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Wenn die Heiligen das Halleluja blasen

Philharmonic Brass spielt im Kreuzgarten

Am Ende Konzerts im Kreuzgarten des Kloster Walkenrieds gibt es zwei Gewissheiten. Die Schubladen der Genres wurden für musikalischen Buchhalter geschaffen. Die Liebe zur Musik kennt nämliche keine Grenzen. Wer die Musik liebt, darf mischen und wer seine Musik liebt, der darf auch mal derbe Scherze machen.
Am Anfang ist die Tuba und die geht zur Bühne und gibt den Rhythmus einer bekannten Swing-Nummer vor. Ja, genau, es ist "Sunny Side of the Street", das durch den Kreuzgarten schallt. Als zweites erklingt das Waldhorn von links, als drittes Instrument erklingt die Posaune und kommt von rechts auf die Bühne. Zum Schluss sitzt das ganze Ensemble vor dem Publikum. "In Blech geformt" heißt das aktuelle Programm der Philharmonic Brass und so erschaffen sie es.
Am Anfang ist die Tuba und die ist beim Publikum.
Alle Fotos: tok
Das ist zwar nicht neu, Talking Heads lieferten 1983 mit "Stop making Sense" die Vorlage. Aber es verdeutlicht, wie es an diesem Abend zugehen wird: leger. Wenn es die Situation erfordert, dann wie der Fahrplan mal geändert. Laut Zettel sollte Händel den Auftakt bilden, nun ist es halt Glenn Miller. Wer souverän ist, wer nicht vom Blatt spielen muss, wer kein Programm abspult, wer Spaß hat, an dem was er tut, der kann sich so etwas leisten und kann das eigene Vergnügen an das Publikum weitergeben. Mathias Schmutzler tritt mit dem Publikum in den Dialog und sofort ist der Draht zu den Zuhörern da. Nicht nur der Angelsachse, auch der Niedersachse und der Sachse redet gern über das Wetter. Die subtropischen Bedingungen werden noch mehrfach thematisiert. Nicht nur so wird das Auditorium wird ein Teil  dieses Konzerts und damit wird der Abend im Kreuzgarten einmalig und das Programm "In Blech geformt" zum Schöpfungsakt eines einmaligen Erlebnis. Das wird so nicht mehr wiederholbar sein.
Don't judge a book by it's cover, man sollte ein Buch nicht nach seinem Deckblatt beurteilen, weiß der Angelsachse. Was an diesem Sommerabend musiziert wird, ist Blechblaskunst auf höchsten Niveau. Die Suite aus Händels Wassermusik zeigt eine luftige Leichtigkeit, die im wohltuenden Kontrast zu der Gravität steht, mit der dieses Werk sonst intoniert wird.
Der Posaunenprofessor, ein seltenes
Exemplar. Foto: tok
Beim Largo aus "Xerxes" ersetzen Mathias Schmutzler und Peter Roth an den Trompeten die Gesangsstimmen und treten ein in den Dialog, der auch diesem Werk einen neue Dimension verliert, die man gern entdeckt. Das Blech jubiliert in den höchsten Tönen und scheint sich über die Dächer des Kloster erheben zu wollen. Diese Kunst setzen Schmutzler und Roth bei Mozarts "Alleluja" gleich noch einmal fort. Währenddessen gibt Olaf Krumpfer mit der Posaune ein Thema vor, das Erich Markwart mit dem Horn aufnimmt, entwickelt und zurückgibt. Keine Frage, dieses Quintett ist ein Team aus Virtuosen auf Augenhöhe, die ihre Liebe zur Musik miteinander und mit dem Publikum teilen.
Dass sie auch anders können, zeigt das Ensemble mit  zwei Bach-Kantaten. Nun klingt es rund und weich und pastoral, eben angemessen, wenn es um die transzendenten Dinge in der Musik geht. Auch die "Fancies, Toyes and Dreams" des englischen Barockkomponisten Gilles Farnaby bezaubern mit diesem weichen und traumhaften, schwebenden Klang.
Man kann Barock mit Jazz mischen, das ist keine neue Idee, denn beide sind ja Brüder im Geiste. Aber wie es die Philharmonic Brass vor der Pause machen, das kann nicht jeder. Aber Olaf Krumpfer, immerhin Professor für Posaune, der kann es auf einmalige Weise. Das Halleluja aus Händels Messiahs geht über in den Traditional "When the Saints go machring in", ansatzlos und ohne Bruch, dann scheint wieder das Halleluja und beide Werke werden immer stärker miteinander verwoben.
Im mexikanischen Traditional "La Virgin de la Macarena" zeigen sich Schmutzler und Roth wieder als kongeniale Partner, spielen sich die Töne wie Bälle zu, spornen sich gegenseitig an und bleiben doch harmonisch und das letzte Solo bleibt für Mathias Schmutzler.
Auch das Horn kommt zu seinem
Recht. Foto: tok
Wer noch nie das Philharmonic Brasse Ensemble gehört hat, der ahnt gar nicht, wie viel Jazz in Claude Debussysteckt. "Le petit Negre", der swingt und groovt, dass man meint, der alte Impressionist entstamme dem Süden der USA und hätte nicht musikalische Seelenschau betrieben, sondern lieber die Füsse und die Hüften bewegt. Das man den fetten Sound einer Bigband auch mit einem Quintett hinbekommen kann, das bewiest Philharmonic Brass bei Glenn Millers "Moonlight Serenade".
Doch der Höhepunkt des zweiten Teils bleibt Peter Roth vorbehalten. Er spielt "Amanzing Grace" und zwar auf diese ganz besondere Art der Dresdner. Eben nicht getragen und voller Abschiedsschmerz, sondern wieder mit dieser einmaligen leichten und luftigen Intonation des Philharmonic. Es ist die Stille der Bewunderung für diese Leistung, die ihn umgibt, eine staunende Stille, bewundernd und gar nicht niedergeschlagen. Und natürlich kann er es nicht lassen und mischt das "Amazing Grace" mit den "The Saints Halleluja" von Luther Henderson.
Losgelöst von der Ausführung, besteht die abstrakte Leistung dieses Ensemble wohl darin, dem Publikum musikalische Parallelen und Möglichkeiten des Mischens, des Verwebens aufzuzeigen und die Kontur doch zu erhalten. Denn die Schubladen der Genres wurden für musikalischen Buchhalter geschaffen. Die Liebe zur Musik kennt nämliche keine Grenzen. Und Musik darf bearbeitet und angepasst werden. Sie muss nicht in den Vitrinen der Musikgeschichte verstauben. Musik, egal welchen Genres, ist etwas lebendiges.
Deswegen darf der Abend  nicht enden, ohne dass Jens-Peter Erbe seinen großen Auftritt hat. Fast schon aus einer eigen Liga, zeigt er beim Tiger Rag, dass sich eine Tuba auch zum Solo-Instrument. Leicht und locker, quick und lebendig entspringen die Töne diesem mächtigen Instrument, so dass der Tiger vor dem geistigen Auge umherspringt.
Wenn diese Konzert einen Makel hatte, dann den, das es irgendwann doch zu Ende war.


Die Kreuzgangkonzerte

Das Ensemble Philharmonic Brass

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