Montag, 25. Mai 2015

Manche würden ihre Seele dafür verkaufen

Ann Hallenberg und "il pomo d'oro" verzaubern mit Agrippina-Studien

Das war Begeisterung pur, auf der Bühne und im Publikum. Mit ihrem Programm Agrippina rissen die Mezzosopranistin Ann Hallenberg und das Ensemble "il pomo d'oro" die Zuhörer am Pfingstsonntag in der Stadthalle Göttingen schon zur Pause zu Jubelstürmen hin. Donna Leon meinte als Mentorin des Abends, dass manche ihre Seele verkaufen würden, um so singen wie die Solistin.
Doch es war eben kein Solo. Da standen Partner auf Augenhöhe auf der Bühne, um mal eine Floskel zu bemühen. Es waren Partner, die sich kongenial ergänzten.
Zuerst zeigt Donna Leon die Verknüp-
fungen zwischen den Agrippinas auf.
Die Figur der Agrippina war zu barocken Zeiten ein beliebtes Motiv. Neben Händel haben sich auch Graun, Porpora, Sammartini, Orlandini und Telemann um die römische Kaisergemahlin gekümmert.  Stoff gibt es reichlich, denn es sind drei Damen unter gleichen Namen, die zur Steigerung der Verwirrung auch miteinander verwandt waren. Die Mutter des Nero, Namensgeberin einer deutschen Großstadt und zweifelhafte Heldin der diesjährigen Festspieloper Agrippina ist nur die letzte in dieser Reihe.
Donna Leon brachte mit ihrer Einleitung Licht in das Dickicht altrömischer Verwandtschafts- und Ehebeziehungen. Die Schrifstellerin brachte es auf den berühmten Punkt. Es war wie Dallas am Ufer des Tibers.
Die drei Damen, die nicht unerheblichen Einfluss auf die Geschichte des Kaiserreichs kategorisierte sie als die gute, die unsichtbare und die böse Agrippina. Eins hatten sie auch noch gemeinsam: Alle drei verkauften ihre Seele an die Macht im römischen Kaisertum.
Ob "good, bad and invisible", dementsprechend fanden alle drei mit sehr eigener Darstellung  Aufnahme in die Musikliteratur. Mal als Furie, mal als kommendes Opfer imperialer Ränkespiele. In drei Personen findet sich das ganze menschliche Universum. All dies findet sich in der Zusammenstellung an diesem Abend.
Aber die Auswahl des Programms aus barocken Arien und Concerti, dies sei einzig das Werk der Musiker gewesen, betont die Wahl-Venezianerin. Das sie die größte Mentorin des Ensembles ist, das gibt es schriftlich.
Den Auftakt machte der Bezug zur diesjährigen Festspieloper Agrippina und bei Händels Werk ließ Ann Hallenberg keinen Zweifel daran, dass sie zu den besten ihres Fachs gehört. Diese Souveränität erlaubt den auch selbstironischen Umgang mit den Kollegen und den Monumenten europäischer Kultur. Gleich zu Anfang wurde viele gescherzt, ironisiert und augengezwinkert. Offensichtlich entspricht dieser frische Umgang auf höchsten Niveau auch dem Verständnis des italienischen Ensembles "il pomo d'oro".
Ann Hallenberg hatte große Freude am
Spiel. Alle Fotos: tok.
Warum sich dieses Orchester innerhalb kürzester Zeit in die oberste Liga gespielt, zeigen die Musiker um Gründer und Dirigent Riccardo Minasi in Vivaldis Conerto in D-Dur. Das ist der heitere Geist des Venzianers, der kraftvoll und fröhlich darherkommt, auf der Basis exzellenter Streicher. Besonders Riccardo Minasi glänzt in den Soli mit einem expressiven aber exakten Spiel, das einem vor Tempo und Präzision der Atem wegbleibt, während das Ensemble die schnellen Tutti-Solo-Wechsel leichtfüßig intoniert.
Ja, und dann kommt jene Arie von Graun, die Donna Leon zum Verschachern der Seele verleiten könnte. Das Staccato in der Koloratur, das ist ganz große Kunst, die Ann Hallenberg später in der Agrippina-Arie aus Telemanns Germanicus noch einmal steigern wird. Jeder Ton sitzt, jede Silbe sitzt.
Diese Dynamik, diese Kraft, das macht die Klasse der Mezzosopranistin aus, das ist einmalig. Dazu passt die Gestik, passt die Mimik. Hier wird nicht vom Blatt gesungen. Ann Hallenberg und il pomo d'oro, die leben Barockmusik. Aus den selben Gründen wird "Tutta furie e tutta sdegno" von Orlandini ein weiterer Höhepunkt an diesem Abend voller Highlights. Diese Dichte und das breite Spektrum und all das auf höchsten Niveau mit dieser großen Portion an Enthusiasmus, das ist einmalig.
Mit Vivaldis Concerto in F-Dur kann "il pomo d'oro" zum wiederholten Male die Extraklasse unter Beweis stellen. Das Wechselspiel noch einmal im Staccato, fehlerfrei. Nicht nur Riccarod Minasi ist ein exzellenter Solist, auch die Hörner unterstreichen jetzt ihre Stellung. Im Largo setzten Marco Frezzati am Cello und Ludovico Minasi am Bass die Kontraste.
Auch die Musiker sind begeistert.
Alles, was dann kommt, ist pure Begeisterung. Mit Standing Ovations und Bravo-Rufen fordert das Publikum gleich drei Mal sein Recht auf  Mehr ein. Das Ensemble scheint dieses Lob gern entgegen zu nehmen. Es gibt die Freude zurück.
Um mit einer Floskel abzuschließen: Wenn Musiker Spaß am eigenen Tun haben, dann merkt man dies im Zusammenspiel und wenn sie Spaß an ihrem Tun haben, dann überträgt sich dies sofort und ungehemmt auf das Publikum. Es bleibt zu hoffen, dass es bald ein Wiedersehen mit Ann Hallenberg und mit "il pomo d'oro" in Göttingen gibt.



Die Händel Festspiele

Donna Leon bei wikipedia

Ann Hallenberg bei wikipedia
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il pomo d'oro: Die offizielle Website
il pomo d'oro bei wikipedia
il pomo d'oro bei facebook

Montag, 18. Mai 2015

Wenn Gambe und Laute singen

Hille Perl und Lee Santana begeistern mit unbekannten Meistern

Barockmusik kennt nicht nur Opulenz und expressive Gesten. Sie kann auch sehr meditativ und innerlich sein. Hille Perl und Lee Santana spielten im Rittersaal im Schloss Herzberg und am Ende dieses musikalischen Nachmittags mit einem der besten Duos für alte Musik bleibt tiefe Zufriedenheit und der Einklang mit sich selbst und mit der Welt im Ganzen.
Das Programm lässt sich unter dem Stichpunkt "Händel und seine Nachbarn" zusammenfassen und es versammelte Komponisten, die sonst nicht im Fokus der musikalischen Aufmerksamkeit stehen. Weil die Zusammenstellung " ... per la viola di Gamba é Liuto... " nach Aussage von Hille Perl nur für diesen Nachmittag erfolgte, wurde das Publikum Ohrenzeuge eines einmaligen Erlebnisses.
Auch so einmalig ist der Dialog der Künstler mit dem Publikum. Beide erläutern nicht nur, was sie tun, sondern auch, warum sie es tun, und stehen in der Pause auch für Fragen und Fachsimpeleien zur Verfügung. Es scheint, als ob sich im Rittersaal hoch über der Stadt eine verschworene Gefolgschaft zweier verkannter Instrumente getroffen hat.
Bei der Suite in A-Dur versinkt Lee Santana in der
Musik. Alle Fotos: tok
Das erste Stück legt die Linie für den Rest des Nachmittags fest. "La bianca Rosa" ist eigentlich eine Kantante. Doch der Gesang wird von der Gamba übernommen und in den Händen von Hille Perl kann dieses Instrument singen. dieser Gesang ist gemessen, meditativ und fast in sich selbst versunken, eben eine Huldigung an die Schönheit einer weißen Rose. Fast scheint es, als ob ein gar lieblicher Gesang durch den Saal strömt.
Mit der Suite in A-Dur von Sigismondo Weiß steht ein Komponist auf dem Programm, von dem noch nicht einmal die Lebensdaten bekannt sind. Damit eröffnet Lee Santana die Reise in unentdeckte Vergangenheit. Der unbekannte Meister hat am Ende des 17. Jahrhunderts italienische und französische Elemente verknüpft, die einen Wechsel von gesetzt und flink ergeben und die Tänze des Barocks vor das geistige Auge holen.
Die Sonate in g-Moll ist wohl das einzige Werke, das Händel für die Viola da Gamba schrieb. Weil der Weltenbürger keine Erfahrungen mit diesem Instrument hat, sind die Sprünge eine besondere Herausforderung für Gambaisten.
Auch von Conradus Hoefflerus ist wenig überliefert. Falls mal jemand versucht, die Weltvergessenheit und Innerlichkeit eines Sonetts von Andreas Gryphius in Musik zu fassen, dann muss es klingen. Meditative Melodieführung und schnelle Tänze wechseln sich nahtlos ab.
Hill Perl kann ihre Gambe zum Singen
bringen.
"Col partir la bella Clori" aus "Ah! che pur troppo é vero" ist ursprünglich eine dieser in Unendliche verlängert Arien, in denen Meister Händel eine Melodie immer weiter und immer wieder neu entwickelt. Für Hille Perl und Lee Santana ist es das perfekte Gamebenlied, denn nun lassen sie ihre Instrumente wieder singen, entblättern sie die Melodien ein ums andere Mal. Dies machen sie mit höchster Präzision, so dass jeder einzelne Ton perlt, und sie machen es mit einer Dynamik, die man diesen Instrumenten nur bedingt zutraut.
Diese Perfektion tragen Perl und Santana auch in der Sonate Nr. 2 von Johann Friedrich Ruhe weiter, die dann im Siciliana gekonnt ausklingt und wieder in ruhige Gewässer zurückkehrt.
Der Nachmittag mit Perl und Santana war ein lehrreicher. Er hat gezeigt, dass Saiteninstrument singen können und dass in einer Gambe mehr Dynamik steckt, als Ungeübte vermuten mögen. Von den richtigen Händen bedient und mit diesem charakteristischen Ton, wird die Gambe dann zur König der Streichinstrumente.
Barockmusik kennt nicht nur Opulenz und expressive Gesten. Sie kann auch sehr meditativ und innerlich sein. Weil eben beide Pole des Barocks, Ausschweifung und Weltenschmerz, zusammenkommen, stellt sich dieses Ying und Yang, diese tiefe In-sich-selbst-Ruhen ein. Dafür gab es an diesem Sonntag keine bessere Kulisse als das frühbarocke Schloss Herzberg und seinen kargen Rittersaal.

Das Interview mit der Künstlerin

Die Händel Festspiele

Die offizielle Website von Hille Perl
Hille Perl bei wikipedia

Sonntag, 17. Mai 2015

Zweifelhafte Heldinnen

Die Händel-Festspiel-Oper hinterlässt einen gemischten Eindruck
"Heldinnen!?" ist das Motto der diesjährigen Händel-Festspiele in Göttingen. Mit "Agrippina" hat sich Laurence Dales ein frühes Werk aus Händels Opus vorgenommen, in dessen Zentrum ein Frau zweifelhaften Rufes steht. Während das Ensemble auf der Bühne und im Orchestergraben in allen Belangen überzeugen konnte, hinterließ die Inszenierung bei der Premiere am 15. Mai im Deutschen Theater einen gemischten Eindruck.
Mit Werk um die römische Kaiserin, die ihren Sohn Nerone mit Intrigen auf den Thron hievt, schafft Händel zum Schluss seines Italienaufenthalts 1709 den Durchbruch als Operkomponist. Vermutlich hat sich zu sehr von dem Versprecher einer alten Aufführungspraxis leiten lassen, denn eine dramaturgische Straffung hätte der Inszenierung durchaus gut getan. Endlose Rezitative, die bereits Bekanntes wiederholen, lassen sich nur mit den Sehgewohnheiten einer höfischen Gesellschaft erklären. In bürgerlichen Zeiten höchster Konzentration zeigt das Werk einige Längen. Dazu gehören sicherlich die Kasperl-Szene mit Narcisco und Pallente am Beginn des zweiten Akts, aber auch die die dreifachen Liebesschwüre von Poppea und Ottone am Beginn des dritten Akts. Im Handlungsstrang sitzt hier der Wendepunkt im Ränkespiel und Zuspitzung hätte der Inszenierung Schwung gegeben.
Diese beiden Damen, Agrippina und Poppea, haben
ihre Männer im Griff. Alle Fotos: Th. da Silva
Anderes taucht unvermittelt auf. Dazu zählt sicherlich die Alptraum-Szene mit Agrippina. Natrlich hat auch die Figur der Intrigantin schwache Seiten und ist von Furcht erfüllt. Aber die geriatrische Lösung für das andere Gesicht der Agrippina erscheint doch sehr flach. Warum wird aus einer begehrenswerten Frau schlagartig eine Baba Jaga? Hier gibt es ein logisches Problem. Agrippina Macht über die Männer speiste sich bisher aus ihrem Sexappeal. Doch der ist nun weg, aber warum geht es trotzdem so weiter?
Auch der Claudio ist hart an der Grenze zur Demenz angelegt. Dieser hüftlahme Geront soll der Bezwinger Britanniens und Imperator des Römischen Reichs sein? Zumindest sind die Männer im Räderwerk zweier Intrigantinnen zumindest ganz im Sinne des diesjährigen Mottos. Die Anlage der Figur gerät doch recht simpel. Auch in der Figur der Poppea steckt Potential, das nicht genutzt wird.
Zwar kann Laurence Dale einige Ideen aufweisen, aber die tragen nicht genug, um eine Netto-Spieldauer von 4 Stunden durchgängig zu füllen. Vieles wird angedeutet und doch nicht zu Ende geführt, wie zum Beispiel Poppeas deutliche Affinität zu Perlenkette. Anderes taucht unvermutet auf, wie der Mord an der stummen Dienerin. An einigen Stellen wirkt die Inszenierung wie vom Blatt abgespielt, da hilft auch der überraschende Schluss mit dem Pilz-Tod nicht mehr. Die Vielschichtigkeit der Handelnden gerät, je länger die Aufführung dauert, zu einem Schwarz-Weiß-Spiel.
Claudio sitzt auf dem Möbelstück, auf dem viele
andere auch gern Platz nehmen möchten. 
Geglückt ist hingegen die Besetzung. Alle Stimmen passen zu den Figuren. Joao Fernandes in der Rolle des Kaiser Claudio ist der musikalische Herrscher an diesem Abend. Seine Bass-Arien gehören ohne Zweifel zu den Höhepunkten. Das Volumen und gleichzeitig Brillanz erstaunen immer wieder.
Ähnliches gilt für Tenor Christopher Ainslie in der Rolle des Ottone. Herrlich überdreht agiert Owen Willets in der Partie des Narcisco. Countertenor Jake Arditte kann in der Rolle des Nerone mit ungewöhnlichen Stimmumfang überzeugen.
Ulrike Schneider in der Titelrolle zeigt von Anfang Präsenz, doch die Glanzlichter setzt Ida Falk Winland als Poppea. Die Schwedin liefert expressive Sopran-Arien wie aus dem Bilderbuch, und wie von Händel gefordert,  ab.
Laurence Cummings hat das Festspielorchester wieder optimal eingestellt. Dies zeigt sich schon in der Ouvertüre und deren verzögerten Pausen. Besonders Susanne Regel und Kristin Linde an den Oboen und Blockflöten können an diesen Abend wichtige Punkte setzen
Der Opulenz der vergangenen Festspielopern setzt Tom Schenk in diesem Jahr Reduktion entgegen. Das Bühnenbild wird bestimmt von zwei mobilen Spiegelwänden, die die Eitelkeiten der Akteure auf sie zurückwerfen und den Bühnenraum in den wenigen Momenten er Zuspitzung verengen. Damit ist die Konzentration auf die Handelnden zwangsläufig. Immer wieder rückt die Bühnensymetrik den Thron in den Fokus und schließlich dreht sich das Ränkespiel ja um dieses Möbelstück.
Intrigen und Ränke sind kein Vorrecht römischer Kaiser, das macht Robby Duiveman mit Element von der Antike bis ins Empire deutlich. Den Hasenfuß Pallente mit Schulterpolstern auszustatten, dass ist eindeutig ein komisches Element



Die Internationalen Händel Festspiele in Göttingen
Der Stückzettel

Das Werk bei wikipedia

Der Kollege vom Göttinger Tageblatt ist anderer Meinung

Dienstag, 12. Mai 2015

Musik auf gelungene Art begreifbar gemacht

Barocksolisten aus Braunschweig eröffnen die Kreuzgangkonzerte

Auf der organisatorischen Ebene war es eine Zeitenwende, musikalisch blieb es beim Gewohnten. Mit dem Programm "Vier Jahreszeiten" eröffneten die Barocksolisten am Samstag, 9. Mai, die 32. Kreuzgangkonzerte im Kloster Walkenried. Das Ensemble aus Braunschweig schaffte so den Ausgleich zwischen alter Praxis und neuen Verständnis.

Vivaldis "Die vier Jahreszeiten" zu spielen, das ist ein erhebliches Wagnis. Schließlich hat jeder seinen eigenen Soundtrack zum Dauerbrenner barocker Werbebegleitung im Kopf und fast jeder hat dementsprechend eine Vorstellung davon, wie dieses Musterexemplar an Streicherliteratur zu spielen ist. Aber das kann man weder Vivaldi noch den Barocksolisten ankreiden. Die Interpretation der Norddeutschen Barocksolisten und von Josef Ziga stellten das ausverkaufte Haus mehr als zufrieden. Am Ende des Abends forderte das Publikum mit langanhaltenden Applaus drei Zugaben ein.
Josef Ziga überzeugtei schnellen Wechsel von Solo-
und Tutti-Partien. Alle Fotos: tok
Doch den Anfang machte die Suite in D-Dur von Georg Friedrich Händel. Martin Weller an der solo-Trompete zeigte mit seinem akzentuierten Spiel mit Wechsel mit den Streichern seine ganze Klasse und Erfahrung. Gerade das italienische Cembalo sorgte mit seinem vollen Klangvolumen für eine wohlklingende Basis. Leider kam der Bass continuo an diesem Abend unter der Opulenz der Streicher nur selten zu Geltung.
Ziga und die Barocksolisten spielten Vivaldis vier Konzerte aus dem Zyklus "Le quattro stagioni" an diesem Abend zweigeteilt, den Frühling und Sommer vor der Pause, Herbst und Winter nach der Pause. Das gab dem Publikum die Möglichkeit, dieses Paket zu verarbeiten und in der Reflexion die Struktur des Werkes zu begreifen. Vivaldis Opus ist nicht nur der Urahn der Programmmusik, sondern auch ein Musterbeispiel barocker Struktur.
Erst die kleine Besetzung macht den Aufbau, das Zyklische der vier Jahreszeiten, transparent. Wo großes Orchester manchen Kleinod überspielen, erhalten Ziga und das Ensemble die filigrane Tonkunst des Venzianers. Schon im Allegro des ersten Concerto kommt die bildhafte Sprache des Komponisten im Wechsel von Solo und Tutti zur vollen Geltung. Vogelgleich erheben sich die Töne und hüpfen durch das Auditorium und trotzdem bleibt die Dynamik im Ritornell erhalten. Ja, das ist Frühling.
Das Ensemble ist ein ebenbürtiger Partner für die
beiden Solisten. 
Mit weichen, runden Klangbildern symbolisiert das Orchester die träge Hitze des Sommers bis sich das Gewitter in einem furiosen Solo von Josef Ziga entlädt. Im Wechselspiel des Presto erweisen sich Solist und Ensemble als ebenbürtige Partner und auch das Cembalo kommt im Dialog zur Geltung.
Gleiches gilt für die drei Bläserkonzerte, die an diesem Abend noch auf dem Programm stehen. Im Konzert in D-Dur von Guiseppe Torelli arbeiten Martin Weller und das Ensemble die Theatralik im Wechsel von Solo und Tutti überzeugend heraus. Auch hier feiert die Transparenz barocker Musikstrukturen ein Hochfest. Gleiches gilt auch für die vorklassische Melodieführung in Telemanns Konzert in D-Dur für Corno da Caccia, Streicher und Basso Continuo.
Trotz der überschaubaren Besetzung können die Norddeutschen Barocksolisten mit einer Klangfülle überzeugen, die selbst größeren Ensembles nicht immer gelingt. Für diese Erfahrung und die Begreifbarkeit barocker Musik bedankt sich das Publikum am Ende mit langanhaltenden Applaus. Damit ist Thomas Krause und seinem Team der Einstieg in die neue Zeitrechnung der Kreuzgangkonzert mehr als gelungen.


Die Kreuzgangkonzerte

"Die vier Jahreszeiten" bei wikipedia

Sonntag, 10. Mai 2015

Noch ganz alte Schule

Auf Zeitreise mit einem Parodisten

 Jörg Knör war in Osterode und es war eine Reise in die gute alte Zeit. Nein, das Programm spiegelt nicht die Vergangenheit wieder. Das ist auf der Höhe der Zeit. Jörg Knör ist der Archaismus, er ist das Relikt aus einer Zeit, als die Menschen, die auf einer Bühne stehen, ihr Handwerk beherrschen mussten und die deswegen auf der Bühne standen, um ihr Publikum zu unterhalten und nicht, um sich selbst zu produzieren. Am Ende der zweieinhalbstündigen Show stand die Gewissheit, dass sich solche Reise immer lohnen.
Am Anfang der Liebesbeziehung zwischen Deutschlands bekanntesten Parodisten und den Publikum steht ein Versprecher. Aus Osterode am Harz wird Osterode am Hals, ein Versprecher, der sich als "running gag" durch das gesamte Programm ziehen. Doch die Bewohner der Kreisstadt merken, dass der Mann aus Hamburg weiß, wo er ist. In Zeiten automatisierter Programme und austauschbarer Comedians ist das nicht mehr selbstverständlich.
Jörg Knör beweißt auch gleich, dass er sich informiert hat über die Verhältnisse in der Stadt. Auch Lokalgrößen wie Bürgermeister Becker kriegen an diesen Abend gleich mehrfach "ihr Fett weg". Das kommt an bei der treuen Fanschaft. Der Faden zwischen dem Mann auf der Bühne und den Menschen vor der Bühne ist gleich geknüpft. Damit setzt Jörg Knör seinen Anspruch, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen um, die Herzen sind geöffnet. Das ist die vielfach beschworene alte Schule.
Jörg Knör und die Kanzlerin, dass ist
keine Liebesbeziehung. Alle Fotos: tok
Das Programm ist vielfältig. Jörg Knör witzelt, singt, zeichnet, karikiert, pantomiert und parodiert, von allem ein wenig. Schlager, sei es Costa Cordalis oder Heino, werden umgetextet und dementsprechend ist der Mitklatsch-Faktor hoch. Vielleicht ist Jörg Knör damit der letzte Entertainer unserer Zeit, der legitime Sohn von Rudi Carrell, seinem großen Vorbild. Auf jeden Fall hat er genug im Repertoire, um einen Abend abwechslungsreich zu gestalten. Auch das ist in Zeiten monothematischer Comedians mit fünfeinhalb-Minuten-Auftritten beruhigend altmodisch. Wo Leute wie Mario Barth ein und dasselbe Thema immer wieder neu durchkauen, kann Knör, schwuppdiwupp, ein neues Thema bieten.
Die Palette ist groß. Es gibt nicht nur um die Sorgen derer, die wir zu Prominenten machen. Auch Politik wie BND-Affäre oder G36 gehören dazu. Aber eben nicht aus der Perspektive des messerscharfen Analytikers und Besserwissers. Es ist eher die Sicht des "kleinen Mannes", sofern überhaupt noch jemand etwas mit diesem Begriff anfangen kann, auf die da oben. Damit ist es aber die Perspektive des Publikums und dies bedankt sich  mit Applaus auch für abgestandene Witze über die Kanzlerin oder die Verteidigungsministerin.
Das Erzähltempo ist eher gemächlich. Wo andere Zoten im 3-Sekunden-Takt bringen, da lässt Jörg Knör solch manches Wortspiel wirken. Doch wirklich, er gönnt sich und dem Publikum auch mal den Luxus einer Kunstpause.
Es lohnt sich zuzuhören. Wo viele Comedians mit Verbalinjurien glänzen wollen, setzt Knör Wortwitz und Wortspielereien einen. Man muss die Codes kennen und sich Zusammenhänge bewußt machen. Deswegen dauert es an einigen Stellen auch einige Sekundenbruchteile bis einige Pointen dann zünden. Nur ist der Genuss nach dem Aha-Effekt um so größer. Dennoch ist Knörs Sprache, sind die Anspielungen doch antiquiert und setzen ein Mindestalter weit jenseits der 18 voraus. Aber das Publikum erfüllt dieses Kriterium an diesem Abend zu fast 99 Prozent. Die meisten werden wohl auch ihre schönen Erinnerungen an die großen Knör-Shows in den 80er und 90er Jahren im geistigen Gepäck haben. Sonst würde der Gag mit Suzie Quatro und der Single auch nicht funktionieren. Er tut es aber und Jörg Knör hat genug Selbstironie, um über die Differenz zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu witzel. Auch das ist Größe.
Knör wandelt als Heino auf Abwegen. 
Knör sagt, er habe siebzig Promis in seinem Stall und je nach Nachrichtenlage, könne er alle kurzfristig aktivieren. In der Stadthalle Osterode zeigt er nur die wenigsten davon, aber das tut er überzeugend und vor allem macht er dies mit Zuneigung zu seinen Figuren. Auch das ist die alte Schule. Wo Cindy aus Marzahn mit Sozialvoyeurismus nur noch müde Lacher produziert und nur noch Wenige Gefallen am Kasernenhof-Humor von Stefan Raab finden, erweist Knör den Zeitgenossen seine Form von Respekt, Respekt mit Augenzwinkern.
Da ist der ewige Dieter Bohlen mit norddeutscher Kopfstimme und der Wiederkehrer Heino mit nordrheinischen Bass und überdrehte Karl Lagerfeld. Aber Glanzstück an diesem Abend ist ohne Frage Gerhard Schröder. Jeder, der den Altkanzler schon einmal live erlebt hat, weiß, dass Knör besser ist als das Original. Er könnte zwar keinen Schröder-Lookalike-Contest gewinnen, da helfen auch alles Grimassen nichts. Aber den Sounds-like-Wettbewerb, den hat er schon vorab gewonnen. Aber Knör klingt nicht nur wie das Original, er denkt wohl auch wie die Vorlage. Auf jeden Fall beherrscht er die Schrödersche Rhetorik aus dem Effeff und da nimmt es ihm auch keiner krumm, wenn der im Schröder-Duktus flapsige Bemerkungen über die Stadthalle macht, die wie so vieles an diesem Abend aus der Zeit gefallen ist.
Körs Versprechen war es, das Publikum für zweieinhalb Stunden aus dem Alltag zu holen. Das ist ihm eindeutig gelungen. Sein Versprechen war es weiterhin, seine Zeitgenosse liebevoll zu überzeichnen. Auch das ist ihm gelungen.Nur die Kanzlerin, die scheint er wirklich nicht zu mögen.



"Ich bin noch ganz alte Schule" - Das Interview

Die offizielle Website vor Jörg Knör
Jörg Knör bei wikipedia