TfN spielt Eine Stille für Frau Schirakesch
Es sei kein Stück über den Krieg,es gehe nur um Selbstrechtfertigung, benennt Autorin Theresia Walser den Kern ihres Werks "Ein Stille für Frau Schirakesch". Petra Wüllenweber hat am Theater für Niedersachsen daraus einen Krieg der Worte gemacht. Es wird messerscharf artikuliert und flächendeckend mit Formulierungen bombadiert, emotionale Kollateralschäden interessieren nicht, jeder gegen jeden heißt die Parolen. Am Ende gut dastehen, als Sieger aus der Schlacht hervorgehen, das ist das Ziel.
Petra Wüllenweber seziert die Einzelteile medialer Gegenwartsbewältigung im Jahre sieben nach "Sabine Christiansen". Damit legt sie Nerven blank und trifft den Kern des Stücks. Stellung zu beziehen, in diesem Krieg der Worte, der am Ende nur Verlierer kennt, bleibt dem Publikum vorbehalten. Petra Wüllenweber ergreift für keine der beteiligten Seiten Partei, das darf der Zuschauer machen und das ist gut so. Dahinter steckt für das Ensemble harte Arbeit am Text. Den jedes Wort wird auf die Goldwaage gelegt und dem anderen im Munde umgedreht. Das verlangt Konzentration und Sicherheit.
Die Bühne der Selbstdarstellung ist eine schiefe Ebene. Fotos: Hartmann/TfN |
Die beiden Models Heidrun und Ruth, waren Teilnehmerinnen einer Schönheitskonkurrenz in Tschundakar. General Gert ist Oberbefehlshaber der deutschen Truppen. Soldatin Rose ist seit ihrem Einsatz in dem Bürgerkriegsland traumatisiert. Ihr Vater möchte Kapital schlagen aus dem Schicksal seiner Tochter. Wir haben es nicht mit Einzelpersonen zu tun, sondern mit den Stellvertretern des Mediensystem. Nur die Moderatorin hat Vor- und Familiennamen, alle anderen müssen auf einen Teil ihrer Identität verzichten.
Das Bühnenbild ist auf das Nötigste reduziert. Eine Weltkarte und ein paar Scheinwerfer symbolisieren das Fernsehstudio. Beherrscht wird die Szenerie von diesem riesigen Sofa, das Assoziationen an die besten Zeiten von "Wetten, daß..." weckt. Doch das Sitzmöbel ist auf einer schiefen Ebene und führt eher nach unten, als dass es festen Halt bietet. Mit diesen einfachen Mitteln ist Susanne Ellinghaus ein überzeugendes Zitat pop-kultureller Versatzstücke gelungen. Ein Stück, das beansprucht ungeschminkt die Wirklichkeit zu zeigen, muss auf raffinierte Licht-Akzente verzichten. Somit die Bühne, bis auf wenige Ausnahmen, in gleißendes, in schonungsloses, in gleichmachendes Scheinwerferlicht getaucht.
Schönheitskönigin Heidrun und Moderatorin Ludowski bereiten den großen Auftritt vor. Foto: Hartmann |
Dieses Werk über das Reden ist schwere Textarbeit mit dem wohlgesetzten Worten. Dies macht Simone Mende in der Rolle der Moderatorin Hilde Ludowski deutlich. Das Wortgefecht kann nur der bestehen, der die verbalen Waffen gut einzusetzen weiß und gut vorbereitet ist. Doch Simon Mende wirkt immer mehr, wie Goethes Zauberlehrling und die Geister, die sie rief. Ihre Hilflosigkeit gegen die Unmenschlichkeit der Hinrichtung drückt sie in einer versteinerten Gestik aus. Ihr einziger Haltepunkt sind Block und Stift. Als beide Requisiten über die Bühne fliegen, ist klar: Hier hat jemand aufgegeben.
General Gert ist der Kontrapunkt zum Gutmenschen Ludowski und Gotthard Hauschild spielt ihn, wie man sich einen Kommisskopp wünscht. Mit der Stimme immer am oberen Limit und im Befehlston. Selbst die Rechtfertigungsversuche seines Kreuzzuges gegen die Unmenschlichkeit bellt er in das Fernsehstudio. Damit verdeutlicht Hauschild, dass hier jemand verbale Rückzugsgefechts abliefert. Zum Schluss sind alle auf dem Rückzug und die Frage nach dem gerechtfertigten Krieg in Tschundakar bleibt unbeanwortet im Raum stehen.
Michaela Allendorf und Joëlle Rose Benhamou kosten ihren Zickenkrieg der Schönheitsköniginnen Heidrun und Ruth bis zur bitteren Neige aus. Beide schenken sich nichts und niemand steht der anderen in irgendetwas nach. Hier treffen zwei ebenbürtige Schauspielerinnen auf einander.
Sie alle vier sind Zeugen des Kriegs, aber keine Betroffenen. Helfen können sie der Totgeweihte nicht. Deswegen stehen sie unter permanenten Rechtfertigungszwang. In allen vier Figuren steck aber nur Verzweiflung, die sich ihre Bahnen bricht. Frau Schirakesch und ihr Schicksal sind für alle nur die Projektionsfläche der eigenen Hilflosigkeit.
Als Rose vom Sterben in Tschundakar erzählt, ist die Talk-Runde überfordert. Foto: A. Hartmann |
Katharina Kwaschik hat das intensivste Spiel an diesem Abend zu bieten, durch alle Stadien der Erinnerung. Erst wortlost gefangen im Niemandsland zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Krieg in Tschundakar und Talkshow in Deutschland, bleibt ihr nur die Hysterie als Fluchtfahrzeug, um dann monoton und abwesend von der Verarbeitung der Schrecken zu erzählen: nachvollziehbar und damit eindrucksvoll.
Das Stück
Der TfN-Spielplan
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