Mittwoch, 14. November 2018

Aus der Dampflok einen ICE gemacht


Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer im Deutschen Theater Göttingen

Es ist durchaus ein Wagnis, dieses Werk auf die Bühne zu bringen. Schließlich hat jeder die Bilder der Augsburger Puppenkisten vor dem Erwartungshorizont. Das Deutsche Theater Göttingen hat das Wagnis aber auf sich genommen. Sein Familienstück funktioniert, weil es sich von der televisionären Vorlage abgrenzt.

Es ist ein Wagnis im doppelten Sinn. Auch der härteste aller Kritiker will mal den Jim und den Lukas live sehen. Trotz seines hohen Alters von fast 13 Jahren und der einstudierten Coolness eines Pubertiers will er einen Blick auf eines der schönsten Werke deutscher Jugendliteratur wagen.

Als der Vorhang sich hebt, verzaubert bereits der erste Anblick und die Musik von Michael Frei hat das Publikum schon vorbereitet. Es gibt Pop statt Volksmusik. Niemand singt das Lied von der Insel mit zwei Bergen und das ist auch ganz gut so. Die Inszenierung von Katharina Ramser macht sich so weit es geht frei von den Schablonen der Puppenkiste.

Die Bonzen haben nur kurze Zeit Oberwasser.
Alle Fotos: Thomas Müller
Auch im Bühnenbild von Michael Böhler sind keine zwei Berg zu sehen sondern der Laden von Waas, der übergeht in die Burg von Alfons den Viertel vor Zwölften, die übergeht in den Lokschuppen. Alles ist miteinander verwoben und verzahnt. Wer bisher nicht wusste, was Mikrokosmos bedeutet, dem sollte es spätestens jetzt klar sein.

Der kindlichen Hälfte sind soziologische Überlegungen egal. Eine ganze Insel auf 2 mal 5 Meter, schön übersichtlich, aber zuwenig Platz, das wird deutlich. Dann sind da noch die kleinen Gags, die entdecken kann wer will. Dazu gehört auch die Uhr, die immer auf Viertel vor Zwölf steht. Der Zeigefinger des härtesten aller Kritiker wandert über die Bühne.

Dann kommt Herr Ärmel ins Bild und auch Frau Waas. Herrlich, diese 50-er Jahre Klamotten. Daniel Mühe in mausgrau und unscheinbar, Katharina Müller im farbenfrohen Petticoat. Bei den Kostümen hat Stefani Klie ins Füllhorn gegriffen. Mit dieser Besetzung wagt Katharina Ramser den nächsten Bruch. Diese Frau Waas hat nicht gemeinsam mit der großmütterlichen Vorlage sondern ist lebensnah und tatkräftig.

Die Erzählung setzt mittendrin ein. Die Vorgeschichte klären Frau Waas und Herr Ärmel im Dialog. Diesen Kunstgriff macht die Dramaturgie von Jascha Fendel noch an einigen anderen Stellen und nicht immer so gelungen wie hier. Für Knopf-Experten mag dies gelegentlich zäh wirken, aber es ist ein probates Mittel, um die lange Geschichte auf kindgerecht 75 Minuten zu kürzen.

Nun betreten die anderen Akteure die Arena. Florian Eppinger gibt einen Lukas wie man sich einen Lokomotivführer wünscht, zupackend, handlungsorientiert und immer Kopf hoch. So einem möchte man gern zum besten Freund haben und Kinder brauchen das.

Die etwas verwirrten Charaktere scheinen die Lieblingsrollen von Gerd Zinck zu sein. Auf jeden Fall ist sein König Alfons recht planlos, ohne aber die Grenze zum Lächerlichen zu überschreiten. Marchal Impinga Rugano bringt die nötige Frische und Unbekümmertheit mit, um einen glaubhaften Jim Knopf zu spielen. Solch ein Junge zögert nicht lange, um mit seinem besten Freund in die Welt zu ziehen.

Ein Schwarz, schwärzer als Schwarz: Die Schule der
Frau Mahlzahn.
Ach ja, die Emma, die darf natürlich nicht fehlen und die Göttinger Emma ist so etwas wie die Exzellenz unter den Dampfloks. Still und zurückhaltend, aber immer präsent.

Damit beginnt der Reigen an wunderbaren Bildern. Die Reise über das Meer erweist mit dem Folien-Trick seine Referenz an die Puppenkiste. Das versteht nur die ältere Hälfte im Publikum und der anderen ist es egal. Die sieht eine Bühne in vertrauenswürdiges Blau getaucht und einen Jim Knopf und einen Lukas, die als Puppen in einer Mini-Emma über die Bühne gezogen werden. Das macht Appetit auf mehr.

Es ist eine zauberhafte und verzauberte Welt, durch die beiden Freunde da reisen. Das Bühnenbild zu China verschlägt dem härtesten aller Kritiker und seinem Vater erst einmal die Sprache. Das man soviel Exotik mit Augenzwinkern und Selbstironie auf die Bühne eines Stadttheaters bringen kann, macht schon sprachlos.

Die Inszenierung von Katharina Ramser hat aber auch die ordentliche Portion von Respektlosigkeit bewahrt, die viele Kinderbücher der späten 50-er und frühen 60-er Jahre auszeichnet. Der Einsatz der Unter- und Oberbonzen ist eine gelungene Farce auf Obrigkeitsdenken. Das erfreut sogar das Pubertier.

Aber der stärkste Auftritt, der mit Szenenapplaus belohnt wird, gehört einer Puppen, nämlich Ping Pong, dem 32. Kindeskind des Oberkochs. Das man so viel Leben in ein wenig Stoff, Styropor und Draht bringen kann, das begeistert. Überhaupt stört hier keine political correctness das Auslaben von Klischees.

Diese Inszenierung erhebt den Anspruch, ein Familienstück zu sein und diesen Anspruch erfüllt sie zur Gänze. Es gibt jede Menge Poesie für die Best Ager, Dramatik für die Eltern und Klamauk für die Jüngsten. Dazu gibt es Dramatik für die Best Ager, Klamauk für die Eltern und Poesie für die Jüngsten. Die Reihe könnte man noch fortsetzen

Ende gut, Alles gut und Lummerland wird auch noch
größer.       Alle Fotos: Thomas Müller
Egal welche Altersklasse, das Ballett der Geier überzeugt nicht nur choreographisch sondern für als Comedy, auch ohne Text. Absicht und Hoffen der Aasfresser wird auch der Generation U 13 klar. Aber auch hier bleibt die Grenze zur Lächerlichkeit unangetastet.

Ronny Thaleyer spielt den Halbdrachen Nepomuk mit mitreißender Inbrunst, dass man meint, selbst unter der dicken Maske noch das strahlende Lachen sehen zu können. Überhaupt liegt der Zauber dieser Aufführung dran, dass alle Akteure sehr viel Spaß am Spiel haben und diesen Spaß eben auch vermitteln und in das Publikum tragen können. Ein strahlendes Lächeln streift mehrfac über das Gesicht des ach so coolen Pubertiers. Es ist wohl der Blick zurück in eine Kindheit, die gerade zu Ende geht.

Schluss mit der Poesie, nun geht es in die Drachenstadt und die ist vor allem dunkel. Ein Schwarz, schwärzer als Schwarz, ein Schwarz, das alles Licht schluckt. Alpträume werden wahr. In dem höhlenartigen Bühnenbild blicken nur die gelben Augen von Frau Mahlzahn auf. Das wirkt nicht nur auf Kinder. Zumindest optisch ist dieser Drache ein Genuss.

Bis hierhin ist das Erzähltempo eher auf Dampflok-Niveau. Dem Publikum bleibt genug Zeit, unterwegs die zahlreichen Blumen zu pflücken. Der Text kann wirken und der härteste aller kritiker weiß das zu schätzen. Dann geht alles ganz schnell. Die Dampflok wird zum rasenden ICE und zwingt den Drachen in die Knie. Der Jubel ist groß und der Weg zum Happy End vorbereitet. Der zeigt sich im heiteren Ton eines 50-er Jahre-Musicals.

Alles wird gut, wenn du einen Freund hast, auf dem man sich verlassen kann. Und es ist gut, wenn du weißt, was du willst. Dann kannst du alle Gefahren der Welt bewältigen und die Platzproblem in Lummerland erst recht. Das ist die Mutmacher-Botschaft dieses Stücks. Dafür gibt selbst der härteste aller Kritiker eine klare Eins.




Material #1: Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer - Das Buch
Material #2: Michael Ende - Die Biografie

Material #3: Deutsches Theater - Die Website
Material #4: Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer - Das Stück


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