Ballettpremiere am Theater Nordhausen
Endlich wieder Ballett. Das war am Freitagabend die Devise im Theater Nordhausen. Dort stand die Premiere von „Carmen“ auf dem Programm. Nach langer Pause zeigte sich die Choreographie von Ivan Alboresi vor allem als routinierte Inszenierung mit einigen Höhepunkten. Das Publikum bedankte sich am Ende euphorisch für das Ende der Durststrecke.
Mit „Carmen“ ist es ähnlich wie mit „Titanic“. Warum soll man sich das anschauen? Das Ende ist doch bestens bekannt. Weil es auf die Erzählweise ankommt und die ist bei Alboresi vor allem ruppig mit Akzentverschiebung, weg von der Titelfigur hin zu Don José, dem Killer von der traurigen Gestalt.
Er wolle kein Erzählballett machen, hatte Ivan Alboresi einst im Interview gesagt. Nun hat er es doch getan. Seine „Carmen“ ist es Erzählballett par excellence. Klar arbeitet er sich am Erzählfaden entlang, den Prosper Mérimée einst mit seiner Novelle gelegt hat und die von Georges Bizet zur Oper ausgebaut wurde.
Zwei Männer, ein Mädchen und der Tod. Alle Fotos: Ida Zenna |
Seine Titelfigur wirkt kühl und kalkulierend. Tänzerin Erika Cucumazzo ist eine spröde Schönheit, die Sinnlichkeit nur wohl dosiert versprüht. Eher ähnelt sie den Frauengestalten des Expressionisten Schmidt-Rottluff. Raum für eigene Deutungen lässt nur Carmens Verhältnis zum Gevatter Tod. Ist sie seine Komplizin oder seine Braut?
Zur Zentralfigur wird Don José. Er setzt Anfang und Ende und die Erzählzeit erstreckt sich weitestgehend auf die Phase nach seiner Suspendierung als drei Herren um die Gunst der Dame kämpfen. Hier trifft Carmens Kalkül auf jede Menge Gefühl. Alboresis Choreographie breitete Josés Pein in der gesamten Breite aus. Damit scheint sein Weg vom betrogenen Liebhaber zum emotionalen Killer vorgezeichnet.
Die Inszenierung leidet darunter, dass sie vorhersehbar ist. Was angesichts der Vorlagen nur schwer zu vermeiden ist. Dennoch ist sie arg vom tödlichen Ende her konstruiert. Alle Figuren finden sich vom ersten Takt an auf den Weg in ihre persönliche Hölle.
Das macht sich zuerst personell bemerkbar. Das Mädchen Micaela wurde gestrichen und der Tod tritt in den Ring. Damit fehlt jegliches retardierende Moment. Von einem Wendepunkt ganz schweigen. Auch die hellen und optimistischen Augenblicke sind rar gesät. Alboresi hat die Fallhöhe seiner Protagonisten deutlich reduziert und damit verliert das Finale an Tragik. Es konnte ja nicht anders kommen. Wenn man sich 115 Minuten lang auf einer schiefen Ebene befindet, kann man sich auf den Aufprall vorbereiten.
Die Einführung des Todes als neue Figur verstärkt diese Tendenz. Die Stiermaske als Symbol für ein baldiges Ableben kehrt hingegen die gewohnte Adaption um. So steht der Hornträger bisher als Ausdruck von Kraft und Fruchtbarkeit und nicht als Todesbote.
Das Mädchen und der Tod: Ein Verhältnis mit Interpretationsspielraum. Foto: Ida Zenna |
Das ist ein bis zwei Spuren zu dick aufgetragen. In Zeiten, in denen Untergangsszenarien Hochkonjunktur haben, trifft genau dies den Geschmack des Publikums, wie der frenetische Applaus zeigt.
Die Aufführung beginnt mit einer musikalischen Überraschung. Ivan Alboresi setzt nicht auf das Original, sondern auf die Bearbeitung von Rodion Shchedrin. Dessen Interpretation verzichtet auf die Zuckersüße von Bizet und falsche Folklore. Stakkato und Pizzicato bestimmen das Spiel der Streicher. Mit zwei Musiken von Julia Wolfe erreicht die Inszenierung sogar die Gegenwart.
Alboresis Choreographien zeichnen sich durch einen gekonnten Mix aus klassischem Ballett und Modern Dance aus. Gelegentlich gibt es eine Prise Jazz Dance oder auch Break Dance dazu. Nun hat er sich ein klar für Modern Dance entschieden. Das schränkt natürlich die Möglichkeiten ein. Es folgt eine Aneinanderreihung von bekannten Figuren. Nur selten tauchen Elemente des Ausdruckstanzes aus expressionistischen Zeiten aus. Etwa wenn der Tod seinen langen Mantel kreisen lässt und den Tanzboden feudelt.
Eindrucksvoll wird diese Aufführung, wenn Ivan Alboresi seine Stärken ausspielt. Diese liegen eindeutig in den Gruppenszenen. Er schafft es immer wieder, die Compagnie wie einen Organismus agieren zu lassen. Aber nicht, indem alle dasselbe tun. Jeder macht etwas anderes, dennoch ergibt es ein sinnvolles Ganzes. Das macht die Ballettsaufführungen in Nordhausen immer wieder zum Genuss.
Am stärksten, wenn alle mit dabei sind. Alle Fotos: Ida Zenna |
Trotzdem ist diese Choreographie eine Kette von starken Bildern. Dafür sorgen auch das Bühnenbild von Wolfgang Kurima Rauschning, die Kostüme von Birte Wallbaum und die Beleuchtung. Allein schon der Mantel des Todes gibt Anlass für eigene Überlegungen. Seine lange Schleppe erinnert durchaus an ein Brautkleid.
Die Bühnendekoration besteht aus zwei einzelnen riesigen Hörner und gemahnen an den Stierkampf. Aber meisterhaft ist das Spiel mit den Vorhängen. Mal beschränken sie den Raum auf die Vorbühne, mal geben sie Teile der Mittelbühne frei, mal gestatten sie den Blick bis auf die Hinterbühne. Mit dem Wechsel von Enge und Weite wird der Raum zum ergänzenden Teil der Inszenierung und erleichtert die Interpretation deutlich.
Dazu kommt ein Licht, das immer nur Teile der Arena erhellt. Vieles bleibt im Dunkel und unterstützt das visuelle Konzept. Dabei gelingen durchaus Überraschungen. So erscheint der Tanzboden mehrfach blutgetränkt während die Tänzerinnen und Tänzer davon unberührt bleiben. Mit dem scharfen Kontrast von blutrot und tiefschwarz greift Alboresi Merkmale des Expressionismus auf und deutet diese neu. Wie dieser versteift er sich auf den Schmerz als treibende Kraft. Das ist aber eine einseitige Sicht auf die Welt und nimmt der Carmen jegliche Leidenschaft. Somit wird aus einer tragischen Geschichte um die Selbstbestimmung einer Frau die alte bekannte Geschichte um Gevatter Tod. Damit nimmt Alboresi der Carmen ihre Einzigartigkeit und reiht sie eine in die Abteilung Jammergeschichten.
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