In Goslar zeigt er Werke, die Distanz schaffen
Seit dem Auftritt von Christo hat keine Werkschau in Goslar solch ein Aufsehen erregt. Dieter Nuhr stellt dort aus unter dem Titel „Du denkst an durchfahrene Länder“. Es geht um Menschen und Landschaft, denen der Mann vom Niederrhein auf seinen Reisen um die Welt begegnet ist.
Zur Vernissage am 21. Juli war der Garten im Mönchehaus Museum bis auf den wirklich allerletzten Platz belegt. Direktorin Bettina Ruhrberg und Dieter Nuhr machten im Einführungsgespräch deutlich, dass man den Kabarettisten und Künstler voneinander trennen sollte, auch wenn es nicht immer gelingt. Schließlich geht es um zwei Seiten derselben Person.
Dieter Nuhr begann sein Studium als Kunstlehrer 1981 an der Folkwangschule in Essen. Er wollte Künstler werden, sein Vater bestand auf den Lehrer. ein typischer Kompromiss für die alte Bundesrepublik der 70-er und 80-er Jahre. Dass er dann Kabarettist geworden ist, bezeichnete er als Unfall und dann als Glücksfall. Die Bühnenerfolg sicherten die ökonomische Basis für die künstlerischen Tätigkeiten.
Das dürfte seit geraumer Zeit nicht mehr nötig sein. Nuhrs Bilder und Zeichnung laufen wie geschnitten Brot. 55 Ausstellungen in den letzten 11 Jahren grenzen an Hyperaktivität. Seinen verspäteten Einstieg in das Ausstellungsgeschäft bezeichnet er als Zufallsprodukt aus dem Jahr 2008.
Kunst und Kabarett, das will er eindeutig getrennt sehen. Das Mittel der Politik ist das Wort, das eindeutige Argument. Die bildende Kunst arbeitet mit dem Bild, mit dem Eindruck. Sie entzieht sich dem Eindeutigen und lässt mehreres zu. Das ist kein Eskapismus, sondern ein anderer Zugang zur Welt, eine andere Sichtweise, die der anderen vorgelagert ist.
Er mahnt auch zur Vorsicht. Das Wort ist an die Ratio gerichtet und damit eindeutig, das Bild wird an die Emotion gesendet und ist damit manipulativ
Nuhrs Bilder sind die Produkte seines Fernwehs. "Ich reise so gern, weil es die Distanz zur Heimat schafft", lautet eine seiner Erklärungen. Die Ferne schafft eine neue Perspektive auf Gewohntes, relativiert dessen Bedeutung und rückt vieles zurecht. Deswegen wohnt seinen Bildern auch etwas Meditatives inne.
Alles nur kein Vorbild
Dann wird Dieter Nuhr doch politisch und korrigiert das "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen" der Oberbürgermeisterin. "Deutschland ist vieles, aber kein Vorbild für die Welt. "Der westliche Paternalismus hat in den letzten 60 Jahren viel Unheil in Afrika angerichtet", nennt er ein Beispiel.
Er korrigiert auch noch Aussage von Ruhrberg zum Anthropozän, des vom Menschen gemachten Zeitalters. Nuhr steckt tiefer in der Materie, als viele, die ihn angiften. Sein Diskurs ist aktueller als deren Argumente.Reisen hat für Nuhr auch einen innere Funktion. Es Teil eines lebenslangen Prozess der Veränderung und des Lernen. Reisen schafft Begegnungen und Austausch. "Man geht dann auseinander und weiß, dass es einmalig war, dass man sich nie wieder treffen wird, aber es ist gut so", betont er. Visitenkarten oder Kontaktdaten tausche man in solchen Momenten nicht aus.
Ständige Veränderung
Das mit der ständigen Veränderung meint er ernst. Die Werkschau "Von Ferne umgeben" ist seit zwei Jahren auf Tour, aber die Ausstellung im Mönchehaus in Goslar ist doch einzigartig. Seit 2022 sind einige Werke hinzugekommen, andere nicht zu sehen. Wer den Katalog kauft, wird dies feststellen. Im Gespräch betonten die Direktorin und der Künstler, dass die Exponate in dieser Zusammenstellung nur in Goslar zu sehen sind. „Du denkst an durchfahrene Länder“ ist eine eigenständige Ausstellung, kein Ableger, kein Duplikat.
Es sind digitale Werk. Nuhr übermalt und überarbeitet und collagiert seine digitalen Fotos durchweg am Tablet. Er bringt Farbigkeit hinein und entzieht sie wieder. Teile eines Bildes werden zum Werkzeug für andere Bilder. Mitunter besteht ein Werk aus mehr als 100 Ebenen und zum Schluss hat er sich weit entfernt vom Ausgangspunkt.
Die Ausstellung ist thematisch zweigeteilt. Dominiert wird sie von den monumentalen Panoramabilder. Sie zeigen menschenleere Landschaft. Ihr Gigantismus wirkt auf den ersten Blick kontemplativ. Aber man sollte näher herantreten und sich Zeit nehmen für die Blicke ins Detail. Der Wechsel von Gesamtperspektive und Detailtreue erlaubt es, sich in die Exponate zu versinken.
Das vermeintlich Bekannte ist bis an die Grenze verfremdet und zwingt deswegen zum Reflektieren und Neudenken. Manches ist rau und grob wie eine Cyanotypie. Anders mutet an wie eine Direktbelichtung, wie ein Papiernegativ. Auf dem Höhepunkt der Digitalen wird der Betrachter zurückgeworfen in die Anfänge der Fotografie.
In der Einführung macht Dieter Nuhr keinen Hehl aus seiner anfänglichen Skepsis dem Ausstellungsort gegenüber "Meine Bilder in einem Fachwerkbau, so etwas Großes in solch einem kleinteilige Gebäude, ich habe nicht gedacht, dass das funktionieren kann. Nun bin ich selbst überrascht", muss er zugeben.
Das eigene Kontrastprogramm
Kabarett und Kunst, zwei Seiten derselben Person. Landschaften und Portraits, zwei Seiten des Reisens. Auch das ist eine Goslarsche Spezialität auf dieser Tournee. Im Mönchehaus ist ein eigener Raum den Portraits gewidmet, die Nuhr aus seinen Fotos zieht.
In lauten Zeiten überrascht er mit Sensibilität. Durch die weitgehende Abstraktion zieht er die Menschen aus ihrem Kontext. Das Motiv wird zum Individuum und ist nicht mehr Teile einer touristischen Staffage. Es wird nicht zum Objekt, sondern bleibt Subjekt weil der Mensch zugleich durch die grobe Strichführung als Person geschützt wird. Trotzdem legt Nuhr frei, was den Menschen, was die Menschen ausmacht.Die Farbigkeit verschwindet zugunsten von schwarz-weiß. Mit der fortschreitenden Reduktion zeigt Nuhr, aus welch vielen Teilen der Kern des Menschsein besteht. Hinter dem Gelegenheitszyniker Nuhr steckt der Menschenfreund in Vollzeit. Dieses Prinzip tritt in den neueren Exponaten immer weiter in den Vordergrund und damit ist die Werkschau auch im dritten Jahr immer noch ein Prozess der Veränderung. Also bietet dieser intime Teil der Ausstellung den persönlichen Zugang zum bildenden Künstler Dieter Nuhr.
Eine weitere Besonderheit kann Bettina Ruhrberg bei der Einführung noch stolz präsentieren. Bei allen digitalen Werken gibt es in Goslar eine analoge Premiere. Dieter Nuhr hat die Ausstellung im Mönchehaus um zwei Bleistiftzeichnungen von Menschen in traditioneller Technik ergänzt. Es war ihm wohl ein besonderes Anliegen.
Die Daten
"Von Ferne umgeben" ist noch bis zum 22. September im Mönchehaus in Goslar zu sehen. Geöffnet ist die Ausstellung dienstags bis sonntags von 11 17 Uhr. Das Museum befindet sich in der Mönchetraße. Zum Bahnhof sind es zu Fuß 900 Meter. Die nächstgelegene Bushaltestelle ist in der Marktstraße. Parkplätze gibt es vor Ort nur für Anwohner.
Derzeit läuft im Mönchehaus noch ein weitere Ausstellung mit Werken des mystischen Grafikers Friedrich Schröder- Sonnenstern.
Verlinkt: Das Museum Mönchehaus in Goslar.
Verlinkt 2: Mehr Bilder gibt es hier.
Verlinkt 3: Das Interview zur Ausstellung gibt es hier.