Dienstag, 29. Juli 2014

Musik aus allertiefster Seele

Giora Feidman und Gitanes Blondes bei den Kreuzgangkonzerten


Prolog: Ich hätte nicht gedacht, das ich mich so schnell selbst zitieren könnte. Sei's drum, auch nach dem Konzert von Giora Feidman und Gitanes Blondes gibt es zwei Gewissheiten. "Die Schubladen der Genres wurden für musikalischen Buchhalter geschaffen. Die Liebe zur Musik kennt nämliche keine Grenzen. Wer die Musik liebt, darf mischen und wer seine Musik liebt, der darf auch mal derbe Scherze machen."
Tja, aber damit beginnen die Schwierigkeiten. Wie soll ich etwas über einen Mann schreiben, über den bereits alles gesagt wurde? Über einen Mann, der in den Geschichtsbüchern der Musik steht. Also gut, erste Aussage: Feidman ist keine Figur der Geschichte, sondern noch verdammt lebendig.
Giora Feidman ist in seine Musik versunken.
Alle Fotos: tok
Laut Ankündigung steht an diesem Abend Klezmer auf dem Programm. Es verspricht laut zu werden und schnell, trotzig und lebensfroh. Doch der Start ist besinnlich. Gitanes Blondes sitzt auf der Bühne und wartet auf Feidman. Dann klingt ganz leise und entfernt eine Klarinette aus dem Kreuzgang in den Garten. Das Publikum lauscht gebannt, die Töne kommen näher. Die Klarinette improvisiert über Hava Nagila. Aber die Freude ist eine verhaltene, die Melodie begleitet eine Feier, die in sich versunken ist, die sich selbst sucht in der Tiefe der Musik. Aber das Publikum summt mit, es kennt seinen Feidman und belohnt ihn mit dem Applaus, den er gewohnt ist. Man kennt sich aus vielen gemeinsamen Stunden und weiß, was man aneinander hat. Feidman und sein Publikum in Walkenried, das ist wie ein altes Ehepaar, das immer noch in einander verliebt ist. Man kennt die Gesten des Gegenübers genau und freut sich um so mehr über jede Überraschung, die der Partner trotz der Jahre immer noch bietet.
Giora Feidman versteht es, in Sekundenbruchteilen eine Bindung zum  Publikum zu finden, den Dialog zu eröffnen und die Zuhörer zu Mitgestaltern zu machen. Er ist eine Zauberer. Der Aufforderung, mitzusummen oder gar zu singen, kann man sich nicht entziehen.
An diesem Abend ist Feidman zurückhaltend. Doch das zwei Werk gehört eher in die Kategorie downtempo, atmosphärisch dicht und balladenorientiert im Vortrag. Auch Gitanes Blondes halten sich an die Vorgabe, doch das Quartett macht auch deutlich, das es keine Begleitband, sondern ein eigenständiger und eingespielter Klangkörper ist.
Mario Korunic gründete die blonden Zigeuner 1999
Eine Erklärung präsentiert Feidman auch. Der Nahost.Konflikt, das Morden in Israel und in Gaza beschäftigt ihn. Der Mann hat eine Botschaft und die ist ganz einfach: "Alle Menschen sind Bruder". Wenn einige Menschen das Gegenteil beweisen, dann betrübt es den Meister. Als Feidman zur Bassklarinette greift, da hört man diese Traurigkeit. Das sind Töne, die von ganz unten aus der Seel kommen, die seine Seele offenbaren und das sind Töne, denen eine Urkraft innewohnt, die uns alle bewegt. Das Publikum bedankt sich für diese Offenbarung mit ehrfurchtsvollen Schweigen.
Aber es geht auch anders an diesem Abend. Freude an der Musik hat auch etwas mit Tempo zu tun und deswegen gibt das Quartett Gas, als Feidman zurücktritt und die Bühne seinen jüngeren Partner überlässt. Ja, es sind Partner, die dort jammen, die sich gegenseitig Themen vorlegen, Vorlagen aufnehmen, weiterentwickeln, weiterreichen und die Grenze der Genres überwinden. Grandios ist das Zusammenspiel von Mario Korunic an der Geige und Konstantin Ischenko am Akkordeon. Immer wieder verführen sie sich zu himmelhochjauchzenden Soli und es scheint, als müsste Christoph Peters an der Gitarre den Vermittler zwischen den beiden Polen spielen.
Konstantin Ischenko kann Sachen auf dem Akkordeon,
über die andere nur staunen können. 
Mal jubelt das Streichinstrument treffsicher in den höchsten Tönen und klingt wie ein Vogel, der sich über die Dächer des Klosters erhebt. Dann holt uns das Akkordeon auf die Erde zurück und reist mit uns vom Strand der Wolga an die Seine und vor dort an den Rio de la Plata, alles in einem Stück, fließend und ohne Brüche. Das ist Improvisationskunst auf aller höchsten Niveau, die nicht nur technische Fertigkeit, sonder auch blindes Verständnis und Vertrauen voraussetzt. Wenn man in die Tiefe der Musik geht, dann ist die Seelenverwandschaft von Jazz, Polka, Klezmer,Chanson und Tango die logische Folge. Dankenswerterweise retten sie dieses Tempo über die Pause und legen im zweiten Set noch mal eine Schippe drauf.
Feidman ist in der Klassik ebenso zuhause wie im Klezmer, als Jazzer ist er legendär und der Tango seiner argentinischen Heimat hat auch seine Spuren hinterlassen. Er ist der Vordenker dessen, was seit 20 Jahren unter dem Etikett "Weltmusik" firmiert. Doch anstatt Unterschiede im Klangteppich einzuebnen, arbeiten er und seine Musiker die Gemeinsamkeiten heraus. Dabei hat er mit Gitanes Blondes kongeniale Partner und Brüder im Geiste gefunden. Ihre Musik ist fröhlich und lebensbejahend, lautmalerisch und setzt Bilder im Kopf frei, als sie musikalisch von den Gefahren einer Tournee erzählen.
Auch Simon Ackermann ist beeindruckt vom Solo am
Akkordeon. alle Fotos: tok
Bei der Suche nach dem Wesen der Musik und der Menschen finden sie Gemeinsamkeiten, dieaufden ersten Ton überraschen und bei zweiten überzeugen. So geht der Tango "I've seen that face before" von Grace Jones ohne Verlust in Gershwins Blues "Summertime" über. An einem Sommerabend passen die laszive Jamaikanerin und die spröde Broadway-Größe zusammen. Doch Geige und Akkordeon reißen uns aus den Träumereien und doch nehmen uns mit an die Ufer des Shannons. Schließlich haben auch Irland und die Kelten viel eingebracht in das das Welterbe Musik und viel dazu beigetragen, dass alle Mensch Brüder werden. Wir bedanken uns ob der Tanzeinlage und dieser Erkenntis mit donnernden Applaus und summen ein Schlummerlied, einfach weil Zauber Feidman es will.


Epilog: Als Victor Hugo einst sagte "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist" muss er wohl geahnt haben, das mal ein Giora Feidman auf der Bühne dieser Welt erscheinen wird.


Giora Feidman bei wikipedia und bei last.fm

Gitanes Blondes bei wikipedia und die eigene Website

Die Kreuzgangkonzerte

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen