Sonntag, 19. April 2015

Das Böse lauert immer und überall

Lucia Bihler dampft Biedermann und die Brandstifter ein und reduziert Frisch-Drama auf die tragenden Teile

Das Böse lauert immer und überall. Wer sich aber mit dem Bösen arrangieren will, der kommt unter die Räder. Das ist die Quintessenz vom "Biedermann und die Brandstifter". Am Deutschen Theater in Göttingen inszeniert Lucia Bihler eine Version, die sich auf die tragenden Teile konzentriert.  Hier verbinden sich Sprache, Tanz und Musik zu einem überzeugenden Gesamtwerk, das aber genug Raum für viele Assoziationen bietet. Das reduzierte Bühnenbild und die Kostüme von Josa David Marx unterstützen das Konzept kongenial.  Die Premiere am 18. April konnte mit einem glänzenden Bardo Böhlefeld in der Rolle des ehemaligen Ringers Josef Schmitz begeistern.
Den Stoff des Biedermanns, der sich nicht der drohenden Katastrophen entgegenstellen will, hat Max Frisch zwischen 1948 und 1958 in unterschiedlicher Form verarbeitet. Dramaturg Matthias Heid hat für die Göttingern Inszenierung das Hörspiel von 1952 und das Drama von 1958 verbunden. Die Rollen sind auf 4 Handlungsträger reduziert. Für Dienstmädchen Anna bleibt nur eine stumme Rolle. Dennoch schließt das Werk schließt mit dem Nachspiel in der Hölle.
Es steht in der Zeitung: Überall lauern
Brandstifter.  Alles Fotos: Serbis/DT 
Das Böse lauert immer und überall. Die Brandstiftung als Zerstörung eines vermeintlichen Glückszustandes ist zeitlos. Die Kostümierung spiegelt das komplette 20. Jahrhundert wieder. Felicitas Madl in der Rolle der Babette Biedermann erinnert an Doris Day, Karl Miller als Gottlieb Biedermann erinnert eher an das Outfit von David Bowie in seiner Lets-Dance-Phase. Aber aus dem biederen Haarwasser-Hersteller wurde ein hipper Parfümfabrikant. Das Intro auf offener Bühne mit dem Loop "Freedom - The new fragance by Gottlieb" zu Drum-And-Bass-Klängen verschiebt das Stück in die Jetzt-Zeit, während die beiden Brandstifter Schmitz und Eisenring äußerlich den 20er Jahren verhaftet sind.
Das Bühnenbild wird beherrscht von einem riesigen Parfüm-Flakon. Im Laufe des Abends dient er als Trutzburg, Ruhestätte oder auch Motor. Eine graue Stoffbahn grenzt die Vorbühne gegen den schwarzen Bühnenraum ab. Die Szenenwechsel von Wohnstube zu Dachboden und zurück finden nur im Kopf des Publikums statt. Das reicht, denn Handlungen und Worte sind in dieser Aufführung nicht an den Ort gebunden. Die Lichtführung verstärkt das drohende Dunkel im Hintergrund.
Äußerlich ist Gottlieb Biedermann  nicht mehr der Spießer der 50er Jahre, sondern der Produzent eines hippen Parfüms. Zwar kleidet er sich in modischen Rosa, doch die Rübe-Ab-Mentalität ist geblieben. Aber seinen Worten folgen keine Taten und sein Versuch, den Ausgleich mit den Brandstifter zu suchen, endet in der Katastrophe. Dabei hat der Herr Fabrikant keine Skrupel, seinen ehemaligen Mitarbeiter erst zu betrügen und dann in den Tod zu treiben. Als sich ihm Josef Schmitz als gewiefter Taktiker entgegenstellt, ist Gottlieb Biedermann ausgeliefert. Von anderen kann er beherztes Handel fordern, doch er sucht um des lieben Friedens willen den Ausgleich mit jenen, die nicht ausgleichen wollen. Diese zeitlos Bigotterie vermittelt Karl Miller. Großspurig in der Gesellschaft seiner Frau und des Dienstmädchens, unsicher und stotternd in Gegenwart der Brandstifter. Die Gefahr erkennend, ist er unfähig, die Konsequenz zu ziehen. Eine starke Leistung. Biedermänner versucht noch nicht einmal,sich der Tragödie entgegenzustemmen. Deswegen kann man auch auf den griechisch inspirierten Chor aus Frischs Vorlage verzichten.
Schmitz hat bald auch das Schoßhündchen unter
Kontrolle.
Doch Bardo Böhlefeld bleibt es überlassen, dieser Aufführung den Stempel aufzudrücken. In der Rolle des Brandstifters Josef Maria Schmitz ist er Mephisto, Nosferatu und Batmans Joker in einer Person. Anfangs krummbückelig, aber mit ausholenden Gesten, immer effektheischend und Mitleid ergatternd, mal ein süffisantes Grinsen im Gesicht, mal mit Dackelblick, immer wie es die Situation erfordert. Viele Worte treffsicher und zuckersüß gesetzt erinnert er Biedermann an die eigenen Ansprüche der Menschlichkeit, umschmeichelt den Großspurigen und kontert ihn anschließend aus. Als er sich als Herr der Lage erweist, ändert sich der Tonfall deutlich. Böhlefeldmacht den Rollenwechsel deutlich.
Babette Biedermann bleibt im Frauenbild der 50er Jahre gefangen. Mehr Staffage als Partnerin erkennt sie zwar den Ernst der Lage und ahnt die Gefahr, doch zur Tat ist sie nicht fähig. Diese Hilflosigkeit zwischen den beiden Polen vermittelt Felicitas Madl mit dem Charme eines Doris-Day-Lookalike. Überraschend aber konsequent und überzeugend ist die Verwandlung des Dienstmädchen Anna in eine dänische Dogge, beeindruckendes Aussehen, aber harmloser Charakter.
Als Eisenring auftaucht, haben die
Biedermänner verloren. Foto: Sebris
Lucia Bihler siedelt ihren Biedermann und die Brandstifter in einem zeitlosen Raum ohne lokalen Verweis an. Die Videoprojektionen aus dem literarischen Tagebuch stellen die Frage nach dem bürgerlichen Glück in den Zusammenhang zum Frischs Gesamtwerk. Damit macht Bihler aus einem Kommentar zu den politischen Umwälzungen der späten 40er und frühen 50er Jahre zu einem allgemein gültigen Werk.
Das Böse lauert immer und überall.  Das englische Solo von Karl Miller macht eben diesem Anspruch an Weltgeltung deutlich. Die Mechanismen von Einschmeichlung und Drohung und von Manipulation und Nötigung funktionieren vielleicht sogar besser denn je.
Dennoch verzichtet die Inszenierung dankenswerter Weise auf allzu deutliche Zeitbezüge. Es bleibt dem Publikum überlassen, die aktuelle Brandstifter zu benennen. Auch die Motivation von Schmitz und seinem Kumpan Eisenring bleibt im Dunkeln. Aber darum ging es schon Frisch nicht. Nicht das Motiv, die reine Zerstörungswut, sondern die Folge steht im Zentrum.
Aber Bihler geht dann doch einen entscheidenden Schritt weiter. Die Manipulation funktioniert so gut, dass es Biedermann selbst ist, der den Abzugsring an der riesigen Handgranate zieht, in die sich der Parfüm-Flakon zwischenzeitlich verwandelt hat. Die Biedermänner schaufeln sich ihr eigenes Grab. Sie geraten in einen Strudel der Geschehnisse, verschwinden sehenswert im Dunkel der Bühne, bis das graue Leichentuch sie zudeckt. Das Nachspiel in der Hölle wäre vielleicht gar nicht nötig gewesen.
Mit "Biedermann und die Brandstifter" hat das DT-Team eine Inszenierung vorgelegt, die sowohl in den Einzelteilen als auch als Gesamtwerk überzeugt und die neben klaren Aussagen dem Publikum Raum für eigene Interpretationen bietet.

So sieht es der Nachtkritiker Jan Fischer

Der Spielplan am Deutschen Theater
Die Inszenierung

Der Autor

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