Freitag, 18. März 2016

Ach, der Tod kann so schön sein

Christian Doll zeigt eine temporeiche Rosie 

Musste das sein? Zum Abschluss seiner Intendanz wendet sich Christian Doll der Übermutter Roswitha von Gandersheim zu. Er inszenierte Peter Hacks "Rosie träumt" als rasantes Wortgefecht mit einer Prise Klamauk. Am Donnerstag gab es in der Klosterkirche Brunshausen einen ersten Blick drauf.

Ja, es muss sein. In Zeiten der Re-Religiösierung des Alltag und das Miteinanders und der permanenten Missionierung in allen Lebensbereichen darf man, muss man auch mal einen Abend lang über das Christentum lachen dürfen. "Rosie träumt" geht an die Anfänge der Religion, um uns zu zeigen, was heute immer noch wirkt.

Fides und Spez, die Töchter des Kaiser Diokletian,
freuen 
sich auf den Tod als Märtyrerinnen. 
Alle Fotos: tok 
Nun ist der Autor Peter Hacks als kulturelle Speerspitze der SED sicherlich kein objektiver Beobachter christlicher Tugenden. Aber dass muss er auch gar nicht sein. Auf alle Fälle ist er ein Kenner römischer Geschichte und christlicher Mystik. In "Rosie träumt" vermengte er 1974 im Stile des absurden Theater die Biografie der Dichterin mit einer ihrer Figuren, dem Märtyrer Flavius Gallicanus.

Letztendlich führt die Todessehnsucht beide in einen Himmel, den sie sich anders vorgestellt hatten. Das ist wohl "Das Leben des Brian" für Doktoranden. Ach ja, das Christentum und der Tod. Irgendjemand droht immer Hinrichtung und ständig stolpert Fehmi Göklu als tolpatschiger Henker über die Bühne.  Der Witzn besteht aber nun darin, die Christen ja auf den Tod und die Erlösung warten. Das scheint eine ihrer Marotten zu sein.

Den spöttischen Unterton Hacks verwandelt Doll in Energie. Seine Inszenierung und das Ensemble strotzen nur so vor Energie. Die Inszenierung zwischen Lesung und Aufführung kommt nie zum Stillstand und wird trotzdem nicht atemlos. Alle sind in Bewegung und auf der Suche. Die Römer sind auf den Spuren des Ruhms, die anderen auf dem Weg zur Erlösung.  Ständig wird umgebaut. Aber es ist kein Slapstick sondern es sind Wortgefechte und Wortklaubereien auf allerhöchsten Niveau. Die Akteure verdrehen sich nicht nur die Worte, sie schöpfen auch alle Nebenbedeutungen des Gesagten aus. Das muss man erst einmal hinbekommen.

Bulle trifft auf Reh, Freier auf Heilsarmee und

Goliath auf David. 
Es schadet nichts, wenn das eigene Bildungsniveau über dem Durchschnitt liegt. Dann fällt mancher Gag auf fruchtbaren Boden und die Anspielung wird klarer. Es kann kein Zufall sein, dass Christian Doll an den Anfang und ans Ende Stevie Wonders "Superstition" als Klammer gesetzt hat. Immerhin heißt es ja Aberglaube. Voraussetzung für einen gelungenen Abend ist die Promotion aber nicht.

Die Besetzung mit Gunter Heun in der Rolle des Feldherren Gallicanus und mit Alice Hanimyan als Roswitha hätte besser nicht sein können. Die Differenzen der Protagonisten sind schon körperlich manifestiert.  Hier der raumgreifende, zuweilen bullige und präsente Heun. Dort die zierlich, bald schon ätherische Hanimyan. Das ist wie Bär trifft auf Reh, Goliath auf David, Freier auf Heilsarmee. Die Spannung der Vorlage vermögen beide kongenial umzusetzen.  

Wo es nicht die Köperlichkeit ist, dort sind es rasante Wortgefechte wie ersten Akt, als Gallicanus und Roswitha aus der Deckung ihrer Rednerpulte Redesalven abfeuern.  Die Themen der Debatten sind immer dieselben: Genuss gegen Entsagung, Ausschweifung gegen Keuschheit, Ruhm gegen Erlösung. Dennoch wird es nie langweilig. Mit der gestrafften Dramaturgie hat Florian Götz dafür gesagt, dass der Elan nie versiegt.

Der Kaiser hat Hinrichtung befohlen.
Natürlich steckt auch jede Menge Sex in dem Stück und zwar in seiner sublimierten Form als keusche religiöse Verzückung. Wie fließend die Grenze zwischen Orgasmus und Erlösung ist, das zeigen Tabea Scholz und Fehmi Göklu in der Bekehrungsszene. Das sieht verdammt nach einem  Blow Job aus und soll es wohl. 

Es ist ein Kammer im besten Sinne, dass auf engen Raum eine komprimierte Ladung Energie abgibt, mit Requisiten improvisiert, ein Thema tief durchleuchtet und auslotet und für Aha-Momente sorgt. Regisseur und Ensemble haben aus der Not der knappen Zeit eine Tugend gemacht. Die Textzettel und die Textständer ist zum festen Bestandteil der Inszenierung geworden. Immer mal wieder wird das Intermezzo "Schauspieltruppe probt ein neues Stück" aufheiternd eingeschoben. "Rosie träumt" bekommt Werkstatt-Charakter und öffnet damit eine neue Tür für die Gedankenspiele des Publikums.

Am 3. Juli wird "Rosi träumt" im Rahmenprogramm der Domfestspiele aufgeführt. Auch das muss jetzt sein. Lieber Doll, ändern Sie bis dahin nicht, aber auch gar nichts am der Inszenierung. Sonst kommen Sie nicht in den Schauspiel-Himmel.



Die Gandersheimer Domfestspiele

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