Mittwoch, 4. Mai 2022

Die Welt braucht diesen Hotzenplotz

Junges Theater Göttingen zeigt den Räuber von einer anderen Seite

Alles passt zusammen. In ihrer Inszenierung von „Der Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete“ verknüpfen Nico Dietrich und Christian Vollmer die klassischen Mittel des Kindertheaters mit einer neuen Aussage. Es funktioniert. Kinder und ältere Hotzenplotz-Fans haben ihren Spaß daran, weil es eben klassisches Mutmacher-Theater bleibt und doch neu ist.

Der Räuber Hotzenplotz ist aus dem Gefängnis ausgerissen. Während die Erwachsenen mit Angst und Schrecken reagieren, fassen Kasperl und Seppel einen mutigen Plan. Sie wollen den Räuber mit einer List einfangen, denn was einmal klappt, das klappt auch ein zweites Mal. Im Zentrum ihres Plan steht eine selbst gebaute Rakete.

Otfried Preußler hat die kurze Geschichte vom Räuber, der auf den Mond will, um sich dort mit Silber einzudecken, bereits 1967 veröffentlicht. Das Werk war als Stück fürs Puppentheater gedacht. Doch „Die Mondrakete“ geriet in Vergessenheit und wurde erst 2018 postum wieder veröffentlicht. Ergänzt und ausgebaut von der Tochter des Autors wurde es dann zum Verkaufsschlager.

Die Aufführung des Jungen Theaters hat alles was gutes Theater auszeichnet. Alle haben Spaß und die Fachleute noch mehr, weil sie die zahlreichen Anspielungen verstehen. So beginnt die Vorstellung mit einer Kaffeemühle und dem Lied „Alles neu macht der Mai“. Das ist die Startsequenz der gesamten Hotzenplotz-Serie.

Zwei Räuber sind einer zu viel.
Alle Fotos: Dorothea Heise

Dann geht es weiter mit dem Puppentheater und all seinen Insignien. Die Frage „Seit ihr auch alle da“ darf nicht fehlen. Das erscheint erst einmal als gute Lösung, um ein Fünf-Persoen-Stück mit drei Schauspielern aufzuführen.

Es folgt der Brückenschlag, die Grenzen werden aufgehoben. Der Hotzenplotz klettert als lebendige Person aus dem Guckkasten auf die Bühne. Die Kinder sind begeistert, die Nebengeräusch sinken auf null. Götz Lautenbach spielt den Räuber so gut, dass man in jeder Altersklasse seine Rachegefühl gegenüber Kasperl und Seppel nur zu gut verstehen. Aber von Anfang weiß auch jeder, dass daraus nichts werden wird. Allen Widrigkeiten zum Trotz werden die Mutigen am Ende siegen.  

Später wird der Seppel von der Bühne in den Guckkasten klettern, um dort Schutz zu suchen. Das Erstaunliche daran? Die Kinder verstehen diese dramaturgische Sprache.

Das Tempo der Inszenierung nimmt zu. Es folgt ein Hin und Her mit den Mitteln des Kindertheaters. Da werden Wörter verdreht, Anspielungen auf andere Hotzenplotz-Ausgaben gemacht, Fragen an das Publikum gestellt und Darsteller rollen sich selbst mit Klebeband ein. Helden und Bösewichter verstecken sich hinter Pappmaché, Türen knallen und irgendwer irrt immer durchs Bühnenbild.

Das Spiel mit dem Publikum funktioniert immer noch. Kinder und Eltern klatschen fleißig und zählen mit. Das Miteinander geht so weit, dass einzelne Kinder spontan helfen, als Kasperl allein den schweren Bollerwagen durch die Landschaft ziehen muss.

Es ist ein Spiel, das die Besonderheiten der Hotzenplotz-Serie aufgreift: Selbstbewusste Kinder lösen Probleme, denen die Erwachsenen nicht gewachsen sind. Im Preußlers Sinne wird das gewürzt mit einer Prise Unverschämtheit und Anarchie. Es bleibt die Gewissheit, dass Frechheit und Freundschaft am Ende siegen werden.

Die Neuerungen fügen sich in dieser Inszenierung harmonisch ein. Kasperl und Seppel rappen über den Räuber und es wirkt noch nicht einmal aufgesetzt. Auch der Hotzenplotz darf später singen. Wunderbar ist die Szene, in der Götz Lautenbach und Florian Donath im Zeitlupen-Modus den Moonwalk zelebrieren.

Am Ende siegt wieder die Freundschaft.
Alle Fotos: Dorothea Heise

„Der Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete“ ist als Stück fürs Puppentheater genregemäß kur geraten und die Aufführung wäre wohl nach 25 Minuten zu Ende, wenn die Inszenierung von Dietrich und Vollmer die dünne Geschichte nicht um eine neue Ebene erweitern würde. Sie stellen die Frage: Was wären Kasperl und Seppel ohne den Räuber?

Als die beiden Helden glauben, dass der Bösewicht tot sei, singen sie ein Klagelied. Dabei stellen sie fest, dass die Welt ohne den Hotzenplotz nicht mehr dieselbe ist. Doch nicht nur die Welt braucht den Hotzenplotz, sondern Kasperl und Seppel brauchen ihn auch. Denn ohne Räuber wäre auch ihr Leben ein anderes. Ohne Hotzenplotz wäre sie bestimmt nicht so mutig und einfallsreich, wie sei es nun mal sind. Damit die Kinder mutig und einfallsreich bleiben, braucht die Welt genau diesen Hotzenplotz.