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Es werden Posts vom April, 2013 angezeigt.

Ich will jemanden unter die Haut gehen und ich will, dass mir jemand unter die Haut geht

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Das Theater Rudolstadt zeigt in Nordhausen die “Jugend ohne Gott” als Kinder ohne Eltern Ödön von Horváth “Jugend ohne Gott” zeigt, was passiert, wenn die Menschlichkeit aufgekündigt wird. Das Werk wurde als treffende Beschreibung des Werteverfalls im faschistischen Europa gefeiert. Das Theater Rudolstadt hat die Bühnenadaption von Andre Rößler zu einer Beschreibung des Werteverfalls im Du-bist-mir-doch-egal-Europa gemacht und daneben Brechts Weisheit, dass Theater die Beschäftigung mit den Themen der Zeit sei, neues Leben eingehaucht. Doch neben allen Prinzipien sind erst vor allem starke schauspielerische Leistungen und ein geschlossenes Konzept, die diese Inszenierung tragen. Es ist ein Mord geschehen, Schüler N wurde erschlagen. Der Lehrer und Fernsehpfarrer Biene wollen den Fall aus der Retrospektive erklären und ihre Rahmen ist eine Talkshow. Mit allen Weihwassern der televisionären Seelsorge gewaschen, nehmen wir Matthias Winde diesen Talkmaster der wind...

André Chénier: Revolution und Terror gehen weiter

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Gegner bis zur Guillotine Eine wahre Geschichte in der großen Historie zu erzählen, das ist die Absicht von „André Chénier“, der Geschichte des französischen Dichters. Ein Werk mit diesem Hintergrund nicht im Historismus erstarrten zu lassen, ist eine Herausforderung. Dem Theater Nordhausen ist dies gelungen. In seiner Inszenierung greifen Toni Burkhardt und sein Ensemble den Anspruch von Umberto Girodano und Luigi Illica, auf und führen ihn fort. Napoleon irrte, die Geschichte von Revolution und Terror ist nicht beendet. Ein kleines Mädchen in einer Chemise mit roten Band führt ihren Vater aus dem Zuschauerraum auf die Bühne. Er macht Bilder von dem schaukelnden Kind, von den Ausstellungsstücken einer vergangenen Ära die Rolle des Zuschauers wird dieser Zeitreisende aus dem 21. Jahrhunderts bei allen späteren Begegnungen aber nicht verlassen. Hinter den Kulissen brodelt es, hunderte Stimmen wispern und künden Bedrohliches an. In dieser Gesellschaft ist Chén...

Amadeus: Genies, Gerüchte und Gegner

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Theater Rudolstadt zeigt in Nordhausen einen kompletten Amadeus “ Amadeus” ist ein Monolith. Seit der oscarprämierten Verfilmung von Milos Forman ist es ein Wagnis, das Theaterstück von Peter Shaffer aufzugreifen. Das Publikum kommt mit fertigen Bildern in die Vorstellung. Das Theater Rudolstadt hat  es trotzdem gewagt und gewonnen. Am Freitag stellte das Ensemble unter der Leitung von Jürgen Pröckel  sein Intrigenspiel um Salieri und Mozart im Theater Nordhausen vor. Dieser “Amadeus” ist ein Puzzle aus lauter kleinen Perlen  und es ist ein komplettes Stück. Dort wo die Verfilmung von Milos Forman eindimensional wirkt, überzeugt die Thüringer Inszenierung mit Tiefe und Vielschichtigkeit. Am eindrucksvollsten zeigt dies Johannes Arpe in der Rolle des vermeintlichen Bösewicht Antonio Salieri. Er bespielt die gesamte Klaviatur von Begeisterung bis Verzweiflung, von Freundschaft bis Niedertracht, er beherrscht die lauten Szenen und die stillen Momente und er nutzt...

Sex wird überbewertet

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Eine Premiere aus dem Milieu Rotlicht ist Dokumentationstheater und die werkgruppe2 bringt mit ihrer neuen Produktion ein wenig Licht in das Halbdunkel der Prostitution. Grundlage der Eigenproduktion sind Interviews mit Sexarbeiterinnen, die Mitrabeiterinnen der  werkgruppe2 im letzten Jahr geführt haben. Der Einblick in diese Welt, die zur Hälfte eben auch kleinbürgerliche Welt ist, gelingt entspannt und locker und ohne den Missionseifer einer Alice Schwarzer, ohne den moralischen Stinkefinger eine Alice Frohnert und auch ohne die schräge Lyrik und Romantik einer Domenica Niehoff. Die werkgruppe2 hilft, Klischees und Vorbehalte zu überwinden, dafür bedankt sich das Publikum zum Schluss mit stehenden Applaus. Damit ist Rotlicht auch Therapietheater. Drei Musikerinnen betreten die Bühne und bringen im Ambient-Sound dem Publikum den Slogan des Abends nahe: Ruf mich an! Das bleibt im Kopf und für die Umsetzung wird gesorgt. Schon im Foyer ist die Aufforderung zu lesen: Handys ...

Karasch Ensemble spielt mit Mythen und Orten

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Shakespeares Hamlet im Sommertheater an neuen Plätzen Ja, gut die Aufführung in Nordhausen liegt schon bald zwei Jahre zurück, aber zum einen sind die Projekte der Hamburger Truppe größtenteils Unikate. Zum anderen war es die Aufführung, die mich in den letzten drei Jahren am stärksten berührt, geradezu beeindruckt hat. In der Retropsektive wurde mir nun der Ausbesserungsbedarf deutlich. Jedenfalls möchte ich jeder und jedem, der mal die Chance hat, eine Aufführung des "karasch ensemble" zu erleben, raten: Geh hin, unbedingt! Denn ich schreibe bewußt " zu erleben" statt "zu sehen". Außerdem ist auf der Website der Theatergruppe so schön lang und breit aus meiner Rezension zitiert, dass ich den Rest der Welt nicht vorenthalten mag. Zum tieferen Verständnis: die Aufführung fand im Rahmen des Sommertheaters Nordhausen   nicht im Großen Haus, sondern an unterschiedlichen Orten im Altdorfer Kirchviertel statt und hatte somit auch einen sportlichen Aspekt. D...

Wagner wird überschätzt und Goethe auch

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Psychogramm eines Mittelmäßigen – Der Kontrabass in Nordhausen Seit 30 Jahren gehört „Der Kontrabass“ zu den populärsten Theaterstücken in deutscher Sprache. Nun hat Frank Sieckel das Ein-Mann-Stück für das Theater Nordhausen neu inszeniert. Am Ende bleibt ein tiefer Einblick in die Seele eines Mannes, der an seiner Mittelmäßigkeit verzweifelt. Die Bühne ist sparsam möbliert: ein Stuhl, ein Sessel, eine Stereo-Anlage. Der Raum schallisoliert, damit der Moloch Großstadt draußen bleibt. Brahms spielt, der Bassist betritt die Bühne durch den Zuschauerraum. Der Alleindarsteller enthüllt den heimlichen Hauptdarsteller, seinen Kontrabass. Noch berichtet er über den Reiz und die Möglichkeiten des Instruments, von der Quart-Stimmung des Viersaiters. Am Kontrabass kommt niemand vorbei, er ist das Fundament des Orchesters. Ohne ihn verliert das Ensemble die Orientierung. Der Musiker und das Objektes des Hasses. Foto: Sieckel Doch die Fassade bröckelt. Zwischen Ins...

Wagner ohne Gewalt entstaubt

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Das TfN inszeniert den Fliegenden Holländer als Oper der Jetztzeit Ob nun Genie oder Wahnsinniger, 2013 kommt der Kulturbetrieb nicht an Wagner vorbei. Das Theater für Niedersachsen hat sich den fliegenden Holländer vorgenommen und am Karsamstag in Hildesheim die Legende um den niederländischen Kapitän Bernard Fokke in einer entkrampften Inszenierung präsentiert. Der Anfang ist alles andere als schroff.  Ein Schiff auf der Heimreise, eine aufstrebende Bühnenarchitektur, viel Blau und Weiß, ein Chor und Daniel Jenz als Steuermann künden im Tenor von der Freude der baldigen Heimkehr. Doch die Mächte eines düsteren Himmels verlangen einen Aufschub, Triebverzögerung nicht als Kulturtechnik, sondern als Wesen einer widerspenstigen Natur. Als die Mannschaft des Kapitän Daland sich von den Strapazen des Sturms erholen, taucht aus den Tiefen des Bühnenhauses das Schiff des Holländers auf. Ein Bau wie ein Skelett, ein blutrotes Segel wie ein Totenkopf, eindeutig geisterhaft. Doch der...