Mittwoch, 28. Januar 2015

Was kommt nach den Brombeeren?

Brit Bartkowiak inszeniert am DT Göttingen einen eindrucksvollen Parzival

Mit seiner Bearbeitung der Parzival-Legende hat Lukas Bärfuss ein tragisches und berührendes Stationendrama geschrieben. Mit ihrer Inszenierung am Deutschen Theater in Göttingen hat Brit Bartkowiak eine Interpretation der Legende geschaffen, die nicht nur Verweise in die Jetzt-Zeit liefert sondern auch als Gesamtpaket überzeugt. Der Erfolg basiert auf den drei Säulen Darsteller, Bühnenbild und Licht und so gab es zur Premiere am 24. Januar jede Menge Beifall
Das Licht geht an und zwei Männer kriechen aus einer der Bodenluke. Als nächstes erklimmt Gaby Dey als  Herzeloyde die Bühne. Nach dem Tod des Gatten will sie ihren Sohn Parzival (Vanessa Czapla) fernab der Menschheit und der Kultur allein erziehen. Er soll ohne Gemütsregung und ohne Sehnsucht groß werden. Das Experiment ist zweifach zum Scheitern verurteilt. Auf der einen Seite wächst ein Kind ohne soziale Bindung und ohne Empathie heran. Parzival ist nicht der Prototyps eines Kasper Hauser sondern eher Frankensteins Monster. Zum Zeitvertreib jagt er Hirsche und schaut den Tieren beim Sterben zu. Die Legendenfigur wird zum Prototyp des Ego-Shooters. Der Hirschspieß ersetzt den Joystick. Die hier trainierten Fähigkeiten helfen Parzival beim Töten seiner menschlichen Kontrahenten.
Die Begegnung von Parzival (links) und Ither
endet tödlich
. Alle Fotos: T. M. Jauk
Parzival wird oft töten und das nicht auch einer Notwendigkeit heraus, nicht zur Abwehr, sondern emotionslos und aus Berechnung. Ritter Ither  wird sein Leben lassen weil Parzival dessen rote Rüstung braucht, um den Ziel Rittertum
näher zu kommen.
Das Experiment von Herzeloyde, der Urmutter als Helikoptermütter, ist auch deswegen zum Scheitern verurteilt, weil sich die Realität nicht aussperren lässt und weil der Wissensdurst eines Kindes größer ist als alle mütterliche Vorsicht. Er will wissen, wie die Welt jenseits der Brombeerbüsche aussieht, außerhalb des enggesetzten mütterlichen Kosmos und als die Realität in Form zweier Ritter in den Wald eindringt, verlässt Parzival die mütterlichen Gefilde.
Es ist ein Clash of Cultures, als Parzival unter die Menschen kommt. Er kennt die Regeln des Rudels nicht und seine Fragen werden als Dummheit interpretiert. zu festgefahren sind alle Menschen, als dass sie Parzival Wissensdurst befriedigen könnten.
Er ist aber auch die gewissenlose Urgewalt, die die Grundfesten des höfischen Lebens erschüttert. Artus Tafelrunde ist keine Versammlung von Helden, sondern eine Spaßgesellschaft, in der sich jeder seine Pfründe sichern muss. Der unbedarfte Jüngling wird zum Werkzeug des rachsüchtigen König und damit wird eine Kette von Ereignissen in Gang gesetzt, an dessen Ende Ernüchterung, Enttäuschung und jede Menge verpasste Chancen stehen.
Artus Tafelrunde ist als andere als eine Ver-
sammlung von Helden.
Parzival ist ein Getriebener, weil er die Regeln des menschlichen Rudels nicht kennt, weil er, der Bindungslose, nicht weiß, dass das Unterlassen in einer Gesellschaft voller Abhängigkeit genau so wichtig ist. Weil er keine Empathie, kein Mitgefühl entwickeln kein, fehlt ihm die wichtigste Voraussetzung, um Bindungen langfristig einzugehen. Weil ihm jedes Mitleid abgeht, so stellt Parzival dem verdammten König Anfortas nicht die entscheidende Frage. Der Jüngling hat es in seiner Hand, die prophezeite Erlösung zu bringen, doch er kann nur Scheitern.  
Bärfuss "Parzival" ist klassisches Sprechtheater und stellt damit hohe Anforderungen an die Darsteller. Ständig wird mit Doppeldeutigkeiten jongliert und Sprachwitz bis zur Sophisterei analysiert. Aber es muss auch jede Betonung sitzen. Weil er diesen Code nicht beherrscht, ist Parzivals Scheitern vorprogrammiert. Was am Ende bleibt ist ein Ritter Parzival von der traurigen Gestalt.
Es ist der Abend von Vanessa Czapla. Sie meistert alle Anforderungen der Titelrolle, vermittelt die Wandlung vom wissbegierigen Jüngling über den mordlustigen Ritter zum verzweifelten Wanderer exzellent. Jeder Ton, jede Geste, jede Mimik sitzt. Sie hat die Dynamik des Haudrauf und die Verzweiflung des Gescheiterten. Hier entsteht etwas Großartiges.
Sigune ist die einzige, die Parzival helfen könnte.
Doch er versteht ihre Sprache nicht. 
Auch Bardo Böhlefeld in der Rolle des zweiten Bauerns und vor allem als Ritter Ither setzt mit Frederik Schmid in der Rolle des ersten Bauerns ein Gegengewicht. Als Duo sind sie für die komischen und die reflektierenden Momente zuständig und helfen dem Publikum beim Innehalten.
In der Rolle der Sigune hinterlässt auch Elisabeth Hoppe einen starken Eindruck. Selten hat Orientierungslosigkeit und endlose Verzweiflung solch  eine Tiefe.
Der großartige Eindruck diese Sprechtheater wird durch das Bühnenbild von Nikolaus Frinke verstärkt. Zentrales Element ist ein riesiges Tarnnetz. Das sagt nicht nur: Es ist Krieg. Es nimmt auch immer wieder andere Form, ist mal Wand, mal Kuppel und verdeutlicht damit jeden Szenenwechsel, jede Station auf dem Weg des Parzivals. Die Beleuchtung schafft es zum eigenständigen gestalterischen Element. Sie nutzt alle Möglichkeiten, schafft die unterschiedlichsten Stimmungen von mystischer Dunkelheit über das lebhafte Schattenspiel des Waldes bis hin zum gleißenden Licht der Selbsterkenntnis.
Auch die Kostümsprache von Carolin Schogs ist eindeutig. Parzival ist kein Historienspiel sondern ein Werk der Gegewart. Da ersetzt der Smoking eben die blecherne Rüstung.
Wie gesagt, mit seinem Parzival  hat Lukas Bärfuss ein berührendes Drama geschrieben, dass Brit Bartkowiak dank einer großartigen Teamleistung in eindrucksvoller Weise am DT in Göttingen inszeniert hat.


Das Stück in der Selbstdarstellung
Der Spielplan am DT





Donnerstag, 22. Januar 2015

Zwei ganz normale Sonderling

Tilo Esche inszeniert Elling auf liebevolle und ehrliche Art

Die Romane von Ingvar Ambjørnsen um den Sonderling Elling machten in den 90-er Jahren Furore. Mit der Inszenierung der gleichnamigen Komödie ist Tilo Esche am Theater für Niedersachsen eine Interpretation gelungen, die Dinge vereint, die nur schwer unter einen Hut zu bringen sind. Der Hildesheimer Elling ist liebevoll und witzig, aber auch ehrlich und schonungslos. 
Regisseur Tilo Esche hat aus der Vorlage eine Komödie gemacht, die rasante und ruhige, komische und traurige Szenen hat. Dabei hat er viele Theatermittel zu einer gelungenen Mischung zusammengefügt. Das amüsante Kammerspiel zeigt, das Anders sein ganz normal ist. Es zeichnet zwei schwierige Charaktere, ohne sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Deswegen gab es am Ende der Premiere am 17. Januar viel Applaus.
Elling und Kjell Bjarne müssen nun mit der Realität
klarkommen. Alle Fotos: Hartmann
Ausgangspunkt ist "Blutsbrüder", der dritte Roman in der Reihe von Ingvar Ambjørnsen. Nach mehreren Jahren in der Psychiatrie bekommen Elling und Kjell Bjarne eine neue Chancen. Sie dürfen in ein eigene Wohnung ziehen.
Doch nun müssen sie sich in der Realität zurechtfinden.
Betreuer Frank macht deutlich, dass er und die Stadtverwaltung klare Erwartungen an die Beiden haben. Dazu gehört die Anforderung, sich unter die Menschen zu mischen. Gerade für Elling ist das eine unüberwindbare Hürde. Er ist hochintelligent, leicht panisch und hat deutliche Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen. Kjell Bjarne hingegen ist eher praktisch veranlagt, sein Werkzeugkoffer ist sein Anker und er lässt sich die Welt gern von Elling erklären.
Das Stück beginnt mit einer Krise. Elling und Kjell Bjarne wollen sich nun unter die Mitmenschen mischen. Betreuer Frank lässt ihnen keine Wahl. Entweder raus in die Welt oder rein ins Heims. Nun lässt Tilo Esche seine Schauspieler aus der Retrospektive erzählen, wie zu dieser Krise. Einfach herrlich der Einfall, Thomas Strecker als Elling und Dennis Habermehl als Kjell Bjarne rückwärts über die Bühne laufen zu lassen, um die Zeit zurückzuspulen. Mit der Musik im Rückwärtsgang ergibt dies eine eindeutige Aussage, die ohne langwierigen Erklärungen auskommt.
Genau an dieser Stelle geht es nach der Pause weiter. Erst kommt die Erklärung der Krise, dann deren Auflösung, eine deutliche Erzählstruktur.
Tilo Esche versteht es, mit Video und Musik an den passenden Stellen erzählerische Mittel einzubauen, die die Aussage und das Tempo des Stücks voranbringen und nicht als Attitüde im luftleeren Raum hängen.
Mit wenigen Handgriffen wird aus der Männer-WG das Heim. Das Bühnenbild von Ulrike Reinhard ist nicht nur variabel, mal Wohnung, mal Heim, mal Restaurant. Mit wenigen Requisiten erlaubt es einen schnellen Umbau, der das Tempo der Inszenierung unterstützt. So wie das Leben von Elling und Kjell immer komplizierter wird, umso mehr füllt sich die Bühne mit Requisiten, bis zum Schluss eine Fülle entsteht, die Elling am Anfang des Stücks wohl als Chaos und als Bedrohung  begriffen hätte.
Als Reidun in die Männer-WG eindringt, sind die
Konflikte vorprogrammiert. Alle Fotos: Hartmann
Doch das Stück lebt vor allem von den beiden Hauptdarstellern. Thomas Strecker und Dennis Habermehl gelingt es, zwei Menschen darzustellen, die nicht ganz normal sind, ohne sie ins Lächerliche zu ziehen. Es gelingt ihnen auch, beide als Individuen darzustellen. Dort Elling mit seiner panischen Angst vor Frauen, dort Kjell Bjarne, die anfangs nur ans Ficken denken kann. Schonungslos und ehrlich ist die altkluge Erkenntnis "Ficken wird überbewertet und außerdem gewöhnt man sich schnell dran" der beiden Beziehungsabstinzler.
Bei mancher Marotte von Elling und seinem Mitbewohner besteht für das Publikum durchaus die Gefahr der Selbsterkenntnis. Den Konflikt zwischen Elling und Kjell Bjarne, der ensteht als Reidun in die WG-Männer eindringt, vermitteln sie ebenso glaubwürdig, wie Kjells anschließende Ablösung vom dominanten Elling und dessen nicht ganz freiwillige Hinwendung zur modernen Lyrik. In der Mischung aus Ruhelosigkeit und Träumerei liegt der stärkste Moment von Thomas Strecker. Somit ist die Komödie ein klassisches Entwicklungs- und Emanzipationsstück, das gut umgesetzt ist und gut ausgeht.
Hinter den beiden Hauptdarstellern muss Gotthard Hauschild als Frank ein wenig zurückstehen. Es gäbe durchaus Potenzial, den Seitenstrang des Beziehungsstress mit seiner Lebensgefährtin auszuarbeiten. Obwohl dieser Teilgeschichte Einfluss auf den Erzählstrang hat, bleibt es nur ein Nebenaspekt.
Zum Schluss erhält Elling fünf Minuten Ruhm als Untergrundpoet und es gibt so etwas wie ein Happy End. Nach "Fast normal" in der vergangenen Spielzeit ist es dem TfN wieder gelungen, sich behutsam, verständnisvoll und authentisch dem Thema "Anders sein" zu nähern. Mehr davon, bitte.

Das Stück
Der Spielplan des TfN




Donnerstag, 1. Januar 2015

Klanggewaltig und feuertrunken bis zum Finale

Loh-Orchester spielt Beethoven im Silvesterkonzert

Es gibt wohl kein zweites Werk in der deutschen Musikliteratur, das derart mit Erwartungen überfrachtet ist, wie die Neunte Sinfonie von Ludwig van Beethoven. Schließlich geht es um nicht und weniger als das Ringen um nach reiner Freude, dass den Menschen aber verwehrt bleibt. Weil alle Zuhörerinnen und Zuhörer ihre Blaupause von Beethoven im Kopf mit sich herumtragen, ist jede Aufführung der 9. Sinfonie mit Risiko behaftet. In den Silvesterkonzerten meisterten Markus Frank, das Loh-Orchester, der Opernchor, die Gastsänger und die vier Solisten die Herausforderung.
Vom ersten Ton zeigte das Loh-Orchester die notwendige Dynamik, um die besondere Architektur dieses Monuments zu bewältigen, auch wenn der Klang bis zum ersten Einsatz der Bläser ein wenig indifferent war. Doch kann brilliert das Ensemble mit Klarheit und Struktur. Die Erarbeitung der Themen funktioniert wunderbar. Besonders zum Ende des Allegro rückt das "maestoso" in der Vordergrund. Großartiges deutet sich hier an. Man bekommt einen Ahnung davon, warum Somerset Maughan Beethovens Musik einst als gewalttätig bezeichnete.
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Die Lücken sind es, die den zweiten Satz zum Erlebnis machen. Markus L. Frank verlängert die Pausen im Molto vivace noch ein klein wenig und erhöht so die Spannung. Das Wechselspiel in der Themenverarbeitung zwischen Streichern und Bläser funktioniert auf allerhöchstem Niveau. Fast wirkt es athletisch und es scheint, als laufe sich der Klangkörper warm für das Finale.
Doch noch ist es nicht so weit. Im dritten Satz begeistert vor allem das kontrapunktische Wechselspiel von Cellos und Bässen auf der einen und den Bläsern auf der anderen Seite. Das Loh-Orchestern zeigt sich als hochgradig in allen Bestandteilen.
Darauf haben alle gewartet. Im Presto wird endlich gesungen. Elena Pierini hat ganze Arbeit geleistet, Es ist ihr gelungen, aus dem Opernchor, aus dem Extrachor und aus den Mitglieder des Konzertchors, des Albert-Fischer-Chors und der Sondershäuser Madrigalisten eine Einheit zu bilden, die sich dem Orchester als ebenbürtiger Partner erweist, auch wenn die Sängerinnen und Sänger gelegentlich von der Dynamik des Ensembles an den Rand gedrängt werden. Denn gerade jetzt will das Orchester seine Trümpfe voll ausspielen.
Florian Kontschak überzeugt mit seinem klaren und pointierten Bass. Doch im Tutti der Solisten setzt Désirée Brodka die Akzente mit ihrem prägnanten Sopran, der sich glockenklar und kraftvoll über die  anderen Stimmen aufschwingt, ohne ins Belcanto abzukippen. Das Theater Nordhausen kann sich glücklich schätzen, eine der hoffnungsvollsten deutschen Sängerinnen im Ensemble zu haben.
Somit fand das große Feuerwerk auch in diesem Jahr in Nordhausen wieder in geschlossenen Räumen statt. Das freudetrunkene Publikum bedankte sich mit nicht enden wollenden Applaus.

Der Spielplan im Theater Nordhausen

Das Loh-Orchester