Das TfN spielt schlechten Grusel auf hohem Niveau
Warum immer so hochgeistig? Trash kann doch so schön sein. "Das Geheimnis der Irma Vep" ist mit Absicht ein Stück zum Gruseln. Es hat alles, was Boulevardtheater aus macht: Geheimnisse, rasante Wendung, Verzweiflung, Happy End und jede Menge Türen, die auffliegen und zuknallen. Nicht umsonst war das Werk von Charles Ludlum die Nummereins auf dem Off-Broadway. Das Theater für Niedersachsen (TfN) spielt die Horrorkomödie auf sehr hohem Niveau, aber ohne Schenkelklopfer.
Die Inszenierung von Tilo Esche lässt kein Klischee aus und spielt gekonnt mir unseren Erwartungen. Der Landsitz eines englischen Lords muss so aussehen wie er im Bühnenbild von Hannes Neumaier aussieht. Es ist alles da, was das kollektive Gedächtnis an Versatzstücken verlangt, eine Glastür in die weite Landschaft, ein Kamin und natürlich ein Portrait der verstorbenen Gattin. Ohne Frage trägt die Haushälterin Jane die weiße Haube zum schwarzen Kleid und Lord Edgar Tweed und Knickerbocker. Das Faktotum Nicodemus hat eine Vergangenheit, die im Dunkel verborgen bleibt, und Lady Enid war Schauspielerin, bevor Lord Edgar sie zur zweiten Frau nahm. Der Spaß kann losgehen.
Jane und Nicodemus ahnen, dass Lord Edgar den den falschen Wolf erlegt hat. Foto: TfN/Hartmann |
Was nach den Andeutungen kommt, das weiß der erfahrene Zuschauer. Der härteste aller Kritiker (siehe hier und siehe auch hier) weiß es nicht, hat aber trotzdem seinen Spaß. Wenn sie Abend noch etwas lehrt, dann die Geschwindigkeit mit der Schauspieler in eine andere Rolle schlüpfen können. Aus Nicodemus wird Lady Enid. Doch im Aufeinandertreffen mit Haushälterin Jane wird gleich deutlich: die beiden werden bestimmt keine beste Freundinnen. Die Gräben zwischen der Land und Stadt sind zu groß. Charles Ludlum hat hier einen Clash of Cultures geschaffen, lange bevor es den Begriff gab, aber eben auf unterhaltsame Art. Man ahnt sofort: Aus dieser Spannung wird noch Unheil erwachsen, man kann es gar nicht erwarten.
Klamauk auf Weltiveau : Walk-like-an-Epytian vor dem roten Samtsteinvorhang. Foto: TfN |
Nun überschlagen sich die Ereignisse fast und entwickeln sich doch logisch aus der schrägen Logik des Grusel-Genre. Die Gattin kehrt aus der Nervenheilanstalt zurück, der Werwolf treibt sein Unwesen, Jungfrauen müssen sterben und der Hausherr erleidet Panikattacken. Der Schmerz wird körperlich und gewinnt Gestalt, wenn Martin Molitor als Lord Edgar auf dem Boden liegend nach Luft schnappt. Doch dann sagte er diesen herrlichen Satz ".. und am Ende des Lebens sieht man Teppichfransen vorüberziehen .." und alle Spannung löst sich in Lachen auf. Selbst der härteste aller Kritiker lacht mit.
So werdennach dem Spiel mit den Klischees diese popkulturellen Versatzstücke gleich wieder dekonstruiert. Nächstes Beispiel: Von einer Silberkugel getroffen setzt der Werwolf zu einem Lamento, zu einer schwülstigen und langatmigen Abschiedsrede an, bis er vom Mitspieler mit den Worten "Gotthard, du bist tot" unterbrochen wird. Dieser Wechsel von Spiel und Dekonstruktion ohne ins Schrille zu drehen, das ist vielleicht das wahre Geheimnis der Irma Vep. Deswegen gibt es am Schluss viel Applaus von allen Zuschauern.
Ach so, natürlich gibt es ein Happy End, aber mehr wird nicht verraten. Hingehen und selber lachen.
Irma Vep in der Selbstdarstellung
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