"Die Methode" am DT Göttingen als Drive-In-Vorstellung
Vergesst das Autokino. Kultur findet in der Tiefgarage statt. Mit „Die Methode“ hat das Deutsche Theater Göttingen ein Stück entwickelt, das die passende Antwort auf die Zeit ist. Es findet eben in der DT-Tiefgarage statt und begeistert mit einem Maximum an Nähe. Das erste Drive-In-Theater ist mehr als nur eine Überraschung.Das gestörte Verhältnis von Nähe und Distanz sei das sublime Thema der Corona-Krise. Das Fehlen der gewohnte Bipolarität würde die Menschen verunsichern, hatte Intendant Eric Sidler in der Pressekonferenz erklärt. Das wolle man mit dieser Inszenierung aufgreifen. Er hat zu wenig versprochen. „Die Methode“ ist eine geballte Ladung an Intimität und eine Stellungnahme zur Öffentlichkeit zugleich. Hinter allem steckt die Sehnsucht nach Liebe als Triebfeder menschlichen Handelns. Ein zutiefst humanistisches Statement in den Zeiten der Apparatschiks.
Grundlage ist der Roman „Corpus Delicti“ von Juli Zeh. Dieser wirkt nun wie eine Blaupause für die Corona-Krise. Das Individuum verschwindet im Kollektiv. Oberste Maxime ist die Gesundheit des Kollektivs. Jeder ist zum Sport verpflichtet, jeder muss Berichte zu seiner Ernährung abliefern.
Moritz Holl wartet auf der Lichtung.
Alle Fotos: Thomas M. Jauk
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Es ist eine Diktatur, die keinen Führer braucht. Es ist weitaus gefährlicher. "Die Methode" ist ein System der Mitmacher, weil die kleinen Rädchen sich als Teil eines Großen und Ganzen empfinden. Das arbeitet diese Inszenierung wunderbar heraus.
Moritz Holl rebelliert dagegen. Er will frei sein und selbst über seinen Körper entscheiden. Er will angeln, angebrannte speisen essen und nach Schweiß riechen. Holl widersetzt sich dem Zwang zum gesunden Leben, weil dies ein Angebot ist, das man auch ablehnen kann.
Holl ist Individualist bis an die Grenze zur Einsamkeit. Er will den Zwang des Systems nicht durch den Zwang der Oppositionsgruppe RAK, Recht auf Krankheit, ersetzen. Sie ist ihm zuviel Institution, er setzt auf Zweisamkeit und er sucht vor allem die Liebe, die dem System abgeht. Er entzieht sich dem Skylla-oder-Charybdis-Logik und diese Freiheit bezahlt er mit seinem Leben.
Die Inszenierung von Antje Thoms erzählt die fatale Entwicklung in vier Positionen. Dem Ensemble gelingt dabei eine Eindringlichkeit, die angesichts der Umstände überrascht, die aber ohne die besondere Aufführungsform nie möglich gewesen wäre. So viel Intimität wäre selbst auf einer Studiobühne nicht möglich gewesen. Darsteller und Publikum treten in eine Eins:Eins-Situation. Der Zuschauer wird zu einem festen Bestandteil der Inszenierung.
Die Fahrt
Diese beginnt schon bei der Anfahrt. Ein Wesen in Weiß kontrolliert Kennzeichen und Name. Jedem Wagen ist eine feste Zeit, ein Slot, zugewiesen. Wer den verpasst, guckt in den Auspuff. Das System duldet keine Abweichung. Immerhin darf man die Auslastung des eigenen Pkws selbst bestimmen.Dann geht es zu den nächsten weißen Wesen am Einlass. Im Kassenhäuschen es arbeitslosen Fahrgeschäfts sitzt der Wärter. Gemeinsam geht man die 27 Artikel der Präambel durch. Ohne Zuspruch kein Einlass. Scheinwerfer aus und Innenbeleuchtung an.
Die Bühnenbilder und die Ausstattung von Florian Barth sind großartig. Das quietschbunte und blinkende Kassenhäuschen wirkt wie ein Ufo in dieser sterilen Atmosphäre. Es erinnert sehr deutlich daran, dass Rummel und exaltierte Lebensfreude derzeit nicht möglich sind. Damit ist es der Kontrast zur Klaustrophobie, die in der Tiefgarage wartet. Jede Station verdeutlicht das Eingesperrt sein im System.
Die weißen Wesen lotsen den Besucher zur ersten Position im Dunkel der Tiefgarage. Dort am imaginärer Waldrand wartet Moritz Holl im Auto. Allein schon sein Wagen ist ein klare Absage an das, was andere als vernünftig bezeichnen. Er ist Rebellion auf vier Rädern. Der Chrysler New Yorker Baujahr 1970 hat einen Durst von mehr als 20 Litern im Betrieb.
Ein Dinosaurier-Ei mitten im Wald.
Foto: Thomas M. Jauk
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Holl stimmt die Gitarre und lädt seine Automatikpistole durch. Er schaut dem Betrachter direkt in die Augen. Damit wird das Spiel auf die persönlichste aller Ebenen getrieben. Der Betrachter wird zum Mitspieler. Kopfschütteln oder nicken, hinschauen oder wegsehen. Die Reaktionen sind zwangsläufig. Man kann sich nicht entziehen. Das wiederkehrende Geräusch eines Helikopters macht deutlich, dass die Gefahr omnipräsent ist.
Das Auto mag ein Faradayscher Käfig sein. Aber hier bietet die Hülle aus Stahl und Glas keinen Schutz. Man ist dem Spiel schutzlos ausgeliefert. Man wird zum Teil der Inszenierung. Zum Abschied klebt Moritz Holl einen blutigen Gruß an das Seitenfenster.
Wie in einer Waschanlage geht es einen Vorhang aus schwarzen Plastikstreifen geht es zur nächsten Station. Florian Barth setzt noch eins drauf. In einem dunklen Wald aus jungen Birken und Buchen steht die Kabine einer Seilbahn. Sie wirkt wie ein Dinosaurier-Ei mit Innenbeleuchtung. Auf alle Fälle ist die Kabine zu eng für die Staatsanwältin. Sie fühlt sich nicht wohl in dieser Haut aus Plastik.
Die Ansprache ist nun direkt und die Rollen haben gewechselt. Aus dem Betrachter wird der Beschuldigte. Man schlüpft in die Rolle von Moritz Holl und damit fällt die letzte Schranke.
Die Staatsanwältin ist gut vorbereitet. Sie weiß alles, was kurz zuvor auf der Lichtung gesprochen wurde. Man fühlt sich ertappt. Sie redet einem ins Gewissen wie die gute Tante Erzieherin in der Kindertagesstätte. Sie strapaziert den Begriff Vernunft und reiht die Argumente der systemimmanenten Logik aneinander. Sie verpflichtet das Individuum auf das Wohl der Gemeinschaft und an die Scheiben gepresst wird aus dem strengen Blick ein Fratze.
Es gibt ein letztes Angebot zur Zusammenarbeit. Sie kann aber auch drohen und damit ist sie “Good cop, bad cop” in einer Person. Mit dieser diabolischen Figur ist Dramaturg Matthias Heid ein ganz großer Wurf gelungen.
Zur nächsten Station. Nun steht der Wagen nicht mehr parallel oder frontal zum Schaukasten, sondern leicht angewinkelt. Das wirkt etwas legerer, schafft Entspannung. Paul Wenning zeigt an diesem Abend die größte Wandlungsfähigkeit. Er ist Holls Anwalt und erfüllt durchweg alle Vorbehalte gegenüber Winkeladvokaten.
Der Winkeladvokat in Person.
Foto: Thomas M. Jauk
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Mit vielen wohlfeilen Worten lobt er Holls Mut und schwingt sich zum Bewunderer auf. Der gemeinsame Schluck Billigsekt soll Verbrüderung schaffen. Gemeinsam werde man das schaffen. Dann donnert ein Helikopter über die Szenerie und in die Texte des Anwalts mischt sich die erste Skepsis.
Dann springt eine weiße Gestalt aus der Dunkelheit und klemmt Papier unter den Scheibenwischer. Aussteigen nicht erlaubt, als wird man warten müssen, bis man aus dieser Geisterbahn heraus ist, um zu erfahren, was dort gedruckt wurde. Die Wandlung ist vollendet. Aus dem Bewunderer ist der juristische Abfertiger geworden. Der Der Anwalt bedient sich der Terminologie der "Methode". Das Urteil “Einfrieren auf unbestimmte Zeit” steht fest. Wenning schafft es, alle drei Phasen verlustfrei darzustellen. Sein Wandel wirkt nicht sympathisch aber immerhin verständlich.
Hamsterkäfig oder Tiefkühltruhe? Die in Neonlicht getauchte letzte Position vermittelt vor allem Einsamkeit. Ein Trimmrad wartet auf Bewegung. Andrea Strube spielt Mia Holl. Sie hat nicht nur den Bruder verloren, sondern auch den Glauben an die Methode. Von der Mitmacherinnen ist sie in den Status der Skeptikerin abgestürzt.
Als Biologin fühlte sie sich dem System verpflichtet, nun hat sie alles verloren. Die Fundamente ihres Lebens sind weg. Die Stimme brüchig, die Schultern gebeugt. Strube gibt dem endlosen Schmerz eine Gestalt. Fast möchte man aussteigen und sie trösten. Das ist Mitleid in Jogginghosen und was dies bedeutet, hat schon Karl Lagerfeld verdeutlicht.
Zurück geht es zum Kassenhäuschen. Der Wärter erklärt dem Besucher dessen Verfehlungen. Er stellt eine Gefährdung dar und muss das Gelände sofort verlassen. Das Spielt wirkt so echt, dass sich nun Erleichterung einstellt.
Zur rechten Zeit
Intensive Bilder und die Intimität zwischen Publikum und Darsteller in einer neuen Dimension. “Die Methode” wäre so im gewohnten Theatermodus gar nicht möglich. Antje Thoms hat mit dieser Inszenierung das Übliche gesprengt. Trotz der Hülle “Auto” sind die Grenzen zwischen Darsteller und Publikum endgültig aufgehoben.Tiefkühltruhe oder Hamsterkäfig?
Foto: Thomas M. Jauk
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Der “Corpus Delicti” von Juli Zeh taugt nur bedingt als Blaupause. Die gelernte Juristin zeigt in ihrem Roman, wie das Individuum vom Kollektiv auf alle Zeiten geschluckt wird. Corona ist eine konkrete und singuläre Bedrohung und kein Dauerzustand. Doch dem Deutschen Theater gelingt es, zu zeigen was danach kommen kann, was blüht, wenn aus einem Einzelfall eine permanente Bedrohung konstruiert wird.
Material #1: Deutsches Theater - die Homepage
Material #2: Die Methode - das Stück
Material #3: Corpus Delicti - das Buch
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