Konferenz am DT Göttingen: Warum Wilhelm Busch so aktuell ist
Einblicke in das Leben warten manchmal dort, wo man sie gar nicht erwartet. Auf jeden Falle bietet “PARDAUZ! SCHNUPDIWUP! KLIRRBATSCH! RABUM!” eine Menge an Erleuchtung. Mit dieser Uraufführung legt Annette Pullen einen Einstand nach Maß am Deutschen Theater in Göttingen. Ihre Inszenierung einer Wilhelm-Busch-Revue hat Witz, Tiefgang, Satire, Finten, Selbstironie, Diskussionsbedarf und Unterhaltungswert. Mehr kann man sich nicht wünschen.
Dabei hat Pullen gleich zwei prominente Hebammen. Die Vorlage stammt von niemanden geringen als Rebekka Kricheldorf und Hannah Zufall und wurde eigens für Göttingen geschrieben. Wilhelm Busch hätte das Stück bestimmt gefallen. Zu seinem 190. Geburtstag schaffen die beiden Autorinnen es nicht nur, dessen Kampf gegen Spießer und Selbstgerechte mit anderen Mitteln fortzusetzen. Sie machen auch deutlich, dass nicht “Max und Moritz” sondern “Die fromme Helene” wohl sein Schlüsselwerk ist. Was als Klamauk beginnt, endet mit einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der Literatur des 19. Jahrhunderts und mit den Empfindlichkeiten der Gegenwart.
Die Führung
Die Lämpels haben die Herrschaft übernommen. Das Publikum versammelt sich vor dem Theater zur 190. Jahrestagung der Wilhelm-Busch-Figuren. Die Schwester des Namensgeber backt Pfannkuchen und verteilt sich an die Umstehenden. Es könnte der Auftakt zu einem fröhlichen Sommerabend werden.
Die Lämpels sind mitten unter uns. Alle Fotos: Thomas Kügler |
Aber zahlreiche Lehrerplagiate streifen in schwarz-weiß durch die Ansammlung und rufen die Besuc
herinnen und Besucher zur Mäßigung auf. Nicht bei jedem kommt das gut, aber das Risiko muss man eingehen, wenn man ein Stück als Mitmachtheater konzipiert. Ausgangspunkt dieser Inszenierung ist eine imaginäre Konferenz und im zweiten Teil des Abends gibt es viele Seitenhiebe auf die Rituale von Kongressen und auf die Teilnehmer an diesen Ritualen.
Das Publikum wird geteilt. Die Besucher mit dem blauen Armband folgen dem Lämpel-Imitat mit dem blauen Schild, die mit dem roten Armband folgen dem Lämpel-Imitat mit dem roten Schild. Die Szenenfolge beginnt mit einer Krise im weiß-blauen Bierzelt. 1864 studiert Wilhelm Busch in München Malerei ohne Erfolg. Er ist mit seinem Latein am Ende und der Vater mit der Geduld und dem Geld. Immerhin hat Busch junior die 30 schon überschritten, ohne zu wissen, wohin es gehen soll. Er steht also am Wendepunkt und taugt nicht zum Held sein.
Es kommt zum Krach mit den Freunden aus der Boheme und Gabriel von Berlepsch gibt einen wunderbaren zornentbrannten Busch. Trotz anschließender Versöhnung ist der Bruch mit diesem Lebensabschnitt klar. Wunderbar gelingt es dem Trio Gerd Zinck, von Berlepsch und Roman Majewski im Fotostudio das Publikum einzubeziehen in diesem Abschied. wie überhaupt an den ganzen Abend über die Besucher immer wieder zu Akteuren gemacht werden. Das ensemble nimmt das publikum Ernst und alle haben ihren Spaß dabei.
Die nächste Station zeigt den alten Busch, der sich in seinem Heimatort Wiedesahl vor der Welt versteckt und sich von seiner Schwester Fanny bekochen lässt. Trotzdem hat der Eremit seine Augen nicht vor der Welt verschlossen und kennt die Nöte seiner Zeitgenossen zu genau. Ronny Thalmeyer interpretiert den alten Busch vor allem als Mitmenschen.
Die biografischen Eckdaten sind gesetzt, nun geht es ins Museum. Im Lämpel-Outfit gibt Bastian Dulisch einen dreisprachig radebrechenden Museumsführer, der die Ausstellungspolitik seines Hauses nicht ganz ernst zu nehmen scheint. Die Seitenhiebe auf die übliche Heldenverehrung gipfelt in einem ausgestellten Nachttopf und dem Bekenntnis “This Pisspott is art.”
Im Ausstellungsraum zwei zeigt Anna Paula Muth ebenfalls dreisprachig dem Publikum den richtigen Weg zwischen vielen falschen Fährte. In der Mitte steht eine kolosse Vitrine mit imposanten Schmetterlingen. Doch entscheidend sind die Bienen, die alle einen Namen haben. Man übersieht sie fast zwischen all dem Offensichtlichen. Diese witzige Lektion in Sachen “Traue nie dem Schein” wäre wohl auch im Sinne Busch gewesen.
Die Führung endet im DT-Keller, der den Hauptbahnhof Mainz darstellen soll. Hier traf sich Busch im Herbst 1875 mit der Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Marie Anderson. Der Disput der beiden stellt immer wieder die Frage nach dem Image der eigenen Person und die Frage “Was bleibt von mir in Erinnerung. Ob es einen Sieger in diesem Streit gab und wer es war, das darf jeder im Publikum für sich beantworten.
Der Kongress lacht
Das Heute findet im DT-1 statt. Hier im Großen Haus tagt die Versammlung der Wilhelm-Busch-Figuren und stellt sich ganz gegenwärtige Fragen. Es geht um Akzeptanz und Relevanz der eigenen Person in der Gegenwart. Die überstrapazierte “Identität” taucht dankenswerter Weise nicht auf.
Schicksalsgöttin, Hobbydichter und Lausbuben: Der Busch-Kosmos besteht den Realitätstest. Foto: Kügler |
Es folgt das Geplänkel, dass im Vorfeld einer solchen Versammlung üblich ist. Da wird um die Sitzordnung gerungen, über die Tagesordnung gestritten und natürlich darf auch eine Auseinandersetzung über wer wie wann und wo angesprochen wird nicht fehlen. Marco Matthes ist als Sitzungsleiter Lämpel so herrlich überfordert, dass man gelegentlich Mitleid mit ihm bekommt. Sein Bekenntnis, dass er die Rolle des Ordnungshüter nur spiele, weil es ja irgendjemand machen müsse, klingt ehrlich, herzergreifend und überzeugend.
Doch die inhaltlichen Schwerpunkte setzen zwei Frauen. In der Rolle der frommen Helene hält Rebecca Klingenberg ein starkes Plädoyer für das Recht auf Scheitern, das man mit Applaus quittieren muss. In den Zeiten der Selbstoptimierer ist den Autorinnen und der Regisseurin ein passender Gegenentwurf gelungen.
Andrea Casabianchi geht subtiler vor. Mit wohl gesetzten Worten stellt sie in der Rolle der Schicksalsgöttin die Fragen, was heute noch als erlaubt gilt. Sind die Busch-Figuren nur noch von bedauernswerten Gestalten umgeben? Darf man nur über das Lachen, was die Lämpels dieser Welt zulassen?Das alles im Gewand der Turandot gekleidet. Die Antworten dazu darf man sich selbst geben und deswegen ist das Stück so gelungen. Es verzichtet auf schwarze Pädagogik und erhobene Zeigefinger. Am Ende gibt Lämpel kleinbei und findet Trost in der neuen Lockerheit.
Es erschließt sich nicht auf den ersten und auch nicht auf den zweiten Blick, welchen Bezug das Bühnenbild von Gregor Sturm zu Busch hat. Aber fliegende Schränke sehen nicht nur fantastisch aus, sie hätten dem Wilhelm bestimmt auch gefallen.
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