Sonntag, 27. September 2020

Am Ende sind alle verzaubert

Eine fantastische "Fairy Queen" am Theater Nordhausen

Oper ist möglich und sie kann Spaß, sogar in Zeiten von Corona. Das ist die wichtige Botschaft, die von der "Fairy Queen" im Theater Nordhausen ausgeht. Regisseur Achim Lenz und der musikalische Leiter Henning Ehlert haben nicht trotz, sondern gerade wegen der Beschränkungen eine Inszenierung geschaffen, die eine eigenständige Aussage liefert. Dafür gab es bei der Premiere am Freitag donnernden Applaus.

Im Frühjahr schwächelte Lenz "Zauberflöte" noch an der Angst vor der eigenen Courage. Hier hat er nun konsequent gearbeitet und eine überzeugende Arbeit abgeliefert. So ist diese "Fairy Queen" keine weitere Adaption eines bekannten Stoffes. Auf der breiten Basis vieler Einflüsse ist eine eigenständige Interpretation eines Verwirrspiels mit neuen Perspektiven entstanden. 

Die Corona-Auflagen sind fast ein Zwang zur historischen Aufführungspraxis. Doch aus dem Zwang wird ein Gewinn. Das Orchester ist deutlich reduziert. Fünf Streicher, sieben Bläser und ein Cembalo. Diese ungewöhnliche Instrumentierung entspricht in etwa den Vorgaben, die Henry Purcell am Ende des 17. Jahrhunderts für seine Oper gemacht hat.

Das Dreigestirn: Fee, Kuchen und Handwerker.
Alle Fotos: Julia Lormis

Das Klangbild profitiert nur davon. So laufen die filigranen und einfallsreichen Kompositionen nicht Gefahr, in der Klanggewalt eines Symphonieorchester unterzugehen. Ganz im Gegenteil, so poetisch und zart muss es einst im Feenwald geklungen haben, Dafür sorgen die Hölzer. Das wird schön kontrastiert mit dem barocken Stolz der Blechbläser. 

Die aktuelle Sperrung der Orchestergräben ist ein weiterer Schritt hin zur historischen Aufführungspraxis. Das Ensemble sitzt auf der Bühne und das haben Musikerinnen und Musiker jahrhundertelang getan, bevor sie vor 150 Jahre von einem überschätzten Sachsen in die Unsichtbarkeit verbannt wurden. Nun sind sie wieder da, wo sie hingehören und der direkte Weg zwischen Instrument und Ohr des Publikums tut dem Genuss des filigranen Werks gut. 

Das Libretto ist allseits bekannt. Die "Fairy Queen" von Henry Purcell ist die musikalische Umgestaltung von Shakespeares Sommernachtstraum. Weil  Purcell der Feenkönigin Titania eine größere Rolle zugesteht als Shakespeare, hat er diesen doch als untalentierten Dichter in dieser Oper verewigt.

Das Werk eignet sich bestens für Corona-Zeiten. Denn die "Fairy Queen" ist das Glanzstück der in England sehr beliebten Semi-Opera. Schauspiel, Tanz und Gesang waren hier gleichberechtigt. Bekannte Erwartungen werden von vornherein überarbeitet. An dieser Stelle macht Lenz in seiner Inszenierung weiter. Sprech- und Gesangsrollen gehen in einander über, doch die Darstellung muss den Auflagen geschuldet reduziert werden. Bewegen ist nicht erlaub. Die Sänger und der Schauspieler stehen und sitzen wie bei einer konzertanten Aufführung fast nur an der Bühnenrampe. 

Die Bewegung wird ersetzt durch das muntere Spiel mit den Requisiten, die jede und jeder in ihrem oder seinem Köfferchen mit sich herum trägt. Ein kurzer Griff in die Kiste und mit einer Kopfbedeckung wird aus Amelie Petrich als Hermia ganz schnell Amelie Petrich als Fee. Aus Gustavo Edo als Handwerker wird ganz schnell Gustavo Eda als Elfenkönig Oberon. 

Zettel kann auch zaubern.
Alle Fotos: Julia Lormis

Die eigenständige Leistung besteht erst einmal in der erneuten Verschiebung der Gewichte. Aus der "Fairy Queen" wird "Zettels Traum", Arno Schmidt lässt hier deutlich grüßen. Das ganze erzählt Lenz in dem rasanten Tempo von Urs Widmer in seinen "Shakespeares Geschichten". Der Plot ist auf das wichtigste eingedampft. Es ist kein Verlust, sondern ein Konzentrat.

Dabei fügt Lenz den drei Ebenen der Verwirrung aus der Shakespeareschen Vorlage noch eine vierte hinzu. Die antiken Animositäten der schauspielernden Handwerke verlängert er in die Jetztzeit. Frotzeleien und Sticheleien begleiten das Spiel der fünf Darsteller auf der Nordhäuser Bühne. Die sind so gut gesetzt, dass man dem Irrglauben erliegt, sie seien spontan und real.

Dabei ist Lenz mit der Besetzung ein echter Coup gelandet. Er hat die fünf passenden Mit- und Gegenspieler gefunden. 

Dennoch ist es vor allem der Abend von Sven Mattke. Der zeigt die ganze Breite seines Könnens und das ist wirklich breit. Von Komik bis Tragik ist hier alles drin, ohne dass er je ins Lächerliche abrutscht. Mattke, löst die Versprechen ein, die Zettel gibt. So überrascht es nicht wirklich, dass er auch Blumen herbeizaubern kann, wenn es denn sein muss. Dabei setzt er immer wieder die eine oder andere Plattitüde mit einen Hauch Selbstironie ab. So werden Rolle und Darsteller zu einem Ganzen. 

Mattke glänzt mit wohl gesetzten Betonungen, die ganz langsam die Doppeldeutigkeit mancher Formulierung wirken lässt. In den Floskeln verschmelzen 17. und 21. Jahrhundert. Aber der große Augenblick ist das Solo als Esel. Selbst noch unter dieser dominanten Maske glänzt Mattke und ersetzt die Mimik durch die feinen Nuancen der Gestik.

Der zweite Pfeiler der brillanten Besetzung ist Gustavo Eda. Das neue Mitglied zeichnet sich nicht nur durch eine ganz besonderen Tenor aus. Der Mann hat auch schauspielerisches Talent und davon eine ganze Mange, vor allem im komödiantischen Fach. Er ist in der Lage, eine Szene mit wenigen  Gesichtszügen und mit wenigen Gesten aufzulösen und seinen gesanglichen Vortrag gewinnbringend zu unterstützen. 

Solo für einen Elf: Gustavo Eda
als Oberon.
Alle Fotos: Julia Lormis

Dazu hat er eine Stimme wie Samt. Sie schmeichelt, betört und verzaubert und bleibt selbst in den Koloraturen rund. Damit hat Nordhausen nicht nur einen Tenor, auf den das Etikett "lyrisch" bestens passt. Edo hat zudem eine Stimme, die die Poesie dieser Inszenierung noch einmal unterstreicht. Er wandelt zwar Oberon vom rächenden Macho zum staunenden Waldbewohner. Aber wenn Elfen singen können, dann singen sie bestimmt so. Deshalb wünscht man sich am Ende auch mehr Einsätze für Gustavo Eda.  

Auch Amelie Petrich begeistert mit ihrer Stimme. Ihr Sopran ist mit einem kleinen Timbre unterlegt. Das nimmt ihm die Spitzen und macht ihn so rund, wie man es von einer Feenkönigin erwartet. Dabei muss das Publikum aber nicht auf Umfang und Dynamik verzichten. Zum lyrischen Tenor Edo ist Amelie Petrich eben die kongeniale lyrische Sopranistin. Wenn es diese Etikett nicht gibt, dann muss es eben erfunden werden.

Der Reiz diese Inszenierung liegt auch im Verhältnis von Gestern und Heute. Wie es sich für die historische Aufführungspraxis einer Barockoper gehört, steckt diese Fairy Queen voller Symbole und Anspielungen. Die versteht das Publikum nicht immer oder erst auf den dritten Blick.  wie zum Beispiel die Kopfbedeckung des Oberon, die Anja Schulz-Hentrich direkt den barocken Vorlagen entnommen hat. Aber das macht nichts. Es gibt viel zu entdecken und man genießt die Aufführung auch so. Dann sind da ja auch noch die Symbole der Gegenwart, die jeder versteht, wie eben Barby und Ken als Hermia und Demetrius

Mit diesen wenigen Komponenten schafft es Lenz, den ganzen Zauber einer Barockoper wiederzubeleben. Es ist eben eine ganz eigene und eine komplette Welt. Hier gibt es Freude, Verwirrung, Verzweiflung, Enttäuschung, Zauber, Zank und Vergeben und zum Schluss löst die Liebe alles auf. Weil das nötiger denn je ist, liefert Lenz auch eine Aussage für die Jetztzeit.




Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht

 "Die Hauptstadt" ist ein vor allem ein Wunschland

Es bleibt dabei: gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht. Das gilt vor allem für "Die Hauptstadt"  am Deutschen Theater Göttingen. Statt Impulse zur Gegenwart zu geben, reiht