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Ein Rausch in Farben und Tönen

Die Märchen-Oper Cendrillon am Theater Nordhausen

Leicht und locker und ein Rausch in Farben und Kostümen, dazu ein ganz großer Sack voller witziger Ideen. So präsentiert sich die Annette Leistenschneiders Inszenierung von Cendrillon am Theater Nordhausen. Das Publikum bei der Premiere am Freitag war verzaubert.

Das Libretto dürfte bekannt sein. Im großen und ganzen erzählt die Oper von Jules Massenet die Geschichte vom Aschenputtel. Die Mutter verstirbt früh und der Vater heiratet erneut. Die Stiefmutter bringt zwei Töchter mit und für die Halbwaise beginnt die Hölle der Patchwork-Familie

Das Trio Infernale.
Alle Fotos: TNLos
Doch dann kommt die Chance in Gestalt eines Prinzen. Der ist nämlich auf der Suche nach der Frau und dem Sinn seines Lebens.  Es ist Liebe auf den ersten Blick, doch  die Konvention der Zauberwelt trennt die Beiden. Alles, was zurückbleibt, ist ein Schuh aus Glas.

Während die deutsche Märchenversion im sozialen Niemandsland verbleibt, trifft Annette Leistenschneider  eine eindeutige Festlegung vor. Sie macht eine Schuhmanufaktur zum Ort der Handlung und verlagert das Intrigenspiel damit in die gutbürgerliche Etage.

Als sich der Vorhang öffnet, geht das erste Aahhh durchs Publikum. Das Bühnenbild von Andreas Becker ist eine Augenweide: eine Werkstatt, die funktioniert, aber im Detail zeigt, dass sie auch schon bessere Tage gesehen. Sie liegt irgendwo zwischen dem 19. Jahrhundert und den 50-er Jahren.

Alles in wunderbaren Bonbon-Farben, als ob die Träume kleiner Mädchen wahr geworden sind. Aber es ist kein Schauspielverhinderungsbühnenbild. Es ist reichlich Raum, damit sich ein munteres Spiel entwickeln kann. Leistenschneider kann den Ideenreichtum von Becker bestens nutzen.

Dass Becker auch einfacher kann und trotzdem verzaubert, beweist er im dritten Akt. Dunkelheit und  viele kleine Lichter entwickeln ihre Magie und nehmen das Publikum mit an einen verwunschenen Ort. Hier verschwinden die Grenzen zwischen Realität und Wunsch, so wie der Baum des Todes nie klar zu sehen ist.

Cendrillon ist eine Ausstattungsoper im besten Sinne. Das opulente Bühnenbild wird ergänzt durch eine Rausch an Farben und Falten, Rüschen und Pailletten. Gekrönt wird die Ausstattung durch aberwitzige Frisuren. Was Carolin Schumann als Stiefschwester Dorothée da an Haarpracht mit sich rumträgt, ist schon preisverdächtig.

Alles wird gut, dank Fee.
Alle Fotos: TNLos
Dabei geht die Farborgie quer durch die Jahrhunderte. Chanel trifft auf Rokoko und Biedermeier auf Rck'n'Roll. Märchen sind eben zeitlos und es gibt immer ein Aschenputtel, das sich aus der Asche erhebt. Dazu ist diese Aufführung gespickt mit Hunderten von witzigen Einfällen, die dann doch ein Ganzes ergeben.

Cendrillon ist eine Oper für den Mädelsabend, denn die Kerle sind durch die Reihe eher Witzfiguren. Das beginnt schon in der erste Szene. Thomas Kohl als Vater hat alles mögliche, nur nicht die Hosen an. Rückwärts gewandt kann er die Herausforderungen bestimmt nicht annehmen und seiner Zweitgattin die Stirn bieten.

Auch Philipp Franke in der des Königs ist alles andere als ein Potentat, er gerät eher zur Witzfigur. Doch am weitesten entfernt von den üblichen Vorstellungen ist Prinz Charmant. Das ist bestimmt kein Junge, der auf dem weißen Pferd daherkommt. Stattdessen fährt er Tretroller und trägt Strampler statt Schwert. Erwachsen zu werden scheint nicht zu seinem Plan A zu gehören. Mit der dauerhaften Pubertät ist er die Blaupause für gegenwärtige Generationen. Selbst zur Brautjagd muss er getragen werden. So dekonstruiert Annette Leistenschneider genüsslich die Klischees und liefert noch eine Aussage zur Jetztzeit.

Dazu passt der verhaltene Vortrag von Kyounghan Seo. Immer mit einer ordentlichen Portion Schmelz in Stimme, kann er seine Fähigkeiten erst im dritten Akt andeuten und im vierten ausbauen. Erst die Liebe befreit ihn aus dem Tal des Selbstmitleids.

Es sind die Frauen, die diese Inszenierung bestimmen. Da ist das Trio Infernale aus Stiefmutter und ihren Töchter. Hier gibt Anja Daniela Wagner  eindeutig den Ton an. Klar und kräftig in der Stimme und bestimmt in der Gestik, behauptet sie ihre Position. Ehrgeiz und Missgunst sind ihre Wegbegleiter.

Gegenpol und Gegenentwurf ist Amelie Petrich als die gute Fee voller Güte und Empathie. Mit Dynamik und glasklarem Vortrag setzt sie die Höhepunkte an diesem Abend. Ihre Koloraturen verzaubern ein ums andere Mal. Schon im ersten Akt wird deutlich, wer hier die Fäden zieht und ihr musikalischer Optimismus macht klar, dass es ein gutes Ende geben wird.

Der Prinz muss zur Braut-Jagd getragen werden.
Ale Fotos: TNLos
So viel Klischee sei erlaubt. Cendrillon ist aus einem anderen Grund eine Oper für den Mädelsabend. Schließlich geht es ständig um Schuhe, um Stiefel, Pomps und High Heels. Ständig steht die Fußbekleidung im Mittelpunkt. Mit irgendwas muss sich frau ja auf den Weg machen.

Jules Massenet bietet hier alles auf, was die Schatztruhe der Neo-Romantik zu bieten. Es schmettert und es klagt, Pauke trifft auf Klarinette. In Cendrillon steht die Opulenz im Tutti der Larmoyanz in den Soli gegenüber. Doch leider sind die Gewicht ungleich verteilt und der verhaltene Vortrag nimmt der Inszenierung einiges an Tempo. Da kann man noch zulegen, denn in einigen Szenen wird doch gezeigt, was an Dynamik möglich wäre.

Am Schluss bleibt ein rauschendes Fest für Augen und Ohren und die Aufforderung der Fee, jetzt doch ordentlich zu feiern. Annette Leistenschneider  setzt damit fort, was sie mit den "Lustigen Weibern von Windsor" begonnen hat.










Material #1: Theater Nordhausen - Der Spielplan
Material #2: Cendrillon - Die Inszenierung

Material #3: Jules Massenet - Der Komponist
Material #4: Cendrillon - Die Oper





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