Donnerstag, 28. Juni 2018

Wenn das Zentralgestirn wunderschön verglüht

La Traviata im Sinne Verdis weiterentwickelt

So ist es nun mal: Nirgends wird so schön gestorben wie in Verdis Dauerbrenner. Auch bei den Schlossfestspielen in Sondershausen ist die Titelheldin am Ende mausetot. Doch die Inszenierung von Anette Leistenschneider zeigt nicht nur drei Akteure in Höchstform sondern auch einige neue Aspekte.

Das Libretto erscheint wie die Vorlage für eine Tele Novela: Lebedame aus der Pariser Oberschicht trifft auf Jüngling aus gutem Hause. Er ist unsterblich verliebt, sie ziert sich anfangs noch. doch dann schlägt die Liebe mit aller Macht zu und beide beginnen ein ruhiges Leben auf dem Lande.

Dann funkt sein Vater dazwischen, sie opfert sich, er beschimpft. Als beide wieder zueinander finden, ist es zu spät. Die Schwindsucht rafft sie dahin.


Was aus heutiger Sicht banal erscheint, war vor knapp 170 Jahren durchaus revolutionär. Anfang der 1850er Jahre erfindet Verdi die Volksoper. Nicht mehr Adelige und andere vermeintliche Helden stehen im Mittelpunkt das Singspiels sondern die Menschen von der Straße oder dem Rand der Gesellschaft. Dazu gehören der bucklige Hofnarr Rigoletto ebenso wie die Edelprostiuierte Violetta.

Mischung aus Wave Gothic Treffen, "Live and Let Die"
und Familienfeier im S/M-Club. Alle Fotos: Kügler
Um diesem revolutionären Schreiben noch die Krone aufsetzen, macht Verdi eine Frau zum Mittelpunkt seines Werkes. Diesen Weg geht Anette Leistenschneider konsequent weiter. Sie macht Zinzi Frohwein in der Hauptrolle zum Zentralgestirn ihrer Inszenierung. Nur die Vater-Sohn-Szene muss ohne ihre Präsenz auskommen, natürlich logisch.

Anders als in der Nordhäuser "La Traviata" von 2011 ist die Violetta in Sondershausen ist kein Opfer widriger Umstände. Sie handelt bewusst. Erst voller Skepsis erliegt sie dem Zauber und der Macht der Liebe. Eben deswegen verzichtet sie auf Alfredo

Zinzi Frohwein bringt diesem Wandel glaubwürdig auf die Bühne im Lustgarten. Letztendlich scheidet Violetta in Erfüllung ihrer Mission mit jeder Menge Großmut aus dem Leben. Der Wandel von der egozentrischen Lebedame und zur Heiligen ist in dieser Vorstellung deutlich und nachvollziehbar ohne in christliche Erlösung-Elegien umzukippen.

Die Aufführung profitiert eindeutig von Frohweins großem schauspielerischen Talent, für das die Niederländerin schon mehrfach ausgezeichnet wurde. Das die Sopranistin zu den führenden Stimmen am Theater Nordhausen zählt, steht sowieso außer Frage. Dies liegt sicherlich an ihrer Wandlungsfähigkeit. Sie klingt weich und rund, wo Zurückhaltung gefragt ist, doch ohne an Dynamik oder Umfang zu verlieren. Aber sie im zweiten Akt beweist, beherrscht sie auch die Koloraturen und wenn es die Situation erfordert, dann legt sie auch reichlich Vibrato in ihren Vortrag

Kyounghan Seo ist die passenden Ergänzung zu Frohweins Dominanz. Der Koreaner ist wohl der Prototyp eines lyrischen Tenors, auf die großen Gesten verzichtet er. Dies passt vorzüglich zur Rolle des dauerverliebten Alfredo. Nur im dritten Akt darf er dann ganz weit ausholen. Auf jeden Fall sind aber die zahlreichen Duette von Frohwein und Seo gleichzeitig auch die zahlreichen Höhepunkte in dieser Inszenierung.

Violetta legt sich schon mal zum Sterben hin.
Da ist Manos Kia aus ganz anderem Holz geschnitzt. Er wirkt gelegentlich etwas hüftsteif, aber dies bestens passt in die Rolle des Ehrenmanns aus der Provinz. Der Bariton kann auch stimmlich die Standhaftigkeit von Vater Germont umsetzten.

Das Bühnenbild von Christian Floeren erinnert deutlich an seine Arbeit zu den diesjährigen Comedian Harmonists. Die Spielfläche ist weitestgehend freigeräumt, der Fokus liegt auf den Akteuren und die Opulenz des Fin de Siécle findet nur im Kopf statt. Nur im dritten, im Sterbe-Akt, wird deutlich möbliert.

Aber da sind ja noch die vier Buchstaben L,O,V, und E. Erst müssen sie richtig sortiert werden, dann leuchten sie in voller Pracht und dann doch wieder Stück für Stück auszugehen. Als ob man Liebe ein- und ausschalten könnte wie eine Lichtinstallation. Eine gewagte These, die Anette Leistenschneider mit dieser Inszenierung ja widerlegt.

Die Ausstattung reduziert, die Kostüme prachtvoll. Die Inszenierung profitiert von diesem Gegensatz. Dass Nebenrollen und Chor dabei aussehen wie eine Mischung aus Betriebsausflug zum Wave Gothic Treffen, Bond'schen Karneval in "Live and Let Die" und Familienfeier im S/M-Club ist durchaus im Sinne Verdis. Dieser hatte seine Oper durchaus als Zerrspiegel für die Vergnügungssucht des Spätfeudalismus gesehen. Der Spätkapitalismus trägt eben Lack und Leder.

Noch leuchtet die Liebe. 
Mit dieser Ausstattung bringen Leistenschneider und Froenen aber auch eine neue zeitgeistige  Komponente mit ins Boot: die Mystik. La Traviata bekommt in Sondershausen eine dunkle, unerklärliche Seite. Damit geht diese Inszenierung über die Sozialanalyse Verdis hinaus.

Der Auftritt des Todes schon während der Ouvertüre, im Gestalt eines kleinen Blumenmädchen, weist schon frühzeitig auf das unvermeidliche Ende und wirkt gelegentlich konstruiert. Anfangs verweigert Violetta den Tanz mit dem Mädchen, mit dem Tod, im dritten Akt drehen sie dann doch ihre Runde, das ist sehr eingängig.

Der Wechsel von intimen Duetten und rasanten Massenszenen verleihen der Inszenierung ein letztendlich ein hohes Tempo. Dies macht Violettas zweifachen Bruch mit ihren bisherigen Leben umso deutlicher.

Mit sicherer Hand leitet Michael Helmrath das Loh-Orchester durch den Abend. Das Ensemble zeichnet sich durch Zurückhaltung aus, während die Sängerinnen und Sänger immer die musikalische Hauptrolle spielen. Dabei hat Verdi seiner Oper eine bis dato unerreichte Vielfalt an Stilelementen verpasst. Walzer trifft auf spanische Folklore und Spätromantik dräut schicksalergeben. Das Orchester schafft alle Wechsel und selbst in den dunklen Pauken-Passagen bleibt der Klang transparent.






Material #1: Schlossfestspiele Sondershausen - Der Spielplan
Material #2: Schlossfestspiele Sondershausen - Das Stück

Material #3: Giuseppe Verdi - Die Biografie
Material #4: La Traviata - Die Geschichte






Montag, 25. Juni 2018

Eine Inszenierung, die sticht

Comedian Harmonist bei den Schlossfestspielen überzeugt in allen Belangen

Was will man mehr? Eine traurige Geschichte auf unterhaltsame Weise erzählt, eine gesunde Portion Ulk und dazu sechs erstklassige Musiker und ein Schauspieler, der ihnen fast die Show stiehlt und alles zusammen in einer Inszenierung, die mit Leichtigkeit begeistert. Mit den "Comedian Harmonists" bei den Schlossfestspielen in Sondershausen ist Ivan Alboresi mal wieder ein großer Wurf gelungen.

Mit einer Zeitungsanzeige sucht im Harry Frommermann im Dezember 1927 Sänger für eine noch zu gründendes Quartett. Sein Vorbild sind die Revellers aus den USA. Nach vielen Proben, Schwierigkeiten und Streitigkeiten beginnt das Ensemble  ein Jahr später unter dem Namen "Comedian Harmonists" eine einmalige Karriere. Diese wird die deutsche Musiklandschaft langfristig prägen, doch auf dem Höhepunkt funkt die Politik dazwischen.

Die Comedian Harmonists entsprechen nicht dem Musikgeschmack der regierenden Nationalsozialisten und außerdem sind drei der sechs Musiker jüdischen Glaubens. Es gibt ein Auftrittsverbot für Deutschland. Die Musiker zerstreiten sich, das Ensemble zerbricht. Drei Mitglieder gehen ins Exil. Gottfried Greiffenhagen und Franz Wittenbrink haben diese Geschichte in ein Musical mit vielen Stationen zerlegt.

Erst zwei Träumer, dann zwei Gegner: Kalus und Kohl
als Frommermann und Biberti.     Alle Fotos: Kügler
Ein Klavier, ein Grammophon auf einen Stapel Koffer, im Hintergrund eine Tür und zwei große Drehelemente und darüber ein LED-Display. Das war's und mehr wird es auch nicht. Die Bühne im Lustgarten des Schlosses ist sparsam ausgestattet und daran ändert sich auch nichts im Laufe der Vorstellung.

Das erlaubt dem Publikum nicht nur die Konzentration auf das Geschehen und die Akteure, die rasanten Umbauten durch die Akteure auf offener Bühne verleihen der Inszenierung zusätzliches Tempo. Aus dem armseligen Probenraum arbeitsloser Musiker wird im Handumdrehen die Garderobe einer Show-Bühne. Das ist der technische Aspekt der gelungenen Arbeit von Christian Floeren. Alboresi hat hier zu Recht und mit Erfolg auf die Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Bühnenbildner mit internationaler Erfahrung gebaut

Mit diesem Charme einer Bahnhofshalle einer Bahnhofshalle macht Ivan Alboresi auch deutlich, dass alle ständig auf der Durchreise sind. Greifbar wird dieses auch in Requisite "Koffer". Immer wieder trägt jemand seinen Koffer mit sich herum. Jeder hat sein Gepäck zu schleppen und bringt es mit und ist dann schnell wieder weg. Das ist eingängig und nachvollziehbar. Dieses Detail steht als Beispiel für das durchdachte aber nicht verkopfte Konzept dieser Inszenierung.

Es zahlt sich auch völlig aus, dass Alboresi bei der Besetzung auf die heimische Stimmgewalt gesetzt hat. Sechs der sieben Rollen fielen an Sänger und das ist für dieses Musical ein sehr großes Plus. Schließlich sind hier durchaus anspruchsvolle Gesangspassagen zu bewältigen. Mit der musikalischen Formvollendung findet der Zauber der Comedian Harmonists seinen Weg auf die Bühne in Sondershausen. Wer die Augen schließt, kann sich zurückträumen in eine Show der frühen 30-er Jahre.

Das macht der Manager für uns: Sven Mattke.
Foto: Kügler
Garniert wird das ganze mit Tanzeinlagen aus der Kategorie "Nicht ganz ernst gemeint". Diese machen aber deutlich, dass der Ballettmensch Alboresi hier nicht nur sein Gespür für Komik sondern auch die Beherrschung des Raumes als theatralisches Mittel einzusetzen weiß.

Selbst der härteste aller Kritiker zeigt sich beeindruckt von dieser Leistung und lauscht voller Andacht und mit offenen Mund. Abschließend gibt er eine Eins minus. Wäre das Wetter besser gewesen, dann hätte er auch eine glatte Eins verteilt.

Mit Marian Kalus als Harry Frommermann und Thomas Kohl als Robert Biberti treffen hier zwei  Sänger aufeinander, die auch die schauspielerischen Anforderungen bewältigen. Das ist auch unbedingt nötig. Schließlich sind es die Pole, zwischen den die Comedian Harmonists dann zerrieben werden.

Beide verkörpern die Alphatiere glaubhaft mit stimmlichen Mitteln und auch zunehmend mit Gesten und Körperspannung. Die Konflikte werden in der Inszenierung von Alboresi schon frühzeitig angedeutet und entlang dieser skizzierten Linien zerbricht die Gruppe dann auch. Den Wandel vom Freund und Weggefährten zum Gegner können Kalus und Koch konsequent umsetzen. Erst haben sie einen gemeinsamen Traum, den Klaus und Kohl durchaus personifizieren, dann ist nur noch Gegnerschaft da. Selten sah man in Sonderhausen so überzeugend Männer von Freunden zu Feinden werden.

Sechs Musiker und ein Schauspieler. Aufgeteilt in zahlreiche Stationen ist Sven Mattke in seinen vielfältigen Rollen das Bindeglied der Aufführungen. Wo andere Inszenierungen in eine reine Nummernrevue zerfallen, fungierte der gebürtige Nordhäuser beeindruckend als Leim.

Egal ob als Vermieterin, als Manager, als Conferencier oder als Scherge der Reichskulturkammer, Mattke überzeugt in allen Rollen durch seine Vielfältigkeit und seine Präsenz. Er beherrscht die großen Gesten glaubhaft. Dazu kann Mattke ein enormes Tempo realisieren, dass dem Geist der Zeit entspricht und eine offensichtliche Spontanität, die dem Publikum spontanes Lachen entlockt.

Harte Arbeit, rasanter Aufstieg, ein bitteres Ende und der Bruch von Freundschaften. All dies ohne falsche Wehmut aber mit reichlich Tempo präsentiert. Dazu obendrauf die ewige Musik der Comedian Harmonists.







Schlossfestspiele Sondershausen #1: Der Spielplan
Schlossfestspiele Sondershausen #2: Das Stück

Theater Nordhausen #1: Ivan Alboresi - Die Kurzvorstellung

Comedian Harmonist #1: Der wikipedia-Eintrag

Zum Vergleich #1: Domfestspiele Bad Gandersheim 2015  - Die Comedian Harmonist
Zum Vergleich #2: Domfestspiele Bad Gandersheim 2017  -  Jetzt oder nie - Comedian Harmonist II





Dienstag, 19. Juni 2018

Eine Schublade voller Träume

Domfestspiele 2018: Abheben mit Peter Pan

Die Antworten auf die Fragen, was witzig und was sehenswert ist, kann die Generationen spalten. Nicht so beim Familienstück der Gandersheimer Domfestspiele 2018. Peter Pan in der Inszenierung von Sarah Speiser lässt Große träumen und Kleine wachsen. Es ist ein komplettes Werk, dass nicht  nur die Sonnenseiten zeigt. Neid und Missgunst werden nicht ausgespart.

Aber es ist vor allem der Kinderzimmer-Charme, der diese Inszenierung so zauberhaft macht. Das Ausstattung von Karen Briem und Sandra Becker wirkt, als wäre sie gerade eben erst entstanden, als wäre hier eine ganze Menge kindlicher Fantasie am Werke gewesen.

Alles, was es braucht, ist ein wenig Vertrauen, Zuversicht, ein bisschen Feenstaub und ein wenig Mobiliar. "Mach die Schublade mit deinen Träumen auf, lass sie raus und bau' mit dem Küchentisch ein Piratenschiff". So lautet die Botschaft.

Der härteste aller Kritiker ist wieder Zuhause. 
Alle Fotos: Kügler
Das Schiff des Bösewicht Capt'n Hook wirkt wie selbst gezimmert, das Krokodil ist eindeutig ein Kett-Car und die Betten werden auch zweckentfremdet. Das nimmt das Publikum quer durch alle Altersklasse mit auf die Reise nach Nimmerland.

Die ist vor allem rasant. Trotzdem schafft Sarah Speiser die Gratwanderung. Ihr Peter Pan kippt nicht in den Klamauk ab. Das ist so überzeugend, dass der härteste aller Kritiker mit der gebotenen Ernsthaftigkeit an sein Werk geht.

Ja, doch, der härteste aller Kritiker war mal wieder bei den Domfestspielen. "Mein Wohnzimmer", wie er sagt und das schon seit fünf Jahren. Auf jeden Fall gab der Reich-Ranicki des Kinder- und Jugendtheaters vier von fünf Sternen für diese Inszenierung.

Er musste zugeben, dass es viel zu lachen gab und er eben auch entgegen der Kritikerwürde viel lachte. Egal, ob nun Pudel, Wolkenmobil oder Krokodil, die Vielzahl an Einfällen überzeugten ihn. Obwohl er ja in seinem fortgeschrittenen Alter eigentlich viel zu erwachsen ist für so ein Theater, meint der härteste aller Kritiker. Aber was soll da erst der Vater des Kritikers sagen?

Es sind die beiden Pole, die diese Inszenierung tragen. Peter Pan ist nicht nur der Kampf gegen das Erwachsen werden, es ist auch der Kampf zwischen Gut und Böse. Mit Stephan Luethi und Marco Luca Castelli hat  Sarah Speiser  die ideale Besetzungen für Peter Pan und Capt'n Hook gefunden.

Peter Pan muss mal ein ernstes Wörtchen mit
Glöckchen reden.
Brust raus, Kopf hoch und deutlich gesprochen. Luethi scheint die personifizierte Lebensfreude. Sein Spiel ist fast atemlos und selbst die Erwachsenen nehmen ihm dem Pan ab. Die Kinder sowieso, weil Luethi ganz offensichtlich Spaß an dieser Figur hat und diesen Spaß auch vermitteln kann.

Ähnlich gilt wohl auch für Castelli als Hook. Vor allem schafft er immer wieder den Umschwung zwischen den zu tiefst bösen Piraten und den Krokodil-Phobiker. Mal ganz große Geste und starke Worte, dann aber wieder so klein mit Hut. Da fragt sich manch Erwachsener, ob nicht solch ein Exemplar wie diesem Piraten-Boss auch in seiner Chef-Etage hat.

Aber die meisten Lacher produziert Florentine Kühne als Glöckchen. Vielleicht gebührt ihr auch die meiste Anerkennung, denn trotz der Beschränkungen ihrer reduzierten Texte schafft sie es, die recht zweifelhafte Fee und ihre Motive allein durch Gestik und Mimik so darzustellen, dass auch Kinder ihr mühelos folgen können. Wenn sie wütend sein soll, dann ist sie auch wütend. Jeder kann das sehen. Einfach großartig.

Letztendlich fügt sich auch hier alles zum guten Schluss. Das Happy End ist programmiert und trotzdem verstehen Kinder, Eltern und Großeltern, dass immer in Nimmerland zu leben doch recht anstregend sein kann. Erwachsen oder nicht, Hauptsache ist, dass man weiß, wie man die Schublade mit den eigenen Träumen öffnet. 






Material #1: Gandersheimer Domfestspiele - Die Geschichte
Material #2: Gandersheimer Domfestspiele - Offizielle Website
Material #3: Peter Pan - Die Inszenierung

Material #4: Sarah Speiser - Offizielle Website

Material #5: Peter Pan  - Die Geschichte
Material #6: James Matthew Barrie -  Der Autor



Andere Meinungen vom härtesten aller Kritiker

Der härteste aller Kritiker - Teil eins
Der härteste aller Kritiker - Teil zwei
Der härteste aller Kritiker - Teil drei
Der härteste aller Kritiker - Teil vier
Der härteste aller Kritiker - Teil fünf
Der härteste aller Kritiker - Teil sechs
Der härteste aller Kritiker - Teil sieben
Der härteste aller Kritiker - Teil acht
Der härteste aller Kritiker - Teil neun
Der härteste aller Kritiker - Teil zehn
Der härteste aller Kritiker - Teil elf
Der härteste aller Kritiker - Teil zwölf
Der härteste aller Kritiker - Teil dreizehn
Der härteste aller Kritiker - Teil vierzehn
Der härteste aller Kritiker - Teil fünfzehn
Der härteste aller Kritiker -Teil sechzehn




Sonntag, 17. Juni 2018

So macht Sterben Spaß

Ein beeindruckender Jedermann bei den Gandersheimer Domfestspielen

Es war ein Wagnis und es ist gelungen. Mit der Premiere des Jedermanns in der Inszenierung von Laura und Lisa Goldfarb eröffneten die Gandersheimer Domfestspiele nun auch offiziell. Das Publikum war zu Recht begeistert.

Kein Stück ist so sehr verwoben mit diesem Festival wieder Hofmannsthals Spiel vom sterbenden des reichen Mannes. Der Jedermann eröffnete die erste Spielzeit und der Jedermann stand zum 50. Geburtstag noch einmal auf dem Spielplan.

Kurz, aber nicht zu knapp, präzise aber doch allgemeingültig, spektakulär aber nicht erschreckend, bleibende Bilder aber nicht erdrückend. Das Update der Goldfarb-Schwestern überzeugend eigentlich in allen Belangen. Das multifunktionale Bühnenbild und die Ausstattung von Simone Graßmann und vor allem die zurückhaltende Musik von Ferdinand von Seebach. Es passt einfach alles.

Aber es ist vor allem die Energieleistung des Hauptdarstellers. Neunzig Minuten zeigt Marco Luca Castelli eine Achterbahnfahrt zwischen Hochmut, Verzweiflung und Demut, die mitreißt. Castelli vermittelt die ganze Palette menschlicher Emotionen in Extremsituationen mehr als glaubhaft.

Sie sind alle diese Welt geworfen und müssen doch
bald wieder gehen.     Alle Fotos: Kügler
Rauch weht über die Bühne, zu den verhaltenen Tönen des Trios von Seebach, Frank Conrad und Martin Werner schleichen 15 Darsteller im Walking-Dead-Modus über die Bühne und durchs Publikum. Zum Schluss der Szene steigen sie alle in ihre Kisten, die auf der Bühne wie dahin geworfen verteilt sind. Und Deckel drauf, das war's.

Was auf den ersten Blick wie ein Eingeständnis an den Zeitgeschmack wirkt, ist die einzige erhebliche Änderung an der Vorlage von von Hoffmannsthal. Laura und Lisa Goldfarb erzählen ihren Jedermann aus der Retrospektive.

Doch dahinter versteckt sich mehr als eine kosmetische Operation. Der Drops ist gelutscht und der Kampf ist gekämpft. Es gibt keine Aussicht auf Entrinnen, lautet die Botschaft. Nach anderthalb Stunden wird Jedermann in einer Mischung aus Resignation, Zufriedenheit und Erleuchtung wieder in seine Kiste steigen.

Dazwischen haben die Goldfarb-Schwestern einen Reigen von Szenen gepackt, die nicht weniger als das ganze Leben erklären sollen. Manche dieser Szenen wirken wie ein Gemälde von Hieronymus Bosch, manche wie ein Live-Übertragung aus einem hippen Club. Die Nutzlosigkeit menschlichen Strebens vor der Kulisse des nahenden Todes war schon im 15. Jahrhundert ein Thema und im 21. ist es immer noch eins. Der Ewigkeitsanspruch wird mit dem Erhalt der antiquierten Sprache untermauert. Nur die "Hoffnung" musste aus logischen Gründen entfallen.

Es sind Szenen, die mit großen Bildern und Massenszenen beeindrucken sowie auch Szenen, die mit intimen Spiel zwischen Jedermann und seinem Gesellen, seiner Mutter oder seine Buhlschaft. In deren Rolle ist Felicitas Heyerick der zweite Pfeiler der Inszenierung. Sie zeigt eine enorme Präsenz und darf die Stimme noch stärker variieren als der Jedermann und kann damit ihr gesamtes Können aufbieten.

Nicht drängeln, für jeden ist eine Kiste da.
Schwarz-Weiß und Grau und mit Rot die farblichen Akzente setzten, Augenmerk und Betonung schaffen. Diese Konzept fesselt. Auch die Ausstattung von Simone Graßmann ist einleuchtend. Der Weg des Jedermanns ist ein allgemeiner, am Schluss sind wir alle tot. Deswegen sind auch alle gleich gekleidet: Schwarz und grau. Nur die roten Schuhe der beiden Hauptdarsteller machen die besondere Stellung deutlich.

 Schauspiel auch auf der Tribüne gehört in Bad Gandersheim schon dazu. Es ist gewissermaßen die vierte Dimension, wenn das Publikum einbezogen wird. Die fünfte Dimension ist in diesem Jedermann aber die Musik von Ferdinand von Seebach. Sie liegt irgendwo zwischen Oldtime Jazz und Ambient. Meist zurückhaltend wird sie dann doch gelegentlich zum Träger der Handlung, wenn in der Party-Szene Jedermann, die Buhlschaft und alle Gäste ausgelassen tanzen, als wäre es ihr letzter Tag.

Dann ist da noch die sechste Dimension und die lautet Vertikalakrobatik. Ja, es ist spektakulär, wenn die Boten des Todes die Fassade der Stiftskirche zur Bühne machen und an Seilen in die Tiefe stoßen oder wenn sie den Mammon unerreichbar in die Höhe entführen.


Laura und Lisa Goldfarb habe es geschafft, mit den Einlagen am Kirchenturm optische Highlights zu schaffen. Doch diese unterwerfen sich der Logik der Inszenierung und dominieren diese nicht. Das ist schon eine sehr starke Leistung.

Bombastische Bilder, atemberaubende Akrobatik, eine Inszenierung, deren Konzepte eindringlich sind und zwei Hauptdarsteller in Höchstform. Dieser Jedermann wird noch lange nachwirken. Ein großartiges Geschenk zum 60. Geburtstag der Domfestspiele.





Material #1: Gandersheimer Domfestspiele - Die Geschichte
Material #2: Gandersheimer Domfestspiele - Offizielle Website
Material #3: Jedermann - Die Inszenierung

Material #4: Laura und Lisa Goldfarb - Offizielle Website

Material #5: Jedermann - Das Stück
Material #6: Hugo von Hofsmannsthal -  Die Biografie







Mittwoch, 13. Juni 2018

Kammermusik fasziniert immer noch

Solisten des Gewandhausorchesters verzaubern den Sonntagabend

Wer schon das Ende der Kammermusik herbei schreiben will, der hätte am Sonntag im Kloster Walkenried sein müssen. Vor ausverkauftem Haus bewiesen die Bläsersolisten des Gewandhausorchesters, dass diese Sparte lebendig ist wie eh un je. Trotz einer kurzfristigen Umbesetzung agiert das Ensemble souverän, präzise und leichtfüßig. Zum Schluss bedankte sich das Oktett mit einer Zugabe.

Carlo Schütze am Kontrafagott wurde zum Hitzeopfer und musste kurzfristig absagen. Zudem ersetzte Johannes Hund kurzfristig am Fagott. Den Verlust konnte das Ensemble aber mehr als wettmachen.

Philipp Tondre legt vor, ....
Alle Fotos: Kügler
Beim Thema Literatur setzten die Leipziger auf Bewährtes. Mozart - Beethoven - Mozart war die Abfolge. Für seine Entstehungszeit war Mozart Serenade in c-Moll ein Tabubruch. Ein Abendständchen in Moll, so etwas gab es bis dahin nicht. Dabei blieb des Salzburger im Aufbau dem Standard verpflichtet

Im Allegro entwickeln die Oboen und Klarinetten über den taktgebenden Hörnern ein lebhaftes Wechselspiel. Erst später schieben sich die Fagotte dazwischen. Philipp Tondre kann an der ersten Oboe in den kurzen Solo-Passagen schon erste Akzente setzen. Die Kombination aus näselnden, hektischen Oboen und brummelnden,weichen Klarinetten erzeugt im Klang eine Ergänzung, die man durchaus als satt bezeichnen kann.

Das herbe Momentum in diesem Allegro macht sich durch zahlreiche Tempiwechsel bemerkbar, die die Leipziger meisterlich bewältigen. Im Andante verlagert sich das Wechselspiel zwischen Blech und Holzbläser.

Tondre darf auch die Einleitung in das Menuett machen. Das Muster setzt sich auch hier fort, doch dieses Mal legen Eckehard Kupke und Johannes Hund die Basis mit ihren Fagotten. Mit kurzen Solo-Passagen zeigt nun auch Uwe Kleinsorge an der zweiten Oboe sein Können. Sein rundes, weiches Spiel setzt den Kontrapunkt zum eher agilen Tondre.

..., die Klarinetten antworten, ...
Das Konzept setzt sich auch im zweiten Allegro fort. Nach einer kurzen Klangpause dürfen dann Ralf Götz und Simen Fegran mit den Hörner die Schlusspunkt setzen. Schon mit diesem Stück gelingt es den Bläsersolisten den ganzen Einfallsreichtum und seine spielerische Leichtigkeit eines Wolfgang Amadeus Mozart zu präsentieren.

Da wirkt das Oktett Es-Dur op 103 von Ludwig van Beethoven wie ein Gegenentwurf. Auch hier ist  der Dialog der Oboen und Klarinetten das bestimmte Konzept, doch Beethovens Serenade wirkt klarer und strukturierter. Statt mit verspielten Melodien überrascht es mit rhythmischen Wendungen.

Das Andante darf Kleinsorge einleiten. Auch hier zeigt sich die Aufgabenteilung wieder. Die zweite Oboe sorgt für Ruhe und Struktur während Tondre die Tempi bestimmt. Für ein Andante ist dieser Satz überraschend rhythmusbetont. Nun kann auch Eckehard Kupke seine Qualitäten mit einem Fagott-Solo unter Beweis stellen

Die zahlreichen Rhythmuswechsel im Menuett bewältigt das Oktett in beeindruckender Manier. Routine und spielerischen Klasse treffen bei den Bläsersolisten zusammen.

Im Allegro presto legt Tondre los wie die Feuerwehr. Seine Mitspieler können ihm mühllos folgen, das kann aber nicht von jedem im Publikum behaupten. Nach soviel Holz darf isch zum Finale noch einmal das Blech deutlich zu Wort melden.

..., aber das Schlusswort hat das Blech.
Alle Fotos: Kügler
Dies gilt auch für den zweiten Satz in Mozarts Serenade in Es-Dur. Im anschließenden Adagio sezt sich aber nicht der Dialog aus der ersten Serenade fort. Das Wechselspiel findet nun zwischen einzelnen Instrumenten und nicht mehr zwischen den Gruppen. Tondre zeichnet mit der Oboe feine Linie, die nun von  Kleinsorge fortgeführt werden.

Auch dramaturgisch ist der Abend durchdacht. Im abschließenden Allegro setzen Oboen und Klarinetten tirilierende Noten, die nicht nur Mozarts Leichtigkeit unter Beweis stellen, die dem Zauber noch eine heitere  Basis geben. Die Begeisterung des Publikums belohnen die Leipziger mit einer Beethoven-Zugabe aus dessen Heroica. Besser kann man auf die kommende Woche nicht vorbereitet werden.





Material #1: Die Kreuzgangkonzerte - offizielle Website

Material #2: Das Gewandhausorchester - offizielle Website
Material #3: 275 Jahre Gewandhausorcheser - wikipedia-Eintrag