Dienstag, 14. September 2021

Delikatessen am Sonntagmorgen

Die Geburt eines Stars? Felicitas Wrede im Stiftungskonzert

Es gibt Konzert, die bringen einen selbst am Sonntagmorgen in Einklang mit sich selbst und der ganzen Welt. Das Stiftungskonzert derb diesjährigen Händel-Festspiele gehört genau in diese Kategorie. Die Sopranistin Felicitas Wrede und das Abchordis Ensemble servierten in der Aula der Universität Leckerbissen aus Händels Frühwerken. Darunter fand sich auch eine Welturaufführung. Zwischen den einzelnen Gängen spendierte das Publikum so viel Beifall, wie an einem Sonntagvormittag möglich ist.

Betitelt war die Matinee mi “Händel, Almira und die Hamburger Gänseoper”. Schließlich war dies damals die erste Adresse, wenn es um Oper in Deutschland und deutschsprachige Oper ging.

Im Sommer 1703 war der 18-jährige Händel in die Hansestadt gezogen, um sich dort musikalisch weiterzuentwickeln. In diesem Mikrokosmos traf er auf Reinhard Keiser und Johann Matheson. Daraus ergab sich eine nicht konfliktfreie Arbeitsgemeinschaft, die aber Händels Entwicklung prägte.

Zu wenig Publikum für diese Ereignis.
Bereits im Januar 1705 konnte dieser seine erste Oper in Hamburg aufführen. In “Almira, König von Kastilien” ist vieles angelegt, was später zum besonderen Händel- Stil werden sollte. Eben diese Almira und ihre Rezeption stand im Mittelpunkt des Stiftungskonzertes. Damit führte die Veranstaltung zum Geburtstag der Festspiele nicht nur zu den Ursprüngen. Sie gab auch einen Einblick in die Arbeitsweise barocker Komponisten,ehe der Genie-Kult die Kooperation vereitelte.

Im Zentrum der Ouvertüre steht die eindeutig die Oboe. Das näselnde Blasinstrument soll Händels Liebling gewesen sein, verrät das Programmheft. Miriam Jorde Hompanera spielt es mit recht viel Zurückhaltung. Im weichen Klang reiht sie ansatzlos Ton an Ton, so dass die Aula der Universität mit Harmonie geflutet werden. Doch gelegentlich muss sich die Oboe der Übermacht der Streicher ergeben. Erst später in der Trisonate in F-Dur und im Tanzreigen des Ballo wird die Oboe zur treibenden Kraft.

Doch das zurückhaltende Dirigat von Boris Begelmann erlaubt ein konstruktives Miteinander von Streichern, Holzbläser und Basso continuo. Das Abchordis Ensemble ist vielfacher Preisträger. Unter anderem konnte es sich das Sextett 2015 den ersten Preis im Internationalen Händel Wettbewerb in Göttingen erspielen. Schon nach den ersten Akkorden ist die eigene Handschrift des Ensembles deutlich. Es kann in seiner Zurückhaltung durchaus überzeugen. Damit ist es der würdige Partnerfür eine Welturaufführung in Göttingen. Denn diese Ouvertüre ist die allererste Fassung des Werks, das so noch nie auf einer Bühne aufgeführt wurde, weil die Fassung lange Zeit verschollen war.

Mit der Arie “Proverai di che fiera saetta” kommt gleich die Kehrtwendung. Es ist vorbei mit Selbstversunkenheit. Felicitas Wrede hat einfach eine begnadete Stimme. Der helle und bis in die Höhen klare Sopran bietet den bestmöglichen Kontrast zum zurückhaltenden Spiel des Orchesters. Auf dessen Teppcih entstehen Klänge die in die Kategorie "sphäsich" gehören". Augen zu un genießen.

Die Arie steht anschließend noch einmal in der Bearbeitung von Keiser auf dem Programm. Wrede schafft es, die wenigen aber prägnanten Unterschiede deutlich zu machen und zur Geltung zu bringen. Das ist hohe Kunst schon in jungen Jahren.

Felicitas Wrede kann auch
anders.
Ein ähnliches Muster bietet der nächste Block. Das Ensemble bereitet mit der Sarabande aus dem 3. Akt des “Rinaldo” den Boden und stellt das Thema vor. Dann singt Felicitas Wrede die berühmte Klagearie in einzigartiger Art und Weise. Das ist der Gänsehaut-Moment an diesem Sonntagmorgen. Leid und Trauer werden fast schon greifbar. Mit dieser klaren und hellen Stimme so tiefe menschliche Emotionen zu verkörpern, das zeugt von einem überschäumenden Talent. Es überrascht wenig, dass es diese Leistung noch einmal als Zugabe gibt.

In der Arie “Ingrato, spietato” ist die Ansprache nämlich eine ganz andere. Die Sopranistin bringt mit Stimme und Körperhaltung all jene Wut, die in diesem Frühwerk steckt, klar in die feierliche Aula.

Da ist es schon ganz gut, dass Andrea Buccarella mit seinem Solo auf dem Cembalo ein wenig die Wogen glättet. Dabei schafft er es immer wieder, fehlerfrei aus den vollen Akkorden in die Läufe Tonleiter rauf und runter und wieder zurückzukommen. Von gewohnt harmonisch bis rasant: Buccarella zeigt das gesamte Spektrum, das in seinem Instrument steckt.

Das Abchordis Ensemble und Felicitas Wrede zeigen noch einmal. Dass es manchmal auf Kleinigkeiten ankommt. In Händels Version der Arie “Quillt ihr überhäuften Zähren” steigt die Sopranistin mit einem Ton ein, der nicht zu enden scheint, um gleich einen noch längeren hinten dran zu setzen. Damit gibt Wrede der latenten Aggression der Gepeinigten die bestmögliche Form. Nur von Cello und Cembalo begleitet kann sich das Publikum ganz auf sie fokussieren.

Die Neufassung von Georg Philipp Telemann aus dem Jahre 1732 setzt andere Akzente. Da wird aus der Wut Verzweiflung und der Gesang ist nicht mehr so exaltiert. Auch dem gibt Felicitas Wrede die passende und begeisternde Stimme.

Diese Stiftungskonzert ist sicherlich eins der Höhepunkte der Händel-Festspiele 2021. Das Publikum kann sich in der Gewissheit wiegen, dass es an diesem Sonntag nicht nur einer Uraufführung, sondern auch der Geburt eines Stars beigewohnt hat. In der Aula der Universität traf der frühreife Händel auf eine erstaunlich gut ausgebildeten Jungstar. Das rechtfertigt den überschwänglichen Applaus.








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