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Wie ein Kostümfest in Nordhausen

Idomeneo wird zerrieben zwischen Kohl und Sohn

Mozart "Idomeneo" erlebt selten eine Aufführung und das hat gute Gründe. Wer das schwächelnde Werk auf den Spielplan setzt, muss eine starke Inszenierung in der Hinterhand haben. Das kann Nordhausens Operndirektor Benjamin Prins nicht von sich sagen.

Bei der Premiere zeigt seine Inszenierung einige starke Szenen, die reichen aber nicht, um die Aufführung zum Gewinn für das Publikum zu machen. Trotz der Kürzungen an der Vorlage gibt es an diesem Abend über weite Strecken mehr Fragezeichen als Antworten.

Die Aufführung bietet gleich zu Anfang einen mutigen Schritt, von dem das Publikum profitiert. Thomas Kohl schlüpft in die Rolle des Erzähler, der Vorgeschichte und aktuelle Ereignisse vorträgt, die Beziehungen der Akteure und ihre Motivation erläutert. Der auktoriale Erzähler im Bild ist ein Hilfsmittel aus den B-Movies der 50 Jahre, bis er in der Rocky Horror Picture Show als Karikatur endet.

Sohn und Vater im Dauerkonflikt.
Foto: TNLoS
Die Parallele zwischen den B-Movies und der Oper in Nordhausen besteht darin, dass der auktoriale Erzähler dramaturgische Schwächen ausbügeln muss. Es geht in einer Oper nicht nur darum, Ereignisse aneinander zu reihen. Aufgabe ist es auch, Handelnde transparent zu machen, Motivationen zu verdeutlichen, Verständnis, Mitgefühl oder auch Abscheu beim Publikum zu erzeugen. Auf jeden Fall ist es die Kunst, etwas zu kreieren, das über den Moment hinausweist.

Dies umschreibt man mit dem Gegensatzpaar Subtext und Metaebene und beide sucht man in dieser Inszenierung vergeblich. "Idomeneo" in der Inszenierung von Benjamin Prins wirkt wie ein Kostümfest. Das reicht für den Moment und gefällt einigen, ist aber nichts, was in Erinnerung bleiben wird.

Die Inszenierung lässt sich zusammenfassen mit "Zu viel gewollt und wenig gelungen". Immer wieder findet sich ein Faden, eine Andeutung, eine Ideen. Aber auf das große Gesamte wartet man vergebens. In welche Richtung soll es hier gehen? Dies Frage bleibt unbeantwortet. Vielleicht hat man die Vorlage doch zu sehr gestutzt, so dass der knappe Raum nur für Andeutungen und nicht für eine stringente Erzählung reicht. 

Das Loh-Orchester bleibt ohne Schwung

Erst arg kritisiert, dann deutlich verbessert und nun wieder der Rückfall. Auch unter der Leitung von Pavel Baleff zeigt sich das Loh-Orchester uninspiriert. Es absolviert das Programm fehlerlos und routiniert, aber auch ein wenig schleppend. Es spielt das Set einfach herunter. Die Höhepunkte fehlen einfach in diesem doch hochdramatischen Werk. 

Darunter leidet vor allem der Opernchor. Der ist nämlich voll bei der Sache und zeigt eine Leistung, die positiv überrascht. Der Gesang ist dynamisch und überzeugen mit Transparenz. Alle Stimmlagen kommen gleicher Maßen zu Geltung.

Idomeneo zeigt stolz die Wunderaxt.
Foto: TNLoS

Doch die Kostümabteil meint es nicht gut mit dem Opernchor. In der Opferszene wirkt dieser wie eine bulgarische Volkstanzgruppe. Der übergroße Gipskopf im Sokrates-Design ist ein weiterer Baustein der überladenen Optik. Wer so etwas mag, trinkt bestimmt auch mit Vorliebe Mavrodaphne.

Die Ausstaffierung des singenden Personals ist undurchsichtig. Sie beginnt mit gefühlter Antike, geht über finsteres Mittelalter und marxistisches Lumpenproletariat bis hin zum britischen Landadel. Was will der Regisseur uns damit sagen? Hochmut und Eltern-Kind-Konflikte ziehen sich durch die Weltschichte.

Mit dem Zweiten hört man besser

Es dauert schon eine Weile, bis sich das Ensemble in die Inszenierung hereinfindet und die Handlung nimmt erst im zweiten Akt an Fahrt auf. Bis dahin haben sich die Darsteller eingesungen. Zu den Höhepunkte des Abend zählt dann auch die Arie der Ilia am Beginn des zweiten Akts. Yuval Oren zeigt, wozu sie fähig ist mit ihrem klaren Sopran. Julia Ermakova in der Rolle der Elektra steht ihr in nichts nach.

Kyounghan Seo und das Loh-Orchester finden an diesem Abend nicht zusammen. Sie musiziert nebeneinander her. In der Rolle des Titelhelden kann Soe seine Leistungen aus der Turandot des Sommer nicht wiederholen. Warum der König des antiken Kretas gekleidet ist wie ein Germanenherrscher aus der Zeit der Völkerwanderung wird nicht klar.

Was nur die wenigsten wissen: Idomeneo und
Alarich hatten denselben Schneider.
Foto: TNLoS
Thomas Kohl agiert in der Rolle des Erzählers gewohnt souverän. Der Bariton bringt genug Erfahrung und Leistungsbereitschaft mit, um auch schauspielerisch zu glänzen. Damit drückt er dieser Inszenierung seinen Stempel auf.

Die Dominanz seiner Rolle wird im Laufe der Aufführung zum Problem. In den bereits erwähnten B-Movies bleibt der auktoriale Erzähler außen vor. Beim Nordhäuser Idomeneo darf er ins Geschehen eingreifen, ob dies der Inszenierung gut tut, kann man streiten. Auch über die Frage, welche Rolle der waidwund geschossene Sohn des Erzählers spielt, lässt sich ausführlich debattieren. Dass Eltern-Kind-Konflikte auch 2.800 Jahre nach Homer Bestand haben, weiß jeder, der mal ein Pubertier großgezogen hat.

Hinter der Legende von Idomeneo steckt die Umkehrung des Ödipus-Themas, doch dem König von Kreta muss man zu Gute halten, dass er anders als der biblische Abraham, Skrupel hat, den Sohn der Gottheit zu opfern.

Dies wiederum kann man vom Übervater Leopold Mozart nicht behaupten. Bereitwillig trug er seinen Sohn Wolfgang Amadeus von Opferstätte zu Opferstätte. Ob man "Idomeneo" als Wendepunkt in der Vater-Sohn-Beziehung halten kann, müssen die Gelehrten entscheiden. Bis dahin kann die Inszenierung in Nordhausen für eine Kostümfest halten und für eine Messe in Sachen "Schaut her her, was unsere Bühnentechnik kann". Die spielt neben dem Erzähler die zweite heimliche Hauptrolle.







  

 


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