Montag, 30. September 2019

Mut nur zur Hälfte belohnt

Großartiges Konzert zum Abschluss

Musik großartig, Zuspruch eher mau. Der Mut von Intendant Anselm Cybinski wurde nur zum Teil belohnt. Das dreiteilige Konzert "Die Dunklen hört man doch"war ein großartiger Abschluss der Niedersächsischen Musiktage 2019. Doch im Opernhaus Hannover blieben sehr viele Stühle frei. Das ändert aber nichts an der Leistung der Künstler und an Begeisterung der Anwesenden. Für diese war es ein Ereignis, dass die Grenzen des Konventionellen überschritten hat.

Michael Nyman ist ein Altmeister der Grenzüberschreitung. Der Brite mischt seit Jahrzehnten Elemente aus sogenannter E- und U-Musik. Dabei stellt er sich auch mal gegen den verkopften Mainstream. Bekannt wurde Nyman vor allem durch seine Kompositionen für die die Filme von Peter Greenaway.

Teil eins

Unter dem Titel "Noises, Sound  & Sweet Airs" stehen Ausschnitte aus dem Soundtrack zu "Prospero's Book" auf dem Programm. Es ist gewissermaßen eine szenische Singung. Kaum hat das Niedersächsische Staatsorchester Platz genommen, gehen die Nebelmaschinen an. Dazu schwenkt das Licht auf lila um. Vor dem schwarzen Hintergrund entsteht eine Szene, die an die dunkle Magie des Films erinnert.

Die Solisten betreten die Bühne. Gehüllt in Kostüme, die an barocke Pracht erinnern sollen. Sie nehmen Aufstellung. Dirigent Eduardo Strausser geht in Position. Doch der Vortrag beginnt nicht ehe die Kerzenleuchter leuchten. Hier ist alles inszeniert.

Sänger im Leuchter und viel Lila.
Foto: Krückeberg
Dann legen die Streicher einen Teppich und Nikki Treuermiet setzt mit einen reduzierten Sopran. NIna van Essen nimmt mit ihrem Mezzosopran den Faden auf. Sie sind Miranda und ihr Vater Prospero. Das Glockenspiel beendet den ersten Wechselgesang, aber die Entfremdung zwischen den beiden ist schon jetzt klar.

Nach den Holzbläsern beginnt es von vorn. Ihr Vortrag liegt irgendwo zwischen engelsgleich und sirenenmäßig, schließlich zieht in Shakespeares Vorlage ein Sturm herauf. Das ist Drohung in Musik umgesetzt

Dieses Duett bestimmt den ersten Teil des Abends. Treuermiet und van Essen ergänzen sich sowohl im Wechsel als auch im Gleichklang perfekt, im Belcanto ebenso wie im Staccato. Damit setzen sie Nymans Idee, dass eine Rolle nicht an eine Person gebunden ist, sondern der Text im Vordergrund steht, in idealer Weise um. Dann gehen die Streicher ins Staccato  über und auch Rupert Charlesworth darf ein Stück Prospero übernehmen.

Es ist ein Auf und Ab und ein Hin und Her. Die ständigen Tempi-Wechsel stellen hohe Anforderungen an die Musiker. Aber das Dirigat von Eduardo Strausser bleibt wohltuend zurückhaltend. Das Kopfkino geht an und zeigt Szenen aus Greenaways Film. Musik. Licht und Nebel erinnern an die dunklen, verstörenden und opulenten Bilder des britischen Regisseurs.

Zwischendurch werden die Kerzen gelöscht und wieder angezündet. Die Sänger drehen dem Publikum auch mal den Rücken zu. Alles ist inszeniert, aber eben stimmig. Damit ist der Applaus zur ersten Pause mehr als gerechtfertigt.

Teil zwei

Mut hat Julia Wolfe mit ihrem Werk "Anthracite Fields" bewiesen. Wider dem Zeitgeist hat sie den Bergarbeitern in ihrer Heimat in Pennsylvania damit ein musikalische Denkmal gesetzt. Für das Requiem der Industriegeschichte wurde sie 2015 mit dem Pulitzer Music Award belohnt.

Wie Nyman hat auch Wolfe die Minimal Music längst hinter sich gelassen. Ihr opulentes Werk kombiniert Dissonanzen und Rhythmik mit vielen Spielarten der Vokalmusik. Die Videoinstallation bedeutet eine neue Ebene und gibt dem Gehörten ein Gesicht oder auch viele Gesichter.

Mit den "Bang on a Can All-Stars" konnte Cybinski ein Top-Ensemble verpflichten. Schließlich gelten die New Yorker als Spezialisten für die Bereiche zwischen Klassik, Jazz, Weltmusik und sonstigen Experimenten.

Doch gefordert ist an diesem Abend vor allem der NDR Chor. Es gibt viel Text, der durch alle Varianten des Gesangs gejagt wird.  Im Staccato des ersten Satz zählen die Sängerinnen und Sänger hunderte von Namen auf. Sie haben zwei Dinge gemeinsam. Alle tragen sie den Vornamen John und alle sind in den Minen von Pennsylvania ums Leben gekommen. Die Monstrosität liegt im Nicht-Gesagten. Wenn es schon so viele tote Johns gibt, wie sieht es dann mit den Michaels oder den Peters aus?

Der Gesang wirkt begleitet von sägenden Streichern. Doch am meisten muss David Cossin arbeiten. Als Industriestück ist "Anthracite Fields" von schnellen Rhythmen geprägt und das verlangt viel Einsatz am Schlagwerk. Es schimmert viel Expressionismus des jungen Orffs durch.
Dann gleitet des Gesang ins Sakrale ab. Gregorianik und Madrigale schimmern durch. Die neue Religion fußt auf dem Leben Tausender.

Die Opfer bekommen Gesichter, es wird emotional.
Foto: Krückeberg
Dazu werden die Fotos von Bergarbeitern an die Wand projiziert. Die Opfer bekommen Gesichter. Die schwarz-weiß Fotos zeigen Männer zwischen Zuversicht, Stolz und Schmerz. Damit kommt eine emotionale, fast greifbare Ebene in den Vortrag. Die Kopfsache Industriegeschichte rutscht in den Bauch.

Im zweiten Satz steiger sich das Tempo. David Cossin schlägt seine Sticks im rasanten Tempo aufeinander. Dabei hält er immer noch einen Dreivierteltakt. "Breaker boys" erzählt von den Kindern, die die frisch geförderte Kohle in der Hütte aufbrachen und sortierten. Auch dieser Job war nicht nur hart sondern auch lebensgefährlich. Deswegen verschiebt sich der NDR Chor wieder ins Sakrale.

Das Video zeigt Kinder ohne Kindheit. Manche von ihnen sind gerade 10 Jahre alt. Ihre Gesicht  wirken wie die der Erwachsenen: Eine Mischung aus Stolz, Trauer und Schmerz. Doch aus der soziologischen Betrachtung wird hier Beklemmung.

Über den Arbeitskampf in "Speech"  und die industrielle Produktion geht es in "Flowers" um den erarbeiteten Wohlstand. Die Dissonanzen sind verschwunden. es bleibt das Staccato des Industrial Sounds. Im fünften Satz auf der NDR Chor eine vielschichtige Idylle auf. Die Stimmlagen laufen mal miteinander, mal gegeneinander. Aber alle zählen sie die Annehmlichkeit des Lebens auf, dessen einziger Zweck das Backen eines Kuchens zu sein scheint.

Vor dem Happy End kommt der Break. Kurze Pause und dann wird das Thema des zweiten Satzes wiederaufgenommen. Die "Breaker Boys" sind wieder da. Ihre Gesichter starren in das Publikum. Ein eindrucksvoller Schluss. Der Wohlstand beruht auf dem Elend der Kinder in Minen von Pennsylvania. Heute auch noch.

Zum Schluss

Friede den Hütten, Musik den Palästen.
Foto: Kügler
"Garofani rossi" ist recht neu. Erst im August kam das Programm von Daniele di Bonaventura auf dem Markt. Zusammen mit seinen drei Kollegen von Band'Union hat der Italiener zehn Lieder der Arbeiterbewegung und des Widerstands gegen die Diktaturen neu interpretiert. Das dominierende Bandoneon gibt den Material den Stallgeruch des Proletariats. Schließlich ist die Heimat diese Instruments die Gruben des Erzgebirges. Aber mehr als dieser Hauch wird es es nicht.

Mit dem Verzicht auf Gesang haben Bonaventura und seine Kollegen den Material den Zahn gezogen. Das wirkt an vielen Stellen gefällig und nicht kämpferisch. Da ist zuviel Kopf und zu wenig Bauch. Es ist der Soundtrack für Salonbolschewisten und andere Rollkragenpullover. Das ist zu gefällig und der Mitsumm-Faktor zu hoch.

Aber für einen beruhigenden Abschluss dieses beeindruckenden Abends ist es bestens geeignet. Damit zündet die Dramaturgie.


   



Material #1: Die Musiktage - Das Zuhause
Material #2: Die im Dunklen hört  ... - Das Konzert


Material #3: Michael Nyman - Die Biografie
Material #4: Julia Wolfe - Die Biographie
Material #5: Garofani rossi - Das Album der Woche


Spaß zwischen Vergangenheit und Zukunft

Die Couchies lassen die Scheune beben

Die Gewissheit, dass Jazz auch ohne Oberstudienrat-Appeal geht und dass ein Teil der Zukunft in der Vergangenheit liegt, waren die verkopften Erkenntnisse. Ansonsten hat das Konzert der Couchies einfach nur Spaß gemacht. Im Landgasthof Sindram gab es mitreißende Musik und hintersinnige Moderation.

Das Trio aus Berlin war im Rahmen der Niedersächsischen Musiktage Gast der Sparkasse Osterode. die hat mit der mutigen Auswahl einen echten Treffer gelandet. Der Clash of Cultures zwischen den Hauptstädtern und den Landbewohner bleibt aus. Musik verbindet eben. Gemeinsam feiert man die Freude am Leben.

Dazu trägt auch die ungewöhnliche Raumkonstellation zu. Wie der Name andeutet, bestreiten Couchie Couch, Hank Willis und Colt Knarre ihre Konzert von einem Sitzmöbel aus. Das sorgt in der Sindram Scheune für ein Plus an Heimlichkeit. Es gibt keine Barriere zwischen Musiker und Publikum und das trägt zur Entspannung und Verbrüderung bei.


Die Drei von der Swingstelle.
Alle Fotos: Kügler
Egal, ob Berlin oder Göttingen oder sonstwo. Der Swing und die Musik vergangener Tage feiern ein unerwartetes Comeback. In den Clubs der Region und der Republik wimmelt es mittlerweile an beswingten Tanzveranstaltungen. Wer einen Blick auf den Konzertkalender der Couchies wirft, merkt schnell, dass die Berliner ein Teil des Hypes sind. Wie der Auftritt in Uehrde gezeigt, sind sie das aus gutem Grund.

Dabei hat ihr Swing nichts bis gar nichts mit den Klischees zu tun. Hier sitzen keine Musiker in Glitzersakkos hinter Notenpulten. Ihre Kostümierung spiegelt den Alltag der 20-er und 30-er Jahre wieder. Man bemüht sich um Authenzität mit einem deutliche Augenzwinkern.

Nichts ist Ernst und alles darf Spaß machen, dafür sprechen schon die Künstlernamen. Seit zehn Jahren liegt der Jammer-Pop über dem Land. Die Couchies sind das passende Gegengift gegen die professionell gepflegte Depression.

Doch die Couchies sind gar keine Swinger, zumindest keine puren. In ihren Mix fließt Blues ebenso ein wie Balkan Beats, Klezmer, Chansons und Couplets. Dabei gibt es für das Publikum keine Eingewöhnungphase. Von der ersten bis zur letzten Minute machen die Drei reichlich Tempo.

Mit Gitarre legt Couchie Couch die Basis. Ihr Spiel hat eine Menge Gypsy Swing intus.Darüber darf Hank Willis mit Geige oder Mandoline fantasieren. Colt Knarre spielt einen rhythmusbetonten Bass. Nur selten darf an diesem Abend zu einem Solo ansetzten. Das Mikrofon bleibt meist dem Mann an der Geige überlassen. die anderen Beiden machen meist die Background Vocals. Mit diesem Konzept klingt das Trio voll und voluminös wie eine ganze Big Band.

Zum Schluss singt die Nachtigall. 
Foto: Thomas Kügler
Bei "Loose all your Blues" setzt Hank Willis am Mikrofon dann zum Huhn-Solo an. Schon mit dem ersten Gegacker hat er das Publikum auf seiner Seite. Es geht hin und her und Hank Willis steigert sich immer weiter. Spätestens bei der Eigenkomposition "Wodka rein, Wodka raus" ist das Band zwischen Musikern und Zuhörern auf ewig geknüpft. Die Scheune bebt. Gemeinsam trinkt und singt man sich durch den Refrain in der Endlosschleife.

Warum Couchie nicht häufiger singt an diesem Abend bleibt wohl ein Geheimnis. Ihr Alt hat eine dunkle Färbung wie einst Zarah Leander oder auch Alexandra. Dass sie bei "Honey Suckle Rose" ins Comic-hafte kippt, zeigt nur die Respektlosigkeit gegenüber den Übervätern des Jazz. Doch ihr "Sing, Nachtigall, sing" ist der passende Abschluss eines großartigen Abends.

Denn Couchies gelingt es, die Unbeschwertheit früherer Tage wiederzubeleben. Weil dabei dem Swing neue Impulse verpassen, versinken sie nicht im Retro. Dafür gibt es reichlich Applaus an diesem Abend.








Material #1: Die Musiktage - Die Website
Material #2: Die Couchies - Das Konzert

Material #3: Die Couchies - das Zuhause





Sonntag, 29. September 2019

In Schönheit sterben

Madama Butterfly im Theater Nordhausen

Gefällig und opulent, Sänger der Extraklasse, ein Schmaus für Augen und Ohren und eine Inszenierung ganz im Sinne authentischer Aufführungen. Das Theater Nordhausen zeigt eine "Madama Butterfly", die der Tradition verpflichtet ist. Dafür gab es bei der Premiere am Freitag donnernden Applaus.

Ein amerikanischer Marineoffizier kommt zur Jahrhundertwende nach Japan, nimmt Haus und Frau in Besitz, schwängert sie und setzt sich dann wieder in die Heimat ab. Drei Jahre später kehrt er mit seiner amerikanischen Frau zurück und will seinen Sohn mit in die Staaten nehmen. Die Mutter kann die Schmach und die seelische Pein nicht mehr ertragen und tötet sich selbst im Angesicht des Kindes. Das ist die Kurzversion, aber in Puccinis Oper steckt noch viel mehr. Sie ist fast schon eine Vorschau auf die Konflikte, die die Welt mehr als hundert Jahre nach der Uraufführung beschäftigen.

Die Musik setzt klassisch mit einer Fuge ein. Doch die gewohnten Töne werden bald um ein Hauch Fernost ergänzt.  Das Bühnenbild von Wolfgang Kurima Rauschning schwelgt in japanischen Fantasien. Ein großes Tor ist umrankt von Vögeln. Als Kyaunghan Seo als F.B. Pinkerton und Marian Kalus als Heiratsvermittler Goro die Bühne betreten, öffnet sich das Tor und gibt den Blick frei auf ein japanisches Haus.

Bild aus glücklichen Tagen: Pinkerton und Butterfly.
Alle Fotos: Marco Kneise
Dieses dreht sich im Laufe des Abends mehrfach und zeigt seinen einzigen Raum. Es fährt nach vorne, rückt dem Publikum auf die Pelle und verengt den Raum. Dann fährt es wieder nach hinten und macht Platz. Leider wird nicht klar, welchen Kriterien diese beeindruckende Choreographie folgt.

Auch wären zwei Meter weniger mehr gewesen. Das übermächtige Element beherrscht die ganze Bühne. Alles konzentriert sich auf diese Stätte und es ist kein Raum für Geschehen am Rande. Alles fokussiert sich auf die Titelfigur.

Die Ausstattung orientiert sich an den Idealen der Entstehungszeit. Die Kostüme sind opulent und authentisch. Sie bemühen sich darum, den Schritt vom 19. ins 20. Jahrhundert zu verdeutlichen. Hier die praktisch gekleideten Amerikaner als Symbol einer dynamischen Klasse, dort die Japaner, deren Kleider das Erstarren in Konventionen und Regeln begreifbar macht.

Dazwischen steht Goro als östlich-westliche Chimäre. Er ist ein kleines Teufelchen mit dem Charme eines Vorstadtzuhälters. Er verdient sein Geld damit, Frauen zu verkaufen. Diese Figur wurde von Marian Kalus fein herausgearbeitet.

Eindrucksvoll führt sich Jaco Venter als Konsul Sharpless ein. Der Bariton verfügt über eine beachtliche Dynamik, die sich gelegentlich zu deutlich bemerkbar macht. Aber gerade im zweiten Akt zeigt Venter, dass er auch die leisen Töne beherrscht.

Doch die Überraschung des Abends ist Kyaunghan Seo. War sein Vortrag in den bisherigen Produktionen doch recht technisch, so hat er nun Gefühl und Pathos entdeckt. Diese kann er mit Stimme und mit Schauspiel auch vermitteln.

Zum Schluss bleibt nur der Suizid.
Alle Fotos: Marco Kneise
Doch Star des Abends ist ohne Frage Hye Won Nam in der Titelrolle. Ihr Sopran beeindruckt mit Dynamik und einen klaren Vortrag. Da findet sich selbst in den höchsten Tönen kein Zittern. Glasklar und lupenrein.

Diese musikalischen Qualitäten ergänzt sie mit darstellerischen Fähigkeiten. Sie hat die Butterfly schon an anderen Häusern gespielt und kann dementsprechend auf Erfahrung in dieser Rolle bauen, ohne allzu routiniert zu wirken. Ihr Vortrag bleibt frisch und mit dieser Besetzung ist Regisseurin Annette Leistenschneider ein Glücksgriff gelungen. Das ist es nur konsequent, wenn sich der Großteil der Inszenierung um das Seelenleben der Protagonistin dreht.

Die Duette mit Kyaunghan Seo lassen das Publikum im ersten Akt in tiefer Liebe schwelgen. Ihre Sol im dritten Akt erzeugen Gänsehaut. Vor allem in der Schlussszene gelingt Hye Won Nam eine beeindruckende Leistung. Ihr Freitod auf dem Futon, mit dem passenden Licht inszeniert, ist das stärkste Bild in dieser opulenten Aufführung.

Was der Inszenierung sicherlich gut getan hätte, wäre ein wenig mehr an Zuspitzung und Dramaturgie. Schließlich ist Puccinis Werk reich an Themen. Da sind die Landnahme und der Imperialismus, der Zusammenprall unterschiedlicher Welten, die verkruste Gesellschaft, die keine Antworten findet auf die neuen Herausforderungen, die Neuorientierung, die in Einwurzelung endet und nicht zuletzt die nicht existenten Rechte der Frauen. Diese werden wie Waren zwischen Japanern und Amerikaner hin- und hergeschoben. Doch leider streift diese Inszenierung diese Problemfelder bestenfalls mit kleinen Symbolen wie den verkohlten "Stars and Stripes". Was bleibt, sind Videosequenzen mit jeder Menge Weichzeichner.

Exotik und exzellente Hauptdarsteller, dazu ein herzzerreißende Geschichte und ein opulentes Bühnenbild erzeugen einen starken Eindruck. Somit ist die Begeisterung des Publikums gerechtfertigt.







Material #1: Theater Nordhausen - Der Spielplan
Material #2: Madama Butterfly - Die Inszenierung


Material #3: Madama Butterfly - Die Oper 


Montag, 16. September 2019

Pilgertour durch die Kirche

Tenebrae begibt sich musikalisch auf den Jakobusweg

Ungewöhnlich, beeindruckend und herausfordernd und trotzdem ein Erlebnis. Der Tenebrae Choir gastierte im Rahmen der Niedersächsischen Musiktage in der St. Sixti-Kirche. Das Publikum bedankte sich mit donnernden Applaus.

Das 18-köpfige Ensemble gilt als eines der besten weltweit. Hier setzt der ehemalige King's Singer  Nigel Short seine Vorstellungen von aktueller Chormusik um. Das Programm "Path of Miracles" ist gewissermaßen eine Auftragsarbeit an Joby Talbot. Der Komponist hat hier seine Erfahrungen auf dem Jakobsweg in Musik umgesetzt.

Zehn Männer stehen im Kreis auf den Stufen zum Altar. Aus ihrer Mitte ertönt ein Ton, leise und tief und knapp an der Grenze der Hörbarkeit. Dieser archaische Klang kommt tief aus der Vergangenheit der Menschwerdung. Er wirkt nicht über die Ohren, er dringt über das Zwerchfell zum Publikum vor.

Aus einem Ton werden viele. Sie schwellen an, beschleunigen sich im Wechsel und erhöhen die Tonlage. Es ist wie ein musikalischer Tornado. Trotzdem wirkt er meditativ und aus dieser Spannung bezieht der Klang seine Faszination. Solch einen Klang in dieser Harmonie zu erzeugen, das verlangt den Sängern schon einiges ab.

Nicht viel zu sehen, aber viel zu hören: Tenebrae
in St. Sixti Nortehim.     Foto: Thomas Kügler
Gerade eine Balance gefunden, da grätschen von der Empore die Soprane rein. Wie ein Keil fahren die hohen Stimme in den Ring und spalten ihn. Das ist ganz großes Klangerlebnis.

Dann findet sich der Chor auf den Stufen zusammen. Es entsteht aber keine Einheit sondern eine Harmonie in der Vielfalt. Das Programm hat eine babylonisches Gewirr angekündigt. Hier findet es sich in den vielen Stilen und Tonlagen. Kanon trifft auf Gregorianik, Madrigale und Barock, dazu kommt eine Portion Andalusien, Orient und galizische Volksmusik. Manche Stimme läuft Treppen im Schweinsgalopp rauf und runter, manche ruht in sich selbst. In diesem Gewirr noch die Übersicht und die eigene Linie zu behalten erfordert ein höchstes Maß an Koordination.

Dieses Konzept ist sicherlich außergewöhnlich und verlangt dem Publikum einiges ab. Sich darauf einzulassen  lohnt sich allemal und wird belohnt.

Es ist eine unüberschaubare Vielfalt, die sich doch immer wieder auf einen gemeinsamen Nenner einigen kann, die geeint wird durch das spirituelle Erlebnis. Das ist die Klammer die den ganzen Abend bestimmt.

Talbot hat sein Werk in vier Sätze aufgeteilt und sie nach den letzten Stationen des Jakobswegs benannt. Während Roncesvalles mit Tempo und Vielfalt vom Martyrium des Jakobs und der Entstehung des Pilgerpfads berichtet, betont der Burgos-Satz musikalisch das innerliche Erlebnis, das im scharfen Kontrast zu den Grausamkeiten des Textes steht. Die Vielfalt ist nun dem Mittelalter gewichen.

Doch mehrfach gruppieren sich die Sängerinnen und Sänger um. Die Solisten tönen aus den Seitenschiffen. So füllt der Chor den hohen Raum und lotet die klanglichen Bedingungen gotischer Bauten bis zum Optimum aus.

Im vierten Satz wird daraus sogar eine Prozession und damit umschließt der Chor das Publikum mit Tönen tiefster Meditation. Bevor diese dann aber mal weg ist, nimmt das Werk wieder das Tempo und die Technik des ersten Satzes auf. Damit endet der Vortrag so wie er begonnen hat. Ungewöhnlich, beeindruckend und herausfordernd und trotzdem ein Erlebnis



Material #1: Niedersächsische Musiktage - Das Programm

Material #2: Tenebrae Choir - Die Website
Material #3: Joby Talbot - Der Komponist



Sonntag, 15. September 2019

Am Ende gewinnt immer der Mafiosi

stille hunde inszenieren Macbeth als Kriminalfall

Kein Schlachtengerangel, kein Managergetöse und das meiste findet im Kopf statt. Die stillen hunde haben eine neue Interpretation zu Shakespeares "Macbeth" hinzugefügt und die überzeugt nicht nur durch die schauspielerische Leistung sondern auch durch die Reduktion. Premiere war in der Klosterkirche St. Nikolaus in Niklausberg.

Das Bühnenbild ist reduziert, drei mächtige Stühle aus den Werkstätten des Historizismus und im Hintergrund ein Laufsteg mit drei Hockern und drei Instrumenten. Das sind die Arbeitsplätze von Andreas Düker, denn die erste Neuerung ist die Musik. Der Lautenspieler und die stillen hunde haben der Tragödie Töne verpasst.

Am Anfang sind die Musik und ein Todgeweihter.
Alle Fotos: Kügler
Mal Laute, mal Konzertgitarre oder E-Gitarre. Die Musik ist keine Beschallung sondern integraler Bestandteil. Sie bereitet vor, spitzt zu und kommentiert. Der Soundtrack  aus "Der Pate" taucht gleich mehrfach auf und Macbeth wird im Laufe des Abends mehrfach brüllen: "Stell doch mal einer endlich die Musik ab." Immer dann, wenn er mit den Nerven am Ende ist.

Diese banale Äußerung ist nicht nur die Brücke in die neue Dimension Musik. Sie ist die die andere Richtung zugleich die Anknüpfung an alltägliche Erfahrungen. Damit ist das wissende "Ach ja" aus dem Publikum nur folgerichtig.

Ähnliches wiederholt sich in der Licht-aus-Licht-an-Szene der Mordnacht. Stefan Dehler mimt hier einen Banquo, der den väterlichen Macbeth auf dem Weg zur bösen Tat immer und immer wieder stört. Banquo ist hier das Kind, das der Aufforderung, endlich ins Bett zu gehen, einfach nicht Folge leisten will. Einfach klasse gespielt.

Die stillen hunden haben Jambus und Trochäus beseitigt. Ihre Protagonisten sprechen im Versmaß "Alltag". Das dient nicht nur der Verständlichkeit. Damit entführen sie das Ehepaar Macbeth, König Duncan und alle anderen Täter und Opfer aus dem Kreis der Adligen und auch der Manager in die Sphäre der Allgemeinheit. Das mörderische Treiben könnte so  auf einem Elternabend oder auf beiden Seiten  eines Gartenzaun stattfinden.

Banquo ist nicht unschuldig.
Foto: Kügler
Das entscheidende findet im Kopf des Publikums statt. Die Hexen sind entmaterialisiert und zu bösen Gedanken geworden. Der Verzicht auf ein Bühnenbild enthebt die Inszenierung der Last von Zeit und Raum. Selbst die Requisiten sind auf ein Mindestmaß zurückgeschraubt.

Kein Wams und kein Armani. Die Kostüme sind im hier und jetzt angesiedelt. Christoph Huber trägt als Königsmörder weißes Hemd zur schwarzen Hose. Nur wenn er zum König Duncan oder dessen Sohn Malcolm mutiert, dann zeigt er Attribute, die die Königsfamilie ins Mafiöse transformiert.

Auch Stefan Dehler beschränkt sich. Nur als Macduff erllaubt er sich Sakko und Aktenkoffer und wirkt damit wie der Buchhalter der Macht.

Maja Müller-Bula ist ganz in weiß gekleidet, in ein Kleid, dass an Hochzeit erinnert. Ist sie die Braut des Wahnsinns oder gar des Todes? Unschuldig ist sie bestimmt nicht.

Überhaupt ist auch das Farbschema auf Schwarz und Weiß beschränkt. Das harte Licht der Halogenscheinwerfer Marke Baumarkt zeichnet klare und harte Schatten in die Gesichter der Darsteller. Einzig das blutgetränkte Tuch durchbricht diese Zweidimensionalität.

Dabei ist das Macbeth der stillen hunde als andere als ein Spiel von Gut und Böse. Die Grenzen zwischen Täter und Opfer verschwinden mehrfach. Jeder stellt mal auf der einen und auf der anderen Grenze.

So entpuppt sich Banquo als Anstifter, der zum Opfer wird, als das Geschehen außer Kontrolle gerät. König Duncan ist kein Sympath und sein Sohn Malcolm erst recht nicht. Da ist es gar nicht so schlecht, dass Macbeth den Paten, doch am Ende wird der eine Mafiosi nur durch den anderen ersetzt.

Bei allen konzeptionellen Neuerungen lebt diese Aufführung vor allem vom intensiven Spiel der Darsteller. Es sind die kleinen Nuancen in der Mimik und der Gestik, die die Entwicklungen der Figuren verdeutlichen. Der Blick ändert sich, der Tonfall wird ein anderer und schon ist die Situation eine andere.

Am Ende gewinnt dann doch der Mafiosi.
Alle Fotos: Kügler
Es ist das meisterhafte Spiel mit den Details, die diese Inszenierung so schlüssig machen. So wird aus dem zaghaften Macbeth ein wild entschlossener Tyrann und aus der ehrgeizgetriebenen Lady  eine Suizidgefährdete. Überhaupt gibt Maja Müller-Bula dem Wahn eine beeindruckende Gestalt und ein passendes Gesicht.

Setzte der Macbeth des Deutschen Theaters Göttingen in der letzten Spielzeit auf beeindruckende Bilder, so läuft der Macbeth der stillen hunde vor allem im Kopfkino. Durch den Verzicht auf Schlachtengetöse und Managergerangel hat das Ensemble eine stille Lesart kreiert, die Wirkung über den Augbenblick hinaus hat.


 


Material #1: stille hunde - Die Website
Material #2: Macbeth -Die Inszenierung

Material #3: Andreas Düker - Die Website

Material #5: William Shakespeare  - Die Biografie
Material #6: Macbeth - Das Original







Donnerstag, 5. September 2019

Das Gift der Sprache

Müllers "Philoktet" als Dreikampf

Bedrängend, bedrückend, beeindruckend und vor allem intensiv. Das Deutsche Theater zeigt derzeit "Philoktet" von Heiner Müller als Dreikampf unterschiedlicher Wortakrobaten.Sieger sind das Publikum und derjenige, der das süße Gift der Sprache am besten einsetzen kann. am Ende bleibt die Erkenntnis, dass ein gemeinsamer Feind nicht ausreicht, um Bündnisse zu schmieden.

Allein schon der Aufführungsort fällt aus der Rolle. Das Göttinger Fridtjof-Nansen-Haus imitiert das, was man zur Jahrhundertwende für eine mittelalterliche Burg hielt. Das Treppenhaus ist trotz seiner riesigen Ausmaße düster und beklemmt mit einem Höhlenambiente. Das grelle Scheinwerferlicht hat nichts mit der lieblichen Sonne des Mittelmeer zu tun.

Vor dem Kamin sind Knochen und Kräuter verstreut. Offensichtlich die Überreste von den Mahlzeiten des Verstoßenen. So ist das Revier markiert. Philoktet bewegt sich zwischen Mensch sein und unter den Tieren leben.

Vor zehn Jahren hatten die Griechen Philoktet auf der Insel Lemnos ausgessetzt. Die Wunde an seinem Fuß heilte nicht und ihr Gestank störte die Gefährten. Seine Schmerzensschreie störten ihren Schlaf. Doch der Krieg gegen Troja geht ins zehnte Jahr und ein Ende ist nicht abzusehen.

Philoktet (rechts) trifft auf Neoptolemos. 
Alle Fotos: Isabel Winarsch
Nun brauchen die Griechen den Feldherren und seinen legendären Bogen. Dieser wird den Krieg entscheiden, lautet eine Weissagung. Ausgerechnet Odysseus, der Philoktet einst mit einer List auf die einsame Insel gelockt hatte, soll ihn nun zurückholen. In der Folge geht es ständig darum, den anderen zu überreden, der Jüngling den Ausgesetzten zur Rückkehr, der Ausgesetzte den Jüngling zur Rache und Odysseus alle anderen sowieso. Als versprühen sie das süße Gift der Sprache.

Zur Verstärkung hat er sich Neoptolemos mitgenommen. Der Jüngling gilt als unbelastet, hat aber noch eine Rechnung mit Odysseus. Der Ithakaer hatte sich die Waffe und die Rüstung seines Vater Achilleus unter den Nagel gerissen.

Regisseur Elias Perrig setzt zum Auftakt auf klare Fronten. Rock, Springerstiefel und Radlerhandschuhe, Moritz Schulze ist als Neoptolemos gekleidet wie der Krieger eines postmodernen Rollenspiels. Auch die Gestik ist eindeutig. Die Worte gepresst, die Fäuste geballt und die Arme nach unten gedrückt, ist er der Zorn in Person. Dieses begrenzte Repertoire ist die Grundlage für das blutige Finale.

Carsten Hentrich zeigt sich als Odysseus wesentlich geschmeidiger. Nur die Springerstiefel zum Business-Dress verraten, dass er Krieger ist. Seine Sprache ist schnell und geschmeidig. Er vermeidet den Kommandoton und macht doch mit Andeutungen und zynischen Erklärungen deutlich, dass er bei diesem Unternehmen das Sagen hat. Selbst auf den Knien verliert Carsten Hentrich nie diese Souveränität. Eer ist damit der bestimmende Faktor in dieser Inszenierung.

Müllers "Philoktet" ist Sprechtheater auf höchstem Niveau. Hier kommt es auf jedes Wort an, der Text treibt die Handlung voran, die Sprache bereitet die Tat vor. Alles ist mit ihr möglich  Sie formuliert die Lüge ebenso wie die Erkenntnisse. Deswegen ist dieses Werk folgerichtig vor allem ein Wortgefecht. Dies verlang von den Akteuren ein Maximum an Artikulationskunst, alle Stimmlage, alle Ausdrucksweisen sind gefordert.

Der Dreikampf Philoktet, Odysseus und Neoptelemos.
Alle Fotos: Isabel Winarsch
Elias Perrig hat die Inszenierung auf ein Minimum reduziert. Er verzichtet auch ein Bühnenbild und selbst auf Requisiten. Nicht einmal der legendäre Bogen, der die Entscheidung im Krieg bringen soll, ist zu sehen. Also soll sich auf das gesprochene Wort konzentrieren. Das fordert das Publikum, aber darin liegt auch der Gewinn.

Der Krieg findet im Kopf statt und in dieser Auseinandersetzung ist die Zunge die Waffe und die Sprache der beiden alten Herren nimmt viele schnelle Wendungen. Der Ausgang ist nicht abzusehen, rasante Wechsel eröffnen immer wieder neue Möglichkeiten.

Deswegen ist die Abwesenheit der Sprache der intensivste Moment der Aufführung. Bar jeden Wortes steht Andreas Jeßing allein in dieser riesigen Halle. Der Blick geht nach oben ins Leere. Er lässt die Schultern hängen und die Stille wirken. Das sind zwei Minuten Gänsehaut. Plant Philoktet um oder ergibt er sich dem Schicksal?

Weil er eben so menschlich agiert und reagiert ist dieser Philoktet dem Taktiker Odysseus unterlegen. Andreas Jeßing macht dessen Zorn ebenso deutlich wie dessen finale Hilflosigkeit. Erzeigt die Zerrissenheit zwischen persönlichen Gelüsten und gesellschaftlichen Zwang. Damit zeigt Jeßing in dieser Aufführung die größte Spannweite.

Als sich die Spannung in Handgreiflichkeiten auflösen, verliert doch der Stärkere. Nicht die Wut, nicht die Urgewalt ist die entscheidende Kraft. Der Taktiker, der Wortgewandte siegt und schafft es, selbst noch das Opfer für seine Pläne einzuspannen. Hentrich hat konsequent daraufhin gearbeitet. In dieser Aufführung trifft ein starkes Stück auf eine starke Inszenierung und starke Darsteller.







Material #1: Philoktetes - Die Sage

Material #2: Heiner Müller - Das Leben

Material #3: DT Göttingen - Das Programm
Material #4: Philoktet - Die Inszenierung

Material #5: Fridtjof-Nansen-Haus - Die Location