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Grell und schnell in Richtung gestern

"Deutsches Haus" ist Heim für überlebende Hirnspender

Ein Ensemble in Höchstform, ein Bühnenbild zum Fürchten, eine rasante Inszenierung mit Rocky Horror Momenten und jede menge laute und leise Lacher. Die Uraufführung von Philipp Löhles Eigenwerk "Deutsches Haus" in Eigenregie am Deutschen Theater in Göttingen überzeugt. Doch eins sollte man nicht machen: Diese Komödie zum Politikersatz hochstilisieren.

Die Aufführung beginnt mit einem Aha-Effekt. Das Bühnenbild von Thomas Pump verlängert den Plüsch des altehrwürdigen Dekors des DT Göttingen bis auf die Brücke. Das ist nicht neu und gab es in Göttingen vor vielen Jahren schon einmal beim "Zauberberg" zu sehen. Aber es wirkt immer noch. Diese  bauliche Maßnahme durchbricht noch vor Spielbeginn die "vierte Wand" und macht dem Publikum deutlich: Ihr seid ein Teil der Inszenierung!

Immer eine Kann in der Hand: Im 
"Deutschen Haus" wird gebechtert
wie in einer Dorfkneipe.
Fotos: DT Gö/ Thomas Müller 
Immer wieder überschreitet das Ensemble die Schwelle zwischen Bühne und Parkett, bis hin zum Klatsch-Experiment am Ende. Lucas Adler steht im Parkett und sucht nach einer Wohnung, die er bezahlen kann. Weil er dies im Studentensprech macht, herrscht erst einmal Unsicherheit im Publikum. Viele der Anwesenden kennen das Problem aus eigner Erfahrung, auch wenn es schon Jahrzehnte her ist.

Der Jurastudent trifft auf Björn Kappel und dieser bietet ihm ein Zimmer zu traumhaften Konditionen an. Das Publikum ahnt es sofort: Die WG ist eine Burschenschaft. Damit gerät Lukas Adler auf die schiefe Ebene, die Talfahrt wird immer rasanter und endet tödlich. Aber sie ist schön bunt und macht gute Laune.

Das Fest der Nullinformationen

Das liegt an der Leistung des Ensembles und den stärksten Eindruck hinterlässt dabei Daniel Mühe in der Rolle des Tino Großmann. Die Wesensänderung vom devoten Knappen zum herrschsüchtigen Jungritter nach der Hirnspende vollzieht er nicht nur stimmlich, sondern auch in Gestik und Körpersprache.

Gabriel von Berlepsch glänzt vor allem, wenn er als Vollschädel Götz Drescher pathetisch eine bedeutungsschwangere Phrase nach der anderen aneinanderreiht und es dabei schafft, sämtliche Feinheiten der Artikulation in Anspruch zu nehmen. Selten hat jemand mit so viel Genuss Nullinformationen zelebriert. Das schafft ansonsten nur Robert Habeck.

Überhaupt ist die Sprachakrobatik ein wichtiger Teil dieses Stück und alle Darsteller machen mit, schlagen rhetorische Volten, haben ihren Spaß und können diesen ans Publikum weitergeben. So muss das sein.

Zinkeimer statt Tigerfell

Philipp Löhle öffnet hier das Kabinett des George Grosz 5.0 und reiht ein Klischee an das andere. Das macht Spaß, taugt aber nicht als Analyse. Im "Deutschen Haus" wird mehr gebechert als in der gleichnamigen Dorfkneipe. Nur der Alkoholkonsum der legendären Toskana-Fraktion mag größer gewesen sein. Hier wie dort geht es um das Schaffen von Verbundenheit. Seilschaften nannte man das früher, heute nutzt man den Euphemismus Netzwerke.

Von Anfang an zu spät: Lukas 
geht der Spinne ins Netz.
Im alltäglichen Treiben dieser besonderen WG steckt jede Menge "Dinner for one" drin und das Tigerfell von Christoph Türkay ist der Zinkeimer. Man weißt nicht, ob man lachen soll oder sich ekeln muss. Aber seine Darstellung des dauerkotzenden Lukas Adler sind mindestens 9 Punkte auf der Butler James-Skala.

Im Verlauf der Aufführung zeigt Vollschädel Drescher immer mehr Anklänge an Dr. Frank N. Furter und spätestens als Adler die Perücke von Großmann lüftet, ist klar, dass an diesem Abend im Deutschen Theater eine besondere Form der Rocky Horror Show aufgeführt wird. 

Optisch ist die Hirntransplantation das Highlight dieser Inszenierung. Eine monströse OP-Spinne schwebt von der Decke. Die Geräusche lassen keinen Zweifel dran, dass nun Schädeldecken aufgeflext und Rückgrate gebrochen werden. Mancher Lacher aus dem Publikum ist ein Hilfsmittel, um die Brutalität zu verarbeiten und es ist wohl gut, das man im Halbdunkel nicht alles sieht, weil man es dann doch nicht so genau sehen möchte.

Anschließend läuft Christoph Türkay zu ganz großer Form auf. Man kann sich nicht satt sehen und satt hören an den den fahrigen Gesten und dem Gestammel des schwankenden überlebenden Hirnspenders. Beim Finale grande durchbricht das Ensemble ein letztes Mal die vierte Wand und zeigt dem Publikum, viel verführbar es ist, wenn die Gruppe der Verführer groß genug ist.    

Stück nicht als Politikersatz nehmen

So bunt und grell und rasant und lustvoll dieses Werk auch ist, man darf es nicht mit einer zeitgerechten Analyse verwechseln. Es dient vor allem der Selbstvergewisserung von Publikum und Ensemble. Man ist eins und man ist sich einig: Die Anderen sind bösartig und dumpf. Das ist ein Grund, warum der Applaus am Ende so reichhaltig ausfällt. Der andere Grund ist die rasante und gefällige Inszenierung.  

Finale mit überlebenden
Hirnspendern.
Fotos: DT GÖ/Thomas Müller
Die Inszenierung zeigt eine Welt wie in den Zeiten von George Grosz, in denen Burschenschaftler und alte Herren die Totengräber der ersten deutschen Republik waren. Der Blick nach Belgien und nach Italien zeigt, dass der europaweite Aufstieg der Rechtsextremen in den letzten Jahrzehnten vor allem ökonomisch getrieben ist. Der völkische Aspekt ist Beiwerk. Man will nicht teilen, egal mit wem. 

Damit ist das "Deutsche Haus" ein weiteres Ritual des nachholenden Widerstands. Im Umkehrschluss  liefert es eine Erklärung, warum die Lifestyle-Linke nichts gegen die AfD und Artverwandte in der Hand hat. Beide Lager leben zum größten Teil in einer Welt, die es nicht mehr gibt. Da passt das Zitat von Hansjörg Schneider über das Gefallen an der besserwisserischen Bedeutungslosigkeit.  







Zum Nachlesen: Das Stück in der Selbstdarstellung

Zum Bestellen: Das Konzept der Autonomie von Michael Pauen und Harald Welzer

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