Montag, 8. Juli 2019

Fliegen, singen und tanzen

Götz Alsmann mit Italiens Zauber bei den Kreuzgankonzerten

Italien liegt in Südamerika, zumindest musikalisch. Das bewiesen Götz Alsmann und Band beim Musiksommer der Kreuzgangkonzerte. Dabei war das Konzert gar keins sondern eine große Show im traditionellen Stil.

Drei Städte und ihr musikalisches Vermächtnis haben Alsmann und Band in den letzten Jahren abgearbeitet. Nach Paris und New York war nun Rom dran. Sie haben sich des Canzone angenommen, des italienischen Schlagers der 50-er und 60-er Jahre angenommen.

Zu der Vorlagen gab es nicht nur deutsche Texte sondern eben auch  jede Menge Mambo, Rumba und Latin Jazz, die Musik der 50-er Jahre eben. Das hat schon eine gewisse Logik und macht manches erst genießbar.

Farbenfroh: Die Band von Götz Alsmann.
Alle Fotos Kügler
Alle Programme haben Alsmann und Band in den letzten Jahren in Walkenried vorgestellt. Damit wurde das Publikum Zeuge der musikalischen Entwicklung und die ging eindeutig in Richtung entspannt und souverän. Es swingt mehr denn je und es macht mehr Spaß denn je.

Alsmann und seine vier Musiker machen Druck von der ersten Minute an. Mit "Quando Quando Quando" gehen sie gleich in die Vollen und das Publikum summt gleicht mit. Eins wird gleich klar: Alsmann am Flügel und Altfrid Sicking am Vibraphon bestimmen den Abend. Immer wieder wechseln sie sich in den Soli ab. Damit halten sie das Tempo hoch.

Im Mambo Italiano erweitert Sicking dann die Klangfarben mit einem Solo an der Klarinette. Später wird er noch häufiger zur Trompete greifen. Aber dennoch bleibt die Instrumentierung konzentriert und auf Klavier und Vibraphon fokussiert. Hier ufert nichts aus.

Selbst vor Verdi macht das Quintettt nicht halt. Sein "Il Trivatore" hat wohl noch nie so geswingt. Die Klammer ins 19. Jahrhundert? Alsmanns Begeisterung für italienische Musik jeder Art.

Dann kommt der Bruch und Alsmann und Band erweitern das Repertoire. "Non sei felice" ist ein wunderbar schwermütiger Blues. Doch der nächste Umschwung kommt gleich. "Arrivederci Roma" wird zu einem Rhythmusgewitter. Rudi Mahrhold hämmert auf die Riesentrommel während Markus Paßlick die Bongos vorantreibt. Darüber legt Alsmann den gewohnt zurückhaltenden Gesant im andante. Das ergibt einen wunderbaren Kontrast.

Nach der Paus wird das Tempo noch einmal gesteigert. Zum Mambo und zur Rumba kommt jetzt eine Portion Rock'n'Roll hinzu. Das "Mondo cane" fegt über die Bühne. Doch mit "Marina" geht es gleich noch eine Spur schneller.

Alsmann und Sicking wechseln sich drei, viermal in den Soli ab und Paßlick gibt einen Einblick in sein Arsenal an seltsamen Geräuschemacher. Doch an den einmalig kraftvollen Gesang von Rocco Granata trauen sie sich nicht heran. Das ist auch nicht nötig, da der größte Teil des Publikums den Text vor sich hinsummt. Mitsingen darf es dann bei Volare.

Liebe und um Trennungsschmerz sind nun mal die stärksten Gefühle, deshalb bestimmen sie auch diese Programm. Doch das abschließende "Il nostro concerto" fällt aus dem Raster mit so viel Pathos. Alsmann bleibt am Flügel sitzen, während die Band schon mal die Bühne verlässt. Einsam singt er sich den Trennungsschmerz von der Seele

Liebe auf den ersten Griff.
Alle Fotos : Kügler 
Aber so kann keine Alsmann-Konzert enden. deshalb gibt es noch zwei Beispiele, warum der italienische Schlager so viel besser ist als der deutsche.

Aber ein Abend mit Götz Alsmann ist kein Konzert. Es ist eine Show, ganz im traditionellen sinn, nur die Treppe fehlt. Mindestens genauso wichtig wie die Musik ist die Moderation. Ja, manchmal wird sie sogar zum Hauptzweck.

Alsmann redet und kalauert. Er jongliert mit den Begriffen und mit Doppeldeutigkeiten. Bei manchem Scherz dauert es, bis er zündet. Aber wer es dann verstanden hat, hat um umso mehr Spaß.

Alsmann erzählt Geschichten, ganz lebhaft, voller Bilder und mit vollem Einsatz. Beim Publikum schaltet er das Kopfkino. Vor den Hunderten von geistigen Augen wird es hell in den Cafés und Bars, die von jungen, lebenslustigen Römern bevölkert sind. Italien bleibt ein Sehnsuchtsort.

Er bedient sich dabei auch augenzwinkernd einiger Klischees. So erzählt er davon, wie der Pate von Münster Einfluss genommen hat auf die Auswahl der Lieder. Weil Alsmann sich davon nicht ausnimmt, weil er Teil der Geschichten voller Stereotype ist, hat auch niemand Probleme mit den Klischees.

Natürlich spielt er mit dem Publikum. Das reagiert wie gewünscht im Wortschnipsel- und Melodienspiel. Aber manchmal spielt auch das Publikum mit Alsmann. Es ist schon eine vertraute Symbiose, die da in fünfzehn Jahren entstanden ist. Es ist eine Beziehung, die vom gegenseitigen Spaß am anderen lebt.

Im nächsten Jahr werden Götz Alsmann und seine Band eine neues Programm vorlegen. Dann werden sie wieder nach Walkenried kommen.







Material #1: Walkenrieder Kreuzgangkonzerte - Das Programm


Material #2: Götz Alsmann - Die Biografie
Material #3: Alsmann und Band - Die Website

Material #4: Die höchsten Weihen - Das Konzert 2016


Sonntag, 7. Juli 2019

Die Meister aller musikalischen Klassen

Canadian Brass eröffnen den Musiksommer 2019

Sie bezeichnen sich ganz schlicht als die berühmteste Brass Band der WElt. Warum etwas dran sein kann, bewiesen Canadian Brass am Donnerstag auf der Open Ait im Kreuzgang. Sie brachten neue Klangfarben ins Spiel und zeigten, dass Brass nicht nach Blech klingen muss,sondern auch rund und weich sein kann.

Dabei zeigte sich das Quintett als Meister aller Klassen. Jazz, Barock oder Folk, die vier Kanadier und ihr griechischer Posaunist beherrschen fast alle Genres und mischen sie munter. Schließlich geht es darum, zu zeigen, dass Musik grenzenlos Spaß macht.

Das Quintett beginnt als Marching Band und ziehen von links in den Kreuzgarten und auf die Bühne. Der Hot Jazz sorgt für gute Laune. Chuck Daellenbach macht die Begrüßung und kündigt die nächsten Stücke an. Der Mann gehört zu den Gründungsmitgliedern von Canadian Brass und ist seit 1970 dabei.

Alle fünf auf einen Blick.
Alle Fotos: Kügler
Dreimal frühe Barockmusik ist angekündigt und damit zeigen die fünf die Vielfalt dieses Genre. Das „Damigella tutta bella“ von Claudio Monteverdi ist vom schnellen Dialog der beiden Trompeten geprägt. Brandon Ridenour und Caleb Houston zeichnen sich nicht nur durch schnelles Spiel aus. Sie zeigen auch gleichen den besonderen CB-Sound: Blechbläser, die warum und weich klingen und nie ins Schrille abgleiten. Bei der „Galliard Battaglia“ von Samuel Scheidt wiederholen sie diese Leistung.

Völlig anders ist hingegen das „Come sweet love“ von John Dowland. Zurückhaltend und lieblich und mit einem Jeff Nelson, der mit seinem Horn gleichsam die Singstimme in diesem barocken Liebeslied übernimmt

Die nächste Überraschung gibt es zum Abschluss des Barock-Teils mit der Toccata und Fuge in b-Moll von Johann Sebastian Bach. Brandon Ridenour und Caleb Houston spornen sich in den Toccaten wieder an, während die Fuge von der Posaune dominiert wird.

Die wichtigste Erkenntnis ist aber, dass Bach dieses Stück einst für Canadian Brass geschrieben hat. Man hat es leider fälschlicherweise 250 Jahre lang auf der Orgel gespielt.

Das Chorale Prelude von Brahms bringt die Gänsehaut-Momente. In seinen Soli spielt Achilles Liamakopoulos eine Posaune, die liebevoll flüstert und singt. Es ist einer der seltenen Augenblicke, in denen dieser Blechbläser das Publikum mit auf eine Traumreise nimmt.

Die nächste Überraschung bringt die Eigenkomposition „Dove“. Während die Rhythmusgruppe aus Tuba, Posaune und Horn einen Polka-Rhythmus hinlegt, legt Brandon Ridenour lockerer Melodielinien in Cool-Jazz-Manier drüber. Das ganze ergibt dann einen Sound, der in HipHop schielt. Einfach großartig.

Eine Tuba kann man auch kopfüber spielen.
Alle Fotos: Kügler
Während Caleb Houston in Penny Lane eine Trompetensolo spielt, das Lennon und McCartney verzaubert hätte, darf Chuck Daellenbach das Publikum beim „Tuba Tiger Rag“ zum Lachen bringen. Er kann die Tuba auch kopfüber spielen.

Der zweite Teil des Abends bringt jede Menge Medley, Hot Jazz und Ragtime. Das Tribute an Südamerika kommt nicht an dessen größten Komponisten vorbei. Der „Liber Tango“ funktioniert auch mit Blechbläsern. Canadian Brass haben dem Stück aber die Schärfe und Sehnsucht genommen.

Der „Beale Street Blues“ von William Christopher Handy wird durch eine Posaunen-Solo bestimmt, dass das Publikum mit „Wow“ quittiert. Im irischen Traditional „Danny Boy“ macht Jeff Nelson sein Horn wieder zum Gesangspartner.

Mit einem grandiose Finale endet das Konzert. Luther Henderson hat einst erkannt, dass das „Hallelujah“ von Händel und der Gospel „When the Saints go marching in“ wunderbar zusammenpassen. Canadian Brass liefern den Beweis, dass Henderson einst genau richtig lag. Barock und Hot Jazz gehen eine perfekte Symbiose ein, denn der Spaß an Musik lässt sich nicht in Schubladen pressen.

Dann schließt sich der Kreis in der Zugabe Das Quintett spielt die Suite Nr. 3 von J.S. Bach, genau die, die als "Air auf der G-Saite" bezeichnet wird. Das Publikum weiß sofort, dass auch dieses Stück viel zu lange falsch interpretiert wurde. Es müsste heißen "Air auf dem G-Ventil". Aber nun ist alles zurecht gerückt.




Material #1: Walkenrieder Kreuzgangkonzerte - Das Programm

Material #2: Canadian Brass - Die Band
Material #3: Canadian Brass - Die Website








Mittwoch, 3. Juli 2019

Das Schicksal läutet mit viel Musik

Der Glöckner von Notre Dame bei den Domfestspielen

Ist dass noch ein Drama oder schon ein Musical? Auf jeden Fall inszeniert Achim Lenz den "Glöckner von Notre Dame" mit viel Musik. Das Werk nach dem Roman von Victor Hugo wird zu einem Lehrstück über die Angst vor dem Anders sein. Dabei liegen die Überraschungen in den Details und den Nebenrollen.

Trotz der musikalischen Leichtigkeit schafft es Achim Lenz seiner Inszenierung Tiefe zu verleihen. Es um die Macht über Andere, um Mitgefühl, um Erwartungen und um die Schwierigkeit, die Andersartigkeit des Gegenübers zu ertragen.

Wie eine Gänseschar zieht eine Gruppe Touristen vor das Domportal. Fremdenführer Jan Kämmerer rattert die Daten zu Notre Dame runter, er zieht sein Programm durch. Die Gruppe interessiert ihn nicht. Aber immer wieder scheucht er die Gästeschar vor sich her. Er hat sie im Griff, die Masse lässt sich lenken. Damit gelingt Kämmerer ein unterhaltsamer Auftakt. Später wird er als Poet Pierre diese Leistung nicht halten können.

Quasi läutet und Frollo schau zu.
Alle Fotos: Rudolf A. Hillebrecht
 Aber auch Fehmi Göklü kann hier erste Ausrufzeichen setzen und das liegt nicht nur an den Tennissocken in Sandalen. In der Rolle des Clopin wird er zudem eine der bestimmenden Figuren der Aufführung. Seine Stimme ist nicht nur fest, sondern auch wandlungsfähig und immer angepasst. Vom Flüstern bis zum Proklamieren hat alles im Repertoire. Seine gesten sind raumgreifend und die Bühne das passende Parkett für den König der Bettler und Gaukler.

Dann kommt der Zeitsprung ins 15. Jahrhundert. Die Klerikalen ziehen ein und vertreiben die Touristen Marco Luca Castelli geht als Erzdiakon Claude Frollo wie ein Speerspitze voran. Dieses Motive der Waffe, die sich auch gegen das Publikum richtet, taucht später immer wieder auf.

Castelli bleibt nichts anderes übrig, als grimmig zu schauen. Die Narren übernehmend die Regenschaft. Sie rollen eine weiter Bühne herein, auf der eine Schauspieler vor sich her dilettiert. Später werden weitere Element auf die Bühne. alle haben unterschiedliche Funktionen. Aber in der Gesamtheit ergeben sie am Ende die Dachkonstruktion der Kathedrale, die wiederum wie ein Labyrinth wirkt. Es braucht also etwas, bis das Bühnenbild von Sandra Becker seine Wirkung entfalten kann. Aber dann ist es umso schöner.

Zwischen die Narren tritt Esmeralda. Felicitas Heyerick schreitet geradezu über die Bühne und ist das Selbstbewusstsein in Person. Ihr Wortgefecht mit Fehmi Göklü als Clopin wird der erste Höhepunkt der Aufführung.

Achim Lenz hat die Zahl der Akteure auf ein Minimum reduziert, aber einen neuen Protagonisten hat er hinzugefügt: Das Volk als eigenständigen Akteur. Manchmal bildet das Ensemble einen Chor, der in der griechischen Tradition Unheil verkündet. Mal agiert es als Antreiber, wenn das Ensemble als spitzes Dreieck an der Rampe aufgebaut das Publikum bedroht.

Die Kreuzigung der Andersartigen: Esmeralda auf der
Folterbank.  Alle Fotos: Rudolf A. Hillebrecht
So wird deutlich, dass "Wir und die anderen" eins der Themen ist, die sich durch die gesamte Inszenierung ziehen. Das andere Thema ist "Macht und Abhängigkeit". Während Esmeralda immer wieder ihre Selbstbestimmung beton und damit den Argwohn der Mitmenschen provoziert, ist das Verhältnis Quasimodo von Unterwürfigkeit geprägt. Deswegen wirkt der Bruch zwischen Glöckner und Erzdiakon umso tiefer. Die Rache des Krüppels wird zum Vatermord, zu Loslösung vom Scheinheiligen.

Natürlich kommt auch die Szene, auf die alle Vorbelasteten gewartet haben: Das große Geläut. Das hat Lenz in beeindruckender Weise gelöst. Die Vertikalartisten Sabina Roanczak und Jakub Urbanski fliegen im Glockenkostüm vogelgleich über die Fassade der Stiftskirche. Selten hat man so leichtfüßiges Geläut gesehen.

Damit erweitert Lenz das Spiel in die fünfte Dimension. Das hat im letzten Jahr mit dem "Jedermann" schon funktioniert und auch in diesem Jahr wirkt es so gut, dass der Tanz unter den Türmen gleich noch zweimal vollführt wird.

Das Drama mit Musik endet als Tragödie. Zum Schluss sind alle tot. Damit findet das Stück einen logischen Schluss.




Material #1: Die Gandersheimer Domfestspiele 2019 - Der Spielplan
Material #2: Der Glöckner von Notre Dame - Die Inszenierung

Material #3: Der Glöckner von Notre Dame - Der Roman

Montag, 1. Juli 2019

Ein Fest des Großmuts

Gekonnte Unterhaltung: Entführung aus dem Serail bei den Schlossfestspielen

Ein wenig Poesie, jede Menge Herzschmerz und vor allem überbordender Großmut. Mit der "Entführung aus dem Serail" zeigt Saskia Kuhlmann bei den Schlossfestspielen gekonnte Unterhaltung. Die Inszenierung zeigt vor allem zwei starke Sängerinnen und einen überraschenden Bass.

Die Poesie gibt es gleich zum Anfang. Zur Ouvertüre durchmisst ein Kind die riesige Bühne vor dem Schloss, lässt sich am Wassergraben nieder und schaut versonnen. Dann zieht es unter sichtlicher Kraftanstrengung ein Segelschiff zu sich heran. Das ist nicht nur schön anzusehen. So hat Saskia Kuhlmann auch die Vorgeschichte der Entführung in einer betörenden Szene aufgelöst.

Sehnsucht im Blick: SuJin Bae
als Konstanze.

Alle Fotos: Marco Kneise
Das Bühnenbild von Dietrich von Grebmer zeigt sich aufgeräumt und auf das nötigste reduziert. Von Grebmer verzichtet auf Folklore und Ornamente. Damit erzeugt die Ausstattung eine sommerliche Leichtigkeit und das Publikum schaut der dreistündigen Vorstellung wohlgemut entgegen.

"Die Entführung aus dem Serail" war 1782 Mozarts erste Oper in deutscher Sprache. die Elemente der Operette aus der Vorlage von Bretzner griff er dankbar und verwirklichte so seine Vorstellungen einer neuen Form der Oper. Kuhlmann entwickelt diesen Ansatz weiter. Sie verzichtet komplett auf die Rezitative und ersetzt diese mit Sprechtheater.

Das erleichtert nicht nur die Rezeption. Damit verschwinden auch die Grenzen zwischen Oper und
Operette vollends. Das ist das kleine Zugeständnis an eine Aufführung, die sich ansonsten ganz traditionell zeigt.

Aus der Retrospektive erzählt Pascha Selim die Geschichte einer Liebe, die ihm geraubt wurde. Wie ihn jemand betrogen hat, den er als Gast aufgenommen hat und wie er auf ein Recht verzichtet hat, das ihm aus der Binnenperspektive zustand. Damit ist die Rollenverteilung klar: Hier der gütie Selim, dort der feige und hinterlistige Belmonte.

Schon in der Gestik und Mimik der Kontrahenten wird dies deutlich. Jaron Löwenberg stolziert stets mit breiter Brust. Die Bühne ist sein Reich und wenn auftritt haben alle zu schweigen. Kyounghan Seo wirkt dagegen wie ein Schatten. Stets zieht er die Schultern nach innen und ständig inspiziert er den Fußboden. Löwenbergs Stimme ist voll und ohne Zweifel, Seo intoniert an der Grenze des Hörbaren. Da ist es nicht überraschend, dass nur Selim am Schluss Größe beweisen kann und auf die Angebetete verzicht. Die Kontrahenten arbeiten hier auf den vorgezeichnete Ende hin.

Kann man solch eine Interpretation heute noch abliefern? Selims vermeintliches Vorrecht basiert schließlich auf einem Unrecht, dem Sklavenhandel. Sein Wunsch nach Glück wird erst durch das Unglück der anderen ermöglicht. Auch ein Sommertheater muss nicht auf Reflektion verzichten.

Starkes Mädchen: Amelie Petrich als Blonde.
Alle Fotos: Marco Kneise
Immerhin gilt es SuJin Bae in der Rolle der Konstanze mehrfach, deutlich zu machen "Pascha, ich will dich nicht. Mein Herz gehört einem anderen." Warum Selim das nicht versteht, wird wohl bis zum Ende der Spielzeit sein Geheimnis bleiben.

SuJin Bae gehört zu den Höhepunkten dieser Aufführung. Ihr Sopran ist klar und ohne Zittern kommt sie bis schwindelerregende Höhe. Dabei bleibt ihr Vortrag zart und zurückhaltend, vielleicht ein wenig zu zart, um die Koloraturen bis zum Ende herauszuarbeiten.

Da ist Amelie Petrich als Blonde aus anderem Holz. Ihr Sopran ist kraftvoll und überzeugend. Sie beweist Präsenz und in ihrer schnellen Gestik steckt Lebenslust. Dabei hat sich die selben stimmlichen Qualitäten wie Bae. Damit ist folgerichtig, dass sie die entscheidende Aussage treffen darf: "Frauen sind keine Ware." Deswegen wird sie auch nicht in die Kostüme der Vergangenheit gesteckt, sondern darf ein wenig Cindy Lauper spielen.

Michael Tews stiehlt den anderen Herren auf der Bühne fast die Schau. Sein Bass ist von überzeugender Dynamik und die Koloraturen sind von erstaunlicher Klarheit. In der Rolle des Haremswärter Osmin zeigt er das beste Augenrollen seit Carlo Pedersoli. Das hebt noch einmal den sommerlichen Charakter dieser Inszenierung hervor.

Ein wenig Exotik, jede Menge Menschenliebe und ein versöhnlicher Schluss. Mit der "Entführung aus dem Serail" hat Saskia Kuhlmann eine Inszenierung vorgelegt, die die Anforderungen eines Sommerabends voll erfüllt.



Material #1: Schlossfestspiele - Die Website
Material #2: Entführung aus dem Serail - Die Inszenierung

Material #3: Entführung aus dem Serail - Die Oper