Marco Storman inszeniert einen zähen Liliom am DT Göttingen
Häusliche Gewalt und männliches Selbstverständnis sind aktuelle Themen. Häusliche Gewalt und männliches Selbstverständnis sind Themen, die Ferenc Molenár 1909 mit seiner Vorstadtlegende "Liliom" auf Tapet gebracht hat. Starr, zäh, umständlich. Mit seiner Inszenierung am Deutschen Theater in Göttingen vergibt Marco Storman die Chance, klassische Moderne und Jetzt-Zeit zu verbinden. Die Aufführung bleibt zu sehr der Stilistik des Expressionismus verbunden.Störung beim Stell-Dich-Ein im Stadtwäldchen.
Alle Fotos: DT/Aurich
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Frederik Schmid ist um die Rolle des emotionalen Krüppels Liliom nicht zu beneiden. Meist muss er geistesabwesend in die Ränge starren, muss er sich auf die Gestik einer Barlach-Statue beschränken und sich stimmlich in den Mitteltönen bewegen. Nun gut, seine Aufgabe ist nun mal die Darstellung eines Mannes, der nicht aus seiner Haut kann, dessen Verunsicherung in Gewalttätigkeit umschlägt, aber mit dieser auferlegten Limitierung gerät die Titelrolle sehr eindimensional. Dadurch erschließt sich die Zwangsläufigkeit des Handlungsstranges nur teilweise. Eine Therapiesitzung mit Ecki Thalkötter hat mehr Dynamik.
Erst im Schlussbild darf er aus sicher herausgehen, seine Verzweifelung herausschreien. Doch wie in der Vorlage ist es auch in der Aufführung zu spät. Vor allem wirkt der Monolog furioso an dieser Stelle einfach unmotiviert, fällt gewissermaßen vom Himmel.
Beim Finale für einen Sprecher ist es schon zu spät für die Wende zum Guten. |
Molnár hat seinen größten Erfolg als Schaustück in sieben Bilder angelegt, in denen das Wort und das Nichtgesagte wirken sollte. Weil Storman nun die Anzahl der Darsteller von 22 auf fünf reduziert, nimmt er aber der Vorlage jegliche Dynamik. Anstatt die Stilistik des frühen 20. Jahrhunderts in das frühe 21. zu transponieren, zementiert den Expressionismus. Doch Andeutungen, die 1909 für Aufsehen und Nachdenken sorgten, laufen 106 Jahre später in einer schonungslosen Zeit ins Leere. Die Codes der Kultur haben sich eindeutig verschoben. Mit der Reduzierung der Liebesgeschichte zwischen Julies Freundin Marie und dem Dienstboten Wolf auf stückhafte Berichterstattung nimmt Storman dem Werk das kontrastierende Element. Alles was bleibt, ist das Elend des schlagenden Liliom, der damit aber auch an Schärfe verliert.
Die Göttinger Inszenierung bleibt leider auch der Erstübersetzung von 1912 verhaftet. Die Austrizismen und die Archaismen erschweren die Rezeption deutlich und nageln die Aussagen eben im Milieu der K.u.K-Monarchie fest. Dazu kommt das Übermaß an Kunstpausen, die das gerade Gesagte wirken lassen soll, ihm Gewicht verleihen soll und doch nur hemmend und statisch wirken.
Fiscur und Liliom bereiten den Überfall auf Linzmann vor. |
Der Pluspunkt der Inszenierung ist das Bühnenbild von Dominik Steinmann. Die rohe Bretterwand mit dem spiegelverkehrten Schriftzeug macht auf den ersten Blick deutlich, dass man sich auf der Rückseite des Rummelplatzes, auf der Schattenseite des Lebens befindet. Der Schienenstrang auf dem Boden weckt Assoziationen zur Achterbahn und ermöglicht den Wechsel der szenische Bilder durch das Hineinschieben und Herausziehen der Waggons.
Liliom ist ein Exemplar der Gattung Homo europiensis, der mit seiner Hilflosigkeit, die in Gewalt umschlägt, und mit den gescheiterten Ansprüchen an sich selbst schon zur Entstehungszeit keine singuläre Erscheinung war. Doch man sprach nicht darüber. Nun bevölkern seine Nachkommen die Fußgängerzonen und Selbsthilfegruppe und männliche Verunsicherung schlägt in noch ganz andere Formen der Gewalt nun. Doch Storman schafft die Transformation nicht, sein Liliom ist eher ein historischer Beitrag.
Der Spielplan am Deutschen Theater
Der Regisseur
Das Stück
Der Autor
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