Donnerstag, 21. März 2019

Erich Kästner mal als Skandalnudel

Deutsches Theater bringt Kästners Fabian auf die Bühne

Kinderbuchautor und Komiker, das sind die Etiketten mit denen Erich Kästner gemeinhin beklebt wird. Aber er konnte auch ganz anders. Das beweist die Inszenierung seines "Fabian" am Deutsch Theater in Göttingen. Doch die Premiere hinterlässt einen gemischten Eindruck.

Es sind unruhige Zeiten im Berlin Ende der 20-er Anfang der 30-er Jahre. Die Freiheit der Weimarer Republik trifft auf die Weltwirtschaftskrise. An jeder Ecke lauert die Entlassung. Die aufstrebenden Nationalsozialisten liefern sich Straßenkämpfe mit den Kommunisten.

In diesen Zeitenwechsel hinein veröffentlichte Erich Kästner 1931 seinen Roman "Fabian.Die Geschichte eines Moralisten". Zuvor hatte der Verleger ihm einige Zugeständnisse abgerungen, damit das Werk überhaupt erscheinen konnte. Den ursprünglichen Untertitel "Der Gang vor die Hunde" bekam das Werk erst bei der Neuauflage 2013 zurück.

Nicht nur inhaltlich auch stilistisch war das Buch eine Herausforderung für die Zeitgenossen. Mit kurzen Szenen, harten Schnitten und schnellen Wechseln imitierte Kästner den Stil eines Films. Ruth Messing greift diese Elemente reichlich auf in ihrer Inszenierung am Deutschen Theater. Das erfordert schon eine andere Sehgewohnheit.

Ein kleinbürgerliches Panoptikum.
Alle Fotos: Thomas Müller
Dabei beginnt die Aufführung eher beschaulich. Michael Frei ist der Mann am Klavier und improvisiert über ein bekanntes Thema. Gregor Schleuning sitzt im Bühnenbild und gibt eine lakonische Einführung in die Situation. Anleihen an den Film noir werden deutlich. Der deutsche Expressionismus der 20-er Jahre ist einer seiner Eltern.

Das Bühnenbild ist eine Herausforderung. Eine gekachelte Wand mit drei Nischen auf der Vorderbühne versperrt den Blick und will auch gar nicht verschwinden. Sollen hier Menschen zur Schlachtbank geführt werden wie in Upton Sinclairs "Dschungel". Ruth Messing reiht Bezug an Bezug, um so das Klima der Zeit zu verdeutlichen.

Die ungewöhnliche Position noch vor dem ersten Prospekt engt den Raum ein, auch für die Zuschauer. Klaustrophobie kommt auf. Man kann dem Spiel nicht entgehen. Im Laufe des Abends entwickelt es sich mit seiner Dominanz zum Schauspielverhinderungsbühnenbild.

Scheuning beginnt als Fabian einen Dialog mit den unbekannten Musiker und schlägt seinen Rat aus. Dann betritt Marius Ahrendt als Stephan Labude die Bühne und das Spiel wiederholt sich. Nun kommt Gaia Vogel als Cornelia Battenberg, das spiel wiederholt sich. Ein Prise absurdes Theater gefällig.

Alle drei klettern in das Bühnenbild und betreten unsichtbar das, was man heute einen Swingerclub nennt. Die sexuelle Befreiung fand in den 20-er Jahren statt und Kästners Vorlage spiegelt das wieder. In dieser Inszenierung wird Sex in all seinen Varianten zum bestimmenden Thema. Die ersten 30 Minuten finden nur zwischen den Beinen statt.

Der Kopf wird nur dann gefordert, wenn sich im schnellen Wechsel Szene an Szene reiht und Handlungen nebeneinander herlaufen. Das Sammelsurium zitiert die frühen Filme von Bunuel. Doch das Panoptikum ist nicht immer durchschaubar.

Die sexuelle Freizügigkeit ist zu sehr auf Schockeffekt konstruiert. Gelegenheitsprostituierte, Sexsüchtige, Kriegsversehrte, Sadisten,die Figuren wirken als wären sie einem Bild von Georg Grosz entsprungen. Rebecca Klingenberg als Selow und Christina Jung als Kulb sind die wichtigsten Elemente in diesem Gemälde

Wenn Labude auf Fabian trifft, hält das Karussell an
Alle Fotos: Thomas Müller
Aber der Schnitt durch die Gesellschaft der Übergangszeit fehlt. Politik und Arbeitswelt in der beginnenden Weltwirtschaftskrise werden nur angerissen. Der Weltkrieg als prägende Erfahrung bleibt außen vor, deswegen ist Stephan Labude als Figur auch unvollständig.

Erst jetzt wird das Publikum Zuschauer einer Szenerie, die durchaus als Parallelwelt zur Gegenwart taugt. Akademiker ohne Perspektive, Jobs, die sich nicht lohnen, Mieten, die das Gehalt auffressen und eine Mittelschicht, die zu verschwinden droht.

Seine Rolle als Zuschauer gibt Fabian erst auf, als es persönlich wird und jetzt wird Scheuning auch stark.Hier funktioniert das Dreigestirn Fabian, Stephan und Cornelia.Somit ist die Selbstmord-Szene eben eine der intensivsten in dieser Aufführung. Der lauten Hektik setzt Ruth Messing hier Stille entgegen.

Fabians Leere wird hörbar. Er hat seine Rolle als zuschauender Moralist aufgegeben und bekommt dafür nichts. Scheuning liefert hier die stärkste Leistung an diesem Abend ab. Danach zerfällt sein Welt immer mehr. Der Job ist weg, die Liebe auch. Jetzt wird die Inszenierung anrührend und erlebt ihre stärksten Momente.

Es kann so nicht weitergehen. Der Freitod des Titelhelden erscheint zwangsläufig. Damit bekommt der Abend ein rundes Ende.







Material #1: Deutsche Theater - Der Spielplan
Material #2: Fabian - Das Stück

Material #3: Erich Kästner - Die Biographie
Material #4: Fabian - Der Roman

Material #5: Fabian. Der Vergleich - Kästner am TfN




Dienstag, 19. März 2019

Heldinnen in Cargo-Hosen

Ein nachdenklicher "Julius Cäsar" am Theater Nordhausen

Händel mal ganz anders und doch sehenswert. So präsentiert sich derzeit "Julius Cäsar" am Theater Nordhausen. Die Absolventen der Hochschule "Felix Mendelssohn Bartholdy" zeigten bei der Premiere eine reife Leistung. Schon vor dem Schlussvorhang gab es reichlich Applaus.

Julius Cäsar hat die Schlacht von Pharsalos gewonnen. Sein Feind Pompeo ist auf der Flucht. Der Sieger wird in Alexandria erwartet. Männer in Tarnfleck und Security-Look mit Knopf im Ohr hasten über die Bühne, stellen Stuhlreihen auf und platzieren ein Rednerpult. Die Siegesfeier wird vorbereitet und das Jubelvolk wird wie Stimmvieh auf die Bühne getrieben.

Dann darf der Chor zum Lobgesang ansetzen. Er agiert als Versammlung der Einzelnen und zeigt ein wunderbar transparentes  Klangbild. Sänger und Sängerinnen bleiben klar erkennbar. Davide Lorenzato hat in der Einstudierung hervorragende Arbeit geleistet.

Der Imperator und das Jubelvolk.
Alle Fotos: Siegfried Duryn
In der ersten Szene scheint Matthias Oldag stark von jener Salzburger Inszenierung beeinflusst, die 2012 einen Diskurs über die Moderne in der antiken Oper auslöste. Doch der Regisseur aus Leipzig löst sich schnell von dieser Vorlage. Nur noch einmal zitiert er jene Inszenierung. Seine Interpretation geht über Salzburg hinaus.

Mission accomplished ist im Hintergrund zu lesen Der Auftritt Cäsar wird zur Show. Es werden Bilder wach, die man schon hundertfach im Fernsehen gesehen hat. Auch das Treffen mit dem ägyptischen König Tolomeo bemüht die Stereotypen der medialen Inszenierung. Es fehlen einzig das Blitzlichtgewitter und die Kameras im Zuschauerraum.

Leider erfüllt der erste Auftritt von Lars Conrad in der Titelrolle nicht alle Erwartungen. Er klingt noch ein wenig dünn. Aber Conrad singt sich noch warm und kann schon später mit rührenden Arien und Duetten beeindrucken. Doch ein Heldentenor ist er nicht. Mit seiner lyrischen Interpretation und und den butterweich gesetzten Tönen passt er genau in diese Aufführung, die männliche Riten zur Disposition stellt. Irgendwann wird klar: Als Imperator hat man es nicht leicht. Manchmal ist man damit einfach überfordert.

Max Dollinger ist da aus anderem Material. Glasklar setzt er seine Arien. Allein schon aus den Gründen des Kontrastes wünscht man sich mehr Einsätze des Curio. Doch es bleibt Wunschdenken. Den Kontrast muss Frieder Flesch als Achillas leisten. Doch diese Figur ist in ihrer Brutalität alles andere alles ein Publikumsliebling. Doch mit dieser Darstellung reiht sich Flesch ein in die Liste der überzeugenden Leistungen.

Schmerz in Person: Susana Boccato
als Cornelia.      Foto: Duryn
Den Höhepunkt in der ersten Szene setzt aber Susana Boccato als Cornelia. Ihr Vortrag steckt voller Emotionen und echten Schmerz und ihre Koloraturen setzen an diesem Abend die Maßstäbe. Sie kann aber auch feinfühlig. Das Duett im zweiten Akt mit Eva Zalenga als Sextus ist der erste Gänsehaut-Moment an diesem Abend.

Doch die Herrscherin der Bühne ist eindeutig Yeeun Lee als Kleopatra. Ihr Sopran ist nicht nur von einer beeindruckenden Dynamik, er bleibt dabei auch klar und frei von Spitzen. Ihre Koloraturen sind denen von Boccato mindestens ebenbürtig und jede Einzelne ein Erlebnis.

Leider fällt ihr Auftritt und ihr Werben um Cäsar an einige Stellen sehr aufdringlich aus. Manchmal meint man, nicht die ägyptische Thronanwärterin sondern die König des Rotlichtviertels zu erleben. Aber diese Kleopatra zieht eben geschickt die Fäden, bis sie das bekommt was sie will: Die Herrschaft und den Herrscher. Es sind die starken Frauen, die diese Aufführung bestimmen.

In den Duetten mit Lars Conrad versteht Yeeun Lee es, sich zurückzunehmen, und dem großen und zarten Gefühl der Liebe den nötigen Raum zu lassen. Schließlich ist dies eine Aussage dieser Inszenierung: Am Ende obsiegt die Liebe, egal in welcher Form, über die Gewalt.

Als Julius Cäsar 1724 die Uraufführung erlebte, war Händel auf dem Höhepunkt seines Opernschaffens. Dieses gilt seither als Paradebeispiel einer Heldenoper. "Julius Cäsar" hat alles: Krieg und Frieden, Hiebe und Liebe und jede Menge große Gefühle. Das ganze Leben halt. Das findet man hier in seiner Fülle wieder und gut transportiert.

Bei Oldag sind es Heldinnen, die vorzugsweise Cargo-Hosen tragen und die Geschichte voranbringen. Die Männer enden meist blutig. Aber der Kern bleibt vital und deswegen ist es eine lohnende

Diese Verschiebung setzt das Loh Orchester um. Unter der Leitung von Henning Ehlert  zeigt es ein eher zurückhaltendes Spiel, dass auf die mächtigen Töne meist verzichtet. Stattdessen ist das Klangbild transparent und filigran. Die feinen Strukturen im Zusammenspiel und Händels Ideenreichtum bleiben erkennbar.

Held mit Burnout.
Alle Fotos: Siegfried Duryn
Kongenialer Partner der Inszenierung ist das Bühnenbild von Barbara Blaschke. Auf zwei mobile Wände in L-Form reduziert, baut es nicht nur einen starken Kontrast zur barocken Vielfalt. Mal rostiger Stahl, mal goldener Wandbehang In unterschiedlichen Drehungen und Wendungen und mit gekonnten gesetzten Licht erschafft es eine Welt, die aber begrenzt bleibt. So erleichtert es die Interpretation in allen Szenen und erweist sich als kongenialer Partner.

Das Ensemble aus Leipzig legt mit dieser Inszenierung eine reife Leistung vor. Es war sicherlich ein Wagnis, jungen Sängerinnen und Sänger solch eine Aufgabe zu stellen. Aber alle Darsteller haben trotz der Jugend den Geist des Werks gespürt. Sie erledigen mehr als reine Darstellung. Für drei Stunden leben sie den Julius Cäsar und deswegen wird es nie langweilig.






Material #1: Julius Cäsar in Ägypten - Die Oper
Material #2: Georg Friedrich Händel - Die Biographie

Material #3: Julius Cäsar - Die Inszenierung
Material #4: Theater Nordhausen - Der Spielplan

Material #5: Felix Mendelssohn Bartholdy - Die Hochschule







Sonntag, 3. März 2019

Uelzen ist nicht Celle

DT ist außer Rand und Band

Noch nie wurden auf der Bühne des Deutschen Theaters so viele Türen geknallt. Doch die Komödie "Außer Kontrolle" ist mehr als ein Spaß für alle. Die Inszenierung von Antje Thoms kann man auch als feine Analyse verstehen. Muss man aber nicht. Auf jeden Fall ist temporeich und vielschichtig.

Richard Kleiber ist ein Minister der niedersächsischen Landesregierung. Doch anstatt sich an diesem Abend der mühseligen Parlamentsarbeit zu widmen, trifft er sich mit Johann Schulze zum homoerotischen Abenteuer im Maritim am Flughafen Hannover. Kleiber ist Stammgast in der Suite 548 und wird als VIP vom Hotelmanager intensiv betreut.

Doch zum Vollzug des Geschlechtsaktes kommt es nicht. Es stören eine Leiche, ein eifersüchtiger Ehemann, ein trotteliger Kellner, eine Pflegekraft mit Kontrollzwang und noch so einige Mitmenschen wie Kleibers Ehefrau. Zum überraschenden Schluss gibt es die Erkenntnis, dass manchmal die die Kontrollen haben, von denen man es am wenigsten geglaubt hätte. Es bleibt eine Lektion in Sachen Moral, über die einfach mal nur kräftig lachen darf.

Es herrscht Plüsch-Alarm im DT. Die Vorbühne ist abgebaut und auf dem zusätzlichen Raum wartet Jan-S. Beyer als Hotelmusiker auf das Publikum. Im Hintergrund dudelt zart Easy Listening. Mit einem Sakko in Bordeaux und einer monströsen Heimorgel im Hintergrund wirkt Beyer, als käme er gerade vom Franz-Lambert-Nachfolge-Seminar.

Der Minister und sein Model.
Alle Fotos: Isabel Winarsch
Von links betritt Paul Wenning, als Zimmerkellner Mischewald, ebenfalls in Bordeaux gekleidet, den Zuschauerraum. Die Parallelen zum James aus dem "Dinner for One" sind nicht zu übersehen. Die  Litanei über die Vorzüge des 2013er Chateau de Dingenskirchen de Grand Vin wird zu seinem same procedure. Aber es ist herrlich, wie er hier die Plattitüden und Versatzstück der Sommeliers, Connaisseurs und anderer Blender aneinanderreiht.

Er füllt das Edelgetränk in eine Karaffe um und ersetzt ihn durch TetraPak-Wein. Der Reigen des Betrügereien ist eröffnet und die Karaffe spielt zum Schluss noch eine Nebenrolle beim Siegermahl. Nichts von wegen Humor auf dem Niveau eines Vorschlaghammers. Die Farce ist bis ins Detail durchdacht und durchkonstruiert.

Der Vorhang öffnet sich in gibt den Blick frei auf die Suite 548 des Maritim Airport. Dem Original nachgebaut geizt es nicht mit dem hölzernen Charme der Provinz. Die passende Bühne für Landespolitiker mit Ambitionen und jeder Menge Bauernschläue.

Es wird keinen Umbau geben. Alles was passiert, passiert genau in dieser Suite. Das verdichtet das Geschehen und gibt ihm eine klaustrophobische Note. Kein Entrinnen möglich.

Auf jeden Fall ist Christoph Türkay in der Rolle des Richard Kleiber vom ersten Augenblick die beherrschende Figur auf dieser Bühne. Breite Brust, knappe Sätze, bestimmter Ton und souveräne Gestik zeigen, dass er alles unter Kontrolle hat.

In den nächsten zwei Stunden wird ihm diese Gewissheit abhanden kommen, Stück für Stück. Auch diesen Machtverfall veranschaulicht Christoph Türkay indem ihm Stück für Stück die Gesichtszüge entgleisen, bis er sein Gesicht am Ende nur noch einer Maske gleicht. Aber bis dahin versucht er die Figuren auf seinem eigenen Schachbrett hin und her zu schieben. Menschen sind ihm so egal, dass er sich noch nicht einmal deren Herkunftsort oder deren Namen merken will. Aber die unterkühlte Sprechweise macht deutlich, dass er sich überlegen fühlt. Diesen Tonfall verlässt Türkay den ganzen Abend nicht.

Sirtaki mit Leiche: Weber und Kleiber versuchen den
Kellner zu täuschen.

Alle Foto: Isabell Winarsch
Eine diese Figuren ist Johann Schulze, der homosexuelle Sekretär des Oppositionsführers. Dass Regisseurin Antje Thoms und Dramaturg Matthias Heid aus der Hetero-Affäre einen schwulen Schwank gemacht haben, ist einfach ein zeitgeistiges Attribut. Dieses Verhältnis wird nicht weiter ausgearbeitet und bringt damit keine zusätzliche Brisanz.

Es bleibt beim Kern: Hier tut jemand etwas, was er besser hätte sein lassen, und dabei wird er empfindlich gestört. Um sein Tun zu Vertuschen, tritt er eine Lawine an Lügen los, verstrickt sich darin und begibt sich immer stärker in Abhängigkeiten. Kontrolle und Befreiungsschlag gehen anders.

Daniel Mühe hat die Schachfigur Johann Schulze mit jeder Menge Girlie-Appeal angelegt. Ständig mit seinem Reisetäschen unterwegs ist er die männlich Version eines IT-Girls. Immer mit gesenkten Kopf und eingezogenen Schultern. Immer bedacht, sich klein zu machen. Da wundert es nicht, dass er ständig hin und her und ins Schlafzimmer abgeschoben wird. Celle und nicht Uelzen ist sein Same Procedure, dass das Publikum bald schon mitspricht.

Das Vorspiel wird gestört, es folgt der zweite Auftritt von Paul Wenning als Kellner. Er bringt dem 2013er Chateau de Dingenskirchen de Grand Vin. Man ahnt bereits, dass er dies im Laufe das Abends noch häufiger tun wird und diese Erwartung wird erfüllt. Kleiber erkauft sich sein Wohlwollen und ahnt nicht, dass dies der erste Schritt in die Abwärtsspirale ist. Er begibt sich in die Abhängigkeit und zum Schluss ist das Verhältnis gekippt. Die Kellner Mischwald konrolliert auf seine subtile Weise das Geschehen und erinnert ein wenig an Riff Raff aus der Rocky Horrot Picture Show.

Auftritt Leiche, das Vorspiel ist endgültig vorbei. Lutz Gebhardt hat wohl den schwersten Job an diesem Abend. Er muss einen Toten spielen und doch lebendig bleiben. Das macht er mit stoischer Ruhe. Er wird herumgeschubst und gefahren. Das erinnert ein wenig an die 80-er Jahr Komödie "Immer Ärger mit Harry", wirkt in der Abstrusität aber immer noch. Nach der Auferstehung mimt Gebhardt wunderbar den Gedächtnisverlust und am überraschenden Ende stellt man fest, dass auch dies wohl nur ein Spiel war.

Wer ist hier Knecht und wer der Herr. Das Verhältnis
zwischen Kleiber und Kellner kippt.

Foto: Isabell Winarsch
Dann kommt Georg Weber ins Spiel. Er soll für seinen Chef die Kastanien aus dem Feuer holen und die Leiche ins Moor bringen. Marco Matthes spielt den netten Fahrradhelmträger von nebenan über die gesamte Achterbahn. Meist am Rande der Verzweiflung und immer ein wenig devot, legt Matthes dann eine erstaunliche Entwicklung an den Tag. Im zweiten Akt geht regelrecht ein Ruck durch den Mann und auch die Stimme wandelt in den Modus "bestimmt". Am Ende hat der Mitmacher wieder die Kontrolle über sein Leben. Damit bringt Matthes wohl die stärkste Leistung auf die Bühne.

It's a man's world. Im ersten Akt bevölkern nur Männer die Bühne und solange funktioniert Kleibers Krisenmanagement, auch wenn die Situation immer vertrackter wird, das Lügengeflecht immer dichter wird. Aber dann kommen zwei Frauen und eine Regierungskrise ins Spiel und damit fällt Kleibers Konstrukt zusammen. Andere übernehmen die Kontrolle und damit ist die Farce auch ein Frage nach dem Machtgefüge. Auf jeden Fall ist das Spiel auf Zeit vorbei und im Publikum macht sich Schadenfreude breit. Kleiber hat Stellvertreterfunktion und so einen hat man das immer schon mal gewünscht.

Autor Ray Cooney beherrscht die Kunst der Farce, der in Deutschland leider zu selten gehuldigt wird, weil man sie zu oft mit Schenkelklopfern gleichsetzt. Dabei seziert Cooney aber doch mit den Mittel der Übertreibung hier Typen, Prozesse und Abhängigkeiten. Au h wenn er dabei auf die Mittel des Boulevardtheaters wie knallende Türen und scheppernde Fenster setzt, meint er es trotzdem ernst.

Antje Thoms und  Matthias Heid ist mit dieser Inszenierung mehr als eine Übersetzung ins Niedersächsische gelungen. Sie zeigen uns, dass die Kontrolle dann doch bei ganz Anderen als den vermeintlich Mächtigen. Das Siegermahl ist ein Triumph der Öffentlichkeit, die sich nun die nächsten Blender vornimmt. Mit donnernden Applaus sichert das Göttinger Publikum die Unterstützung zu.




Material #1: Ray Cooney - Die Biografie

Material #2: Der Spielplan - Die DT-Website
Material #3: Außer Kontrolle - Die Inszenierung





Samstag, 2. März 2019

Die heilende Kraft des Laufen

Ein Sportroman, der nach innen schaut 

Uwe Prieser ist wieder voll auf der Höhe. Er hat sein Tief überwunden. Mit „Der Lauf ihres Lebens“ hat Deutschlands einziger Sportschriftsteller ein Buch vorgelegt, das nicht nur fesselt. Es überzeugt vor allem durch seine Tiefe, durch die Beobachtung und die Charaktere, die wirken wie von nebenan.

Prieser hat zurückgefunden zu seiner einfachen und präzisen Sprache. Langatmige Satzkonstruktie wäre bei dem Thema auch nicht angebracht. Die Sprache scheint dem Sportteil entnommen und das gibt der Erzählung ein eigenes Tempo. Satz für Satz wie Schritt für Schritt über die lange Distanz. Das ist dem Thema angemessen. Dabei verzichtet Prieser zum Glück auf die Scheinwissenschaftlichkeit, der sich manche Sportjournalisten so gern bedienen. Er schaut lieber nach innen in die Athletinnen.

Eben diese Reduktion lässt den Lesern ausreichend Platz, um mit eigenen Gedanken und Bildern vermeintliche Lücken zu füllen. Prieser nimmt sein Publikum ernst und das darf sich seine Gedanken machen, so wie ein langer Lauf vieles klärt. Laufen ist Kopfsache.

Darin liegt die Faszination dieser Art der Fortbewegung. Deswegen verfallen so viele dem Laufen und kommen davon nicht mehr los. Prieser macht das klar und dafür gebührt ihm Platz eins.

Dabei gelingtPrieser das Kunststück, die Lebenslinien dreier Frauen spannendmiteinander zu  erweben und zu verschränken. Da ist die alternde Bibliothekarin, die junge Navajo und die Olympiasigerin in Sachen Marathon. Schlüssig entwickelt Prieser ihre Biographien bis zur überraschenden Wende.

Drei Erzählstränge laufen nebeneinander her und die Fäden werden zu einem elastischen Gewebe versponnen. Dabei gelingt ihm die Verquickung von Realität und Fiktion meisterhaft und die Grenzen zwischen den Welten verschwinden. Innen wird zu außen und außen zu innen. Das gelingt ihm aber in einer schnörkellosen Sprache, die nicht gehetzt wirkt, sondern gleichmäßig atmet wie eine Langläuferin.

Was die drei Frauen verbindet ist die mehr oder weniger glückliche Liebe zum Sport. Für alle drei ist Laufen de Weg, sich aus der Masse hervorzuheben, unbefriedigenden Verhältnissen zu entkommen. Die Bahn wird für alle zur Projektionsfläche.

Doch neben den Plänen, da gibt es auch noch die unbekannte Größe Schicksal. Das Leben ist eben nicht planbar wie ein Rennen. Letztendlich erreichen alle die Ziellinie. Nur der Zustand in diesem Augenblick unterscheidet die Menschen. Da darf man auch mal an der süßen Doppeldeutigkeit von "Lauf des Lebens" naschen.

Uwe Prieser ist nicht der Erfinder des Genre „Sportroman“, aber in der Disziplin sicherlich Deutschlands bester Athlet. Ihm gelingt hier mit „Der Lauf meines Lebens“ wie eine überzeugende Leistung.




Material #1: Der Lauf seines Lebens - Uwe Prieser bei wikipedia
Material #2: Sämtliche Werke - Uwe Prieser im DNB-Katalog

Material #3: Kleine Fische - Der Verlag