Die Internationalen Händel-Festspiele Göttingen werden auch in diesem Jahr nicht zum gewohnten Termin rund um Pfingsten stattfinden. Das Festival wurde auf den September verlegt.
Herr Wolff, wie schwer ist Ihnen die Entscheidung zur Verschiebung gefallen?
Nicht so schwer wie die Entscheidung im letzten Jahr. Die Situation war zu erwarten. Wir haben mit dem Aufsichtsrat seit Dezember immer wieder getagt. Und weil die Impfungen nicht so schnell vorangehen wie erhofft, haben wir uns nun zu diesem Schritt entschieden. Dabei spielen die Reisebeschränkungen für unsere Künstlerinnen und Künstler und auch unsere Gäste eine weitere Rolle. Niemand kann absehen, wie diese sich in den nächsten Wochen entwickeln. Zudem fehlen uns von einigen Spielstätten noch die Zusagen. So konnten wir den geplanten Vorverkauf im März nicht starten. Wir hätten bestenfalls regionale Händel-Festspiele feiern können. Aber das ist nicht unser Anspruch. Wir wollen ein internationales Festival sein.
Was erwartet uns dann im September?
Hoffentlich Händel-Festspiele mit Festival-Atmosphäre. Dazu gehört ein Beisammen sein, gemeinsames Anstoßen, Künstler zum Anfassen und die Möglichkeit, Gespräche führen zu können. Denn schließlich verkaufen wir zu 30 Prozent Festivalstimmung. Ohne die geht es nicht. Zudem möchten Laurence Cummings und ich einen gebührenden Abschied feiern. Also war “Keine Händel-Festspiele” keine Option. Wie es konkret aussehen wird, das hängt auch davon ab, wie schnell die Impfungen vorankommen
Tobias Wolff wird im September dabei sein, die Stadthalle nicht. Foto: Archiv |
Sie werden also im September noch dabei sein?
Wir beide, Laurence Cummings und ich, werden wiederkommen und dabei sein. Zwar beginnt meine neue Tätigkeit in Leipzig im Sommer. Aber ich habe bereits eine Nebentätigkeitserlaubnis seitens der Stadt Leipzig erhalten.
Es ist ja auch eine besondere Situation für Jochen Schäfsmeier, meinem Nachfolger. Zwar hatten wir für ihn eine lange Einarbeitungszeit eingeplant, aber bisher konnte er noch keine Händel-Festspiele erleben. Und das Programm des Vorgängers zu übernehmen, macht ja auch keinen Spaß.
Wie stark wird die Corona-Krise die Kulturszene verändert?
Ich bin überzeugt, dass die Veränderungen sehr groß sein werden. Kein Veranstalter und keine Künstlerin oder Musiker wird sich noch auf die bisherigen „just in time“- Gepflogenheiten einlassen. Gestern Tokio, heute Göttingen und morgen New York, das wird es nicht mehr geben. Wir haben gelernt, wie empfindlich auch in der Kultur die Lieferketten sind. Diese funktionieren eben nur dann, wenn es keine Störungen gibt.
Auch wir als Veranstalter müssen uns Gedanken über Nachhaltigkeit machen. Wie sagte schon Churchill? Verschwende keine gute Krise. Wir werden uns von einigen Gewohnheiten verabschieden und Dinge hinterfragen, die wir bisher für selbstverständlich gehalten haben. Brauchen wir noch ein gedrucktes Programm? Diese Frage hätte man sich ohne Corona vielleicht erst später gestellt. Viele Antworten scheinen nun klarer.
Wie wird sich die Krise auf die Musik auswirken?
Es zeichnet sich schon jetzt ab, dass es weniger Künstlerinnen und Künstler geben wird. Vermutlich werden wir das erst zu spüren bekommen, wenn die etablierte Generation in etwa 10 Jahren in den Ruhestand geht. Bis dahin wird das Defizit eventuell ein wenig abgefedert. Allerdings werden auch die Hochschulen überlegen müssen, ob und wie sie weiterhin ausbilden wollen. Zudem wird es für junge Menschen in Zukunft wesentlich schwerer sein, den Berufswunsch „Sängerin“ oder „Musiker“ vor den Eltern zu rechtfertigen.
Die klassischen Gräben zwischen der freien Szene und den öffentlich durchfinanzierten Häusern konnten in den letzten Jahren überbrückt werden. Das hatte den Kulturbetrieb durchaus befriedet. Aber während die Musikerinnen und Musiker in den öffentlichen Häusern von Kurzarbeit profitierten, hat die freie Szene seit fast einem Jahr keine Einkünfte mehr. Das reißt alte Gräben auf und lässt Verteilungskämpfe wieder aufleben. Und zwar nicht erst, wenn mit deutlich weniger Mitteln die kommunalen Haushalte neu aufgestellt werden.
Auch Laurence Cummings möchte einen festlichen Abschied geben. Foto: Händel-Festspiele |
Folkert Uhde hat einen völlig neuen Musikbetrieb vorhergesagt. Wie lange wird es dauern, bis sich Normalität einstellt?
Die Krise wirft sehr lange Schatten. Wie groß die Schäden sein werden, kann ich nicht abschätzen. Es wurde auch viel Geld ausgegeben, um die schlimmsten Folgen abzufedern. Aber irgendwann wird bei Ländern und Kommunen gespart und die Erfahrung zeigt, dass in solchen Situationen immer zuerst bei der Kultur gekürzt wird.
Die Internationalen Händel-Festspiele Göttingen stehen aktuell vergleichsweise stabil da. Sorgen machen mir aber die Kulturinitiativen in der Fläche. Da brechen auch Strukturen weg. Diese Initiativen sind auf Ehrenamtliche angewiesen, die meist etwas älter sind. Ich denke, dass es noch schwerer wird, in den nächsten Jahren Menschen für ein kulturelles Ehrenamt zu motivieren.
Ist die Digitalisierung die Chance für den Konzertbetrieb?
Der digitale Raum ist kein Ersatz für die Atmosphäre eines Live-Konzertes, aber wir müssen den digitalen Raum ernst nehmen. Die ersten und schnellen Lösungen, die wir im vergangenen Jahr dort präsentiert haben, konnten sicherlich nur zum Teil überzeugen. Wir werden die digitalen Formate weiter ausbauen. Es wird aber schwer werden, auf diesem Wege Einnahmen zu generieren. Vor allem denke ich auch, dass dabei die Verbundenheit zum Beispiel über die Region eine große Rolle spielen wird, wenn es darum geht, für Streaming oder ähnliche Angebote ein Publikum zu gewinnen.
Was bleibt für ihren Nachfolger?
Herr Schäfsmeier hat wirklich erschwerte Startbedingungen. Erst konnte er trotz langer Vorlaufzeit keine Festspiele erleben. Nun muss er gewissermaßen parallel zu den Vorbereitungen auf den Herbst schon sein erstes Festival vorbereiten. Denn im Mai 2022 wird es hoffentlich wieder reguläre Händel-Festspiele in Göttingen geben.
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