Samstag, 31. Juli 2021

Berg hoch, Berg runter, Kurve links, Kurve rechts

Alle gute Dinge sind drei: Mal wieder bei der PS.Speicher Rallye

Es ist eine absurde Situation: Hunderte Kameras stehen am Straßenrand und die Autofahrer freuen sich, wenn es blitzt. Die Leute tragen Sachen wie aus dem Second-Hand-Laden und fahren sündhaft teure Wagen. Wildfremde Menschen winken einander zu und rufen Halbsätze mit wenig Sinngehalt über die Straße. Das kann nur eins heißen: Es sind Einbecker Oldtimer Tage.

Ich bin wieder mit dabei und zwar zum dritte Mal. Ich weiß also, was mich erwartet und deswegen ist die Vorfreude groß. Oldtimer fahren ist eine Droge. Es ist eine Reise in eine Zeit, als die Welt beherrschbar schien und die Autos mit einem gezielten Hammerschlag wieder mobil gemacht werden konnten. Das kann süchtig machen.

Diese Leidenschaft sorgt für Verbundenheit. Oldtimerfahrer und -fahrerinnen verstehen sich als Familie. Man kennt sich und ist gleich beim „Du“. Bei der Anfahrt tauchen zwei große bunte Strohhüte in einem Cabrio vor mir auf. Das sind Ines und Sabine, die waren vor zwei Jahren mit einem Fiat Bertone Spider am Start. Die Damen sind wohl auch in diesem Jahr wieder mit dabei.

Das Familientreffen

Die PS.Speicher Rallye ist ein großes Familientreffen und weil es im letzten Jahr ausfallen musste, ist es in diesem Jahr umso herzlicher. Die Veranstaltung macht süchtig und deswegen sind die meisten Starter eben Wiederholungstäter. Beim Gang durch den Fuhrpark auf dem Parkplatz der BBS Einbeck erkenne ich viele Fahrzeuge wieder. Viele aber eben nicht alle.


Wiedersehen mit alten Bekannten.
Alle Fotos: Kügler
In seiner Begrüßung zum Fahrerfrühstück berichtet Lother Meyer-Mertel, dass eben einige nicht mehr dabei sein können. Für einen Augenblick herrscht Schweigen und Trauer. Aber „The Race must go on“.

Ich reiche das Road Book an meine Lebensgefährtin. Sie macht die Beifahrerin, gibt den Weg vor und muss sich deshalb mit der Route anfreunden. Manfred Schulz hat einige Anmerkungen zur Strecke. Diese führt auf 90 Kilometern durch das Weserbergland nach Hameln und zum Schloss Hämelschenburg und dann auf 65 Kilometer zurück nach Einbeck, wieder berghoch und bergrunter.

Oldtimer fahren ist immer noch Männersache. Frauen beschränken sich meist auf die Rolle der Sozia. Nur acht weibliche Teams sind am Start. Man wolle sich dem Thema zukünftig stärker zuwenden, hatte Lothar Meyer-Mertel im Vorgespräch versichert.

Schulz weist daraufhin, dass die Rallye eben keine Sportveranstaltung ist, sondern eine gemeinsame touristische Ausfahrt. Das versteht nicht jeder. Am Abend wird bei der Siegerehrung zum ersten Mal eine offizielle Rüge wegen auffälliger Fahrweise ausgesprochen.

Das Teilnehmerfeld wird jünger. Und damit auch die Autos PS-stärker. Ob es einen Zusammenhang mit der sportlichen Fahrweise gibt, diese Frage bleibt für mich und meine Lebensgefährtin ungeklärt.

Aber Zeit spielt keine Rolle, fast keine. Nur die Bordkarte muss bis 19.00 Uhr bei der Rennleitung vorliegen.

Der Dress Code

Auf jeden Fall erkenne ich im Teilnehmerfeld einige Kleidungsstücke wieder. Doch, Oldtimer Rallye ist auch immer ein Kostümfest auf vier Rädern. Viele Teams wollen mit ihrem Fahrzeug ein geschlossenes Ensemble darstellen und kleiden sich zeitgemäß. Oder versuchen es. Das klappt nicht immer. Aber Psychodelic zum Lamborghini Espada, das ist schon stylish.

Auf jeden Fall ist für das beste Ensemble aus Fahrzeug und Kleidung ein Sonderpreis ausgelobt worden. Meine Lebensgefährtin und ich sind dem Aufruf gefolgt und haben uns nach Mitt-70er-Klamotten umgeschaut. Dazu haben wir Musik von Barry White, Stevie Wonder und längst vergessenen Disco-Helden zusammengetragen. Wir sind also bereit für die Zeitreise.

Auto und Outfit müssen eine Einheit sein. 
Doch die Musik wird erst sehr spät zum Einsatz kommen. Am Nachmittag als wir durch das Spalier der Zuschauer gleiten, gibt es den passenden Soundtrack aus dem Fond. Aber das bekommt keiner mit.

Als die Stil-Prämierung am Abend ausfällt, sind wir sind nicht die einzigen Enttäuschten. 

Dann ist da noch die Sache mit den „stillen Kontrollen“. Entlang der Strecken sollen drei Schilder mit Zahlen verteilt sein. Diese Ziffern soll man ins Bordbuch eintragen. Nicht eine einzige findet den Weg in unser Bordbuch und auch damit sind wir nicht die einzigen. Die stummen Kontrollen werden jedenfalls das Gesprächsthema des Abends.

Das Fahrzeug

Nach Badewanne und Volksporsche hat mir der PS.Speicher in diesem Jahr wieder eine Ikone der europäischen Automobilgeschichte zur Verfügung gestellt: Einen Ford Capri II, Baujahr 1975. Maisgelb und ein schwarzes Vinyl-Dach, das ist 70-er Jahre pur. Der Lack ist noch die Erstlackierung und wären auf dem Tacho nicht 156.000 Kilometer vermerkt, dann könnte das Auto auch als Neuwagen durchgehen. Man kann nur ahnen, wie viele Jahre der Wagen nur in der Garage gestanden hat.

Werkstattleiter Michael Marx verrät mir den Kaufpreis und der liegt deutlich über den 10.000 Euro, die gewöhnlich für einen Capri dieser Altersklasse gezahlt werden. Dem Werkstattleiter ist das Auto zu neu. Er meint, dass ein Oldtimer erst durch Gebrauchsspuren authentisch wird. Aber das wird in der Szene lebendig diskutiert.

Mehr 70-er geht nicht: Ford Capri II 1600.
Die Szene trennt sich noch in einer anderen Frage. Die einen begeistern sich für die Prachtkarossen längst vergangener Tage. Andere schwärmen für die Autos ihrer Kindheit. Ich gehöre zur zweiten Fraktion. Viel Chrom und Kotflügel groß wie ein Kleinwagen, schön und gut. Da kann man schon mal staunen. Aber eine Reise in die eigene Vergangenheit, das ist doch was ganz anderes.

Ich hatte schon am Tag zuvor eine Proberunde mit dem Wagen gedreht und mal wieder gemerkt, dass Autofahren früher durchaus Arbeit wear. Marx hat mich drauf hingewiesen, dass dieses Auto Zuspruch braucht, also durchaus hochtourig fahren. Das gilt für viele Wagen aus diesen Baujahren.

Wir verstauen die Sachen im Wagen: Proviant, Fototasche und Stativ. Noch gebe ich mich der Illusion hin, dass ich an diesem Tag Zeit hätte, spektakuläre Bilder zu machen. Spätestens zur Halbzeit verabschiede ich mich davon.

Es gibt das Bonmot, dass die 70-er Jahr doch nur die Samt Cord-Version der 60er gewesen wären. Dieses Wagen bestätigt die These. War der Capri I noch laut und rau und eben ein Pony Car, dann ist der Capri II eben das Samt Cord Auto.

Das Interieur ist ein Traum in Kunstleder und Plüsch. Besonders die Rücksitze verzücken. Die passen als viel mehr in eine club-Disco als in einen selbst ernannten Sportwagen. Da rauszukommen, das muss schon eine gymnastische Übung gewesen sein.

Unter der Motorhaube steckt ein 1,6 Liter Vierzylinder Reihenmotor. Der liefert immerhin 72 PS, damals war man damit Leader of the Pack. Heute hat jeder Fahranfänger mehr Kraft in seinem VW up.

Das Cockpit ist aufgeräumt. Es gibt nur den Tacho und die Anzeigen für Motortemperatur und Tankfüllung. Nicht einmal ein Drehzahlmesser hat der vermeintliche Sportwagen. An der Lenksäule gibt es nur einen Hebel und damit kann ich lediglich die Blinker in Gang setzen.  Zum Verleich: Mein Privatwagen hat drei Multifunktionshebel an der Lenksäule. Aber der Capri muss ein Luxusauto sein. Er hat wirklich zwei Außenspiegel. Nicht einmal der Mercedes Benz neben uns hat einen Spiegel rechts.

Ein Unterschied fällt uns auch auf: Es mangelt an Staumöglichkeiten. Es gibt keine Seitentaschen oder Konsole. Das Handschuhfach kriecht fast in den Motorraum. Frau muss sich verdammt lang machen, um da hin zu kommen. F4üher war ein Pkw wohl nur ein Fahrzeug, heute ist es ein Wohnzimmer auf vier Rädern.

Der Start

In diesem Jahr ist auch einiges anders. Die Amüsierzeile der Vorjahre wurde auf den Marktplatz verlegt. In Corona-Zeiten soll kein Gedränge am PS.Speicher herrschen. Trotzdem ist es zum Start um 10.00 Uhr gewohnt voll. Hunderte Fans stehen an der Straße und freuen sich über den Neubeginn nach einem Jahr Pause.


Der Start folgt im Minutentakt, die ältesten Wagen zuerst und so haben wir über eine Stunde Zeit und schlendern durch den Fahrzeugpark. Wir plaudern mit Uwe und Mchthild. Die schwärmen vom guten Ruf der PS.Speicher Rallye in der Szene. Sie sind mit einem Ford Cobra Baujahr 1983 am Start.

Das Ziel werden sie aber im Renault R 4 erreichen. Die Cobra schwächelt und das Paar aus dem Weserbergland steigt kurzentschlossen auf einen anderen Oldtimer aus dem eigenen Fundus aum.

Die Begeisterung  

Auch für uns fällt der Startschuss und sofort ist die Euphorie auf Höchstniveau. An der Straße stehen wildfremde Menschen und winken uns zu und wir winken zurück. Wir sind Helden für einen Tag. Wie David Bowie damals 1977.

Der Älteste im Feld ganz vorne im Feld.
Das Wetter wird immer besser. Der Capri II hat eine überzeugende Klimaanlage. Fenster rechts runterkurbeln, Fenster links auch und den Ellenbogen zum Fenster raus. Bei dem überschaubaren Tempo ist das kein Problem. Der Trecker in der Steigung nach Bartshausen sorgt für die endgültige Entschleunigung. Wir orientieren uns am Jensen Interceptor, der vor uns gestartet ist. Der bleibt in Sichtweite.

Berg hoch, Berg runter, Kurve links, Kurve rechts. Die Strecke ist für einen Wagen ohne Servolenkung schon ein Brett.  Vor allem wenn dessen Fahrer seit Jahrzehnten nicht mehr mit Heckantrieb gefahren ist.

Berg hoch, Berg runter. Man hatte uns eine ausgewöhnliche Strecke versprochen und diese hält das Versprechen ohne Wenn und Aber. Immer wieder schrauben wir uns über Kehren nach oben und dort erwartet uns immer wieder ein spektakulärer Blick ins Tal und weit ins Land. Aber irgendwann ist mir das zu viel. Spätestens auf der Rückfahrt in Lichtenhagen bin ich gesättigt und auch meine Beifahrerin kennt nur noch ein Ziel: Das Ziel.

Die Anstrengung

Mit der Arroganz eines Harzers hatte ich beim Blick auf die Karte nur müde mit den Achseln gezuckt. Noch vor der Pause bereue ich meinen Hochmut. Gerade die langsamen Kurven kosten Kraft. Wie gesagt: Der Capri II hat keine Servolenkung. Dazu kommen die ungewohnt langen Schaltwege. Es dauert gut anderthalb Stunden, bis ich den Wagen soweit verstanden haben, dass wir zugig vorankommen.

Doch die Konzentration lässt nach und in Hameln verfahren wir uns zum ersten Mal. Auch das gehört zu einer Oldtimer Rallye und wir sind nicht die einzigen. Später verfahren wir uns kurz hinter Ottenstein noch einmal. Aber Zeit spielt ja nur eine untergeordnete Rolle.

Überhaupt ist Hameln kalt und abweisend zu uns Oldtimern. Niemand steht an der Straße und winkt. Offensichtlich ist man in der Rattenfänger-Stadt den Anblick alter Autos gewohnt. Erst in Stadtoldendorf erfahren wir die gewohnte Aufmerksamkeit. Wie schon vor drei Jahren hat der Automobilclub hier ein kleines Fest auf dem Markt organisiert. Das tut der Seele gut und motiviert für den Schlussabschnitt.

Auf jeden Fall sehne ich die Pause am Schloss Hämelschenburg herbei. Meine Lebensgefährtin kennt das Schloss schon. Für mich ist der Prachtbau aus der Weserrenaissance eine echte Neuheit. Überhaupt steckt die Route voller Überraschungen. Anfang hatte ich noch gescherzt, dass wir ber Käffer fahren, die man nur kennt, wenn man in der 2. Kreisklasse kickt. Nun muss ich eingestehen, dass ich mich in Südniedersachsen nicht so gut auskenne wie ich immer behauptet habe. Dabei lebe und fahre ich hier schon seit mehr als 4 Jahrzehnten. Wie hieß es am Morgen in der Fahrerbesprechung? Gemeinsame touristische Ausfahrt.

Das Empfangskomitee, ein Teil zumindest. 

Südlich von Bodenwerder stoßen wir in Gefilde vor, die mir bekannt sind. Zuden steigt die zahl der Winker an der Strecke deutlich. Also müssen wir auf der richtigen Route Richtung Einbeck sein. Dort erwartet uns das gewohnte und auch erhoffte Bild. Hunderte, vielleicht sogar Tausende Menschen empfangen den Tross am PS.Speicher. Jeder wird gefeiert wie ein Sportidol.

„So einen hatte ich auch“ bekommen wir bestimmt fünfmal zu hören. Von einem Opel Cabrio Baujahr 1934 können das nur noch sehr wenige behaupten. Deswegen sind wir klar im Vorteil wenn es darum geht, Kontakt zum Publikum zu knüpfen.

Ich will unter die Dusche, aber erst einmal müssen wir durch die Vorstellungsrunde und dann zum Parkplatz. Dort treffen wir wieder aus Michael Marx. Der Mann ist omnipräsent und vielleicht das Gesicht der Veranstaltung. Auf jeden Fall hat er auch Entertainer-Qualitäten.

Oldtimer Rallyes sind ein Familienfest und deswegen trinken wir mit der Crew aus dem 450er Benz schnell noch ein lauwarmes Bier auf dem Parkplatz. Dann geht es unter die Dusche. Oldtimer Rallyes sind auch eine Mischung aus olympischem Geist und Altherrenfußball. Dabei sein ist fast alles und heile ankommen das wichtigste.

Das schafft nicht jeder. Es überrascht uns ein wenig, als wir bei der Siegerehrung erfahren, dass der Rolls Royce, den wir an der Hämelschenburg noch bewundert hatten, Einbeck fast nicht erreicht hätte. Die Emily wollte einfach nicht wieder anspringen. Doch Michael Marx und sein Team wussten zu helfen. Ein paar gezielte Hammerschläge auf den Anlasser und der Silver Spirit flog wieder.

Damit bleiben drei Erkenntnisse: Eine Luxuskarosse funktioniert manchmal wie ein Hanomag, Oldtimer fahren macht müde aber glücklich und beim nächsten Mal sind wir wieder dabei.

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