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Weit weg vom Märchenonkel

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 Ivan Alboresi choreographiert Dornröschen in Nordhausen Man kann Märchen als wundersame Geschichten erzählen oder aber zu ihrem Kern vordringen. Man Märchen als zauberhafte Unterhaltung sehen oder aber die elementaren Aussagen finden unter all den dekorativen Zutaten. Genau das ist Ivan Alboresi mit seiner Choreographie zu Dornröschen von Pjotr Tschaikowsky gelungen.  Er verzichte auf Tütüs und erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die sich aus Zwängen und Versuchungen befreit. Alboresi wird mit dieser Choreographie zum Analytiker und befreit sich aus der Rolle des Märchenonkels. Die Inszenierung bezieht ihre Kraft aus der Spannung zwischen der spätromantischen Musik und den kontrastierenden Elementen des Modern Dance. Unterstützt wird dies auch durch die Kostüme von Anja Schulz-Hentrich. Kein Plüsch, kein Pluder, kein Samt, sondern klassische Moderne kennzeichnet die Ausstattung der Tänzerinnen und Tänzer. Die kräftigen Farben erzeugen eine gesunde Spannung zu den grauen...

Irgendwie gehört es zum Advent dazu

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Silberhochzeit: 25 Jahre Amarcord im Kreuzgang Amarcord und Walkenried, das ist wie Tim & Struppi, Stan & Laurel oder Fred & Ginger. Vor 25 Jahren ist das Ensemble aus Leipzig zum ersten Mal bei den Kreuzgangkonzerten aufgetreten. Seitdem konzertiert das Quintett immer wieder im Kloster und weiß den Ort und das Team zu schätzen. Das bracht Wolfram Lattke in seiner Begrüßung mehrfach zu Ausdruck. Auch beim Auftritt am Dienstag gab es ein bewährtes Programm. Sakrale Weihnachtsmusik vor der Pause, heitere Weihnachtsmusik nach der Pause. Damit konnten die bekennende Leipziger mal wieder überzeugen. Erst nach der einkalkulierten Zugabe wurde das Ensemble vom Publikum entlassen. 25 Jahre ist auch eine Silberhochzeit und die hat man im Kreuzgang gefeiert. Die Zuhörer und Zuhörerinnen wissen, was sie an diesem Abend erwartet und Amarcord liefert. Einige Teile des Programms sind aus den Vorjahren bekannt und wo andere Vokalensembles wie Viva Voce das Experiment wagen, setzen die Lei...

Ganz entspannt in den Untergang

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Sidler inszeniert im DT Göttingen den Kirschgarten im Down-Tempo "Der Kirschgarten" von Anton Tschechow hat in den letzten 120 Jahren immer wieder Konjunktur. Denn irgendwo ist ständig Untergang. DT-Intendant Erich Sidler greift das Offensichtliche auf und überrascht doch. Seine Inszenierung glänzt durch Ruhe und Analyse. Damit verschiebt er den Fokus weg vom Abwenden der Katastrophe hin zu den Ursachen. Die Botschaft ist eindeutig. Das Unglück ist keine Naturgewalt sondern von Menschenhand gemacht. Entscheidend ist nicht was kommen wird, denn das ist klar. Entscheidend ist die Frage, warum es so kommen musste, warum es alternativlos ist. Dabei arbeiten Sidler und das DT-Ensemble mit der Laubsäge und nicht mit der Axt. Statt der Versuchung zu erliegen, eine ganze Klasse in Bausch und Bogen zu verurteilen und der Geschichte zu überantworten, liefern sie feine Psychogramme von Menschen, die mit der Situation und mit sich selbst überfordert sind. So bietet die Göttinger Insz...

Ein Satz mit X

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Wischmeyers neuestes Werk langweilt Es gibt eine Reihe von Dingen, die man sich sparen kann. Das neue Buch von Dietmar Wischmeyer gehört dazu. Es ist eine Aneinanderreihung von allzu Bekanntem und hundertfach Gelesenen. Nur selten lässt der Autor in "Immer is was, nie is nix" seine Stärken aufblitzen. Die Enttäuschung ist umso größer, dass Dietmar Wischmeyeer im Frühjahr 2022 mit "Als Mutti unser Kanzler war" eine gelungene Mischung aus analytische Schärfe, kreativer Wortgewalt und sprachlicher Treffsicherheit vorgelegt hatte. Nix ist davon geblieben. Das neue Buch langweilt mit Gleichförmigkeit und bekannten Rollen. Die Verteilung ist eingeübt: Die Mitmenschen sind dämlich und Wischmeyer ist der Hüter der Vernunft. Schon nach zwei Sätzen weiß man wie die Geschichten enden werden. Nur selten ist er zur Selbstironie fähig wie beim Fehlkauf des SABA Freiburg. Auch in der Geschichte von Inspektor Conradi und den toten Hunden blinken Wischmeyers Qualitäten im Fabu...

Acht Sichten auf die Welt

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Ausstellung mit acht Fotografen im Kunsthaus Meyenburg Meine Damen und Herren, Sie sind ausreichend gewarnt. Ich bin als Kulturphilosoph angekündigt worden und Sie müssen damit rechnen, dass nun einige ausschweifende und abschweifende Worte zu den hier vertretenen Werken und Künstlern folgen. Dabei sollten Sie aber nicht alles für bare Münze nehmen und auf die Goldwaage legen. Es ist bestimmt nicht der Weisheit letzter Schluss. Verstehen Sie meine Worte eher als Anmerkungen. Ich möchte Sie zum Nachdenken anregen und dazu, nach meinen Ausführungen ins Gespräch zu kommen, ihre Meinung zu äußern und sich rege auszutauschen. Das haben wir bitter nötig nach drei Jahren des sozialen Stillstands. Zum Thema Aber kommen wir zum Thema. Journalisten und Fotografen haben eins gemeinsam. Ständig werden sie mit der Aussage konfrontiert „Das kann ich auch und das kann ich viel besser als du“. Dass solch eine These bezogen auf Fotografen nicht zu halten ist, dass werden Sie im Anschluss an mei...

Die Quintessenz des Theaters

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Das Beste zum Schluss: DT spielt Cyrano de Bergerac Besser kann das Ende der Spielzeit nicht sein und Annette Pullen ist der große Wurf gelungen. Mit einer furiosen Inszenierung von „Cyrano de Bergerac“ in der Bearbeitung von Martin Crimp verabschiedet sich das Deutsche Theater Göttingen in die Sommerpause. Es ist die Quintessenz des Theaters. Komik, Slapstick, Selbstironie, Zeitkritik, Liebenund andere große Gefühle und zum Schluss tiefe Verzweiflung. Diese Inszenierung zeigt alles, was am Theater so fasziniert. Am Ende bleibt die Einsicht, dass man das Leben von drei Personen nicht auf einer Lüge aufbauen kann. Da ist tiefster Schmerz vorprogrammiert. Martin Crimp hat das Werk von Edmond Rostand in die Jetztzeit gebracht. Regisseurin Annette Pullen mischt in ihrer Inszenierung die Zeiten, um deutlich zu machen, dass es das alles irgendwie schon mal und immer gab. Damit verhandelt sie auf eindrucksvolle Weise die große Gefühle der Menscheit. Perücken und Sonnenbrillen, Rüschen...

Mozart und Marley sind Cousins

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Gelungenes Crossover: Uwaga! bei den Kreuzgangkonzerten Schubladen haben keinen Sinn und die Grenzen sind fließend. Das ist das Konzept von Crossover. Mit Uwaga! war am Freitag einer der Pioniere dieser musikalischen Spielart zu Gast bei den Kreuzgangkonzerten. Das Quartett hat deutlich gemacht, dass Crossover nichts für den Kopf ist sondern für das Tanzbein. Er kann auch Spaß machen. Im Südharz war bisher nicht bekannt, dass die Violine eigentlich die kleine Schwester der E-Gitarre ist. Diese Wissenslücke haben Christoph König und Maurice Maurer am vergangenen Wochenende geschlossen. Ein ums andere Mal duellierten sich die beiden Virtuosen wie einst Peter Frampton und Jimmy Page und andere Gitarrenhelden der 70-er Jahre. Um so etwas leisten zu können, muss man sein Streichinstrument schon exzellent beherrschen. Es verlangt zudem ein gewisses Maß an blindem Verständnis. Nur wer ganz genau hinhörte, bemerkte die zwei bis drei verpatzten Einsätze. Doch das tat der Stimmung keinen A...

Wagners Welt in 105 Minuten

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Weimar Brass und Markus Fennert präsentieren Ring in Rekordzeit Wagner-Fans müssen dicke Bretter bohren und Sitzfleisch haben. Laut anerkannter Zeitrechnung dauert "Der Ring des Nibelungen" mit allen vier Teilen mehr als 16 Stunden. Dass dies auch kürzer geht, haben Markus Fennert und das Quintett Weimar Brass am vergangenen Wochenende bei den Kreuzgangkonzerten bewiesen. Sie schafften den Parforceritt durch mystische Gefühlswelten in 105 Minuten. Trotz der Rekordzeit vermisst man nichts. Das ist vor allem Uwe Komischke und dessen Arrangement zu verdanken. Der Trompeter hat Wagners bombastisches Werk auf das Wesentliche reduzieren. "Der Ring" braucht lediglich vier Stimmen: Trompete, Posaune, Horn und Tuba. Alles andere ist Gedöns und Streicher werden überbewertet. Gerade die Reduzierung auf die Blechbläser entspricht der düsteren Grundstimmung in Wagners Werken.  Zudem ist es Komischke gelungen, aus Wagners überbordender Klangwelt die bestimmenden Melodien herau...

Eher ein Kinderbuch für Erwachsens

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Neuauflage des Dschungelbuchs überzeugt mit Ästhetik Mogli geht es wie Pu. Ebenso wie der Bär mit geringem Verstand ist auch er Walt Disney in die Hände gefallen. Dieser hat den Jungen aus dem Dschungel in Zuckerguss ertränkt, geglättet und postum verstümmelt. Da kann man dem Steidl Verlag nur dankbar sein, dass er nun eine Neuauflage des „Dschungelbuchs“ veröffentlicht hat. Denn das Werk von Rudyard Kipling ist schroff und bestimmt nicht niedlich. Damit taugt es bestens zur Diskussion um Realismus und Werktreue. Herausgeber Andreas Nohl hat das Dschungelbuch oder korrekterweise die Dschungelbücher neu übersetzt und neu sortiert. Das Dschungelbuch versammelt in zwei Bänden Kurzgeschichten und Erzählungen, in deren Mittelpunkt meist der Waisenjunge Mogli steht. Nohl hat Kipling Werke in eine Reihenfolge gebracht, die es einfacher macht, den Weg des „Menschenwelpen“ vom Findelkind zum Herrscher des Dschungels nachzuvollziehen. Dieses Werk ist der Prototyp des Entwicklungsromans. Rudy...

Keiner ist ohne Schuld

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Faszinierende Neuinszenierung von Brechts „Dickicht der Städte“ im DT Göttingen Durchweg gelungen und nix zu meckern. So lässt sich die Katharina Ramsers Inszenierung von „Im Dickicht der Städte“ zusammenfassen. Der Regisseurin, ihrem Team und dem Ensemble des DT Göttingen ist es gelungen, just zum 100. Geburtstag von Brechts Drama das in den Vordergrund zu stellen, was über den Tag hinausweist: Abhängigkeiten und Verstrickung in Schuld. In Brechts Werk nimmt dieses Drama eine besondere Stellung ein. Es zeigt schon alle Elemente dessen, was Brecht und Piscator 1926 als episches Theater formulieren. Auf jeden Fall sorgte die Welturaufführung 1923 im Residenztheater München für einen ordentlichen Skandal und den Aufstieg des Autors. Einhundert Jahre später kann man mit Brecht nicht mehr für Skandale sorgen. Aber die Premiere am Deutschen Theater Göttingen zeigt, dass viel Gegenwart in diesem Drama steckt, weil es die ewigen Themen Macht, Familie, Umgang und Menschlichkeit verhandel...