Tretroller und trägt Strampler statt Schwert. Erwachsen zu werden scheint nicht zu seinem Plan A zu gehören. Mit der dauerhaften Pubertät ist er die Blaupause für gegenwärtige Generationen. Selbst zur Brautjagd muss er getragen werden. So dekonstruiert Annette Leistenschneider genüsslich die Klischees und liefert noch eine Aussage zur Jetztzeit.

Dazu passt der verhaltene Vortrag von Kyounghan Seo. Immer mit einer ordentlichen Portion Schmelz in Stimme, kann er seine Fähigkeiten erst im dritten Akt andeuten und im vierten ausbauen. Erst die Liebe befreit ihn aus dem Tal des Selbstmitleids.

Es sind die Frauen, die diese Inszenierung bestimmen. Da ist das Trio Infernale aus Stiefmutter und ihren Töchter. Hier gibt Anja Daniela Wagner  eindeutig den Ton an. Klar und kräftig in der Stimme und bestimmt in der Gestik, behauptet sie ihre Position. Ehrgeiz und Missgunst sind ihre Wegbegleiter.

Gegenpol und Gegenentwurf ist Amelie Petrich als die gute Fee voller Güte und Empathie. Mit Dynamik und glasklarem Vortrag setzt sie die Höhepunkte an diesem Abend. Ihre Koloraturen verzaubern ein ums andere Mal. Schon im ersten Akt wird deutlich, wer hier die Fäden zieht und ihr musikalischer Optimismus macht klar, dass es ein gutes Ende geben wird.

Der Prinz muss zur Braut-Jagd getragen werden.
Ale Fotos: TNLos
So viel Klischee sei erlaubt. Cendrillon ist aus einem anderen Grund eine Oper für den Mädelsabend. Schließlich geht es ständig um Schuhe, um Stiefel, Pomps und High Heels. Ständig steht die Fußbekleidung im Mittelpunkt. Mit irgendwas muss sich frau ja auf den Weg machen.

Jules Massenet bietet hier alles auf, was die Schatztruhe der Neo-Romantik zu bieten. Es schmettert und es klagt, Pauke trifft auf Klarinette. In Cendrillon steht die Opulenz im Tutti der Larmoyanz in den Soli gegenüber. Doch leider sind die Gewicht ungleich verteilt und der verhaltene Vortrag nimmt der Inszenierung einiges an Tempo. Da kann man noch zulegen, denn in einigen Szenen wird doch gezeigt, was an Dynamik möglich wäre.

Am Schluss bleibt ein rauschendes Fest für Augen und Ohren und die Aufforderung der Fee, jetzt doch ordentlich zu feiern. Annette Leistenschneider  setzt damit fort, was sie mit den "Lustigen Weibern von Windsor" begonnen hat.










Material #1: Theater Nordhausen - Der Spielplan
Material #2: Cendrillon - Die Inszenierung

Material #3: Jules Massenet - Der Komponist
Material #4: Cendrillon - Die Oper





Montag, 21. Januar 2019

Der Mensch als Ungeheuer

Ulrich Tukur liest Moby  Dick im DT

Die Geschichte vom weißen Wal und von  Käpt'n Ahab, dessen Rachsucht ein Schiff und seine Mannschaft in den Tod reißt,  ist Weltkulturerbe. Ulrich Tukur und der Pianist Sebastian Knauer haben sich dieses Schwergewicht angenommen.  Ihre musikalische Lesung am Samstag im Deutschen Theater erfüllt die Erwartungen gänzlich.

Links ein Flügel,  rechts ein Tisch, die Bühne ist übersichtlich bestückt. Ein dunkelblauer Vorhang trennt Vorschiff und Achterdeck. Seine Farbe erinnert an die Tiefsee und in diesem  Abgrund werden Schiff und Mannschaft verschwinden.

Der Tisch steht auf gedrechselten Beinen. In der Mitte seiner Kreuzüberblattung ruht eine Weltkugel. Das Möbel gehört einfach in die Kajüte eines Käpt'n. Das hat das kollektive Gedächtnis in Dutzenden Piratenfilmen gesehen.

Das Theaterschiff ist voll, nur Käpt'n und
Steuermann fehlen noch.  Alles Foto: Kügler
Die Ankündigung verspricht eine eigenständige   Textfassung. Tukur setzt das Versprechen um, indem er eine Einleitung vorweg schickt.  Es geht um die Vorsehung und darum, dass man diese nur mit einem Lachen und zwar lauthals  ertragen kann. Im letzten Abschnitt wird es wieder um Vorsehung gehen. So schließt Tukur den Kreis des Lebens.

Dann setzt die Musik ein.Sie ist mehr als Beiwerk und auch keine Umrahmung. Knauers Spiel ist präzise, ohne falschen Pathos und es  gliedert den Abend. Es kündigt die Zeitsprünge an und leitet die zahlreichen Wendungen ein. Als Stimmungsmacher ist die Musik wesentlicher Teil der Inszenierung. Als die Pequod in See sticht, umtosen stürmische Töne ihren Bug. Zurückhaltendes Spiel leitet dann das Finale im windstillen Ozean ein.

Auf dem Programm stehen Werke von Schubert, Debussy und anderen Früh- und Spätromantikern. Knauer geht sehr frei mit dem Material um und nur der Mussorgsky ist eindeutig zu erkennen. Auch mit einer Ragtime-Nummer und etwas Swing, ist die Musik doch vom tragischen Ende her konstruiert. Warum die Klagelaute nicht mal von einem Bandoneon erklingen lassen. Das wäre sicherlich eine andere Klangfarbe.

Vielen gilt Melvilles “Moby-Dick” als der Beginn der modernen Literatur. Die Erzählperspektive ist radikal persönlich und die Ansprach direkt. Dazu kommt der lakonische Ton, der die Coolness des 20 Jahrhunderts vorwegnimmt, und sich nicht immer der Hochsprache bedient. Die rasanten Wechsel im Tempo hätten dem Geheimrat aus Weimar und seinen Epigonen wahrscheinlich den Herztod bereitet.

Knapp 170 Jahre nach der Veröffentlichung hat Moby Dick davon nichts eingebüßt. Das macht Tukur mit dem Einstieg in die Originalgeschichte deutlich. Mit jeder Menge Ironie schildert er die Situation des Erzählers Ismael und so ganz nebenbei auch die Geschichte des Walfangs an der amerikanischen Ostküste. Das Schmunzel, das sich einstellt, hat durchaus einen sarkastischen Unterton  und den trifft Tukur genau. Aber er entwirft nebenbei auch das Ideal einer multikulturellen Gemeinschaft , die am gemeinsamen Ziel des Überlebens arbeitet. Damit ist Tukur ganz der Jetzt-Zeit verhaftet.

Die Melancholie der ersten Absätze wird von einem Orkan verblasen, als der Erzähler auf den Harpunier Queequeg trifft. Es holtert und poltert und kracht und vor dem geistigen Auge entsteht das Universum einer zweifelhaften Hafenspelunke bei Nacht. Tukur schmeißt Deutsch und Englisch durcheinander und wenn auch nicht alles verständlich ist, so wird das Bild doch lebendig und das scheint das Ziel zu sein.  

Am Horizont deutlich zu erkennen: Steuermann und
Käpt'n sind jetzt an Bord.
Dass er dies vielstimmig macht, mal nuschelt, mal klar artikuliert, mals hektisch plappert und mal die Sprache verschleppt, das kann das Publikum durchaus erwarten und als Tukur die Erwartungen erfüllt, ist die Freude im Parkett dennoch groß. Sogar den Versprecher im dritten Kapitel nehmen Vorleser und Zuhörer mit Humor. Der kleine Fehltritt steigert sogar die Sympathie für einander

Das Ende ist klar: Der Kahn säuft ab und mit ihm alle bis auf einen. Deswegen verschiebt Tukur die Gewichte von der Action-Geschichte weg zur Charakterstudie. Die Handlung tut hier nichts zur Sache. Es geht nicht darum, einen Sachverhalt darzulegen, denn das Publikum ohnehin kennt. Die Typen darlegen, den Menschen erklären, so lautet das holde Ziel.

Es geht um die Tragödie, um das unaufhaltsame schlimme Ende und die Menschen, die darauf zusteuern. Bis alle tragenden Figuren vorgestellt sind, bis das ganze Universum aus Offizieren, Schiffseigner, Matrosen und Ex-Matrosen entworfen ist, lassen Tukur und Knauer aber immerhin 50 Minuten vergehen. Erst dann kommt die allseits bekannte Geschichte.

Der Mensch ist das wahre Ungeheuer. So lautet die Aussage in der Ankündigung. Für Tukur gibt es hier nur das eine Ungeheuer und das heißt Ahab. Im Vortrag macht Tukur deutlich, wie das Schiff und die Mannschaft von Ahab quasi in Geiselhaft für den Rachefeldzug genommen werden.

Es braucht nicht viel Transferleistung, um zu erkennen, dass Tukur hier einen Typen Mensch entwirft, der heute so weit verbreitet ist, wie nie zuvor. Diese Transferleistung trauen die Künstler ihrem Publikum zu. Schließlich ist es nicht nur erwachsen sondern auch weit gereist

Doch wenn er bei der Darstellung der Handelnden aus einem reichhaltigen Schatz an Stimmenvielfalt schöpfen kann, so bleibt der Ahab weitestgehend eindimensional. Tukur rezitiert ihn leider nur im Brüllton. Mal ein leises Wort scharf gesetzt, das würde ihn viel lebendiger machen. Einzig die Szene des Kartenstudiums in der Kajüte mit Flüsterstimme und viel Hall auf der Anlage, lässt den Käpt’n kurz ins Gespenstige abgleiten. Das hätte man ausbauen können.

Das Finale ist furios. Im Eiltempo berichtet Ismael vom Angriff des weißen Wals und vom Untergang der Pequod. Doch dann ist plötzlich Stille und das Licht erlischt. Einfach und wirkungsvoll. Das Publikum bedankt sich für diese Inszenierung und die gute Leistung mit reichlich Beifall.





Material #1: Moby-Dick - Das Werk
Material #2: Herman Melville - Die Biographie

Material #3:Ulrich Tukur - Die Website
Material #4: Ulrich Tukur - Die Biographie

Material #5: Sebastian Knauer - Die Website
Material #6: Sebastian Knauer - Die Biographie


Material #7: DT Göttingen - Der Spielplan




Montag, 14. Januar 2019

Ein Parzival für alle Fälle

Sven Mattke entstaubt für Junges Theater Nordhausen

Es bedarf keines Wunder, damit Sohn und Vater mal einer Meinung sind. Es braucht nur ein mitreißendes Stück Theater und schon sind sie sich einig. So geschah es am Sonnabend im Theater unterm Dach in Nordhausen. Sven Mattke und Nele Neitzke zeigten in der Uraufführung von "Young Parzival" eine großartige Aufführung.

25.000 paarweise Verse umfasst der Epos von Wolfram von Eschenbach aus den Jahren 1200 bis 1210. In Buchform sind das 16 Bände. Nele Neitzke hat es geschafft, dieses literarische Monstrum auf 65 Minuten Schauspiel zu komprimieren und konzentrieren. die Meisterleistung besteht darin, dass nichts verloren geht.

Krone auf: Sven Mattke spielt den König Artus.
Alle Fotos: András Dobi
Der Dramaturgin und Regisseurin ist es gelungen, die lange Legende auf die Eckpunkte zu reduzieren. In beeindruckenden Schlüsselszene  setzen sie die Wegmarken. Die Entwicklung des jungen Manns, sein Prozess der Reifung wird deutlich und nachvollziehbar. Es fehlt nichts.

Sven Mattke schafft es, ein gesamtes Universum entstehen zu lassen. Er ist Parzival, Gahmuret ebenso wie Herzeloyde oder Artus.  Er spielt den Sohn, den Vater, die Mutter gleichfalls wie den Sagenkönig ohne Verlust.

Krone auf den Kopf oder rote Lederjacke an, ein Bein nach vorne gestellt und die Lanze auf die Schulter. Es sind nur wenig Requisiten und Gesten, die den Rollenwechsel deutlich machen. Das beeindruckt vor allem den härtesten aller Kritiker. Vergleichbares hat er in seiner 6-jährigen Karriere als Theaterbegutachter noch nicht erlebt.

Es ist vor allem die freche Darstellungsweise, die die jüngeren im Publikum anspricht. Mattke schaft dies, ohne sich anzubiedern. Da wirkt nichts aufgesetzt. Wenn Mattke rappt, dann rappt er halt. Das ist nun mal die Sprache der Jugend und es ist eine Inszenierung am Jungen Theater Nordhausen. Zielgruppe genau erkannt und gut angesprochen, kann man das zusammenfassen.

Aber schon mit kleinen Mitteln, mit einem Wechsel in Gestik und Stimmlage schafft er ebenso den Sprung in Erwachsenenalter. Das mancher der Helden, dabei zur Karikatur wird, ist durchaus beabsichtigt. Es sorgt für eine deutliche Entkrampfung, wenn man die Denkmäler von den Sockeln holt.

Parzival ist unterwegs.
Aber den härtesten aller Kritiker in seinen reifen 13 Jahren begeistert vor allem der lockere Umgang des Darstellers mit seinem Publikum. Mattke sammelt Vorschläge, stellt Fragen, geht souverän über die Gummi-Baum-Panne hinweg und animiert alle zum Konzertleuchten. Mit dem Dialog mit Souffleur Christopher dekonstruiert er zudem die Geheimnisse des Theaters. Die Regieanweisungen für den Mann am Licht spricht er auch gleich mit. Nicht staunende Faszination sondern laute Begeisterung für das Theater ist sein Ziel.

Trotzdem kippt die Aufführung nie in den Trash ab. Dafür sorgen die Schlüsselszenen wie die Hirschjagd des Jüngling. Mattkes Stimme steigert sich vorlaufend im Tempo, im Kopfkino sieht man den Hirsch immer schneller fliehen. Das steht im starken Kontrast zu ehr starren Darstellung und dem Mangel an Bewegung. Das Erweckungserlebnis des Jüngling findet fast nur im Text statt und ist deswegen um so eindringlicher. Dann fließt das Blut aus der Gießkanne und einen Moment lang herrscht Sille. Dramaturgisch gelungen.

Gleiches gilt für die Suche des Parzivals nach dem Gral. Minutenlanger Moonwalk und Sven Mattke kommt nicht von der Stelle. So einfach und verständlich kann man Plackerei in Bewegung fassen. Da ist es doch gut, das sich all der Aufwand am Schluss doch lohnt und das Stück in Frieden und Freunden in Festivitäten endet. Die Liebe besiegt alle Widrigkeiten ist die Botschaft und dafür gibt es Applaus im Pop-Konzert-Qualität









Material #1: Theater Nordhausen - Der Spielplan
Material #2: Young Parzival - Das Stück

Material #3: Parzival - Die Legende




Andere Meinungen vom härtesten aller Kritiker

Der härteste aller Kritiker - Teil eins
Der härteste aller Kritiker - Teil zwei
Der härteste aller Kritiker - Teil drei
Der härteste aller Kritiker - Teil vier
Der härteste aller Kritiker - Teil fünf
Der härteste aller Kritiker - Teil sechs
Der härteste aller Kritiker - Teil sieben
Der härteste aller Kritiker - Teil acht
Der härteste aller Kritiker - Teil neun
Der härteste aller Kritiker - Teil zehn
Der härteste aller Kritiker - Teil elf
Der härteste aller Kritiker - Teil zwölf
Der härteste aller Kritiker - Teil dreizehn
Der härteste aller Kritiker - Teil vierzehn
Der härteste aller Kritiker - Teil fünfzehn
Der härteste aller Kritiker - Teil sechzehn
Der härteste aller Kritiker - Teil siebzehn
Der härteste aller Kritiker - Teil achtzehn





Donnerstag, 10. Januar 2019

Erst bedingt witzig, dann doch rasant

Theater Rudolstadt tagt als Festkomitee in Nordhausen

Es existiert kein englischen Wort für die deutsche "Vereinsmeierei". Dennoch gibt es sie auf der Insel zu Genüge. Das lehrt das Stück "Das Festkomitee" von Alan Ayckbourn. Für das Theater Rudolstadt hat Steffen Mensching die Komödie inszeniert. Die Premiere in Nordhausen zeigt ein sehr langes Vorspiel, das erst nach der Pause Fahrt aufnimmt und bis dahin nur bedingt witzig ist.

Eigentlich ist es eine tolle Idee. Die Kleinstadt soll ein Fest bekommen, wie es in Pendon noch keins gegeben hat. Dafür hat Ray eine Geschichte aus der Vergangenheit ausgegraben. Um "Die Zwölf von Pendon" soll ein Historienspiel entstehen, an dem die ganze Bevölkerung teilnehmen kann. Schließlich steckt hier alles drin, was die Gegenwart braucht: Freiheitsdrang, Widerstand und Gerechtigkeit.

Also lädt Ray ein paar Mitbürger zur Gründung eines Festkomitees ein. Doch aus dem gemeinsamen Projekt wird schnell ein Zankapfel. Jeder will sein eigenes Süppchen daraus kochen und Weltansichten prallen aufeinander. Neid, Missgunst und Streit brechen aus und die Aufführung des Historienspiels endet im Chaos.

Auch in der Weihnachtszeit tagt das Festkomitee.
Alle Fotos: Lisa Stern
Alan Ayckbourn kennt sich aus in der englischen Provinz und in deren Kulturbetrieb. Schließich hat er mehr als 40 Jahre das Stephen Joseph Theatre in Scarborough geleitet. Daneben hat er sich zu einem der wichtigsten zeitgenössischen Dramatiker Großbritanniens geschrieben und wurde dafür in den Adelsstand erhoben.

Die zivilisatorische Decke ist dünn und des braucht nur wenig, um die englische Mittelschicht aus dem emotionalen Sattel zu heben. Das ist Ayckbourns immer wieder kehrendes Thema und im "Festkomitee" lässt er die verschiedenen Vertreter dieser Spezies aufeinander los. Es sind aber Menschen wie du und ich. Zudem sind es Typen, die jede und jeder, die und der schon mal Lebenszeit auf Sitzungen vernichtet hat, zu Genüge kennt. Da sind dem Autor und dem Regisseur realistische Beschreibungen gelungen.

Da ist Oberorganisator Ray als bürgerlicher Durchschnitt. Er hat zwar die Idee und bringt die Menschen an einem Tisch zusammen. Belohnt wird er mit dem Posten des ersten Vorsitzenden. Schnell gibt er das Heft des Handelns aus der Hand und beschränkt sich aufs Vermitteln und auf Erhaltung des Status Friede-Freude-Festival. Schließlich ist er ja mit dem Vorsitz sediert.

Die Gestik immer etwas eingeschränkt und die Stimme immer im Mittenbereich. Mit seiner gehemmten, leicht verklemmten Darstellung gelingt Rayk Gaida eine schlüssige Beschreibung des Biedermeiers, der die Brandstifter nicht sehen will. Selbst die kurzen Wutausbrüchen passen da ins Gesamtbild.

Die Intimfeinde Helen und Eric.
Foto: Lisa Stern
Gewohnt souverän, aber etwas zurückhaltender als sonst und vor allem im Bereich Leisetreter. Matthias Winde kann in der Rolle des Stadtrats Evans überzeugen. Jede Kleinstadt kennt diesen Berufsjugendlichen, der arg engagiert ist in Sachen Kultur, aber keine Ergebnisse aufweisen kann und im Hotel Mama wohnt. Aber für alle hat er einen guten Ratschlag. Abgerundet wird das Bild mit der stimmigen Kunstlederhose.

Da ist Oliver Baesler in der Rolle des kämpferischen Lehrers Eric Collins der passende Gegenentwurf. Brust raus, große Gesten, grimmige Mimik und immer mit fester Stimme, stets unter Spannung und auf dem Sprung. Aus solchem Holz sind wahre Revoluzzer geschnitzt.

Da ist die Rolle der Helen vielschichtiger angelegt. Ulrike Gronow schafft es, der Gattin von Ray  unerwartete Tiefe zu verleihen. Ihr Spiel ist vielschichtiger als das ihres Widerparts Eric. Von schnösselig über zickig bis hin zu empathisch aber auch kämpferisch vermag Gronow die Gemütszustände der Middleclass zu vermitteln. Dabei wirkt ihr Spiel immer ehrlich.

Für Sophie wird die Arbeit im Festkomitee zu einem Prozess der Emanzipation. Vom Mauerblümchen zur Mitbestimmerin. Laura Bettinger bringt eben diese Befreiung in Etappen in jeder Szene nachvollziehbar auf die Bühne. Das macht sich in ihrem Äußerem bemerkbar. Mathias Werner hat es geschafft, diese Entwicklung in die richtigen Kostüme zu stecken.

Der Vorhang ist schon lange vor der Aufführung geöffnet. Er gibt den Blick frei auf ein Interieur mit einem morbiden Charme. Stockflecken an den Wänden, vertrocknete Grünpflanzen und Lücken in den Tapeten. Das ist also das Biotop, in dem große Träume Wirklichkeit werden sollen. Dem Publikum ist schon auf den ersten Blick klar, dass in solch einem Ambiente nur wenig gedeihen kann. Mathias Werner hat auch hier gute Arbeit geleistet.

Doch die lange Tischreihe an der Rampe wirkt nicht nur wie das letzte Abendmahl. Sie ist auch  eine Barriere. Vieles von dem wenigen, was in Bewegung ereignet, findet für die Zuschauer somit im toten Winkel statt. Erst als nach der Pause diese Schranke fällt, bekommt die Inszenierung auch Tempo. Oder lautet Steffen Menschings Credo: Das,was am Tisch passiert, hindert den Mensch am Mensch sein.

Ayckbourns Werk präsentiert Typen und Aussagen mit Ewigkeitsanspruch. Dass es dann doch schon 42 Jahre alt ist, merkt man der Aufführung dann doch an. Hier hätte einer dramaturgischen Auffrischung bedurft. Beinharte Marxisten kennen nur die Wenigstens aus eigener Erfahrung. Somit verpufft ein großer Teil der Auseinandersetzungen zwischen Helen und Eric in einer luftleeren Geschichtsträchtigkeit. Umstürzler mit Beamtenstatus kommen heutzutage als Grüne daher.

Die Ritter von der traurigen Gestalt.
Foto: Lisa Stern
Ähnliches gilt für die schwierige wirtschaftliche Situation, die im Hintergrund immer wieder durchschimmert. War sie damals eine Spätfolge des untergegangenen Empires, ist sie jetzt dem selbst verschuldeten Brexit zuzuschreiben. Da wäre mehr Aktualität möglich gewesen.

Auch der Aufbau entspricht den Gewohnheiten der 70-er Jahre. In den Szenen einer Planung tagen die Protagonisten dreimal. Anfang, Mitte und kurz vor dem Ende. Von der Idee über die Planung zur Umsetzung. Die Spannungen bauen sich vor der Pause häppchenweise auf, um sich dann in einem furiosen Finale zu entladen. Das ist leicht verständlich und leicht verdaulich, aber eben auch ein wenig altbacken.

Bis dahin glänzt die Inszenierung mit scharfen Wortgefechten und kleinen Details, die beobachtet werden müssen, wie die Stoffhunde von Sophie. Mann muss genau hinhören und genau hinschauen. Die Wortbeiträge sind sicherlich wie aus dem wahren Leben und bieten einen hohen Wiedererkennungswert, für alle, die schon mal Lebenszeit auf Sitzungen vernichtet haben.

Der Orkan im zweiten Akt fegt dann all diese zivilisatorischen Errungenschaften hinweg. Es bleibt nichts. Für diejenige, die ihren Humor an Woody Allen geschult haben, ist diese Inszenierung ein zusätzlicher Gewinn.






Material #1: Theater Nordhausen - Der Spielplan
Material #2: Das Stück- Website des Theater Rudolstadt

Material #3: Alan Ayckbourn - Die Biographie auf deutsch
Material #4: Say it in englisch - Die komplette Biografie