Sonntag, 26. Oktober 2014

Bezaubernd und wohldosiert durchgeknallt

Eine Oper über King George und Barock-Star George F. Händel


Ist das die Zukunft der Oper? In einer wohl dosiert schrägen und schnellen Produktion erzähltdasTrio Elena Kats-Chernin, Axel Ranisch und Danya Segal am TfN von der schwierigen Beziehung zwischen dem englischen König George und seinem Hofkomponisten Georg Friedrich Händel. Es gelingt ihnen eine moderne Oper, die nicht verstört, sondern unterhält und trotzdem einen Wendepunkt in der Musikgeschichte erklären kann. Alles mit einem Schmunzeln und einen Musikmix, der Barock, Jazz, Tango und Rap vereint und die Erzählweise des 21. Jahrhunderts aufgreift.
Zur Ausgangslage: Der Welfenherzog Georg hat seinen Hoflkomponisten Georg Friedrich Händel einst mit nach London genommen. Dort entwickelte sich der Deutsche zum ersten Pop-Star der Musik-Geschichte und solange er seinen König mit immer neuen Opern "beliefert" bleibt er auch der Favorit seiner Exaltiertheit. Doch dann kommt es zur Krise und fast zum Zerwürfnis zwischen King George und seinem Composer George. Aber zum Schluss wird alles Gut und das Publikum erlebt die Wiedergeburt Händels als Komponist unvergänglicher Werke.

Zweimal George und zwei Lakaien. Alle Fotos: TfN
Die Inszenierung basiert vielen starken Säulen. Da ist zum einen Jochen Kowalski als König George in Höchstform. Exaltiert und überdreht wie ein König im Barock wohl war. Hin und her schwankend zwischen gütlich väterlich und gnadenlos fordern. Diese Oper macht dem Countertenor einen Heidenspaß und dem kann er dem Publikum vermitteln. Diese Rolle scheint Kowalsḱi wirklich auf den leib geschrieben und er kann nicht nur seine einzigartiges Gesangsvermögen ausspielen. Er kann auch seine komödiantischen Möglichkeiten vor zur Geltung kommen lassen. Kowalski eignet sich die Rolle an und erweitert sie, weil Regisseur Axel Ranisch seine Akteuren den Raum dazu lässt. Davon lebt die Inszenierung. Niemand ist in einen Rahmen gepresst und Kowalski nutzt die Freiheiten.
So frei kann Heiko Pinkowski nicht aufspielen, aber die Rolle des Hofkomponisten George Handel ist eben so angelegt. Erst ist es der Druck des  strengen Vaters, dann ist der Musiker den Erwartungen des Arbeitgebers ausgesetzt. Händel steht immer unter Zugzwang und Pinkowski kann dies deutlich machen, besonders als es zur Krise kommt, als der King eben mal was neues will. Immer nur Oper mit Kastratengesang, das geht doch auf Dauer auf keinen Hermelin.
Kats-Chernin und Ranisch ist es gelungen, den Umbruch in Händels Leben nach der Pleite der Opernakademie nicht zu einer trockene musikhistorischen Abhandlung zu machen, sondern sie als Roadmovie auf die Bühne zu bringen. Händels Sinnsuche in Italien wird zur Casting-Show, in der auch mal gerappt wird, in der angemacht wird und in der Muttersöhnchen im Weltmusik-Look vor sich hinpiepsen dürfen. Georg Friedrich Händel und Dieter Bohlen, eigentlich trennen nur knapp 200 Jahre. Die Unterschiede zwischen dem Musik-Biz damals und heute sind wohl rein äußerlich und Händel war eben der Pop-Titan des Barock. Es ist davon auszugehen, dass Händel an dieser Deutung seinen Spaß gehabt hätte.
Casting-Shows waren schon damals eine Herausfor-
derung. Foto: TfN
In diesem Tollhaus gibt es nur einen Normalo: Händesl Assistent Smith. Im Businessdress des 21. Jahrhunderts versucht er die Geschäft des Genies zu regeln und dringt, wohl gerade wegen des Sachverstands, doch nicht durch. So schön Uwe Tobias Hieronimi auch seinen prägnant Bariton schmettern lässt, sein Chef schenkt ihm kein Gehör. Dafür hat aber das Publikum viel Freude an die klaren Leistungen des Hildesheimers. Auch die sechs Nachwuchssänger aus dem eigenen Hause werden den musikalischen Anforderungen von Komponistin Elena Kats-Chernin mehr als gerecht. Ihre Mischung aus Händel-Zitate und Rückgriffen auf Folklore und Pop-Musik atmet nicht nur den Geist des Vorbilds, sondern zeigt auch, weil Freude die Ex-Hannoveranerin wohl bei der Arbeit an George gehabt haben muss. Vielleicht ist das ja das durchgängige Motiv bei dieser Oper. Alle Beteiligten hatten Spaß bei  und den konnten sie bei jeder Aufführung an das Publikum weiterreichen.
Diese Inszenierung lebt auch von den optischen Gegensätzen. Der barocken Opulenz der meisten Kostüme hat Steffen Lebjedzinski ein klares und reduziertes Bühnenbild entgegengestellt. Ein Rampe, ein paar Möbel und ein Vorhand, alles in kräftigen Farben. Da ist nicht mehr als unbedingt sein muss und das erlaubt die Konzentration auf die Personen und die Handlung. Die Ausstattung geht eine wunderbare Symbiose mit dem Licht-Design von Alexander Koppelmann ein. Wenige Meter neben dem Spot-Licht herrscht schon Dunkelheit. Strahlender Glanz neben Finsternis, Ambivalenz und Vielschichtigkeit der Person als Sache des Lichts, eine deutliche Aussage.

In der Not hilft manches Mal eine Partie Skat.
 Aus heutiger Sicht ist manche Händel-Oper ein Soap Opera und deswegen geht "George" in diesem Geiste weiter. Der King is not amused als der Composer wieder mit seinem Favoriten Sino auftaucht. Rübe ab, fordert George I und Händel fällt ins Koma. Doch nun kommen die Engel und die Rettung in Form des Gesangswunders Finella. Trotz ihres kurzen Auftritts ist Eleanor Lyons einer der Ankerpunkte in dieser Aufführung. Es folgt Händels  Bekehrung und Kehrtwende zu seinen unvergesslichen Oratorien. Damit geht in dieser Oper Händels Opern-Phase zu Ende wie eine Oper von Händel, mit einem Zufall, mit einer Rieseportion Glück. Was auf der Bühne leicht und locker aussieht, ist nur dank einer tiefgreifenden Beschäftigung mit der Biografie und dem Schaffen des barocken Pop-Titanen möglich. Aber statt eine trockene musikhistorische Abhandlung zu liefern, zeigte das TfN mit "George" ein amüsantes Roadmovie. In 90 Minute erfährt das Publikum mehr über Könige, Komponisten und Kastraten, als auf 812 Seiten Opernführer. Ende gut, alles gut.
Ist das die Zukunft der Oper? Auf jeden Fall ist es ein Weg, der Kulturschaffenden und Kulturkonsumenten Genuss auf vielen Ebenen verschafft. Wer der alten Dame Oper neue Jünger verschaffen will, der muss sich auf solche Varianten wie "George" einlassen.
Zum Schluss stellt man sich die Frage, ob es schade ist, dass diese Produktion schon nach neun Aufführungen beendet war oder ob man sich freuen sollte, solch etwas Einmaliges erlebt zu haben. Ich habe mich für die zweite Frage entschieden und sage eindeutig: Ich freue mich, dass ich so etwas Einmaliges erleben durfte.


Das Interview mit Jochen Kowalski zum Spaß am "George"

Jochen Kowalski im Kreuzgang Walkenried

Zum Glück wurde niemand verletzt

Ralf Bauer zeigt sich in Walkenried verliebt

Ja, doch, Ralf Bauer kann mehr als Surfen. Im Kreuzgang des Kloster Walkenried zeigte sich auch für andere Themen offen. Zusammen mit Pat Fritz präsentierte Ralf Bauer ein Literatur- und Musikprogramm, bei dem die Liebe im Mittelpunkt stand. Natürlich zeigte er sich als Charmeur und als Spieler mit dem Publikum. Dabei sprengte Ralf Bauer gelegentlich die Grenzen der üblichen Präsentation, aber bis zum Schluss wurde niemand verletzt.
Doch der Abend beginnt tiefschürfend und mit dem Vorspiel auf dem Theater aus Goethes Faust. Überhaupt wird der Dichterfürst an diesem Abend oft bemüht und auch schon einmal von seiner anzüglichen Seite gezeigt. Aber wenn der Vortragende diese im Dress eines Zeitungsjungen der 20-er Jahre, mit Ballonmütze, weißes Hemd und Weste, macht, dann können selbst die Goethe-Puristen ihm nicht sauer sein.
Ralf Bauer hat immer noch den Charme eines kleinen
Jungen. Alle Fotos: tok
Aber der Mann hat ja auch eine Mission. Ralf Bauer möchte das Publikum für den Zauber der Literatur  begeistern. Dazu muss man die Halbgötter eben manchmal vom Sockel holen oder eben an Säulen springen, auf Tische steigen und auf Leitern klettern.
Doch bei allem Klamauk ist die Liebe, von der Ralf Bauer spricht, meist ein zartes Gewächs und in sich gekehrt. Das himmelhochjauzend muss wohl noch warten. Dafür sorgt auch der zweite Mann an diesem Abend. Begleitet wird Ralf Bauer vom Pat Fritz. Der Gitarrist führt sich mit einer sehr reduzierten Cover-Version vom "Every Breath you take" ein. Es ist nicht das Spiel der flinken Finger, mit denen Pat Fritz das Publikum begeistert. Er hypnotisiert mit seiner einmaligen Stimme, ein Bass mit Timbre, viel Schmelz und doch reichlich Dynamik. Die Töne kommen aus ganz aus der Tiefe und reichen bis zum bluesig verzweifelten "Woooaaahhuuuu" hoch.
Doch die Musik ist im gemeinsamen Programm kein Klangteppich, keine Soundtrack. Es ist ein eigenständiges Statement zum gesprochenen Wort, es ist eine andere Sicht auf dasselbe
 Ding, das sich Liebe nennt. Deswegen sorgt Pat Fritz an diesem Abend auch für den Gänsehaut-Moment. Als er die Tom-Waits-Version von "Waltzing Matilda" auf seine sehr eigene Art intoniert, da steht die Zeit still,  da füllt die Geschichte des Alkoholikers, der seine Liebste um Verzeihung bittet, den gesamten Kreuzgang und die Köpfe des gebannt lauschenden Publikums.
Pat Fritz 
Ralf Bauer ist der Kontrapunkt. Er spielt mit Publikum, nimmt direkten Kontakt auf und macht die Zuhörer zu Mitspielern. Da ist der Dialog am Brunnen aus Goethes Faust, als er einer jungen Dame nicht nur Geleit, sondern auch das Mikrofon angedeihen lässt. Dabei ist  auch Improvisationstheater, bei dem das Publikum auf Zuruf den emotionalen Modus des Vortrags bestimmen darf. Heiterkeit, Trauer oder Gleichgültigkeit, Bauer bewältigt sie  alle. Als im Wut-Modus die Trittleiter auf die Bühne kracht, sorgt das für Aufsehen, aber alles bleibt heil. Trotz allen Getöses ist Ralf Bauer eben doch kein Bilderstürmer, sondern ein großer Junge, der spielen will, spielen darf und diesen Spaß am Spiel auch vermitteln und vor allem mit dem Publikum teilen kann.
Das literarische Programm verbleibt im Bildungskanon. Neben viel Goethe stehen an diesem Abend viel deutschsprachige Lyrik aus dem 20. Jahrhundert auf dem Stückzettel: Rilke, Ringelnatz, Hesse und Erhardt. Da ist immer wieder der Rekurs auf die Schule und die Lehrerschaft und das Auditorium nickt dazu wissend. Publikum und Vortragender erarbeiten sich gemeinsam den Spaß an der Poesie zurück, den der Bildungsapparat ihnen genommen hat.
Wenn Ralf Bauer Hermann Hesse zitiert,
dann steht die Welt Kopf. 
Diese Mission gelingt, weil im Zusammenspiel von Ralf Bauer und Pat Fritz immer noch genug Spontanität und auch gegenseitige Wertschätzung steckt. Damit ist der Titel "Bauer in love" vielleicht zu kurz gegriffen. "Bauer in love with Fritz" wäre vielleicht. Auf jeden Fall nehmen die beiden ihre Zuhörer mit auf eine Reise in das Land des Verliebtseins. Der Treibstoff ist die Sehnsucht nach diesem besonderen Zauber auch im Alltag und deswegen kommen Bauer, Fritz und das Auditorium dort an, wo sie hin wollten. Dafür bedankt sich das Publikum mit so viel Applaus, dass Ralf Bauer und Pat Fritz ihren Zuhörerinnen noch einen Song auf den Heimweg mitgeben: "Miami Beach". Leider zeigt das Duo erst in dieser Zugabe, dass Liebe auch swingen kann, das Liebe auch Anlass für eine gelassene Freude sein kann.


Ralf Bauer bei wikipedia
Die offizielle Website Bauer.tv

Pat Fritz bei wikipedia
Die offizielle Website www.pat-fritz.de

Die Kreuzgangkonzerte

Dienstag, 7. Oktober 2014

Für alle ein Gewinn

Erich Sidler gelingt mit "Homo Empoathicus"

Bester hätte der Einstand kaum sein können. Mit "Homo Empathicus" von Rebekka Kricheldorf eröffnete Erich Sidler am Freitag die Spielzeit 2014/15 am Deutschen Theater in Göttingen. Mit dieser Uraufführung zeigte der neue Intendant am Deutschen Theater, dass zeitbezogenes Theater keine düstere Weltschmerz-Litanei sein muss, sondern auch bissig und hintersinnig daherkommen kann. Trotz einiger Längen fügen die Einzelteile zu einer Gesamtaussage zusammen.
In ihren neuestem Stück entwirft Rebekka Kricheldorf eine Insel der Glückseligen. Alles Negative, alles Diskriminierende, alles Ausgrenzend, alles Abgrenzende, alles Individuelle und alles Persönlich wurde aus der Sprache getilgt. Selbst natürliche Begriffe wie jung und alt werden ausgemerzt und durch Konstrukte ersetzt. Mit der Kontrolle über die Sprache haben die Bestimmenden auch die Herrschaft über die Köpfe erlangt.
Mo(2.v.r.) gehört zu den heimlichen Herrschern in
dieser befriedeten Gesellschaft. Foto: Th. Aurin
Trotz aller Gleichmacherei ist gibt es immer noch ein oben und ein unten, gibt es immer noch die Bestimmenden und die Bestimmten, gibt es immer noch Machtverhältnisse im Friede-Freude-Eierkuchen-Land. Nur wird Macht anders ausgeübt. Dies arbeiten Sidler und Kricheldorf sehr gut heraus.
Druck übt das Kollektiv auf das Individuum aus und Herrschaft kommt durch die Hintertür, mit einer wissenschaftlich verbrämten Argumentation, mit der Killerphrase "Es ist doch nur zu deinem Besten". Und über allem hängt der Zwang zur permanenten Besserung.
Karl Miller in der Rolle als Ernährungsberater treibt dieses Prinzip bis auf die diabolische Spitze. Nicht einmal mehr über das Privateste, Ernährung und Verdauung, darf der entprivatisierte Mensch bestimmen. Wer sich nicht so verhält, wird zwangstherapiert wie Chris. Benedikt Kauff wandelt als seditierter Teenagers immer am Rande des Nervenzusammenbruchs und wird der Rolle damit vollkommen gerecht.
Nicht das Kollektiv ist der Held, sondern die Besitzer der Weisheit, die neuen Helden einer eingeebneten Gesellschaft. Florian Eppinger spielt den Professor Möhring als Mastermind der Menschenfreunde souverän. Gabriel von Berlepsch interpretiert den Mo mit geschmeidigen Bewegungen als einen Michael Jackson der Coachingszene. Rebbecca Klingenberg macht als Dr. Oscho deutlich, das eine Psychologin, äh 'tschuldigung, eine Wegsprechende auch andere Wege hat, um Störungen glatt zu bügeln.
Der Wilde ist in die Welt der Empathischen einge-
derungen. Alle Fotos: Th. Aurin



Das Deutsche Theater
Das Stück
Die Autorin Rebekka Kricheldorf
Der Intendant Erich Sidler