Dienstag, 29. August 2017

Einfach kolossales Theater

Das Théâtre La Licorne überwältigt mit Spartacus

Dieses Stück sprengt alle Ketten. Mit "Spartacus" zeigte das Théatre La Licorne ein Werk, dass die Grenzen zwischen den Genres aufhebt. Es ist ein wenig Oper, ein wenig Pantomime und auch Figurentheater. Aber vor allem ist es ein Stück, das optisch und inhaltlich überwältigt und Bilder produziert, die in Erinnerung bleiben.

Ausgangspunkt ist eine historisches Ereignis. Im Jahre 73. v. Chr. führt der Gladiator Spartacus einen Aufstand von Sklaven an, der die späte römische Republik an den Rand ihrer Existenz bringt. Schließlich findet diese Revolte auch unter den verarmten Freien seine Anhänger und wendet sich so gegen das System. Doch nach taktischen Fehlern und nach Verrat siegt zum Schluss die römische Übermacht.

Erzählt wird diese Geschichte der Hoffnung und des Scheitern in sieben Szenen, die monumental sind und voller Anspielungen und voller Symbolik stecken. die aber doch auch eine eigen Lyrik, Komik  und Poesie zeigen. Seit 28 Jahren beschäftigt sich die Kompagnie mit Figurentheater und mit Objekttheater. Es scheint, als sei "Spartacus" zum einen der Extrakt der Erfahrungen. Zum anderen ist es ein klares Konzept voller bezaubernder und überzeugender Ideen und Einfälle.

Dies beginnt mit der Spielstätte, die das Ensemble selbst mitbringt. Gespielt wird in einer Miniaturversion des Kolosseums. Links und rechts der Portale finden etwa 150 Zuschauer auf Holzbänken in drei Reihen Platz. Die Enge steigert die Intensität des Spiels. Niemand kann sich dem Treiben entziehen und phasenweise wird das Publikum Teil der Darstellung.

Riesig groß trifft auf winzig klein.
Foto: Théâtre La Licorne
Wie einer römischen Arena  üblich, ist der Boden mit Sand bedeckt. Im Laufe der Aufführung wird er mit reichlich Theaterblut getränkt. Senator Crassus betritt den Portikus und die Spiel können beginnen. Er singt das Lied vom Glanz Roms und zum Ausruf  "panem et circenses" wirf er Brot ins Publikums. Nicht jeder im engen Rund versteht dies.

Bisher konventiolles Schauspiel betreten nun die Wagenlenker die Szenerie und führen ein neues Element ein: Die Figuren. Sie schieben Blechmodelle von Streitwagen vor sich. Es quietscht und rappel und dreht sich doch. Überhaupt ist die Optik dieser Inszenierung vom Eisen bestimmt, dem Werkstoff, auf dem das römische Imperium gebaut wurde.

Das erste "Oh" gibt es beim Kampf des Gladiators gegen den Löwen. Der Kämpfer ist eine winzige Figur, hinter dem Löwen stecken zwei Darsteller. Es schleppert und klirrt und trotz des spröden Material entwickelet sich ein rasantes Spiel. Der  Gladiator fällt und steht wieder auf. Er kämpft um sein Leben, dabei es ist von Anfang an klar, dass er nicht gewinnen kann. Da können noch so viele Daumen im Publikum nach oben gehen, Crassus hat entschieden, dass der Mann sterben muss.

Spartacus muss gegen den Elefanten kämpfen und das technische Erstaunen darüber, welche Dimensionen und welche Beweglichkeit in solch einer Figur stecken kann, wird von der Verzauberung über die Ausdrucksstärke dieser Mischung begleitet. Damit kann das Ensemble sogar komische Momente erzeugen. Dazu sicherlich Szene zwei, als die Senatoren in der Therme die Geschäfte des Staates untereinander aushandeln. Dabei die Kompagnie kann auch Momente tiefer Verzweifelung darstellen, als das Heer der Sklaven dem Hungertod ausgeliefert scheint. Das Publikum ist einen Wechselbad aus Lachen,. Mitleid, Staunen und Erstarren ausgesetzt. Unberührt bleibt niemand.

Auf alle Fälle ist jeder Moment ein Moment voller Bilder, die beeindrucken und bleiben. Es ist auch ein Spiel mit Symbolen, die gedeutet werden müssen. Immer wieder tauchen Vögel in unterschiedlichen Gestalten auf. Sie stehen für Hoffnung, römischen Aberglauben, aber auch für das römische Herr. Wer die Zeichen lesen kann, hat mehr davon. Man muss es aber auch nicht.

Die Syrer ziehen ihre Schiffe zurück, damit ist die
Niederlage besiegelt. Foto: Théâtre La Licorne
Und dann sind da Hunderte von Füßen, die für die zahllosen Sklaven stehen. Als Spartacus sie auf einem breiten Band durch die Arena in die Freiheit führt, herrscht Schweigen im Rund. Betretenes Schweigen herrscht, als der römische Feldherr nach der Spartacus'  Niederlage diese Füße im blutgetränkten Sand entsorgt und die Überlebenden die Überreste entsorgen müssen, um den Siegern den Weg zu bereiten.

Die Inszenierung verzichtet weitestgehend auf das gesprochene oder gesungene Wort und dort wo es zur Geltung kommt, ist es französisch, logisch. Für die Aufführung in Northeim wurden deutschsprachige Sprengsel eingestreut. Darauf hätte man verzichten können, denn die Darstellung ist so eindeutig und eindrucksvoll, dass man sie auch im Original verstünde.Jede Szene wirkt, weil sie reduziert und damit wirken lässt. Was fehlt, dass darf sich das Publikum dazudenken

Es ist diese Mischung aus einfachsten Mitteln, Symbolen und ausgereifter Technik, die so archaisch erscheint, die dieses Werk so eindrucksvoll macht. Schließlich geht es ja um etwas ganz archaische Dinge: Die Freiheit und die Würde des Menschen und der Kampf gegen Unterdrückung. Damit ist es kein Historienstück, sondern eine Inszenierung, die immer aktuell bleiben wird. Als Crassus sich im Gehen an das Publikum und fragt, ob hier noch ein Spartacus anwesend sei, schwillt der Kloß im Hals blitzartig an.





Theatre La Licorne #1: Die offizielle Website
Theatre La Licorne #2: Spartacus - das Stück

Theater der Nacht #1: Die offizielle Website

wikipedia #1: Spartacus - die Biographie
wikipedia #2: Der Aufstand




Montag, 14. August 2017

Musik einfach fantastisch

Staatsorchester Braunschweig verzaubert das Theaternatur-Festival



Ein Sinfonieorchester auf der Waldbühne in Benneckenstein. Kann das funktionieren, kann das überhaupt klingen? Ja, das kann und am Sonntag hat es wunderbar funktioniert und zauberhaft geklungen. Mit dem Konzert „Hexenwerke“ verzauberte das Staatsorchester Braunschweig das Publikum beim Theaternatur-Festival. Alle widrigen Umständen zum Trotz.

Die bestanden einzig im Wetter. Zum Konzertbeginn waren die Temperaturen derart in den Keller gerauscht, dass das Ensemble um die wertvollen Instrumente fürchtete. Deswegen wurde das Programm umgestellt und gekürzt. Das Wetter war wohl auch für den überschaubaren Zuspruch verantwortlich. Um eine Floskel zu bemühen: Jeder, der nicht da war, hat was verpasst.

Die technische Frage zuerst: Im Klangbild gab es keine Abstriche. Ganz im Gegenteil. Auf der Naturbühne unter dem Blätterdach gibt es nichts, was mitschwingt, verstärkt oder ablenkt. Es ist ein puristischer und klarer Klang, der das Publikum von Anfang an in den Bann zog.

Leider war das Gast-Musiker-Verhältnis fast 1:1.
Fotos: Kügler
Anders als angekündigt macht die „Fantastische Sinfonie“ von Berlioz den Auftakt. Bevor die Temperaturen eine Aufführung endgültig verhindert, will das Ensemble das Hauptwerk des Abends vollendet haben.

Die "Symphonique fantastiue" ist ein revolutionäres Werk, dass an der Schwelle zwischen Romantik und Programm-Musik steht. Der Romantik bleibt es mit seinen traumhaften Themen verhaftet, in die Programm-Musik gehört die durchgängige Geschichte, die der Komponist hier erzählt.

Mit diesem Werk hat Hector Berlioz nicht nur das Leitthema in die Musik eingeführt. Immer wieder taucht die "Idée fixe",  hier als die Geliebte, in zahlreichen Variationen auf, bis sie verzerrt in einem gigantischen Finale im Wahn zerfällt. Der Traum ist ausgeträumt und am Ende bleibt eine schale Tanzweise.

Berlioz hat auch den Klangraum des Orchesters erweitert und das Ensemble zum Akteur gemacht. Der Klarinettist wird die Bühne verlassen, um den Dialog der Hirten sichtbar zu machen. Vier Pauken kündigen das Unheil an, Glockenspiele symbolisieren das kalte Metall des Fallbeils. Mitte des 19. Jahrhunderts war dies eine Revolution. Der Franzose nimmt vieles vorweg, was man leichtfertig Richard Wagner zuschreibt.

Ein Ensemble muss schon ein gesundes Selbstbewusstsein mit sich bringen, um sich der Herausforderung „Fantastische Sinfonie“ zu stellen. Das Werk stellt höchste technische Anforderungen an die Musiker, vor allem an die Streicher. Tempi-Wechsel reihen sich aneinander und erfordern auch schnelles Umschalten im Spiel.

Streicher und Bläser befinden sich im ständigen Dialog. Für die Laien kommen die Übergänge plötzlich, immer wieder tun sich neue Perspektiven auf. Alles klappt brillant. Dirigent Christopher Hein hält das Tempo hoch und trotzdem überfährt er das Publikum nicht. Alles bleibt transparent und erhörbar.

Die Dunkelheit verwandelte die Waldbühne in einen
mystischen Ort.
Es ist geht nicht nur um Technik. Trotz der erdrückenden Thematik und des monumentalen Finales ist Sinfonie ein Werk, dass von einem filigranen Klangbild geprägt ist. Die Dominanz der Streicher ist gebrochen und andere kommen auch zu ihrem Recht. Mit immer wieder überraschender Instrumentierung öffnet Berlioz Klangräume, die es zuvor nicht gegeben hat.

Diese Durchmischen der musikalischen Farben erledigt das Staatsorchester mit meisterlicher Hand. Es scheint, was ob jeder Ton, und sei er noch so klein, zur Geltung kommt. Dies wird mit Applaus nach jedem Satz reichlich belohnt. Natürlich gibt es viel Beifall zur Pause.

Damit hatte das Publikum das Ensemble wohl weich geklopft. Denn trotz weiterhin fallender Temperaturen spielte es noch die Ouvertüre zum Freischütz, wohl der deutschesten aller Opern. Das Staatsorchester Braunschweig setzte seine Meisterleistung aus dynamischen Spiel und transparenten Klangbild fort.

Vielleicht war diese Reihenfolge sogar die bessere Variante. Denn die mythengeladenen Musik von Weber ging nur eine Symbiose mit der Nacht, die die Waldbühne in Dunkelheit tauschte. Das Scheinwerferlicht formte das Blätterdach zur Höhle und die Lichtinstallationen im Wald erweiterten die Spielfläche optisch. So entstand ein audio-visuelles Gesamtwerk, das durch auch den Titel "Hexenwerk" verdient hat.

Unabhängig von der Musik machte sich die Fantasie eines jeden Zuhörer allein auf die Reise. Geplant oder nicht, ergaben sich Bilder, die in Erinnerung bleiben werden. Geplant oder nicht, aber zum Träumen und Nachdenken anregen, das ist kulturelle Höchstleistung.


Damit das Publikum aber mit dunklen Gedanken den Heimweg durch den finsteren Forst antreten musste, gab es spontan als Zugabe von einen Strauß-Walzer oben drauf. Soviel Abweichung muss sein.    







Theaternatur-Festival #1: Die offizielle Website
Theaternatur-Festival #2: Der Auftritt bei facebook



Staatsorchester #1: Die offizielle Website
Staatsorchester #2: Der Eintrag bei wikipedia
Staatsorchester #3: Die Braunschweiger im Kloster Walkenried








Dienstag, 8. August 2017

Eine ziemlich genaue Studie



Liebetruth inszeniert eine beklemmende Hexenjagd

Dem Status des Geheimtipps ist das Theaternatur-Festival in Benneckenstein längst entwachsen. Jetzt setzt Leiter Janek Liebetruth noch eins drauf. Mit "Hexenjagd" von Arthur Miller legt er als Regisseur eine großartige Inszenierung vor. Ihm gelingt es zum Kern der Massenhysterie vorzudringen. Wenn es so weiter geht, dann wird das Festival auf der Waldbühne bald zum Pflichttermin für zeitgenössisches Theater.

Miller veröffentlichte sein Werk über eine Massenhysterie in Neuengland 1692 im Jahre 1953. Damals wütete in den USA der Ausschuss für unamerikanische Untriebe unter dem Senator Joseph McCarthy. Künstler, Intellektuelle und Gewerkschafter standen unter dem Generalverdacht, Propaganda für die kommunistische Partei zu betreiben. Viele angeklagte wanderten ins Gefängnis, selbst Größen wie Charlie Chaplin wurden aus dem Land getrieben.

Mit "Hexenjagd" übte Miller deutliche Kritik an der Zeit. Die Parallelen zu jenen berüchtigten Prozessen im puritanischen Neuengland des 17. Jahrhunderts  waren offensichtlich. Neid und Missgunst und eine Verleumdung reichten aus, um unbescholtene Menschen auf das Schafott zu bringen und Familien ins Elend zu stürzen.

Liebetruths Inszenierung macht deutlich, dass es die Zeit nicht die Rolle spielt. Es braucht nur eines Klimas der Verunsicherung und der Angst, um Dinge in Gang zu setzen, die schnell außer Kontrolle geraten. Ob nun 17., 20. oder 21. Jahrhundert, die Mechanismen sind die gleichen. Goethes Weisheit von den Geistern, die man rief, drängt sich auf.

Nathaniel ist eine begnadeter
Einschmeichler. Fotos: Schabert
Personifiziert ist dieser Kontrollverlust in der Rolle von John Hale. Vom Hexenverfolger wandelt sich der Pastor zum Bremser, doch der Zug ist schon zu schnell, um noch gestoppt zu werden. MIt ihm scheitert der gesunde Menschenverstand und die christliche Barmherzigkeit.

Treffend verkörpert wird Hale von Gerrit Neuhaus. Letztes Jahr noch als Wüterich in Schillers Räubern unterwegs, setzt er in dieser Aufführung vor allem die leisen Töne. Mit zurückhaltenden Gesten, schmalen Körper und gezielter Sprache sorgt er für die Achtsamkeitsmomente in dieser Inszenierung. Jedes Wort ist wohl gesetzt und wichtig.

Überhaupt ist diese Inszenierung Sprechtheater im besten Sinne. Liebetruth legt den Schwerpunkt auf das gesprochene Wort und verzichtet auf Aktionismus. Selbst in den dramatischen Szenen erspart er dem Publikum überflüssige Hektik. Damit setzt sich diese Inszenierung einen Kontrapunkt zu den hyperaktiven Räubern des Vorjahres.

Überhaupt zeigt sich Liebetruth als Meister der Raumaufteilung. Jeder steht dort, wo er oder sie hinzugehören scheint. Die Darsteller gliedern den großen leeren Raum, sie schaffen Übersicht und Fronten und positionieren sich wie die Figuren eines Schachspiels.

In diesem Spiel kommt John Proctor die Rolle des weißen Königs zu. Wertefest und linientreu wird er von Philip Wilhelmi auf die Bühne gebracht. Die selbstbewusste Haltung mit raumgreifenden Gesten wird im Laufe der Aufführung immer kleiner und der Zusammenbruch in der vorletzten Szene macht seine Niederlage um so deutlicher. Nur die feste Stimme steht noch für die Überzeugung.

In der Rolle das Nathaniel Williams ist Karl Schaper Gegenpol und Widerpart. Mit dem Austausch der Abigail durch eben jenen Nathaniel zieht Liebetruth ein zusätzliche dramatischen Ebene ein. Die homoerotische Beziehung zwischen Proctor und Williams verleiht dem Stück wieder jene Brisanz, die es einst in den prüden 50-er Jahren hat. Zudem wird das Dilemma, vor dem Proctor steht, noch umso größer und seine Beichte echter. Doch dieser Befreiungsschlag geht ins Leere.

Aber der junge Mann ist alles andere als ein Sympathieträger und Schaper kann dies bestens umsetzen. Unsteter Blick, eingezogene Schulter und eine Stimme stets an der Grenze zur Hysterie zeigen die Anspannung des Intriganten, der weiß, dass er Falsches tut aber nicht anders kann.
Die Beziehung von John Proctor und Nathaniel
Williams ist nicht konfliktfrei. Fotos: Schabert

Das Bühnenbild von Hannes Hartmann wirkt auf den ersten Blick recht reduziert: Ein grau-braune Spielfläche, die mit einen weißen Keil asymmetrisch geteilt ist. Darauf lediglich ein paar orange Plastikstühlen, ein Tisch und ein Schreibtischsessel. Wer diesen besetzt, der ist im Besitz der Macht, hat das Heft des Handelns in der Hand.

Die Rückwand dient als Projektionsfläche für Twitter-Kommentare und Fake-News. Das Internet ist vom Vorreiter der Aufklärung in den 1990-er Jahren zur Hetzmaschine der 2010-er Jahre geworden. Liebetruth macht die Motive und Mechanismen der Verleumdung deutlich und zeigt, dass die Postmoderne noch perfidere Mittel als die Vergangenheit.

Diese Rückwand trägt wesentlich zur Dramatisierung bei. Nach dem ersten Akt rückt sie nach vorne, verengt den Spielraum deutlich und sorgt für Beklemmung. Gleiches gilt für den Schluss des zweiten Aktes, es wird noch enger. Als Ende der Aufführung die Situation außer Kontrolle gerät, steht die Rückwand der Rampe und schubst Darsteller und Requisiten in den Abgrund. Einfach ein starkes Bild.








Das Festival #1: Der Spielplan
Das Festival #2: Das Stück

Arthur Miller #1: Die Biografie
Arthur Miller #2: Die Hexenjagd

Zeitgeschichte #1: Die McCarthy-Ära
Zeitgeschichte #2: Salem 1692

Samstag, 5. August 2017

Rock gegen Rheuma und Selbstmitleid

Stefan Gwildis und Band bringen Kloster zum Kochen

Das Rennen ist gelaufen. Zwei Stunden begeisterte Zuhörer, euphorische Fans und Klatschen als Daueraufgabe. Der Titel "Konzert des Jahres 2017" bei den Kreuzgangkonzerten geht eindeutig an Stefan Gwildis und Band. Alles, was vorher war, und alles, was noch kommen wird, muss sich wohl mit Platz zwei zufrieden geben.

Angekündigt war ein Programm aus dem aktuellen Album "Alles dreht sich". Seit dem Durchbruch mit "Neues Spiel" 2003 ist dies sicherlich die ruhigste Produktion, Gwildis in Moll gewissermaßen. Wer nun befürchtet hatte, einen besinnlichen Abend im Klostergarten zu verbringen, sah sich gleich zu Anfang arglistig getäuscht. Vom ersten Takt an war Dampf auf dem Kessel und schon beim Intro führte das Publikum die Handflächen rhythmisch und hörbar zusammen.

 Gwildis trägt den Stempel "Deutschlands bester Soulman". Doch das ist ein unzulässige Reduktion. Schon das Intro ist Funk im Stil der späten 70er und der 80er Jahre. Ein fetter Bass in Slap-Technik, dazu eine Percussion mit einer treibenden Snare-Drum, darüber ein Keyboard, dass Bläser imitiert und eine Gitarre, die die Melodie übernimmt. So einfach ist das.

Dieser Mann hat jede Menge Spaß und sein Publikum
mit ihm. Fotos: Kügler 
Natürlich gibt es an diesem Abend noch Soul, jede Menge sogar. Aber es wird auch Jazz geben und Blues und Rock und Bossa Nova und Samba. Ja, richtig gelesen: Samba. Überhaupt ist das Intro zu "Na ja, Na ja" einer der Höhepunkte des Abends. Dann erzeugt die fünffache Percussion einen solchen treibenden Rhythmus, dass sogar die berüchtigte Sambaschule der Ufa-Fabrik hier noch etwas lernen könnte. Gwilidis' Scat Einlage beim "Wenn der Mond über Hamburg" verdient immerhin 8 von 10 Punkten auf der Al-Jareau-Skala. Im Interview wird er später sagen, dass dies für hn alles irgendwie Soul ist. Ist ist beseelte Musik und es ist Musik, die an die Seele geht. In diesem Sinne hätte er im Klostergarten auch auf dem Kamm blasen können, die Fans wären trotzdem völlig elektrisiert gewesen.

Als Gwildis die Bühne betritt, heizt  die Stimmung gleich noch einmal zwei Stufen auf. Mit "Pollerhocken" bleibt das Tempo weiterhin hoch. Der Song hat einen hohen Mitsing-Faktor, dem die Zuhörer erliegen. Wer den Text  und Stefan Gwildis spielt einen auch gleich mit dem Publikum. Mehrfach wird es den berühmten  Ah-Oh-Yeah-und-Dubbido-Wechsel zwischen dem Mann auf der Bühne und den Menschen auf der Tribüne geben. Beim Intro zu "Der Einsame" von Heinz Erhardt erhebt er das Spielchen zur Kunstform.

Er ist nicht nur ein beseelter Musiker und Sänger, sondern auch ein begnadeter Entertainer. In der Kategorie "Rampensau" spielt Stefan Gwildis einfach in einer eigenen Liga.  Da gibt es keine Barriere zwischen Bühne und Tribüne und wenn er den Zuhörern das Du anbietet, ist das echt. Schließlich ist man an diesem Abend eine Feiergemeinde und in diesem Sinne sind eben alle Brüder und Schwestern. Es ist nicht wichtig, wer man ist oder woher man kommt. Wichtig ist, dass man da ist, so heißt es doch bei Martha & The Vandellas und im Klostergarten ist es an diesem Abend das Glaubensbekenntnis.

Marc Awounou beherrscht alle Spiel-
arten der 
populären Musik
Vor allem zeigt sich Gwildis gut vorbereitet. Er kennt die Ortsnamen in der Umgebung, weiß, wo Ellrich liegt. Das Publikum fühlt sich geschmeichelt. Aber vor allem haben er und die Band einen Walkenried-Love-Song-Blues im Gepäck. Fleißig lobt es das besondere Ambiente im Klostergarten. Das wirkt nicht wie Schmeichelei sondern wie ein echtes Statement.

Egal ob Achim Rafain am Bass oder Tobias Neumann an den Tasten oder Drummer Martin Langer, jeder der Musiker bekommt an diesem Abend mindestens einmal die Chance im Rampenlicht zu stehen. Jeder nutzt sie. Gitarrist Marc Awounou gleich mehrfach. Stefan ist eben ein echter Kumpel und deswegen lässt er jeden den Platz, den dieser braucht.

Deswegen kann sich bei "Tanzen übern Kiez" die männliche Hälfte des Publikums durchaus vorstellen, mit ihm über die Reeperbahn zu ziehen. Die weibliche Hälfte träumt sogar davon. Gwildis hat eben jenen Charme des ewigen Jungen und jede Menge Street Credibilty. Jeder Zuhörer kennt natürlich seine abwechslungsreiche Biografie.

Seine Themen sind Liebeskummer, das Leben überhaupt und seine Höhe und Tiefen, das Hinfallen und Wiederaufstehen und von der Freude an der Musik. Er singt vom Liebesrausch und von Scheidung, von Nutten und Schlägern und den Vollmondnächten in Hamburg. Im Südharz hat das natürlich einen Exotenbonus.

Trotz aller Nackenschläge hat Gwildis den Optimismus nicht verloren. Gwildis und seine Fans können nichts anfangen mit dem Selbstmitleid der Generation Y-ammerlappen. Seine Ratschläge sind einfach: Lass den Kopf nicht hängen, bleib einfach Mensch und mach immer mal was Neues. In "Eine Handvoll Liebe" findet diese Rezept seine musikalische Fassung.

"Mach man wie du meinst, aber geh den anderen nicht auffen Sack, dann komm' wir miteinander längs", ist die klare Essenz. Da steckt jede Menge Gelassenheit, aber auch Optimismus hinter.

Aber jetzt heißt es Spaß haben und den haben Musiker und Publikum, egal ob es bluest oder swingt oder soult. Das Programm ist eine Zusammenstellung aus den Alben der letzten Jahre und die Zuhörer werden fast immer zu Mitsängern. Die Bestuhlung im Klostergarten hat an diesem Abend eher eine dekorative Aufgabe. Man hätte sie auch abbauen können, denn das Publikum verbringt den größten Teil des Abends stehend und mitwippend.

Das Publikum ist geprägt von der Generation Ü 50 und damit ist der Abend wohl die größte "Rock gegen Rheuma"-Aktion, die es je in Südniedersachsen gab. Die Therapie wirkt sofort. Musikalisch gedopt tänzeln sich Musiker und Publikum locker bis zur Pause.

Manchmal ist weniger mehr.
Foto: Kügler
Ein Mikro, ein E-Piano und zwei Männer. Das zweite Set beginnt mit einem deutlichen Cut. Nur Stefan Gwildis und Tobias Neumann stehen auf der spärlich beleuchteten Bühne. "Keines Menschen Auge" heißt ihre Coverversion von Lucio Dallas "Caruso". Dieser Songs muss Gwildis was bedeuten, es ist einer wenigen, die hart an der Vorlage bleibt. Beim Solo von Neumann kann man hören, wie die berühmte Nadel fällt. Es ist tiefste Traurigkeit, gegossen in 7 Minuten 35 berührende Musik.

Doch der Kloss im Hals löst sich auf und das Konzert windet in die Spaß-Spur zurück. Schon beim "Heute ist der Tag" wird fleißig geschnippt und geklatscht. So geht das weiter bis mit das Programm mit "In meiner Kathedrale" furios ausklingt. Doch die Fünf unternehmen erst gar den Versuch, die Bühne zu verlassen. Die Zugabe ist Pflicht. Schon als "Papa will da nicht mehr wohnen" angespielt wird, kocht der Klostergarten endgültig. Vier Instrumentalisten und ein Sänger machen bei dem Tempations-Klassiker so viel Druck und Dynamik wie sonst nur eine große Besetzung mit Bläser-Sektion.

Aber alles Doping nutzt nichts. Auch das schönste "Rock gegen Rheuma" ist irgendwann zu Ende. Nach der dritten Zugabe trennen sich Musiker und Publikum gütlich. Müde aber glücklich. Selbst ein Schlipsträger lässt sich zu der Aussage "Mein Gott, war das geil" hinreißen. Das einzige, was an diesem Abend fehlte, war die Gwildis-Hymne "Sie ist so süß, wenn sie da liegt und schläft". Aber die wird das Publikum bestimmt beim nächsten Auftritt im Klostergarten einfordern.    




Gwildis #1: Die offizielle Website
Gwildis #2: Der Eintrag bei wikipedia

Gwildis #3: Glücklich sein in Herzberg im Herbst 2014
Gwildis #4: Glücklich sein in Göttingen im Frühling 2014

Gwildis #5: Das erste Interview mit dem Harzer Fragensteller
Gwilids #6: Das zweite Interview mit dem Harzer Fragensteller



Kreuzgangkonzerte #1: Die Website
Kreuzgangkonzerte #2: Der Auftritt bei facebook

Kreuzgangkonzerte #3: Das Programm