Sonntag, 5. Juli 2015

Dieses Theater lässt keinen kalt

Peter Jech macht im Theater unterm Dach den Feuerwehrmann

Hiermit schlagen wir, der härteste aller Kritiker und der Theatergänger, Peter Jech und das schwarzweiß figurentheater für die Verdienstmedaille "Lebendiges und witziges Kinder- und Familientheater 2015" vor. Doch erst von Anfang an.

Prolog: Eigentlich wollte ich mit meinem Neffen zu dieser Vorstellung. Er ist bekennender Nachwuchsfeuerwehrmann.  "Bei der Feuerwehr wird der Kaffee kalt" von Hannes Hüttner ist seine bevorzugte Fachliteratur. Doch dann habe ich doch für den härtesten aller Kritiker als Begleitung entschieden.

Der Einsatz bei Omas Eierschecke
läuft. Alle Fotos: Anja D. Wagner 
Die Vorlage gehört in Ostdeutschland seit mehr als 40 Jahren zu den Monumenten der Kinderliteratur. Eine Adaption für die Bühne ist mit hohen Risiko behaftet, weil das Publikum die Bilder von Gerhard Lahr mit in die Vorstellung bringt. Um nicht in diese Nacherzählungsfalle zu tappen, war die Entscheidung von Patrick Jech und Bianca Sue Henne, die Geschichte komplett neu zu erzählen, konsequent. Gelohnt hat sich die Entscheidung allemal. Seit der Erstauflage von "Bei der Feuerwehr wird der Kaffe kalt" sind immerhin 46 Jahre ins Land gegangen, als muss man die Geschichten eben anders erzählen. Schließlich sind wir bei einem lebendigen Theater und nicht im historischen Seminar.

Die Vorstellung beginnt in völliger Finsternis. Eine Kaffeemaschine röchelt. Zu den Klängen des "Also sprach Zarathustra" taucht Jech in Uniform und behelmt auf. Er imitiert die Posen der Bodybuilder, der Starken. Die Kinder und ihr Begleitpersonal haben die Show schnell durchschaut. Es steckt jede Menge Ironie in dieser Inszenierung. Manchmal erkennen die Kinder dieses Stilmittel, ihren Eltern springt sie jedes Mal ins Auge. Das ist einer der Gründe, warum diese Aufführung so lebendig ist, so erfrischend wirkt.

Damit ist sie Familientheater im besten Sinne. Es gibt eine Lesart für die Kleinen und es gibt eine Lesart für die Großen. Die haben vor allem ihre Freude am Umgang mit den Versatzstücken der Popkultur. Das ist unübersehbar, als Jech im Stile eines Rockstars mit dem geteilten Publikum den Tatü -Tata-Chor übt.

"Das fand ich toll, dass der Jech das Publikum einbezogen hat", wird der härteste aller Kritiker auf der Heimfahrt altklug und haarscharf analysieren. Ja, das ist toll und das kann der Jech wie kaum ein anderer seiner Zunft. Dabei ist es doch so wichtig, wenn man Theater für Kinder macht. Es muss Theater mit Kindern sein.

Patrick Jech spielt den Brandschutzbeauftragten der Stadt Nordhausen. Er erläutert die vier Arbeitsbereiche der Feuerwehr, Retten, Löschen, Bergen, Schützen. Er simuliert eine Schulung, wirft Overhead-Folien auf die Papierwand, übt die fünf Ws einer Notfallmeldung. Er ist gewissenhaft und ein wenig übereifrig. Die Kinder sind mit ganzen Herzen dabei. Die Erwachsenen schmunzeln, denn dieser Typus wirkt so lebensnah.

Doch dann klingelt das Telefon und der Ernstfall droht. Die Inszenierung nimmt an Fahrt auf. Doch vorher gibt es noch den kleinen Bruch. Man soll schon merken, dass der Theoretiker Brandschutzbeauftragter so seine Probleme mit der Praxis der Brandbekämpfung hat.

Patrick Jech und seine Puppen.
Die Inszenierung nimmt an Fahrt auf und sie schmiegt sich an die Vorlage an. Aber vorher gibt es noch ein schönes popkulturelles Versatzstück. Zu den Klängen einer 70-er Jahre Funk-Nummer zieht der Brandschutzbeauftragte eine Pilotenbrille aus der Tasche, setzt sie auf und zeigt sich nun gewappnet für die Herausforderungen der Praxis.

Nun kommen die Puppen zum Einsatz und die Einsätze, die sie bewältigen müssen, sind aus dem Buch bekannt. Bei Oma Eierschecke brennt es, weil sie vergessen hat, den Backofen auszumachen. Emil Zahnlücke ist im Eis eingebrochen, weil er seinen Mut unter Beweis stellen wollte und im Tierpark hat der Sturm einen Baum auf das Dach des Futterlagers geworfen.

Die Art und Weise, wie Patrick Jech erzählt, ist einmalig. Seine Puppen sind Puppen, keine Handpuppen oder Stabfiguren. Es sind Puppen, wie sie in vielen Kinderzimmer vorkommen, und er spielt sie, wie Kinder mit Puppen eben spielen. Keine große Raffinesse, sondern Kopf in die Hand genommen, ein wenig damit gewackelt, hier spielt die Musik und dann spricht er den Text der aktiven Figur. So einfach ist das eben und so kindgerecht ist es. Er will gar nicht die Illusion erzeugen, als seien die Figuren lebendig. Die Lebendigkeit entsteht im Kopf des Publikums.

Auch die Bühne wirkt improvisiert. Das Feuerwehr besteht aus einem Rollbrett, zwei Getränkekisten und einer Alukiste, das reicht. Es ist noch nicht einmal rot, aber das schadet der kindlichen Fantasie nicht. Ein Miniventilator und eine Playmobil-Figur reichen völlig, um den Hubschrauber-Einsatz zu simulieren. Eine Papierbahn wird zur brüchigen Eisfläche. Der federleichte Umgang mit den Requisiten genügt der kindlichen Fantasie und verzaubert die Eltern.

Eine Papierbahn wirkt zur brüchigen Eisfläche um-
gedeutet. Alle Fotos: Anja D. Wagner 
Patrick Jech spielt schnell wie die Feuerwehr. Das Tempo ist jetzt bald schon atemlos und das gefällt den Kindern. Zwanzig Jahre nach der Erfindung von Spongebob kann man eine Geschichte nicht mehr im Duktus der 60er Jahre erzählen. Das wissen Darsteller Jech und Regisseurin Henne. Die kindlichen Ansprüche haben sich eben geändert und sie gehen darauf ein.

Möglich ist dieses Tempo, weil das schwarzweißfigurentheater die Stilmittel frech mischt und damit die Aufführung lebendig gestaltet. Das Rezept beinhaltet natürlich das Puppenspiel und die bereits erwähnte Ironie, aber auch Improvisationstheater und Slapstick haben ihren Platz darin.

Die Eltern erfreuen sich an dieser Vielfalt, den Kindern ist es egal. Hauptsache, es passt und es macht Spaß.


Epilog: Hiermit schlagen wir, der härteste aller Kritiker und der Theatergänger, Peter Jech und Bianca Sue Henne nicht für die Verdienstmedaille "Lebendiges und witziges Kinder- und Familientheater 2015" vor. Nein, wir fordern sie für diese Inszenierung und für diese Art von Familientheater ein!    




Das Theater Nordhausen
Das schwarzweißfigurentheater

Der Autor Hannes Hüttner
Der Zeichner Gerhard Lahr


Der härteste aller Kritiker - Teil eins
Der härteste aller Kritiker - Teil zwei
Der härteste aller Kritiker - Teil drei
Der härteste aller Kritiker - Teil vier
Der härteste aller Kritiker - Teil fünf
Der härteste aller Kritiker - Teil sechs
Der härteste aller Kritiker - Teil sieben
Der härteste aller Kritiker - Teil acht
Der härteste aller Kritiker - Teil neun

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