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Wie Vögel, die vom Himmel fallen

Theater Rudolstadt spielt Tennessee Williams in Nordhausen


Bumm-Bumm-Bumm-Bumm, mmmmhhhhh, how-how-how-how. Dieser Theaterabend beginnt wie ein Walking Blues von John Lee Hooker und endet wie eine griechische Tragödie. "Orpheus steigt herab" ist in der Inszenierung von Alejandro Quintana ein Werk, dass immer rasanter in den Abgrund führt, weil die Akteure in der Spur bleiben müssen. Die Premiere am Theater Nordhausen zeigt wie gnadenlos das Kollektiv mit Fremdkörpern umgeht und erntet verdient viel Beifall.
Die tragende Aussage kommt gleich zu Beginn. Die Bühne liegt noch im Halbdunkel, als eine Frauenstimme verkündet, wie wild und gleichzeitig freundlich und hilfsbereit die Menschen früher waren. Die Zivilisation hat ihnen diese Eigenschaften abgewöhnt. Das ist die Basis, war der sich dieses Spiel um Rollen, Normen, Fremde, Angst, Hass, Rache, Gewalt und Verderben entwickelt.
Der Neuankömmling wird bestaunt
wie ein Exot. Foto: P. Scholz 
Dann geht das Licht an und das Bühnenbild von Mathias Werner zeigt detailverliebt einen Laden irgendwo im Niemandsland der amerikanische Südstaaten irgendwann in der Niemalszeit Mitte des 20. Jahrhunderts. Orpheus steigt in einen Hades hinab, der keinen Zeitbegriff hat.
Beulah Binnings und Dolly Hamma bereiten die Rückkehr ihres Nachbarn Jabe Torrence vor. Der Ladeninhaber musste sich einer schweren Operation unterziehen und soll heute noch mit seiner Frau Lady zurückkehren. Wie der Chor der griechischen Tragödie übernehmen sie mit maskenhaften Mimik die Einführung in die Vorgeschichte. Klar wird, dass Vergangenheit und Gegenwart von offener und versteckter Gewalt durchdrungen sind. Das Macbeth'sche Hexentrio ist komplett als Vee Talbot, Frau des Sheriffs, die Bühne betritt. Sie gehören dazu zu dieser kleinstädtischen Gesellschaft voller Ressentiment und Bigotterien, einer Gesellschaft, die klar unterscheidet zwischen Schwarz und Weiß, Oben und Unten, Dazugehören und Außenseiter sein.
Im Schlepptau hat Vee Talbott den Musiker Valentine Xavier. Der Mann mit der Schlangenhaut-Jacke hatte ein Autopanne und sucht nun Arbeit. Weil er nicht dazugehört, entfacht er die Fantasien der Frauen. Wer so daherkommt, der ist auch eine erstklassige Projektionsfläche für all die unterdruckten Begierden.
Valentin Xavier ist seit seinem 15 Geburtstag als Gitarrenspieler durch die Welt gezogen. Das Instrument ist die einzige Konstante in seinem Leben. Nun am Vorabend seines dreißigsten Geburtstags möchte er irgendwo ankommen und dazu gehören. Tino Kühn entblättert alle Mosaiksteine dieser Rolle. Mal ist er der großen, unbedarfte Junge, mal der rastlose Tramp, der Poet und mal der überforderte Helfer. Die Möglichkeiten zum Absprung aus dieser Achterbahn Richtung Abgrund kann er nicht nutzen, weil es ein Zurück in das alte Leben wäre. Erst als Sheriff Talbott ihn offen droht, begreift er den Ernst der Situation.
Carol Cutrere hängt zwischen den Stühlen. Als reiche Erbin gehört sie eigentlich zur Oberschicht, doch ihr Protest gegen den Rassismus ihrer Gesellschaft hat sie zur Außenseitern gemacht. Doch der Idealismus ist verflogen. Dennoch schafft auch sie den Absprung nicht und bleibt ihrem Heimatort in Hass-Liebe verbunden. Anne Kies offenbart die ganze Vielschichtigkeit dieser Figur. Mal ist sie die gezielte Provokation, mal die Hilflosigkeit. Ob sie nun redet oder schweigt, Anne Kies zeigt Bühnenpräsenz und wirkt doch bereits zerbrochen.
Carola Sigg zeigt Trotz, Resignation und Rache
in einer Person. Foto: Peter Scholz
Stark dagegen wirkt Carola Sigg als Lady Torrence. Sie ist verzweifelt, aber sie hat noch nicht aufgegeben. Als Tochter eines italienischen Einwanderers ist sie immer eine Randfigur der weißen Gesellschaft geblieben. In ihr glimmt ein Feuer.  Will sie ein Weinlaube ihres Vaters aufleben lassen, um ein verlorenes Paradies zurückzuholen? Erst als ihr bewusst wird, dass ihr Mann Jabe für den Mord an ihrem Vater verantwortlich ist, bricht sich der Wunsch nach Rache seine Bahn. Deswegen kann sie nicht loslassen, deswegen kann sie nicht einfach gehen und deswegen wird sie zum Schluss auch tot liegen auf den Brettern, die ihre Welt bedeuten. Der kurze Augenblick des Glücks scheint nicht in ihre Biografie zu passen. All diese Deutungsmöglichkeiten liefert Carola Sigg mit ihrer Interpretation der Lady Torrence und deswegen ist sie eindeutig das Zentrum in der Aufführung des Theater Rudolstadt.
"Orpheus steigt herab" in der Inszenierung von Alejandro Quintana ist ein Werk, dass von den rasanten Wechseln lebt. Da sind die Szenen, in denen Laura Göttner und Verena Blankenburg als  die Furien Hamma und Binnings über das Parkett fegen,Tür auf, schepper, Tür zu, Treppe rauf. Und da sind die bewegungslosen Szenen, in denen die an den Rand gedrängten mit dem Publikum in den Dialog über ihre Verzweiflung treten.  Quintana präsentiert vor der Pause alle Facetten des alltäglichen Rassismus und der Gewalt. Alle Hoffnungen auf ein gutes Ende entzieht damit den Boden. Die Sturzfahrt Richtung Abgrund beistzt ihre eigene Logik und die Inszenierung nimmt deutlich an Fahrt zu.
Nach der Endabrechnung  bleibt nur Carol Cutrere
am Leben. Foto: Peter Scholz
Die Bühne wird von den Opfern bevölkert, die Strippenzieher bleiben meist als Schatten im Hintergrund. Dennoch sind sie omnipräsent und werden sie sichtbar, dann beherrschen sie allein mit der Gestik die Bühne. Leider wirkt Sheriff Talbott in der Interpretation von Matthias Winde ein wenig überzeichnet. Er gerät fast zur Karikatur des Hüters einer weißen Ordnung, die sich nicht um Recht und Gesetz kümmert.
Die Ausstattung und die Kostüme von Mathias Werner sind fast schon zu Originalgetreu. So läuft "Orpheus steigt herab" Gefahr, einzig Aussagen zu einer historischen Situation an einem singulären Ort zu liefern. Dabei macht diese Inszenierung doch deutlich, dass Unterdrückung und der Kampf um Freiheit immer auch eine Auseinandersetzung zwischen dem Individuum und einem amorphen, manchmal unsichtbaren Kollektiv ist. Wer die Ordnung stört, das wird beseitigt. Solche Methoden sind nicht an einen Raum und eine Zeit gebunden. Diese Aussage weist über die Premiere hinaus. Nun fehlt noch die Umdichtung auf das Medienzeitalter.

Das Theater Rudolstadt
Das Stück in der Selbstbeschreibung
Der Spielplan in Nordhausen

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